Protokoll der Sitzung vom 03.02.2010

Deswegen handelt es sich bei Ihren Darlegungen wirklich um eine ziemlich peinliche Einlassung. Vielleicht liegt das ja wirklich daran, dass Sie überhaupt nicht an dieser Diskussion teilgenommen haben.

(Karl Schultheis [SPD]: Er ist immer peinlich, auch wenn er da ist!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Meldungen aus dem August letzten Jahres stecken uns allen noch in den Knochen. „Der gekaufte Doktor“ titelte die „Rheinische Post“ damals, und die Hochschulrektorenkonferenz warnte vor einem gewaltigen Imageverlust für den gesamten deutschen Wissenschaftsbetrieb. Das sagen nicht wir, Herr Witzel; das erklärte damals die Hochschulrektorenkonferenz.

Heute, ein halbes Jahr später, sind immer noch erst 15 der 100 damals eröffneten Verfahren in der Schmiergeldaffäre um gekaufte Doktortitel abgeschlossen. Herr Brinkmeier, trotzdem sagen Sie: Es ist doch alles wunderbar. Es stimmt doch schon alles. Wir brauchen überhaupt nichts zu machen. Warum denn überhaupt?

Natürlich befürworten und fordern auch wir die lückenlose Aufklärung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen; keine Frage. Wir sind aber der Meinung, dass das alleine nicht genügt, um das Vertrauen in das Wissenschaftssystem wiederherzustellen. Die Politik steht in der Verantwortung, den Hochschulen nicht nur gute Ratschläge zu erteilen, Herr Witzel, sondern sie auch aktiv zu unterstützen und vor dem drohenden Imageverlust zu bewahren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Lieber Herr Pinkwart, Sie haben damals ganz auf die Repressionsschiene gesetzt, also darauf, dass diejenigen, die gegen Recht und Gesetz verstoßen haben, indem sie Doktortitel entweder gekauft oder verkauft haben, schon irgendwie bestraft würden. Dass disziplinarische Maßnahmen aber nur eine Seite der Medaille sind und dass es auch Sinn machen könnte, durch entsprechende Regelungen im Vorfeld solchen Missbrauch gar nicht erst entstehen zu lassen, haben Sie schon damals negiert. Ich

fürchte, dass Sie solche Regelungen auch heute noch ablehnen.

Nachdem sich abgezeichnet hat, dass die Landesregierung das Problem am liebsten aussitzen würde, haben wir Grüne bereits im September 2009 einen Gesetzentwurf für die Änderung des Hochschulgesetzes eingebracht. Wenn wir Korruption und Missbrauch im Wissenschaftsbetrieb verhindern wollen, müssen wir nach unserer Auffassung nämlich auch präventiv Maßstäbe für mehr Transparenz, Klarheit und Struktur im Rahmen der Promotionsverfahren setzen; denn nur eine strukturierte Promotion, die ein verantwortungsvolles Verhältnis zwischen Doktorvater und Promovierendem in den Mittelpunkt rückt, kann aktiv dazu beitragen, Missbrauch zu verhindern.

Deshalb liegt der Schwerpunkt unseres Gesetzentwurfs auf dem Vorschlag, das Verhältnis von Doktorandinnen und Doktoranden sowohl zu ihren Doktorvätern und Doktormüttern als auch zu dem gesamten Fachbereich verbindlicher und transparenter zu machen.

Transparenz ist der wesentliche Aspekt unserer Initiative. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe in dem ganzen Verfahren, das dieser Gesetzentwurf durchlaufen hat, niemanden gehört, der das nicht für sinnvoll und richtig befunden hätte.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Im Gegenteil: In der Anhörung kamen noch Anregungen für zusätzliche Regelungen, zum Beispiel was die Promotionsmöglichkeiten an Fachhochschulen angeht. Diese haben wir gerne aufgenommen, wie Sie unserem vorliegenden Änderungsantrag entnehmen können.

Wir haben übrigens auch den einzigen Punkt korrigiert, der in der Anhörung wirklich kontrovers diskutiert wurde, nämlich die Frage, wie zwingend man die Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen für alle Verfahren der Prüfung vorschreiben wolle, wobei mir bei der Debatte bis zum Schluss nicht klar geworden ist, warum Klarheit und Transparenz ein Eingriff in die viel beschworene Hochschulfreiheit sein sollen.

Ich kann nur sagen: Es ist wieder einmal ein starkes Stück Verantwortungslosigkeit, das Sie hier an den Tag legen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb. Sie wollen weder Verantwortung für die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit übernehmen noch für die vielen ehrlichen Doktorandinnen und Doktoranden in diesem Land.

Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie immer verkündet, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören, Herr Minister. Leider zeigt sich an diesem Beispiel wieder einmal – wie an vielen anderen in den vergangenen viereinhalb Jahren –, dass Ihnen Ihr „Privat vor Staat“-Etikett wichtiger ist.

Trotzdem möchte ich es hier und heute noch einmal versuchen: Springen Sie über Ihren Schatten, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen. Lassen Sie Vernunft statt Dogmatik walten, und stimmen unserem Gesetzentwurf zu. Machen Sie es, wie Minister Pinkwart noch vor einigen Tagen vorgeschlagen hat – ich zitiere –: Gute Politik korrigiert sich, wenn ein Gesetz den Praxistest nicht besteht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Jetzt hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Pinkwart das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Klare Kante gegen Titelhandel und Korruption sowie Transparenz und Sicherheit bei Promotionsverfahren wollen wir sicher alle. Dazu haben Sie von der Fraktion der Grünen nun einen Gesetzentwurf und einen Entschließungsantrag eingebracht.

An Ihrem Entwurf stört mich die Vorstellung, man könne jedes Problem mit immer mehr gesetzlichen Regelungen lösen.

(Beifall von Werner Jostmeier [CDU])

Die Justizorgane sind tätig geworden. Die Hochschulleitungen klären die konkreten Fälle in Nordrhein-Westfalen in einer Weise auf, die man nur vorbildlich nennen kann. Es geht nicht um neue Gesetze, meine Damen und Herren, sondern um konkretes Handeln der zuständigen Stellen – und das geschieht, zumindest in Nordrhein-Westfalen.

Die nötigen Regelungen dafür sind da. Wer vorsätzlich gegen eine die Täuschung oder Prüfungsleistung betreffende Regelung einer Prüfungsordnung verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 50.000 € geahndet werden kann, unabhängig davon, ob er eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Die Hochschulen können eidesstattliche Versicherungen von den Prüflingen verlangen. Das gilt über die Promotion hinaus für jedes Studium und jede Prüfungsleistung.

Korruption ist für alle Beamtinnen und Beamten ein Dienstvergehen, das disziplinarrechtlich geahndet werden kann. Das gilt auch für Professoren.

An den Universitäten unseres Landes bestehen 17 Forschungsschulen und 43 Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Das, was im Entschließungsantrag gefordert wird, geschieht längst. Das strukturierte Promovieren ist damit längst auf dem Vormarsch. Die Landesregierung hat erheblich zum Ausbau strukturierter Doktorandenprogramme beigetragen. Die Hochschulen

kennen viele Instrumente der Qualitätssicherung: Prädikatsnoten in der Masterprüfung oder im Staatsexamen werden gefordert und vieles mehr.

Auch nach der Diskussion der Anhörung im Ausschuss sehe ich nicht, dass hier neue Gesetzesvorschriften Nutzen bringen würden. Das geltende Dienstrecht und das geltende Strafrecht verbieten seit Langem, für die Erfüllung dienstlicher Aufgaben Geld anzunehmen oder zu geben. Trotzdem kommt es vor, dass dagegen verstoßen wird – in Hochschulen und anderswo. Glauben Sie wirklich, dass das nicht mehr vorkommt, wenn weitere Regelungen ins Hochschulgesetz geschrieben werden?

Der Entwurf sieht vor, eine neue Vorschrift in das Hochschulgesetz aufzunehmen. Es heißt in Ihrem Antrag:

Die Hochschulen sind in Forschung und Lehre zur Einhaltung wissenschaftlicher Redlichkeit verpflichtet. Sie halten anerkannte ethische Verfahrensweisen und Grundprinzipien ein.

Dies aber, meine Damen und Herren, ist seit Jahrhunderten Selbstverständnis aller Hochschulen.

(Beifall von der FDP)

Täuschungen, die bekannt werden, können zur Aberkennung des Grades führen. Das weiß jeder, der plagiiert, Ghostwriter bezahlt oder Ghostwriting betreibt. Weil er darum weiß, versucht er, seine Praktiken geheim zu halten. Bislang können die Prüfungsämter von den Prüflingen Versicherungen an Eides statt verlangen. Nunmehr soll es heißen:

Die Hochschulen und die staatlichen Prüfungsämter nehmen von den Prüflingen eine Versicherung an Eides statt ab, dass die Prüfungsleistung von ihnen selbstständig und ohne unzulässige fremde Hilfe erbracht worden ist.

