Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

(Karl Schultheis [SPD]: Erzählen Sie das einmal Herrn Westerwelle!)

Es hat auch keinen Zweck, an der Steuerschraube zu drehen. Wenn die Leute am Ende überhaupt

nichts mehr verdienen und zur Verfügung haben, haben Sie mit 90 -%-Steuersätzen auch nichts erreicht.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht 1995 den sogenannten Halbteilungsgrundsatz aufgestellt und klargemacht, dass der Staat dem Bürger in der Summe aller Steuereinnahmen nicht mehr wegnehmen darf als etwa die Hälfte seines Einkommens. Das begrenzt die ganze Sache. Also ist das, was der Finanzminister gesagt hat, natürlich völlig richtig: Wir können Konsolidierung nicht auf der Steuersatzseite betreiben, sondern wir müssen Wachstum erzielen, damit wir mehr Steuereinnahmen haben. Anders wird es nicht gehen. Kaputtsparen kann man die öffentlichen Haushalte auch nicht.

Herr Körfges, Sie haben vorhin gesagt: Ihr habt in der Zeit, in der Ihr regiert, glücklicherweise eine vernünftige Wirtschaftssituation und hohe Steuereinnahmen gehabt. – Ja, wir haben hohe Steuereinnahmen gehabt. Das macht aber auch deutlich: Wir müssen wieder auf den Wachstumspfad kommen, damit wir in Zukunft wieder Steuereinnahmen haben. Das macht Ihr Argument, wir müssten gegen die Krise ansparen, völlig obsolet. Das geht doch nicht. Wir können doch keine schuldenfinanzierten Konjunkturprogramme auflegen, um an anderer Stelle das einzusparen, was wir dafür an Schulden gemacht haben.

Liebe Leute, gerade in Nordrhein-Westfalen hat sich gezeigt, dass der probate Ausweg, den die vergangenen Landesregierungen immer wieder gegangen sind, der Weg in höhere Neuverschuldung zulasten künftiger Generationen war. Das haben Sie wirklich toll getrieben. Deswegen hatten wir am 31.12.2000 eine Verschuldung von 80 Milliarden €. Am 31.12.2005 war der Schuldenberg bereits auf 112 Milliarden € angewachsen. Das ist ein Anstieg, Herr Körfges, von rund 32 Milliarden € in nur fünf Jahren.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Wie hoch ist er heute?)

Wohin die Fortsetzung dieser schuldenfinanzierten rot-grünen Versprechenspolitik führen würde, hat die Hartmann-Kommission sofort nach Abwahl von Rot-Grün – Ende 2005/Anfang 2006 – errechnet: Die Fortsetzung dieser Politik würde zu einem jährlichen Defizit von wenigstens 10 Milliarden € bereits im Haushaltsjahr 2010 geführt haben.

Meine Damen und Herren, die Regierung Rüttgers hat deshalb von Anfang an einen strammen Konsolidierungskurs eingeschlagen: Am 31.12.2010 – der Finanzminister hat es gesagt – wird die Verschuldung bei rund 129 Milliarden € liegen. Mit einem plus von 17 Milliarden € gegenüber 2005 ist das immer noch viel zu viel.

(Gisela Walsken [SPD]: 22 Milliarden €! Ta- schenrechner!)

Frau Walsken, verglichen mit der rot-grünen Regierungszeit ist das aber nur noch die halbe Verschuldungsgeschwindigkeit, und zwar trotz einer Wirtschaftskrise, wie sie die Welt seit 80 Jahren nicht mehr gesehen hat. Es ist nicht nur die größte Krise in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern es ist die größte Krise, die die Welt seit 80 Jahren gesehen hat. Trotzdem haben wir die Verschuldungsgeschwindigkeit gegenüber Ihrer Regierungszeit halbiert.

Die Koalition hat mit Ihrem Antrag wider den Staatsbankrott schon kurz nach der Abwahl von Rot-Grün die Landesregierung aufgefordert, über den Bundesrat auf die Streichung der Verschuldungsermächtigung in Art. 115 des Grundgesetzes hinzuwirken. Im Juli 2007 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden – ich darf mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitieren –: „An der Revisionsbedürftigkeit der geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen ist gegenwärtig kaum noch zu zweifeln.“

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Dies ergebe sich „aus der Erfahrung, dass die staatliche Verschuldungspolitik in der Bundesrepublik seit den 60er-Jahren nicht antizyklisch agiert, sondern praktisch durchgehend einseitig zur Vermehrung der Schulden beigetragen hat.“

Das ist der Befund des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2007.

