Protokoll der Sitzung vom 05.11.2009

(Beifall von den GRÜNEN)

Es müsste eigentlich auch für die Regierung und ihre Fraktionen, wenn man ehrlich ist, eine Katastrophe sein, wenn ich mir den Koalitionsvertrag in Berlin anschaue. In Berlin haben wir jetzt eine Regierung aus CDU und FDP – das war für mich das Schlimmste, was ich mir als Grüner bei erneuerbaren Energien habe vorstellen können – mit all den Drohungen gegen das Erneuerbare-EnergienGesetz und allem, was da dranhängt.

Ich weiß jedoch aus den Diskussionen der letzten Jahre – ich sitze im EUROSOLAR-Vorstand neben einem Kollegen von der CSU –, dass es bei der CDU auf Bundesebene und in den Landesverbänden Positionsänderungen gibt, leider nicht in Nordrhein-Westfalen, aber in anderen Landesverbänden. Ich habe das bei der Diskussion um das EEG, das wir in der jetzigen Form nur mit einer Reihe von CDU-Landesverbänden durchbekommen haben, erlebt.

Die Bilanz in Nordrhein-Westfalen ist an der Stelle eine ganz andere. Der Koalitionsvertrag in Berlin hat viele Schwächen und Mängel. Ich muss aber zur Kenntnis nehmen: Das Ziel, 30 % erneuerbare Energien in zehn Jahren im Strombereich zu erreichen, war schon Ziel der Großen Koalition – ich kann als Grüner sagen: man kann mehr schaffen – und ist jetzt sogar Ziel von CDU und FDP.

Der Einspeisevorrang für Erneuerbare steht im Koalitionsvertrag, und das EEG soll in der Grundstruktur bestehen bleiben. Da war die FDP immer unterwegs, das durch ein großunternehmensfreundliches Modell abzulösen. Aber man hat offensichtlich erkannt, dass man dieses hervorragende Gesetz in seiner Grundstruktur nicht anrühren sollte, weil es

den Zukunftsaufgaben Deutschlands schaden würde.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die jetzige Bundesregierung will die erneuerbaren Energien in zehn Jahren zum Primärenergieträger Nummer eins machen. Als ich als Grüner angefangen habe, sind wir für unsere „Spinnereien“ mit Wind und Fotovoltaik ausgelacht worden, und jetzt muss die Bundesregierung, von der ich immer gesagt habe, es wäre die schlimmste, die in dieser Frage kommen könnte, anerkennen: Es geht nicht anders weiter; Primärenergieträger Nummer eins im Strombereich werden die Erneuerbaren sein. Was für ein Zeitenwechsel!

Was heißt das für Nordrhein-Westfalen? Ich muss ganz nüchtern feststellen: Es gibt Lichtblicke – ich will auf unseren Aachener Vertrag verweisen –, aber es ist bedauerlich, dass bei der CDU insgesamt in Nordrhein-Westfalen kein Meinungsumschwung da ist. Mit der FDP kann man über das Thema überhaupt nicht seriös reden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Nordrhein-Westfalen hatte immer eine sehr hohe Kompetenz in der Stromerzeugung bundesweit und hat sie ausweislich der Kraftwerksstruktur heute noch. An der Kompetenz hängen Arbeitsplätze. Jetzt wissen wir, diese Bundesregierung sagt: 30 % Erneuerbare, und in den nächsten Dekaden geht es weiter bis zur Ablösung konventioneller Energieträger. Das heißt, es gibt nur eine Richtung. Ich glaube, dass es noch schneller gehen muss, als die Bundesregierung will, aber es gibt nur die eine Richtung.

Das hat auch Konsequenzen auf unsere Energieerzeugungsstruktur. Wenn sich Nordrhein-Westfalen aus den Bereichen der Erneuerbaren ausblendet, sie willentlich zurückdrängt und die Arbeitsplätze verdrängt, verlieren wir die Kernkompetenz in der Energieerzeugung,

(Beifall von den GRÜNEN)

geben sie freiwillig – das muss man sich überlegen – an andere Bundesländer ab.

Entscheidend ist: Das ist ein langfristiger Prozess des Strukturwandels mit einer klaren Ansage und Zielsetzung schon zweier Bundesregierungen. Es wird nur noch besser werden, wenn die Grünen wieder in der Bundesregierung sind. Aber das ist auch von den Regierungen jetzt schon so angesagt worden.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Herr Brockes, ich will noch lange leben.

(Dietmar Brockes [FDP]: Das gönne ich Ih- nen auch!)

