Protokoll der Sitzung vom 02.12.2009

In wenigen Tagen wird am 7. Dezember die Klimakonferenz in Kopenhagen eröffnet, und es wird immer deutlicher, dass sich die Bedrohung durch den Klimawandel nicht entspannt, sondern eher verschärft.

Wir müssen davon ausgehen, dass es in diesem Jahrhundert zu einer Meeresspiegelerhöhung von bis zu zwei Metern geben wird. Und wir müssen von mehreren hundert Millionen Menschen ausgehen, die dann zu Flüchtlingen werden.

Ich will nur ein Beispiel aufführen: Bangladesch mit 160 Millionen Menschen Bevölkerung. Dort werden etwa 20 % der Oberfläche des Landes, die nur einen Meter über dem Meeresspiegel liegen, verloren gehen, und 30 Millionen Menschen werden zu Klimaflüchtlingen.

Was bedeutet aber eine 90%ige oder auch 80%ige CO2-Reduktion für uns? – Die Bundesrepublik Deutschland hatte 1995 1.000 Millionen t Emissionen. Wir sind jetzt bei rund 800 Millionen t. Wir müssten dann bis 2050 auf 200 – oder wenn man 90 % Reduktion schaffen muss – 100 Millionen t runter. Wir brauchen Emissionsfreiheit für sogenannte prozessbedingte Emissionen. Das sind Emissionen, die wir nicht verhindern können. Solange wir Stahlerzeugung, Aluminium-, Zement- und Chemieindustrie und Landwirtschaft haben, wird es Emissionen geben, die man zwar reduzieren – man kann Prozesse optimieren –, aber nicht verhindern kann.

Wenn wir die Emissionen auf insgesamt 100 Millionen t reduzieren müssen, die prozessbedingten Emissionen mit rund 80 Millionen t jährlich einbeziehen und bedenken, dass allein die Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen jetzt 170 Millionen t emittieren, dann wird deutlich, wohin wir in den nächsten Dekaden müssen.

Das heißt, dass wir im Prinzip keine Freiräume für Emissionen haben, für Bereiche, die wir ohne Emissionen vollständig substituieren können. Der Passivhausstandard für Neu- und Altbauten, der von der EU für Neubauten 2020 schon vorgesehen ist, wird somit zum grundsätzlichen Bestand für alle Gebäude werden müssen. Sie werden emissionsfrei sein müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Stromerzeugung, für die es Alternativen gibt, wird innerhalb von 40 Jahren emissionsfrei werden müssen. Nicht morgen, nicht in zehn Jahren, nicht in 20 Jahren; das ist klar. Aber sie wird emissionsfrei werden müssen. Ähnliches gilt für die Mobilität. Wenn wir nur noch wenige Restemissionen zulassen können und die für Stahl, Zement und anderes brauchen, dann wird es jedenfalls so nicht weitergehen.

Die Frage ist: Was heißt das für ein Land wie Nordrhein-Westfalen? Das ist eine ganz spannende Frage, nicht nur auf der kurzen Zeitachse, sondern auf der Zeitachse über mehrere Dekaden.

Ich will an einem Beispiel deutlich machen, wie gravierend die Umwälzungen sind. NordrheinWestfalen hatte immer eine Kernkompetenz in der Stromerzeugung: Maschinenbau, Anlagenbau, Stahl, Kohle, aber auch Stromerzeugung. Die Kraftwerke waren und sind bei uns, und wir hatten eine große Tradition. Wir hatten diese Tradition auch, weil dies an die Lagerstätten von Kohle, Stein- und Braunkohle, gebunden ist. Wenn aber die Stromerzeugung im Laufe der nächsten Dekaden umgestellt werden muss, verlieren wir den Vorteil der Lagerstätten.

Wer nicht erkennt, dass die Zukunft der stromerzeugenden Industrie und aller Bereiche, die daran

hängen, nicht mehr die Großkraftwerksphilosophie mit 1.000- und 2.000-MW-Blöcken ist,

(Beifall von den GRÜNEN)

sondern dezentral, mittelständig, erneuerbar, im Verbund mit modernster Kommunikationstechnik und Energieeffizienz ist, jagt die Arbeitsplätze aus dem Land in andere Bundesländer.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die werden an der Stelle nicht Nein sagen. Die werden sich darüber amüsieren, dass wir so dumm sind und weiter auf Großkraftwerke setzen, und werden alles, was mit erneuerbaren Energien, mit Energieeffizienz und Ähnlichem zu tun hat, dankbar aufnehmen.

