Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb! Wir Grünen erwarten, dass die Rahmenbedingungen für die Studierenden bei der Reform der neuen Studiengänge sozial gestaltet werden. Wenn wir von Mobilität im europäischen Hochschulraum reden, ist das nicht allein eine Frage der Vergleichbarkeit und Transparenz von Studienstrukturen. Der Bologna-Prozess hat auch eine soziale Dimension. Das haben die Bildungsministerinnen und Bildungsminister bereits im Mai 2007 in London festgestellt.

Damals wurde vereinbart, nationale Aktionspläne zur Realisierung der sozialen Dimension im Bologna-Prozess aufzustellen. Meines Wissens hat diese

Regierung hierzu noch kein schlüssiges Konzept auf den Tisch gelegt. Dabei umfasst der europäische Hochschulraum eine Reihe von Dimensionen, die auch als Aktionslinien bezeichnet werden. Dazu gehören bekanntlich die Mobilität und die Einführung der gestuften Studienstruktur. Dazu gehören die Studienreform, die Qualitätssicherung und die Herausforderung des lebenslangen Lernens.

Die soziale Dimension ist ein Querschnittsthema zu diesen verschiedenen Aktionslinien. So muss zum Beispiel Mobilität für alle möglich sein. Sie darf nicht an der Studienfinanzierung, an einer körperlichen Behinderung oder an der Betreuung von Kindern oder Familienangehörigen scheitern. Bei der Qualitätssicherung heißt soziale Dimension, dass eine qualitativ hohe Bildung für alle da sein muss. Ebenso heißt das aber auch, dass die Beteiligung von Studierenden an den erforderlichen Verfahren zur Qualitätssicherung wie der Akkreditierung von Studiengängen unerlässlich ist.

Die Aktionslinie lebenslanges Lernen wiederum hat Berührungspunkte mit der sozialen Dimension in Bezug auf die Durchlässigkeit von Bachelor und Master. Hochschulbildung darf nicht nur für diejenigen offen sein, die den klassischen Weg ins Studium nehmen, sondern muss auch für Absolventen der beruflichen Ausbildung möglich sein, sofern sie die erforderlichen Voraussetzungen mitbringen. Darüber haben wir eben diskutiert. Deshalb darf der Zugang zum Studium nicht vom sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund der Studierenden abhängig sein. Die Finanzierung des Studiums muss gesichert sein. Lebenslanges Lernen muss möglich sein. Bachelor und Master müssen die studentische Mobilität spürbar erhöhen.

Wenn wir uns vor diesem Hintergrund die Rahmenbedingungen in Nordrhein-Westfalen ansehen, müssen wir feststellen, dass der Bologna-Zug, was das Soziale angeht, genau in die andere Richtung fährt.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SchwarzGelb, haben Studiengebühren eingeführt, die junge Menschen nachweislich vom Studium abhalten. Das Begabten-Stipendienprogramm von Herrn Pinkwart hat überhaupt keine soziale Komponente, sondern verschärft die bereits bestehenden sozialen Ungleichheiten. Herr Pinkwart, ich bleibe dabei. Der Übergang vom Bachelor zum Master ist in Nordrhein-Westfalen mit hohen Hürden verbunden, weil nicht genügend Geld für Masterplätze vorhanden ist.

Das nennen wir nicht sozial, meine Damen und Herren. Das ist eine Politik der Ausgrenzung, die geradewegs in die alte Ständegesellschaft zurückführt.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist doch absurd!)