Herzlichen Dank, Dietmar. – Um es ganz ernst zu sagen: In diesem angelegten Strukturwandel muss

es unser Ziel sein, genau die Kernkompetenzen in den Bereichen auch in Nordrhein-Westfalen prioritär zu besetzen, damit Nordrhein-Westfalen nicht ins Hintertreffen gerät. Eine Politik „Das ist das Erste, was wir kaputtmachen“ oder „Ich kann auch mit Doofen“ kann nicht Leitlinie der Landesregierung sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben in Nordrhein-Westfalen für die Windkraft keinen Anlagenbauer. Alle großen Anlagenbauer sind in anderen Bundesländern. Enercon, der Marktführer, oben in Aurich sitzend, hat 12.000 Leute beschäftigt. Das ist ein Industriebetrieb. Wenn wir jetzt über Opel diskutieren, die Insolvenz von Quelle erleben, kann man doch nur froh sein, einen solchen Betrieb zu haben. Wenn man oben in Emden und Aurich debattiert, spielt die unsinnige Kasperdiskussion, die wir in Nordrhein-Westfalen immer wieder gehört haben, keine Rolle. Dort ist das ein industrielles Zukunftskonzept.

Das hat Auswirkungen auf NRW, die ich konkret benennen will. Wir haben gute Zulieferer, zum Beispiel die Firma Siempelkamp in Krefeld, die die einzige ist, die die großen Formteile für die großen 5- und 6-MW-Räder herstellen kann. Aber was droht denen denn? Enercon hat zwischen Aurich und Emden eine große neue Gießerei fertig gestellt, weil Siempelkamp nicht in ausreichender Menge liefern konnte. Also bauen die eine eigene Gießerei für die großen Formteile mit Anbindung an eine eigene Eisenbahnstrecke. Das ist Infrastrukturpolitik dort oben.

Siempelkamp ist in diesem Teilsegment natürlich dadurch bedroht, dass andere das auch machen. Da wandert Technik zu Technik. Wir sind bei den Getriebeherstellern sehr gut, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen: Der deutsche Marktführer setzt auf getriebelose Technik. Siemens setzt jetzt auch auf getriebelose Technik. Es ist noch nicht ausgemacht, ob nicht die getriebelose Technik die Zukunftstechnik ist, da sie mit Stromnetzen konformer ist. Das heißt: Zu der Sorge, hier keinen Anlagenbauer zu haben und neue Technik nicht einsetzen zu wollen, kommt auch die Sorge, dass das, was wir an Stärken im Zulieferbereich haben, auch weggeht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Man muss schon verrückt sein, derartige Zukunftsbereiche, von denen selbst die Bundesregierung überzeugt ist, aus diesem Land herausjagen zu wollen.

Insofern kann es eigentlich nur eine Perspektive für unser Land geben: Sie müssen – ich darf da die Kollegen von der CDU anschauen – Ihre Position an der Stelle ändern. Mit ein bisschen Repowering und der Linie, froh zu sein, wenn wir das Stück für Stück zurückdrängen, werden wir NordrheinWestfalen nicht gerecht. Wir können doch nicht

beim Ausbau der erneuerbaren Energien, der in den nächsten Jahren passiert, darauf setzen, dass das überall woanders gemacht wird, nur nicht in NRW.

Als Letztes will ich noch sagen: Das, was jetzt beim Aufbau der Erneuerbaren in den anderen Bundesländern passiert, finanzieren wir über die Stromumlage mit. So verrückt, Arbeitsplätze hier nicht haben zu wollen, sie aber in Niedersachsen als Industriearbeitsplätze zu finanzieren, so verrückt muss man erst einmal sein. Das schadet dem Land. Da sollten wir die Politik ändern. – Danke schön.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Jetzt hat für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Hovenjürgen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Lieber Kollege Priggen, so schwarz, wie Sie es gemalt haben, ist es nicht. Das wissen Sie auch.

(Norbert Römer [SPD]: Aber fast so schwarz!)

Auch Sie hatten zusammen mit den Grünen nach der letzten Landtagswahl die Einschätzung, dass das, was Sie bei dem Tempo der Ausweisung von Windvorrangflächen und dem Bau von Windkraftanlagen den Menschen zugemutet hatten, zu einem Teil mit für die Situation verantwortlich war, die zum Regierungswechsel geführt hat. Das ist auch Ihnen nicht verborgen geblieben. Wir haben uns bemüht, auf die Menschen und deren Interessen einzugehen. So schwarz, wie Sie es gezeichnet haben, ist das Bild gar nicht.

Wenn Sie die von Ihnen zu Recht gelobte Vorlage der Landesregierung mit den Darstellungen, wie es zurzeit um die Windkraft in Nordrhein-Westfalen und um die Fragestellung, die Sie dort aufgeworfen haben, bestellt ist, erwähnen, werden Sie auch gesehen haben, dass wir 2005 2,8 Milliarden Kilowattstunden Windkraftstromerzeugung hatten. 2007 hatten wir 4,4 Milliarden Kilowattstunden. Das ist eine Steigerung von 60 %. Also kann in der Zeit ja nicht Stillstand geherrscht haben. Vielmehr hat es sich weiterentwickelt. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Wir sind auch kein forschungsfeindliches Land, was diese Frage angeht. Vielmehr haben wir hohes Interesse an einer nachhaltigen Energieerzeugung, die uns von fossilen Energien unabhängiger macht. Das ist alles sicherlich sehr wichtig, und wir wollen uns dem auch widmen. Es gibt auch in diesem Land erhebliche Kapazitäten, die sich damit befassen. Auch das ist eine Antwort, die in dieser Großen Anfrage steht.