Deswegen gibt es ein ganz großes Defizit bei der Landesregierung, und zwar in der Frage, was über die nächsten Dekaden geschehen muss. Wer heute noch meint, jedes zusätzliche Kohlekraftwerk, das hier in der alten konventionellen Art mit 60 % Verlustenergie gebaut wird, sei eine gute Tat, und wer gleichzeitig weiß, dass diese Kraftwerke bis 2050 laufen – 40 Jahre ist die minimale Laufzeit –, der weiß auch genau, sie können dann nicht mehr am Netz sein, oder alles andere, was Bundesregierung und Bundeskanzlerin sagen, ist Unfug. Wer das trotzdem macht und nicht in sein Szenario einschließt, verkennt völlig, dass wir Jahrzehnt für Jahrzehnt die Emissionen deutlich abbauen müssen und das mit gravierenden Umwälzungen verbunden ist.

Der Bundespräsident hat von der ökologischen industriellen Revolution gesprochen, die wir machen müssen. Das sind nicht Großkraftwerke. Das ist dezentrale intelligente mittelständische Technologie.

(Beifall von den GRÜNEN – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Der ist verblendet!)

Ich will klar sagen: Es sind nicht die Grünen, die gegen Baustellen von Großkraftwerken vorgehen, die eine Deindustrialisierung betreiben. Wer diese Prozesse nicht erkennt, der betreibt im Prinzip eine schleichende Deindustrialisierung des Landes, der jagt die Arbeitsplätze aus dem Land.

(Beifall von den GRÜNEN)

Weil das nicht sein kann, sollte die Landesregierung an der Stelle wirklich umkehren und auch vor dem Hintergrund der Ziele der Bundesregierung endlich einen Plan über die Dekaden machen und sagen: Es reicht. Wir wissen, die großen Kraftwerke, die jetzt gebaut worden sind, laufen über Jahrzehnte. Aber zusätzliche Kraftwerke kann sich das Land vernünftigerweise nicht erlauben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Kollege Ortgies das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Nächste Woche beginnt der Klimagipfel in Kopenhagen, und es war klar, dass die Grünen passend zur Parlamentswoche hierzu einen Antrag stellen würden.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Ihr habt dazu noch nie einen Antrag gestellt!)

Darüber werden wir uns jetzt unterhalten.

Es ist unbestritten: Das Klima ändert sich. Wie weitgehend diese Veränderungen sind, wann die Veränderungen eintreten, ob es zu einer Klimakatastrophe kommt, ist offen.

Sie beschreiben in Ihrem Antrag, Herr Priggen, in fast biblischen Szenen, was alles schiefgehen kann. Ich frage mich manchmal, ob das nicht ein bisschen übertrieben ist.

Nur eines ist klar: Alle Experten sagen uns inzwischen, dass der Mensch ursächlich für die Klimaveränderungen verantwortlich ist, und dem müssen wir uns stellen. Aus dem Grund müssen wir uns neben der Forschung vor allen Dingen verstärkt der Ursachenbehebung widmen. Das machen wir hier in Nordrhein-Westfalen.

Der Antrag, den die Grünen heute gestellt haben, stellt schlichtweg alles, was diese Regierung bisher getan hat, in ein schlechtes Licht. Sie ziehen die falschen Schlussfolgerungen. Sie gehen nach dem Motto vor: Schlechte Nachrichten für das Klima sind gute Nachrichten für uns. Wenn Sie hier behaupten, dass Nordrhein-Westfalen mit dem Bau neuer Kraftwerke eine schleichende Deindustriealisierung betreibt, dann ist das eine Verdrehung der Tatsachen. Die Wahrheit ist, dass das Kraftwerkserneuerungsprogramm neben der Förderung erneuerbarer Energien einen Bestandteil unserer Energie- und Klimapolitik darstellt.

Ich kann verschiedene Maßnahmen erwähnen, zum Beispiel die Klimaschutzstrategie der Landesregierung, die ein breites Bündel von Maßnahmen enthält, die Biomassestrategie, die gerade für die Agrarwirtschaft ein wichtiges Standbein ist.

Unsere Devise lautet schlichtweg: sicher, sauber und bezahlbar. An diesem Dreieck wird sich unsere Klimaschutzpolitik ausrichten.

Das geht nur über einen Energiemix. Gerade die von Ihnen favorisierte Energiepolitik führt nicht zu diesem Zieldreieck. Gerade Sie betreiben doch mit Ihrer Politik gegen fossile Brennstoffe in NordrheinWestfalen und Deutschland eine Deindustrialisierung und nicht wir.

Meine Damen und Herren, gerade seit dem Regierungswechsel 2005 hat es eine spürbare Neuausrichtung der Energiepolitik gegeben, und das nicht ideologiebehaftet. Wir sehen das Thema Energie nicht als ein isoliertes Thema, sondern als Ganzes, und wir lehnen vor allen Dingen nicht, wie Sie immer wieder behaupten, erneuerbare Energieformen ab, nur weil wir ein paar Mal kritische Worte zur Windkraft oder auch zur Solarenergie gesagt haben.

