Protokoll der Sitzung vom 02.12.2009

Herr Kollege Stinka, wir haben in der Anhörung am vergangenen Freitag gehört: 50 % der Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen sind älter als 31 Jahre, 20 % sind sogar älter als 40 Jahre. Das heißt, dass diese Kraftwerke an das Ende ihrer Lebensdauer kommen oder sogar schon darüber hinaus sind. Diese alten Anlagen mit einem Wirkungsgrad um 30 % müssen schnellstens vom Netz. Dort steckt das größte Potenzial für kosteneffizienten und wirksamen Klimaschutz, meine Damen und Herren. Mit dem Kraftwerkserneuerungsprogramm werden wir dieses Potenzial heben. Das ist volkswirtschaftlich vernünftig und im Übrigen auch industriepolitisch geboten, da sauberer, sicherer und günstiger Strom unseren Industriestandort sichert.

Der Vorwurf, dass neue Kraftwerke den CO2Ausstoß erhöhten, laufen völlig fehl. Gerade Sie, Herr Kollege Priggen, haben doch hier für den Emissionshandel gekämpft. Sie sollten doch wissen, wie er funktioniert. Oder haben Sie vielleicht am Freitag Prof. Bettzüge nicht zugehört? Das ist nämlich ein knallharter Verdrängungswettbewerb. Wenn ein neues Kraftwerk ans Netz geht, dann muss das Unternehmen die entsprechenden Ausstoßzertifikate haben. Somit verdrängen effiziente, moderne Kraftwerke mit Wirkungsgraden von 45, 50 % alte uneffiziente Kraftwerke. Der Kraftwerkspark wird also sukzessive verjüngt. Der Gesamtausstoß auf europäischer Ebene wird dadurch natürlich nicht erhöht. In der momentanen Situation ist es aber doch enorm wichtig, dass wir den angesprochenen alten Kraftwerkspark schnellstmöglich erneuern.

Dies hat viele positive Folgen: Milliardeninvestitionen werden in Nordrhein-Westfalen getätigt. Unsere Industrie entwickelt die modernsten Kraftwerke der Welt und wendet sie hier auch zuerst an. Meine Damen und Herren, wir als Industrieland müssen dort vorangehen, weil wir das Know-how dafür haben. Andere Länder, allen voran China und andere Schwellenländer, werden es bei uns einkaufen, wenn sie selbst ihren wachsenden Strombedarf decken und ihre Klimaziele erreichen wollen.

Wenn wir heute nicht die alten Anlagen vom Netz bekommen und uns bis 2020 nicht weiterentwickeln, dann werden neue, ambitionierte Ziele nach 2020 gar nicht erst möglich sein. Wer heute neue Kohlekraftwerke mit der modernsten Technik der Welt hier in Deutschland verhindert, wie Sie es tun, Herr Kollege Priggen, der verhindert Klimaschutz weltweit, weil er die Entwicklung neuer Technologien und die Einsparung enormer Mengen von CO2 verhindert.

Meine Damen und Herren, die Forderungen im grünen Antrag hingegen sind schädlich für den Standort NRW. Unter einem europäischen Emissionshandel wäre die einseitige Festlegung auf Emissionsziele durch unsere Region innerhalb des Gebietes, in dem der Emissionshandel gilt, nachteilig. Wir würden unter volkswirtschaftlichen Mehrausgaben Emissionen senken, die dann anderenorts in der EU genutzt werden könnten. Dem Klimaschutz ist damit jedoch nicht geholfen.

Ich komme zum Schluss. Zusatzbelastungen für Bürger und Wirtschaft, die keinen Effekt auf das Klima haben, sind volkswirtschaftlich schädlich und ziehen Ressourcen für weitergehende Klimaschutzmaßnahmen ab. Deshalb werden wir dies nicht mitmachen und Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Thoben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das im Jahr 2007 beschlossene und von der neuen Bundesregierung bekräftigte Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 % gegenüber 1990 zu senken, war die Grundlage der im April 2008 verabschiedeten Energie- und Klimaschutzstrategie Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen werden weltweit führende Energie- und Klimaschutztechnologien erforscht, entwickelt, vermarktet und exportiert. Insbesondere setzt die Landesregierung darauf, die durch die Entwicklung von Techniken für erneuerbare Energien und von effizienten Kraftwerkstechnologien entstehenden großen industriepolitischen Chancen zu nutzen.