Wir haben Forschungskapazitäten. Ich hatte vor Kurzem das Vergnügen im Science-to-BusinessCenter in Marl zu sein und mir dort anschauen zu

können, wie man über die Speicherung von Windenergie nachdenkt. Wenn wir sie wirklich speichern und grundlasttechnisch einsetzbar machen können, dann sind wir auf einer ganz anderen Ebene unterwegs und in der Lage, über Alternativen nachzudenken und uns über diese Ersatzmaßnahmen durch regenerative Energien einen Schritt voranzubewegen.

All das sind Fragen, die sich die Landesregierung stellt und denen sie sich in keiner Weise verweigert. Auch die Wirtschaftsministerin erwähnt das immer wieder. Wir erkennen die Möglichkeiten, die in regenerativen Energien liegen. Aber wenn Sie zum Beispiel die Technologiewanderungen in der Bundesrepublik beschreiben, dann gehört zur Wahrheit dazu, dass wir mit dem EEG letztendlich auch den Fotovoltaikbau in China mitfinanzieren. Es stellt sich die Frage, ob wir das auf Dauer so lassen können, und auch die Frage, ob bei Fotovoltaik nicht zumindest der Eigenbedarf von der Förderung bzw. von der Bezahlung ausgenommen werden könnte,

(Ministerin Christa Thoben: Ja!)

damit man zumindest den eigenen Strombedarf billiger einkaufen kann als für den Preis, den man dafür bezahlt bekommt. Diese Fragestellungen sollte man durchaus miteinander erörtern.

Bei den regierungstragenden Parteien gibt es definitiv keine Feindlichkeit den regenerativen Energien gegenüber. Ganz im Gegenteil: Wir erkennen Chancen, wir erkennen Möglichkeiten, aber wir wollen sie realitätsnah und wirtschaftsnah einsetzen. Das sind die Fragen, mit denen wir uns befassen. Ich glaube auch nicht, dass wir da sehr weit auseinander liegen.

Insofern meine ich schon, dass wir mit dieser Vorlage, die dankenswerterweise durch Ihre Große Anfrage ausgelöst worden ist, einen exzellenten Nachweis haben, auf welch gutem Weg wir uns befinden. Ich glaube, es ist der richtige Weg, um einen vernünftigen Interessenausgleich bei der Energiesicherung im Grundlastbereich sicherzustellen.

Wir haben bisher nicht die Möglichkeit, die Grundlast wirklich über regenerative Energien sicher darzustellen. Insofern werden wir auch Kraftwerkskapazitäten brauchen, aber wir werden uns darüber unterhalten müssen, in welchem Umfang. Wir werden beobachten müssen, wie schnell die Forschung vorangeht, sodass wir auf das eine oder andere geplante Kraftwerk vielleicht auf Dauer verzichten können. Auch dem verweigern wir uns nicht, wenn sich diese Erkenntnisse ergeben.

Insofern ist Ihre Schwarzmalerei an dieser Stelle, lieber Kollege Priggen, in dieser Form nicht angebracht. Wir sind weiter, als Sie denken. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Stinka das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hovenjürgen, gerade was die Fotovoltaikförderung angeht, würde ich Sie bitten, einmal mit Ihren landwirtschaftlichen Kollegen in den Kreisen zu sprechen. Diese haben nämlich die größten Fotovoltaikanlagen. Die werden vor Begeisterung klatschen, wenn Sie die Förderung dort einstellen; das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Sie kennen die Kreise auch. Die größten Nutzer dort sind landwirtschaftliche Betriebe, und die Betriebshilfsdienste profitieren enorm davon.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Kolleginnen und Kollegen, als ich vor einiger Zeit in Norddeutschland Urlaub gemacht habe, ist mir erneut bewusst geworden, wie verbreitet dort die Windkraftenergie ist, wie stark sie dort genutzt wird und wie weit Nordrhein-Westfalen hinterherhinkt. – In allen Staaten, in allen Bundesländern, selbst im Binnenland werden Möglichkeiten genutzt, um Windenergie zu erzeugen.

Ich frage mich dabei: Was sagen eigentlich die Anwohner im CDU-regierten Schleswig-Holstein? Was sagen eigentlich die Touristen im CDU-regierten Niedersachsen? Warum schaffen die das dort eigentlich? Und warum ist das in Nordrhein-Westfalen anders? – Weil nämlich die Landesregierung – Herr Priggen hat das schon ausgeführt – mit dem Ziel angetreten ist, die Entwicklungspotenziale im Bereich der Windenergie einzuschränken. Das ist seit Beginn ihrer Regierungszeit immer wieder so gewesen.