Das bedeutet – das muss man sich vor Augen führen –: In Zukunft soll mit jeder Prüfungsleistung, zum Beispiel auch mit jeder Klausur, die im Studium geschrieben wird, eine eidesstattliche Erklärung abgegeben werden müssen. Derjenige Professor oder diejenige Professorin, die im Einzelfall darauf verzichten würden, zum Beispiel weil sie Täuschungsmöglichkeiten faktisch ausschließen können, würden trotzdem eine Dienstpflichtverletzung begehen, meine Damen und Herren. Wollen Sie das wirklich so regeln?

Weiter wird vorgeschlagen: Abgeschlossene Dissertationen sollen veröffentlicht werden. Ich habe bislang als bekannt vorausgesetzt, dass die meisten Promotionsordnungen regeln, dass Dissertationen zwingend zu veröffentlichen sind, also keine Sollvorschrift enthalten, sondern eine Mussvorschrift. Das heißt, sie tun in der Praxis mehr, als es die von Ihnen vorgeschlagene Sollvorschrift besagt.

Dann ist auf die Anhörung Bezug genommen und die Vertreterin des Wissenschaftsrates zitiert wor

den. Ja, die Vertreterin des Wissenschaftsrates hat zu den Regelungen, über die ich hier vorgetragen habe, die auch von den Hochschulen praktiziert werden, gesagt, es seien richtige Regelungen. Auf Nachfragen aber konnte sie nicht sagen, wieso dies durch ein förmliches Gesetz geschehen müsse. Das heißt, für dieserlei Forderung haben Sie keine Unterstützung aus der Anhörung.

Lassen Sie mich abschließend, Frau Seidl, weil Sie Herrn Kollegen Witzel von wegen, wir wären nicht in der Anhörung gewesen, so angegangen sind, mit Genehmigung des Präsidenten vorlesen, was Frau Universitätsrektorin Gather von der Technischen Universität Dortmund in der Anhörung gesagt hat – ich glaube, das ist wichtig für das Hohe Haus –:

(Dr. Ruth Seidl [GRÜNE]: Wer von Ihnen war denn in der Anhörung?)

Zu der Spitze des Eisbergs möchte ich Folgendes sagen: Ich bin Mathematikerin und Statistikerin. In dem hier betrachteten Zeitraum hatten wir im Land Nordrhein-Westfalen ungefähr 25.000 Promotionen. Im Moment gibt es keine 50 Fälle mehr, die aufgedeckt worden sind. Ihre Zahl liegt also im Promillebereich.

Jeder einzelne dieser Fälle ist einer zu viel. Da sind wir d’accord. Wenn ich mir aber die Anzahl von Täuschungsversuchen in unserem gesellschaftlichen Umfeld insgesamt anschaue, finde ich, dass die Zahl von Täuschungsversuchen in der Akademia so klein ist, dass von einem Skandal keine Rede sein kann. Wir tun uns auch überhaupt keinen Gefallen damit, unsere eigene Hochschullandschaft als Skandalort für Plagiate und Korruption bei wissenschaftlichen Arbeiten anzusehen.

Ich bin ziemlich sicher, dass gerade bei Dissertationen die Möglichkeit, korrupt zu handeln und plagiatorisch zu arbeiten, äußerst gering ist. An meiner Hochschule hat es keinen einzigen solchen Fall gegeben. An den meisten Hochschulen waren es gerade einmal ein oder zwei Fälle. Wenn ich auf meine eigene Arbeit zurückschaue, in deren Rahmen ich natürlich auch Doktoranten betreue, kann ich mir schlechterdings nicht vorstellen, wie es im Betrugsfall möglich sein soll, durch die Zulassung und Begutachtung, die öffentliche Auslegung der Arbeit und schließlich die Disputation zu kommen.

Ich kann mich dem nur anschließen, meine Damen und Herren.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Wir gehen mit aller Härte gegen Einzelfälle vor. Aber bitte lassen Sie uns auch anerkennen, was hier an hoher Qualitätssicherung in unseren Hochschulen geleistet wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. Das war beträchtlich über der Zeit. – Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Beratung.

Wir können jetzt abstimmen. Wir stimmen erstens ab über den Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/10638. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU und FDP. Enthält sich jemand? – Das ist die SPD-Fraktion. Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.

Wir stimmen zweitens ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie Drucksache 14/10599. Die Empfehlung lautet, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/9908 abzulehnen. Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Das ist Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die SPD-Fraktion. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen und der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.