Eine zentrale Herausforderung zur Gestaltung der Lebensbedingungen von Studierenden ist es vor

allem, das BAföG Bologna-tauglich zu machen. Zwar ist die Förderung von Masterstudiengängen nicht mehr an deren Konsekutivität gebunden, dennoch verlangt das BAföG-Gesetz von einem förderfähigen Masterstudiengang, dass er auf dem Bachelor aufbaut. Das führt in der Praxis zu immensen Schwierigkeiten. Die Unterscheidung zwischen konsekutiven, nichtkonsekutiven und weiterbildenden Masterprogrammen hat sich in der Realität nicht bewährt. Hier stehen individuellen Bildungswegen und dem lebenslangen Lernen formale Hürden entgegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Sie haben jetzt die Chance. Die Hochschulen arbeiten mit Hochdruck an einer Kurskorrektur des Bologna-Prozesses. Das wissen wir. Setzen Sie sich in diesem Zusammenhang auch für die sozialen Belange der Studierenden ein. Schaffen Sie die Studiengebühren ab. Ermöglichen Sie den uneingeschränkten Zugang zum Master. Und tragen Sie vor allem dazu bei, dass das BAföG endlich Bologna-tauglich gemacht wird! – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die CDU-Fraktion erhält Herr Dr. Brinkmeier das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Teil der Debatte haben wir ja schon unter Tagesordnungspunkt 10 vorweggenommen. Deshalb möchte ich mich auf einige wesentliche Punkte beschränken.

Es gibt sicherlich niemanden im Plenarsaal, der nicht meint, dass der Bologna-Prozess auch eine soziale Dimension hat. Sie haben ja in Ihrem Antrag geschrieben, dass der soziale und ökonomische Hintergrund der Studierenden kein Hinderungsgrund sein darf, ein Studium aufzunehmen. Ich denke, dem stimmen wir alle gleichermaßen zu. Das ist an der Stelle nicht das Problem. In der globalen Zielbeschreibung stimmen wir sicherlich alle überein. Aber die Folgerungen, die Sie daraus ziehen, unterscheiden sich in vielen Bereichen diametral von den Folgerungen, die wir als Koalitionsfraktionen gezogen haben.

Wir sagen: Ja, es gibt eine soziale Dimension. Aber im Rahmen des Bologna-Prozesses müssen, was die finanzielle Förderung angeht, die Komponenten Leistungswille und Befähigung auch im Vordergrund stehen.

Dementsprechend haben wir bei der Einführung der Studienbeiträge darauf geachtet, dass einerseits die soziale Komponente in das entsprechende Gesetz eingebaut wird. Wir haben die Studienbeitragsdarlehen kreiert und eine Obergrenze von 10.000 € eingeführt, zusammengerechnet aus den Schulden

durch BAföG und den Studienbeiträgen, die im Laufe des Studiums entstanden sind.

Ganz bewusst haben wir neben dieser sozialen Komponente, die – das wissen wir alle; Sie verschweigen es natürlich – die sozialste Komponente aller Länder in Deutschland ist, auch eine leistungsorientierte Komponente aufgebaut. Wir haben ganz bewusst Ja zum Stipendiensystem gesagt, wie es hier in NRW kreiert worden ist und wie es jetzt auch dankenswerterweise von der Koalition in Berlin übernommen wird.

Ich finde es geradezu absurd, dass Sie in Ihrem Antrag schreiben, wir würden durch so eine Art von Stipendiensystem die – ich zitiere – „Reproduktion einer selbst erklärten ‚Bildungselite’“ fördern. Wie verquer muss das Denken an der Stelle sein?

(Zuruf von Dr. Ruth Seidl [GRÜNE])

Ich habe Ihre Zitate wohl vernommen. Das ist der falsche Ansatz und auch der falsche Gedanke. Der Leistungswille muss im Vordergrund stehen. Es ist egal, ob jemand arm oder reich ist, sondern bei dieser Komponente kommt es darauf an, wie begabt, befähigt und leistungswillig er ist. Das ist der richtige Weg, und den werden wir massiv weiter vorantreiben. Sie werden sehen, dass die Anzahl der geförderten Stipendien weiter zunehmen wird. Frau Seidl, wir können gerne gemeinsam zu den Studierenden gehen, die auf diese Weise gefördert werden. Dann können Sie einmal versuchen, dort Ihr Argument von der selbst erklärten Bildungselite anzubringen. Ich glaube, da laufen Sie ziemlich fehl. Wie gesagt, Sie sind herzlich eingeladen, auch einmal mit mir gemeinsam solche Gespräche zu führen.