Ich verstehe nicht, Herr Priggen, wie Sie auf die Idee kommen können, wir würden in dieser Industrie Kernkompetenzen verspielen. Wir entwickeln sie. Wenn wir hier nicht im Parlament sind, nehmen Sie ja so gerne sogar mit mir zum Beispiel an einem ersten Windenergietag Nordrhein-Westfalen teil und besuchen die Firmen, die hier ganz erhebliche Marktpotenziale erschließen und weiterentwickeln. Dasselbe gilt für sämtliche Kenntnisse, die man für die Nutzung des Passivhausstandards braucht.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priggen?

Aber sicher. Ich habe aber nur noch zwei Minuten.

Die Zeit bleibt stehen, wenn auch nur hier im Parlament. – Bitte schön, Herr Kollege Priggen.

Frau Ministerin, herzlichen Dank für diese Gelegenheit. Sie haben völlig recht, es war schön, mit Ihnen den ersten Windenergietag in Nordrhein-Westfalen und die vielen ausstellenden Firmen zu besuchen.

(Heiterkeit – Zuruf von der SPD )

Nein, keine Einzelheiten.

Ist Ihnen bekannt, dass wir eigentlich den Wunsch hatten, diesen ersten Windenergietag hier in den Gebäuden des Landtags durchzuführen? Die Firmen hätten das gerne gemacht. Herr Wittke war auch bereit dazu. Es ist lediglich an Ihrem Koalitionspartner gescheitert. Es wäre noch schöner gewesen, wenn wir diese wirklich guten Firmen aus Nordrhein-Westfalen in unserem Haus hätten begrüßen können.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie haben ja nicht mit dem Veranstaltungsort argumentiert, als Sie hier eben vorgetragen haben, sondern damit, dass wir uns in diesem Feld der Energien um nichts kümmerten. Das können Sie nicht durch die Wahl des Standorts für eine Ausstellung widerlegen, Herr Priggen; das ist nicht in Ordnung.

Wir fassen das gerne unter einer anderen Überschrift zusammen. Es gibt weltweit eine Reihe von Problemen, von denen wir alle wissen, dass wir sie lösen müssen. Die Menschen haben Hunger, sie haben zu wenig Wasser, sie haben wahnsinnige Probleme mit dem Abfall, sie zerstören das Klima. Wir nennen dies gerne so: Wir wollen auf sämtlichen Feldern der Überlebenstechnologien weltweit führend sein. Dafür – hier sind wir wahrscheinlich auseinander, Herr Priggen – braucht man die Industrie. Die Industrie ist nicht das Problem, sie ist die Lösung für alle Fragen, die wir weltweit haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Die weitere energie- und klimapolitische Zielsetzung des Landes für den Zeitraum nach 2020 wird sicherlich von den Ergebnissen der Klimakonferenz in Kopenhagen mit beeinflusst werden. Wir werden den Beratungsprozess aufmerksam beobachten. Als Mitglied der Climate Group werde ich selber dort sein, um unser Prospekt „E-Mobilität Modellregion“ vorzustellen.

Darüber hinaus sind die Ziele der Europäischen Union und ihre Umsetzung auf Bundesebene für das Land von besonderer Bedeutung. Sie wissen, dass im neuen Koalitionsvertrag steht, dass die Bundesregierung für das Jahr 2010 wohl bis zum

Herbst ein integriertes Energie- und Klimaprogramm 2010 verabschieden wird. Das wird auch zu einer Weiterentwicklung, soweit nötig, unserer Klimapolitik im Land führen. Bereits heute ein konkretes Ziel für das Jahr 2050 festzulegen, das, so mein Eindruck, Herr Priggen, brauchten Sie als Begründung, um noch einmal einen Antrag zu demselben Thema zu stellen.

(Beifall von der FDP)

Die Behauptung, die Energie- und Klimaschutzpolitik spiele bei uns keine Rolle, ist unzutreffend. Wir können an einer ganzen Reihe von Beispielen – ich will nur einige nennen – belegen, dass wir uns schon bemühen, doch wir sind realistischer.

