Vielen Dank, Frau Kollegin Brunn. – Für die Grünen hat das Wort die Fraktionsvorsitzende, Frau Löhrmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt zwei Tage lang hier die Einzelpläne und den Haushalt beraten und so getan, als würden wir über einen Haushalt abstimmen, der für das nächste Jahr gilt und seine Wirkung entfalten kann. Das ist aber nicht so. Insofern hat dieser Eilantrag, den SPD und Grüne hier eingebracht haben, mehr mit den zukünftigen Haushalten zu tun als alles, was wir während der letzten anderthalb Tage beraten haben.
Deswegen verdient dieser Antrag auch die volle Aufmerksamkeit. Ich wusste gar nicht, dass ich einmal so viel Freude an Peter Harry Carstensen haben würde, aber ich will Ihnen seine Aussage noch einmal zurufen: „Ihr habt sie doch nicht alle!“
Wenn CDU und FDP unseren Antrag ablehnen und im Bundesrat grünes Licht für dieses Gesetz geben, dann ist das eine grobe Fahrlässigkeit gegenüber dem Landeshaushalt und gegenüber den Kommunen hier in Nordrhein-Westfalen.
Wie weit Sie sich von der Wirklichkeit offensichtlich entfernt haben, zeigen zwei Beispiele. Gestern hat sich der Innenminister, der eigentlich Kommunalminister sein müsste, wirklich hier hingestellt und lapidar erklärt, die Städte und Gemeinden sollten ihre Infrastruktur einfach den sinkenden Einwohnerzahlen anpassen
Er hat also gesagt: Liebe Kommunen, macht mal eure Hausaufgaben, dann ist alles in Ordnung. – Damit hat er einmal mehr gezeigt, dass er nicht weiß, wovon er spricht. Das heißt also: FDP Fehlanzeige!
Da ja immer so getan wird, als sei das alles nur Geschrei der Opposition, zitiere ich dagegen einen anderen Liberalen, einen wirklichen Liberalen. Walter Scheel, bekanntermaßen Solinger, AltBundespräsident, schreibt an Herrn Pinkwart – Wolf hat er offenbar schon aufgegeben, oder er kennt ihn nicht; das kann ja auch sein – und bittet laut „Solinger Tageblatt“ darum, „im Sinne meiner Heimatstadt Hilfestellung für die Kommunen aufzuzeigen“. Also gibt es offenbar ein Problem in den Kommunen, sonst würde Walter Scheel, der nicht mehr in Solingen lebt, ja nicht an das Land schreiben und um Unterstützung bitten. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin da bei Walter Scheel und nicht bei Ingo Wolf.
Die Aussagen des Innenministers sind wirklich zynisch und ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die vor Ort ehrenamtlich Kommunalpolitik machen.
Sie sind eine Unverschämtheit gegenüber den Kommunalpolitikern, die dort seit Jahren Haushaltskonsolidierung betreiben und im Grunde doch feststellen müssen: Es wird immer schlimmer.
Das gilt aber leider auch für die CDU. Herr Hunsteger-Petermann war am Wochenende auf unserem Parteitag und hat dort ein nettes Grußwort gesprochen. Er hat aber auch sehr deutlich gesagt, dass er in Nordrhein-Westfalen keinen Spielraum für Steuersenkungen sieht und sich auch wünscht, dass dieses geplante Gesetz nicht Wirklichkeit wird. Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, stimmen Sie also auch für Ihren Oberbürgermeister in Hamm. Auch dieses Beispiel zeigt, dass wir näher bei Ihren Kommunalpolitikern sind als Sie.
Das nächste Beispiel ist im Grunde der Gipfel. Wir wissen ja, dass der Ministerpräsident gerne feiert und sich gerne feiern lässt.
Er hat doch wirklich die hoch verschuldete Stadt Solingen angeschrieben und gefragt, ob sie nicht das Landesfest ausrichten möchte. Ich glaube, das ist keine Pflichtaufgabe;
das ist eine freiwillige Aufgabe. Andererseits haben wir ja in Solingen und anderen Städten darunter zu leiden, dass ein Ukas des Innenministeriums besagt, ihr dürft überhaupt nichts mehr machen, ihr dürft keine Kindergartenbeiträge senken usw., die ganze Litanei. Insofern hat sich der Oberbürgermeister dieser Stadt, wieder ein CDUler, entschieden, zurückzuschreiben: Stadt lehnt ab, Solingen ist zu arm für die Ausrichtung eines Landesfestes. Also muss sich Herr Rüttgers andere, reichere Städte suchen. Darüber wurde in der Solinger Presse wie folgt berichtet:
Den erforderlichen Eigenbetrag von 300.000 € könne sich die Klingenstadt nicht leisten, schrieb Oberbürgermeister Norbert Feith an Ministerpräsident Rüttgers, beide CDU. Solingen drohe der Kommunalbankrott, wenn die Stadt 2013 nicht 45 Millionen € weniger ausgibt, als es noch heute der Fall ist. Auch der Hinweis auf Sponsoren für die NRW-Tag-Bewerbung hilft laut Feith wenig weiter: „Hilfreiche Spender müssen schon jetzt bei vielen Kulturprojekten einspringen.“ Feith appellierte an den Ministerpräsidenten, sich für eine kommunale Finanzreform einzusetzen.