Zur Weiterentwicklung des BAföG: Auch hier besteht Konsens, dass eine beständige Weiterentwicklung stattfinden muss. Ich weise nur darauf hin, dass für dieses Jahr, was die finanzielle Komponente des BAföG betrifft, eine erhebliche Weiterentwicklung stattfinden wird. Das ist in Berlin vorangetrieben worden. Dies werden wir von nordrheinwestfälischer Seite aus sicherlich unterstützen. Ich bitte Sie, das auch entsprechend zu unterstützen.

Sie haben in Ihrem Antrag die Schaffung von genügend qualitativ hochwertigen Studienplätzen für alle Studieninteressierten gefordert. Natürlich müssen sie interessiert sein, aber Sie müssen auch befähigt sein! Ich hoffe, dass das damit inkludiert ist. Ansonsten hätte ich wieder das Problem, mit Ihnen darüber diskutieren zu müssen, inwieweit Eignung und Befähigung notwendige Voraussetzungen sind, ein Studium aufzunehmen. Ich hoffe, dass wir da gleich getaktet sind.

Ich weise jedoch darauf hin, dass bei der Diskussion zum Tagesordnungspunkt 10 hier und da Unterschiede in der Argumentation aufgetreten sind. Wir können aber diese Debatte gerne im Ausschuss fortsetzen. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Brinkmeier. – Nun bekommt Frau Dr. Mazulewitsch-Boos von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diskutieren können wir sicherlich noch ganz viel im Ausschuss.

Ich beginne mit dem Bildungsstreik, den wir sicherlich alle noch deutlich in Erinnerung haben. Die Forderungen der Studierenden stellten sich damals als ein Zweiklang dar. Einerseits ging es um die Reform der Studiengänge, um die Prüfungslasten und um die notwendigen Einführungsmodule. Andererseits betraf es die Finanzierung des Studiums. Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen stimmen in allen wesentlichen Punkten mit den Studierenden überein. Minister Pinkwart hat damals die Studierenden erst beschimpft. Herr Brinkmeier, Ihre Rede damals fand ich auch daneben, muss ich sagen.

(Beifall von der SPD)

Man hat den Studierenden vorgeworfen, sie hätten ideologische Scheuklappen. Erst als der Druck der Streikenden immer stärker wurde, änderte sich dies. Es wurden Veränderungen, Verbesserungen innerhalb der Bologna-Reform in einem Memorandum des Ministers mit den Hochschulrektoren und -rektorinnen angekündigt. Unter anderem wurden Veränderungen in Aussicht gestellt, ohne eine Reakkreditierung abzuwarten. Auch wurden Verbesserungen noch für das laufende Semester angekündigt. Lange läuft das Wintersemester nicht mehr, und wir fragen uns, was sich bei der BolognaReform in diesem Semester seit dem Bildungsstreik verändert hat. Aus den Hochschulen hört man, dass sich noch nichts geändert hat.

Ich sage ganz klar, dass die SPD für die BolognaReform war und ist. Deshalb wurde sie auch von Rot-Grün auf den Weg gebracht. Es ist aber offensichtlich, dass bei der Weiterentwicklung Fehler gemacht wurden. Die Bachelor-Studiengänge sind inhaltlich überfrachtet und viel zu wenig flexibel. In den letzten fünf Jahren hat die Landesregierung eine weitere Ausgestaltung an die Hochschulen abgeschoben. Eine Anpassung und Korrektur hat nicht stattgefunden.