(Lachen von der SPD)

Herr Priggen, wir argumentieren nicht abstrakt, sondern wissen, wenn viele Tausende von Menschen mitmachen, ob sie eine neue Heizung brauchen, ob bei ihnen die Fenster undicht sind oder ob sie sich schlecht benehmen und Energie verschwenden. Ich muss das Mitmachen Tausender, wenn nicht Millionen von Menschen im Land erreichen, sonst wird es nicht gehen. Die Technik ist vorangeschritten, die Handwerker haben wir, und deshalb setzen wir auf Information und Werbung.

Ein Beispiel für solares Bauen: das Projekt von 50 Solarsiedlungen. Internationale Delegationen besuchen uns und sagen, dass das vorzeigbar ist, dass sie davon lernen können und das auch wollen. Das Programm progress.NRW: Bei der Markteinführung im Jahr 2005 gab es 653 geförderte Projekte, im Jahr 2008 3386. Lassen Sie die Zahlen ruhig einmal auf sich wirken. Da tut sich etwas. Wir rechnen im Jahr 2009 mit einem gleich guten Ergebnis.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat im Oktober 2009 den Startschuss zum Bau von insgesamt 100 Klimaschutzsiedlungen im Neubau und im Bestand gegeben. Im Neubau, Herr Priggen, liegen die Anforderungen je nach Gebäudetyp 50 bis 60 % unter den Anforderungen der aktuellen Energieeinsparverordnung.

Bei der Umsetzung des KfW-Programms zur Gebäudesanierung rechnen wir mit einem Zusagevolumen in Höhe von 709 Millionen €. Man kann immer sagen, dass es ein bisschen mehr sein könnte, aber ich sage: Immerhin 34.000 geförderte Wohnungen sind für das erste Halbjahr 2009, wie wir finden, vorzeigbar. Im Zusammenhang mit der „Gemeinschaftsaktion Gebäudesanierung NRW – Mein Haus spart“ wurde der Service der Verbraucherzentrale von 13 auf 16 Beratungsstellen erweitert. Die Informationsangebote reichen von persönlicher Beratung, über Messen bis hin zu Veranstaltungen usw. Die Verbraucherzentralen wollen mit uns gerne eine öffentlichkeitswirksame Kampagne machen, um darauf hinzuweisen, wie toll das eingeschlagen ist. 40.000 interessierte Bürgerinnen und Bürger haben diese Beratungsleistung gesucht. Der

Schwerpunkt der Aktion „NRW spart Energie“ lag in diesem Jahr bei der Roadshow, die als Marktplatz für Energiesparer in zehn nordrhein-westfälischen Städten durchgeführt wurde. Über 20.000 Besucher nutzten an 18 Tagen dieses umfassende Informationsangebot. Schülerwettbewerbe wurden einbezogen. Es ist wichtig, in der Breite der Bevölkerung alles das zu verankern, was möglich ist, um mit Energie sparsam umzugehen und sie umweltschonender zu erzeugen.

Gerade für dezentrale Versorgung, für die Sie sich, Herr Priggen, so stark machen, brauchen Sie – das wissen Sie – viele Mitwirkende. NordrheinWestfalen ist das Land mit den meisten Kommunen, die am „European Energie Award“ teilnehmen, die kommunale Klimaschutzprojekte auflegen, wo viele mitwirken, manchmal auch – das gebe ich zu – mit etwas drolligen Sachen. Da stellt eine Kommune dann plötzlich sämtliche Dächer ihrer kommunalen Gebäude für Photovoltaikanlagen privater Anleger zur Verfügung. Das ist im Moment ertragreicher, als wenn Sie es zur Sparkasse bringen. Auch das passiert.

Meine Damen und Herren, dann wird behauptet, wir hätten große Potenziale durch die Kraft-WärmeKopplung und würden sie nicht nutzen. Entschuldigung, Sie wissen, dass die Studie läuft. Das ist nicht etwas, wo wir ausweichen. Aber wenn Sie sich genauer damit befassen würden, worum es geht, dann wüssten Sie, dass das Ermitteln gar nicht so einfach ist. Wir brauchen viele Mitwirkende. Die Studie wird kommen; darauf können Sie sich verlassen.