Meine Damen und Herren, die Devise „Augen zu und durch“ ist also schlecht. Im Grunde ist es absurd, dann noch die Städte anzuschreiben und um
die Ausrichtung solcher Feste zu bitten, wenn man doch weiß, dass sie so etwas gar nicht finanzieren können und auch nicht dürfen.
Dies zeigt: Mit Ihrer Politik, die ja noch schlimmer würde, wenn das Wachstumsbeschleunigungsgesetz durchkäme, nähme die soziale Spaltung zwischen armen und reichen Städten hier in NordrheinWestfalen noch zu. Das ist eine Entwicklung, der wir endlich Einhalt gebieten müssen. Daher müssen wir Sie zur Besinnung bringen.
CDU und FDP betreiben mit dieser Steuersenkungspolitik einen Raubbau am Land und einen Raubbau an den kommunalen Kassen. Angesichts dessen, Herr Linssen, können Sie uns nicht wie bei der letzten Debatte vorwerfen, wir würden keine seriösen Deckungsvorschläge für unsere Haushaltsanträge machen. Solche Aussagen können Sie ab heute streichen, wenn Sie hier nicht sagen, Sie kämpften dagegen, dass dieses Vorhaben im Bundesrat durchkommt. Sie hätten Ihre finanzpolitische Glaubwürdigkeit verspielt, wenn Sie dieser Politik die Hand reichten.
Warum macht der Ministerpräsident so etwas und setzt sich nicht wie andere Ministerpräsidenten ein? Ich behaupte, es gibt einen Nichtangriffspakt zwischen Merkel und Rüttgers. Rüttgers hält jetzt Ruhe, Rüttgers macht jetzt alles schön mit. Solange wird Frau Merkel nicht klarer werden, was die Gesundheitspolitik oder die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke angeht. Das wird alles schön ruhig gehalten. Das ist der Nichtangriffspakt zwischen Rüttgers und Merkel. Dies zeigt einmal mehr, dass der Ministerpräsident und natürlich auch die FDP die Parteiinteressen vor die Landesinteressen stellen. Das ist der zentrale Punkt, um den es hier geht, meine Damen und Herren.
Worauf es aus unserer Sicht ankäme, ist, keine Steuergeschenke für Klientelgruppen zu beschließen. Frau Brunn hat Beispiele genannt. Das absurdeste ist die Mehrwertsteuerreduzierung für Hotels. Was dies jetzt schon an Bürokratieaufwuchs und an Kategorisierungen von Hotels und Hotelleistungen mit sich bringt, ist wirklich völlig neben der Spur. Es ist falsch, so etwas zu machen. Worauf es ankäme, wären öffentliche Investitionen in Klima, Bildung und soziale Gerechtigkeit. Dies heißt Handeln gegen die Krise, nicht aber Steuergeschenke für Besserverdienende und anderes, was Sie hier auf den Weg bringen wollen.
Machen Sie sich klar, was dies bedeutet, winken Sie das nicht einfach durch! Ich prophezeie Ihnen: Die Landtagswahl wird nicht nur eine Abstimmung über die Landespolitik, sondern auch eine Abstimmung über die Stümperei auf Bundesebene und
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in diesem Haus schon viel erlebt, aber selten so etwas wie diesen Antrag. Ich muss ganz ehrlich sagen, speziell an die Adresse der Sozialdemokraten gerichtet: Was Sie hier treiben, ist Heuchelei pur.
Ich will das auch begründen – hören Sie gut zu –: Die Konjunkturpakete I und II haben Sie begeistert mitbeschlossen, als Sie nach dem Wählerwillen in Berlin noch mitregieren durften. Die 80 Milliarden € dafür waren Ihnen noch nicht genug. Sie haben deshalb vehement auf weitere Erleichterungen für Bürger und Unternehmen gedrängt; es konnte gar nicht genug sein.
Nur zur Erinnerung: Zum Konjunkturpaket I gehörten unter anderem die Absetzbarkeit von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen mit einem Entlastungsvolumen von knapp 8 Milliarden €, Kindergelderhöhungen um gut 4 Milliarden €, die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung mit Steuerausfällen in Höhe von mehr als 6 Milliarden € und eine Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um mehr als 7 Milliarden €. Zum Konjunkturpaket II gehörten Steuerermäßigungen in Höhe von rund 9 Milliarden € und eine steuerfinanzierte Absenkung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung um rund 9,5 Milliarden €. Insgesamt, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind das in diesen beiden Konjunkturpaketen steuermindernde oder öffentliche Ausgaben erhöhende Maßnahmen mit einem Volumen von 43,5 Milliarden €. Dagegen ist das Wachstumsbeschleunigungsgesetz überhaupt nichts.
Meine Damen und Herren, aber diese 43,5 Milliarden € waren offenbar gute Belastungen der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden, weil sie von der SPD mitbeschlossen wurden. Jetzt soll das Wachstumsbeschleunigungsgesetz Bürger und Unternehmen um insgesamt weitere 8,5 Milliarden € entlasten. Doch plötzlich sind das schlechte Belastungen der öffentlichen Hand: nicht, weil sie wirklich schlecht sind; darüber denken die Bürger und insbesondere Familien mit Kindern, denen der Löwenanteil zugute kommen soll, ganz anders. Nein, Sie beschwören den Untergang des Abendlandes, der
Eine solche Kehrtwende, meine sehr verehrten Damen und Herren, nenne ich verantwortungslosen, schäbigen Opportunismus.