Daraus hat man Konsequenzen gezogen. Das finde ich vernünftig. Die gemeinsam von Bundesrat und Bundestag getragene Föderalismuskommission II hat sich mit der Frage beschäftigt, wie diese staatliche Neuverschuldung künftig besser beschränkt werden kann. Dabei haben sich CDU und SPD auf folgende Regeln verständigt:

Der geänderte Artikel 109 Grundgesetz verpflichtet Bund und Länder, ihre Haushalte grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.

Ein weiterer Punkt:

Die bundesgesetzliche Neuregelung zur Begrenzung der Kreditaufnahme findet erstmals Anwendung für das Haushaltsjahr 2011.

Der geänderte Artikel 143d Grundgesetz ermächtigt die Länder, von den neuen Vorgaben des Grundgesetzes in einem Übergangszeitraum bis einschließlich 2019 nach Maßgabe landesrechtlicher Regelungen, die wir selbst aufstellen müssen, abzuweichen.

Und spätestens bis zum Ende des Übergangszeitraums sind die grundgesetzlichen Regelungen eigenverantwortlich in Landesrecht umzusetzen.

Natürlich kann man sagen, dass wir bis 2019 Zeit haben. Aber glauben Sie mir: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Las

sen Sie uns das lieber gleich anpacken, damit wir nicht weiter eine ausufernde Verschuldung haben.

Gerade in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise wäre es sehr hilfreich, wenn wir eine landesrechtliche Regelung hätten, die – erstens – ein Abweichen vom Verschuldungsverbot ermöglicht und – zweitens – einen Konsolidierungspfad vorgibt. Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf greift die von der Bundes-SPD mit getragenen Beschlüsse auf; auch die Grünen sind auf Bundesebene im Grunde genommen auf dem gleichen Pfad.

Die Neuregelung des Artikel 109 Abs. 3 Grundgesetz zur Begrenzung der Kreditaufnahme wird über einen neu gefassten Artikel 83 Bestandteil der Landesverfassung und damit unmittelbar geltendes Landesrecht. Das machen wir an anderen Stellen serienweise, dass wir Regelungen aus dem Grundgesetz des Bundes unmittelbar in die Landesverfassung übernehmen.

Die bisherige Bindung der Kreditaufnahme an den Investitionsbegriff wird aufgehoben. Künftig gilt der Grundsatz des Haushaltsausgleichs ohne Kreditaufnahme. Abweichungen von diesem Grundsatz zur symmetrischen Berücksichtigung konjunktureller Entwicklungen und in außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Landes entziehen, sind möglich. Das atmet also ein bisschen. Die neuen Regeln gelten ab dem Haushaltsjahr 2020. Darüber hinaus sieht der Artikel 83 der Landesverfassung Regelungen zur Rückführung der Nettokreditaufnahme im Übergangszeitraum bis einschließlich 2019 vor.

Wenn der Finanzminister sagt, im Jahr 2020 müssen wir so weit sein, dass wir keine Nettoneuverschuldung mehr haben, dann kann man sich nach Adam Riese ausrechnen, dass wir auf dem Weg dahin die Nettokreditaufnahme jährlich um 600 bis 700 Millionen € reduzieren müssen. Dazu braucht man keine große Aufstellung; das kann man sich an den fünf Fingern abzählen, wenn man die Grundrechenarten gelernt hat.

Meine Damen und Herren, mit der angestrebten Verfassungsänderung wäre wirklich ein Wendepunkt in der Haushaltspolitik des Landes nachhaltig manifestiert. Da kommt es gerade in Zeiten der Krise auch darauf an, dass wir vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise ein Signal setzen, dass wir eine Konsolidierung der Staatsfinanzen anstreben wollen und erreichen werden.