Die Bologna-Reform hat in all ihren Ausprägungen einen bedeutenden Einfluss auf die Lebenswelt der Studierenden und der Lehrenden. Insofern ist es völlig klar, dass das eine soziale Dimension hat. Unsere wesentliche Aufgabe dabei ist die Herstellung von Chancengerechtigkeit. Noch viel zu oft entscheidet der Geldbeutel der Eltern darüber, ob ein Studium aufgenommen werden kann. Die Ent

wicklungen in dieser Wahlperiode des Landtags haben zu einer erheblichen Verschlechterung der Situation und zu weniger Gerechtigkeit beigetragen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird von einer Bologna-Tauglichkeit – wir nennen das Bologna-TÜV – der Studienfinanzierung gesprochen. Man kann sich das gut so vorstellen, wie mit dem Auto zum TÜV zu fahren: Wenn das Auto nicht tauglich ist oder eine Gefahr für den Straßenverkehr darstellt, dann gibt es eben keine Plakette, und bei gravierenden Mängeln droht die Stilllegung des Fahrzeuges. – Meine Damen und Herren, die derzeitige Studienfinanzierung würde das TÜVGelände garantiert nicht mit einer Plakette verlassen.

Auf jeden Fall ist am BAföG zu arbeiten, das auch heute noch für viel zu wenige Studierende zugänglich ist. Stattdessen setzt die Landesregierung auf ein Stipendiensystem, das in der Frage der Chancengerechtigkeit völlig untauglich ist. Stipendienprogramme waren das Feigenblatt, mit dem sich die Landesregierung bei der Einführung der Studiengebühren geschmückt hat. Studiengebühren zahlen alle, doch für gerade einmal 0,3 % der Studierenden gibt es ein Stipendium. Dies soll nun auch noch bundesweit eingeführt werden.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Aha!)

Stipendien bekommen oft gerade die Studierenden, die sie eigentlich nicht brauchen. 0,3 % sind auch viel zu wenig, um überhaupt Einfluss auf die Studierenden auszuüben. Man gewinnt hiermit auch keine neuen Bildungspotenziale, wie das hier angesagt ist.

Die aktuellen Zahlen belegen ganz klar, dass mehr Studentinnen und Studenten denn je arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt und die Studiengebühren finanzieren zu können. Das sind in NRW nach HIS-Angaben 69 %. Die Folgen sind bekannt: Erstens werden junge Menschen, die begabt sind und leistungsfähig wären, vom Studium abgeschreckt, und zweitens wird die Studienzeit dadurch, dass Jobs nachgegangen wird, entsprechend verlängert.

Meine Damen und Herren, die Folge all dieser Tatsachen ist, dass wir im Moment dabei sind, gesellschaftliche Verhältnisse zu zementieren. So ist mit Bologna auch die Frage der Geschlechtergerechtigkeit verbunden. Wenn der Anteil von Frauen unter den Studierenden beim Übergang vom Bachelor zum Master so stark sinkt, wie die HRK es angegeben hat, nämlich um 42 %, dann haben wir es mit einem erheblichen strukturellen Problem zu tun, das wir dringend angehen müssen.

(Beifall von Marc Jan Eumann [SPD])

Die Diskussion um den Bologna-Prozess darf nicht auf dem Rücken der Beteiligten ausgetragen wer

den. Politik und Hochschulen müssen gemeinsam nachsteuern, um Druck von den Studierenden zu nehmen und die Bedingungen an den Hochschulen insgesamt zu verbessern.

Leider steht bei der Profilierung der Hochschulen die Lehre weit im Schatten der Forschung. Das ist ein Missverhältnis, das eben auch soziale Folgen hat, die längst nicht nur auf den engen Kreis von Studierenden und Lehrenden beschränkt sind.

Wir, die SPD, wollen keine Elitefinanzierung. Wir wollen eine Ausweitung des BAföG. Wir wollen eine größere Bildungsbeteiligung. Und wir wollen die Verantwortung für die Studierbarkeit der Studiengänge übernehmen und diese nicht an die Hochschulen abschieben.

Natürlich freuen wir uns auf die Diskussion.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Mazulewitsch-Boos. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Witzel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es bemerkenswert, dass sich gerade die Redner von SPD und Grünen über die sozialen Wirkungen des Bildungssystems beschweren, wo sie doch im Jahre 2005 diese Situation hinterlassen haben, wie sie selber in ihren Landtagsdrucksachen einräumen mussten. In ganz Deutschland gab es kein anderes Bundesland, in dem der Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft so groß war wie bei dem Bildungssystem, das Rot-Grün hier hinterlassen hat.