Übrigens werden wir durch die Vorziehung des Energiekapitels noch einmal unseren Wunsch deutlich machen, dass in Zukunft in sämtlichen Gewerbegebieten eine dezentrale Energieversorgung möglich ist. Wir setzen nicht allein auf Großkraftwerke – das ist überhaupt nicht unser Thema –, aber wir haben ein Problem. Dazu müssten Sie sich von Rot-Grün einmal miteinander unterhalten. Der eine sagt, wir müssten Kraftwerkserneuerung betreiben, weil wir sonst den Co2-Ausstoß nicht reduzieren, der andere sagt, es dürfen keine neuen fossilen Kraftwerke mehr kommen, weil dadurch das Thema verlängert wird.

(Zuruf von André Stinka [SPD])

Herr Stinka, das war bei Ihnen besonders durcheinander. – Wir sind dafür, die Kraftwerkserneuerung voranzutreiben.

(Svenja Schulze [SPD]: Das schaffen Sie ja nicht!)

Ich bin sehr gespannt, wie weit Ihre Bereitschaft reicht, diesen Weg mitzugehen. Ich nehme Sie gerne einmal auf die Besuche in dem ganzen Land mit. Es gibt niemanden, der im Moment behauptet, die Zeit sei reif, um insgesamt auf große Kraftwerksanlagen zu verzichten. Man kann sich eine solche Welt vorstellen, aber in wie vielen Jahren? Herr

Priggen, ich weiß es nicht. Aber wenn Sie vor dem Hintergrund, dass Sie es heute nicht wissen, den Neubau modernster fossiler Kraftwerke nicht wollen, dann schaden Sie dem Klima. Diese Debatte müssen wir dann führen.

(Beifall von der FDP)

Ich biete an, mich auf den Wegen im ganzen Land zu begleiten, wo sich Krankenhäuser finden, die zwar kleine Blockheizkraftwerke haben, da sie sich schneller hoch- und runterfahren lassen, aber zusätzlich auch Solarthermie auf das Dach installieren, weil sie es nutzen wollen. Aber das ist für sie nicht so stabil, also brauchen sie ergänzend, um die Versorgung hinzubekommen, eine andere Art des Angebots.

Bitte tun Sie nicht so, als ob Sie die Antwort hätten und wir pennen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Ich lade Sie ein. Wir werden derjenige Standort sein, der auf alle Energiefragen der Zukunft hochtechnologische Antworten gibt. Wir werden weltweit anbieten und die Chancen, die sich daraus industriepolitisch für unser Land bieten, nutzen. Aber lassen Sie uns hier auch ein Stück Realismus bewahren.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin Thoben. – Im Hohen Haus pennt natürlich niemand, das ist völlig klar. – Herr Minister Uhlenberg hat sich zu diesem Thema gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition zeichnet ein Zerrbild von der Energiepolitik und von der Klimaschutzpolitik in NordrheinWestfalen. Ich möchte aus dem Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ – es ist hochinteressant, sich einmal mit Fakten zu beschäftigen – vom heutigen Tage zitieren:

Wenn deutsche Umweltminister auf Klimakonferenzen das Wort ergreifen, wird es meist still im Saal. Ihnen wird genau zugehört, weil sie als ökologische Vorreiter anerkannt werden. Denn Deutschland ist eines der wenigen Industrieländer, die das Kyoto-Ziel übererfüllt haben. 2012 sollen die Treibhausgas-Emissionen um 21 Prozent niedriger sein als 1990. Inzwischen beträgt die Reduktion schon 22 Prozent. Das liegt freilich auch

das hat Frau Thoben gesagt –

an der Wirtschaftskrise, die die Nachfrage nach Energie und damit auch die KohlendioxidEmissionen gebremst hat.

Weiter heißt es:

Auch auf der Klimakonferenz in Kopenhagen will Deutschland Musterschüler sein. Im Gegensatz zur Europäischen Union hat Deutschland sein Minderungsziel für 2020 nicht an Bedingungen geknüpft. Die Emissionen sollen hierzulande um 40 Prozent sinken; damit liegt man 10 Prozentpunkte über dem Angebot der EU. Die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP geht damit über die Zusagen der früheren Regierung noch hinaus

Daran zeigt sich, dass die Union unter Umweltminister Röttgen noch grüner als die Vorgängerregierung ist. Meine Damen und Herren, das ist die reale Situation.