Man kann doch wirklich einmal fragen, ob eine Solareinspeisevergütung, die sich zurzeit um die 40 Cent und darüber bewegt, sinnvoll ist und unsere Probleme löst oder ob es sinnvoll ist, dass ganze Berghänge verspiegelt oder verglast werden sollen, wie es in Bayern oder Baden-Württemberg geplant ist.

Wir lehnen keine Energieform ab. Aber wir werden auch keine erneuerbaren Energien unverhältnismäßig fördern. Das haben wir zum Beispiel auch mit den Konzentrationszonen für Windenergieanlagen in den Kommunen sehr deutlich gemacht.

Meine Damen und Herren, Sie behaupten, die Landesregierung setze auf den Bau neuer Braunkohlekraftwerke und somit nur auf fossile Brennstoffe. Ich darf doch noch einmal darauf hinweisen, dass es vor allen Dingen auch um das Kraftwerkserneuerungsprogramm geht, um den Ersatz alter uneffizienter Braunkohlekraftwerke durch neue, weniger CO2-intensive Kraftwerke. Es bestehen hier Einsparpotenziale in Höhe von über 80 Millionen t CO2.

Ich zähle noch einmal auf, was wir in den letzten Jahren vorangebracht haben: die Biomassestrategie Nordrhein-Westfalen, den Förderwettbewerb „Ressource NRW“, die bereits erwähnte Energie- und Klimaschutzstrategie Nordrhein-Westfalen, die Energieagentur Nordrhein-Westfalen, die Anpassungsstrategie an den Klimawandel NordrheinWestfalen und außerdem die Effizienzberatung vor allen Dingen für bestehende Gebäude, bei denen sehr viel gespart werden kann, gefördert über die NRW.BANK.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat mit der Energie- und Klimaschutzstrategie konkrete CO2-Reduktionsziele benannt, die im Jahr 2020 81 Millionen t CO2 betragen sollen. In Kopenhagen wird nächste Woche überdies über den Rahmen eines neuen Klimaschutzabkommens beraten.

Wir werden das Klima nicht alleine in NordrheinWestfalen retten können. Deutschland trägt gerade einmal mit 1 % zum weltweiten CO2-Ausstoß bei. Das können Sie noch einmal auf NordrheinWestfalen herunterrechnen. Aber ich bin sicher, dass wir trotzdem mit unserer Technologie weltweit dazu beitragen können, bei diesem Thema zu helfen.

(Beifall von der FDP)

Es gilt, Maßnahmen zu ergreifen, damit diese Ziele erreicht werden. Das machen wir mit verschiedenen Anträgen, die wir in den letzten Jahren gestellt haben. Ich darf nur an den Antrag Drucksache 14/8541 „Emissionshandel wirken lassen – Konterkarierung des marktwirtschaftlichen Ansatzes verhindern“ oder an den Antrag Drucksache 14/3845 „Handlungsoffensive der Landesregierung zum Klimaschutz konsequent umsetzen“ erinnern.

Meine Damen und Herren, die intelligente Vernetzung von Wind-, Solar- und Wasserkraft sowie der Bioenergie, die Herr Priggen immer beschreibt, ist sicherlich eine große Herausforderung. Wenn im Süden die Sonne nicht scheint, bläst der Wind im Norden. Wenn das alles nicht reicht, wird irgendwo Wasser abgelassen, um Wasserkraftwerke zu betreiben. Das ist eine dolle Geschichte. Wenn das einmal klappt, wäre das hervorragend. Zurzeit sind wir aber noch nicht soweit. Darum müssen wir noch mit fossilen Energien leben.

Das Zieldreieck „sicher, sauber, bezahlbar“ bleibt unser Leitbild. Wir werden darauf einen gesunden Energiemix aufbauen. Wir werden in den nächsten Wochen sicherlich über Ihren Antrag intensiv beraten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Ortgies. – Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Stinka das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn mit so viel Empathie vorgetragen wird und man sich so in den Klimaschutz hineinhängt, wie wir das gerade erlebt haben,

(Lachen und Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

dann wird es wirklich sehr lange dauern, Herr Ortgies, bis das in Nordrhein-Westfalen einmal etwas wird.

Vor wenigen Tagen hat das Landesumweltministerium eine Broschüre mit dem Titel „Umweltakzente Nordrhein-Westfalen 2009/2010“ vorgelegt. Hierin wird ganz deutlich ausgeführt, dass das Problembewusstsein der Menschen für den Klimawandel gestärkt werden soll. Bei meinem Vorredner haben wir gerade erlebt, dass dieser Satz richtig ist.