Ich verstehe ehrlich nicht, dass Sie sich so sehr gegen die Einführung der Schuldenbremse in der Landesverfassung wehren. Wenn ich den Meinungsumfragen traue, wie sie beispielsweise im „Stern“ veröffentlicht wurden, so sind 77 % der Grünen-Anhänger und 73 % der SPD-Anhänger für die Einführung einer Schuldenbremse.

(Gisela Walsken [SPD]: Das sind Showef- fekte, Herr Kollege!)

Deswegen ist es doch total töricht, die angestrebte Verfassungsänderung als Wahlkampfgetöse bei uns abzutun.

(Gisela Walsken [SPD]: Das ist aber so!)

Machen Sie doch einfach mit. Tun Sie das, was die Menschen im Land wollen. Zeigen Sie in Zeiten der Krise: Jawohl, wir überwinden die Krise, aber wir konsolidieren auch in Zukunft stramm und legen uns Selbstbindung auf, damit diese Verschuldung, die ich eingangs geschildert habe, so nicht mehr weiter um sich greifen kann.

(Beifall von der FDP)

Sie sollten auch bedenken, dass von uferlos steigenden Schuldenlasten vor allem sozial Schwache betroffen sind. Denn gerade die sozial Schwachen, Herr Töns, sind auf einen funktionierenden, finanzstarken Staat angewiesen.

(Gisela Walsken [SPD]: Haben Sie den fal- schen Text dabei, Herr Kollege?)

Gerade die sozial Schwachen können sich einer Finanz- und Wirtschaftskrise nicht durch vermehrte Eigenvorsorge oder durch Abwanderung entziehen. Ja, wir brauchen einen starken Staat. Ein Staat kann nur dann stark sein, wenn er nicht uferlos Schulden macht.

(Gisela Walsken [SPD]: „Privat vor Staat!“ hieß es doch gerade!)

Mittlerweile befinden wir uns in Nordrhein-Westfalen dank Ihrer tollen Vorarbeit in dieser Situation. Wir streiten über Kommunallfinanzen. Im Gemeindefinanzierungsgesetz werden den Gemeinden etwas über 7 Milliarden € als ihr Anteil an den Gemeinschaftssteuern zur Verfügung gestellt. Rund 5 Milliarden € pro Jahr betragen aber die Zinsen für die Schulden, die Sie aufgehäuft haben.

(Gisela Walsken [SPD]: Machen Sie es doch!)

Also lassen Sie uns doch mit dem Unfug aufhören. Lassen Sie uns zusehen, dass wir die Verschuldung vernünftig in den Griff bekommen.

(Markus Töns [SPD]: Geben Sie den Kom- munen, was ihnen zusteht!)

Gerade in der historischen Finanz- und Wirtschaftskrise wäre die Einführung einer Schuldenbremse in der Landesverfassung ein wichtiges Signal der Glaubwürdigkeit für die Haushalts- und Finanzpolitik des Landes. Sie sagen: „Wollen wir doch“, machen es aber nicht. Es geschieht nichts Gutes – es sei denn, man tut es! Das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben. Machen Sie es doch!

(Beifall von der FDP)

Wer auf Bundesebene zur Verfassungsänderung ja sagt, meine Damen und Herren von der Opposition, der kann doch auf Landesebene nicht nein sagen. Das ist doch widersinnig. Was Sie an Vorleistungen für die Verfassungsänderung fordern, das hat es doch auf Bundesebene auch nicht gegeben. Wir haben – das habe ich vorhin schon gesagt – keine Glaskugel, dass wir genau sehen könnten, welche Notwendigkeiten auf der Ausgabenseite in den Jahren 2018/2019 auftreten werden.

Sie wären total unglaubwürdig,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie sind schon unglaubwürdig!)

wenn Sie im Bund „hü!“, auf der Landesebene aber „hott!“ rufen. Werden Sie Ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl gerecht. Stimmen Sie für die Annahme dieses vorzüglichen Gesetzentwurfes. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP – Lachen von Gi- sela Walsken [SPD])

Vielen Dank, Herr Kollege Weisbrich. In der Zwischenzeit hat das Präsidium gewechselt, aber das konnte der Redner natürlich nicht mitbekommen. Das ist völlig in Ordnung.

Jetzt kommt meine geschätzte Kollegin Frau Freimuth von der FDP-Fraktion in die Situation, reden zu dürfen. Bitte schön.