Protokoll der Sitzung vom 03.02.2010

(Gabriele Sikora [SPD]: Das weiß ich!)

wie stolz die sind, wenn sie einen Wettbewerbssieg errungen haben, ich oder jemand anderes von der Landesregierung dorthin fährt und die Wettbewerbsteilnehmer vorzeigen können, was sie jetzt alles finanziert bekommen. Vorher konnten Sie sich noch nicht mal bewerben, Frau Sikora!

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Und dann kommen Sie um die Ecke!)

Die Idee, die Potenziale zu aktivieren, ist gelungen: bei der dezentralen Energieversorgung, in der Gesundheitswirtschaft oder auch bei touristischen Angeboten. Mit anderen Worten: Unsere Strategie „Stärken stärken“ hat sich durchgesetzt.

(Beifall von der CDU)

Sie hat dazu geführt, alle Regionen mit ihren unterschiedlichen Profilen und Potenzialen anzusprechen. Es hat sich gezeigt, dass bei dieser Strategie keine Region – auch nicht eine vermeintlich strukturschwache – unter die Räder kommt. Auch das Ruhrgebiet hat sich wider alle Unkenrufe erfolgreich behauptet. Jeder dritte Wettbewerbssieger kommt aus dem Ruhrgebiet. Und mehr als jeder dritte Euro, der bisher als Zuwendung aus den Wettbewerben ausgesprochen wurde, entfällt auf den Bereich des Regionalverbandes Ruhr.

Ich komme zum wichtigen, wirklich grundlegenden Teil dieser Debatte, nämlich der Zukunft der Strukturfonds. Wie Sie wissen, wird in diesem Jahr in Brüssel bereits über die Reform des Haushalts nach 2013 debattiert. Erste interne Papiere der Kommissionsbeamten haben uns Ende letzten Jahres verdeutlicht, dass nicht wenige innerhalb der Europäischen Union der Meinung sind, dass sich zentrale EU-Programme viel besser als die bisher dezentral organisierten europäischen Strukturfonds dazu eignen, die zukünftigen Herausforderungen Europas lösen zu helfen. Nicht wenige innerhalb der Europäischen Kommission glauben, dass, wenn sie selbst zentral und direkt von Brüssel aus Förderentscheidungen fällen würden, die Ergebnisse besser ausfielen, als wenn diese Förderentscheidungen in den Regionen Europas – in Deutschland: in den Ländern – getroffen würden.

In ersten, internen Überlegungen der Kommissionsbeamten war deshalb die Fortführung des bisherigen Ziel-2-Programms, also die Förderung der überwiegend westeuropäischen Regionen, gar nicht mehr vorgesehen. Die Strukturfonds sollten sich allein auf die bisher schwach entwickelten osteuropäischen Regionen konzentrieren. Ich werfe Frau Löhrmann nicht vor, dass sie weg ist. Aber das ist derzeit der zentrale Punkt der Auseinandersetzung und nicht das Klein-Klein, das Sie hier versuchen vorzutragen.

(Gabriele Sikora [SPD]: Da haben Sie mir nicht zugehört!)

Diese Überlegungen sind bisher nicht in die offizielle Politik der EU-Kommission übernommen worden. Präsident Barroso hat ein entsprechendes internes Kommissionspapier offiziell zum Non-Paper erklärt. Aber der Vorgang zeigt uns, dass es notwendig ist, auf breiter Basis mit der Kommission die Vorteile einer ortsnahen, dezentralen Strukturpolitik zu diskutieren.

Die Landesregierung hat deshalb sehr frühzeitig, bereits Ende vorletzten Jahres begonnen, auf diese

Diskussion Einfluss zu nehmen. Wir haben intensiv an den bisherigen Stellungnahmen der Bundesländer und des Bundes zur Zukunft der Strukturpolitik mitgewirkt. Dazu gehörten unter anderem die Länderstellungnahmen, die Bund-Länder-Stellungnahmen aus 2008 sowie zuletzt der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz am 16. Dezember 2009. Die Landesregierung hat darüber hinaus aber auch eine eigene Studie über die bisherigen Ergebnisse der Strukturförderung in Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben sowie eine weitere Studie des Bundes für alle Ziel-2-Länder maßgeblich initiiert.

Über Schwerpunkte einer, wie wir hoffen, Förderung nach 2013 müssen wir zu einem späteren Zeitpunkt gerne diskutieren. Im Moment steht die Grundfrage an.

Wir haben zuletzt am 13. Januar dieses Jahres auf einer Veranstaltung in Brüssel, zu der ich übrigens die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses eingeladen hatte, über die bisherigen Ergebnisse der Strukturfonds in unserem Land informiert. Wir hatten im letzten Jahr eine ähnliche Veranstaltung in Berlin mit Vertretern der Bundesregierung. Wir sind zudem in Brüssel und Berlin mit Mitgliedern sowie Mitarbeitern der Europäischen Kommission und der Bundesregierung im Gespräch und artikulieren unsere Vorstellungen von der Zukunft der Strukturfonds.

Auch ich fände es schön, wenn es uns gelingen könnte, den Fonds Ländliche Entwicklung mit dem Strukturfonds zusammenzuführen.

(Gabriele Sikora [SPD]: Hervorragend! – Wolfram Kuschke [SPD]: Einverstanden! – Weitere Zurufe)

Wissen Sie, Herr Kuschke, ich habe noch gut in Erinnerung, dass Sie mir zu Beginn der Regierungsübernahme gesagt haben, ich müsse dafür sorgen, dass sich alle Mittel in meinem Ressort befänden, sonst hätte ich schon versagt. Diese Strukturen aber haben Sie hinterlassen.

(Beifall von CDU und FDP – Widerspruch von Wolfram Kuschke [SPD])

In Brüssel kommt uns übrigens zugute, dass die Europäische Kommission die von uns praktizierten Wettbewerbsverfahren – das richte ich an die Adresse aller in diesem Haus – als Best-practiceBeispiele sieht. Es gibt in der Kommission Überlegungen, wie diese Projektauswahlverfahren auf die gesamten Strukturfonds übertragen werden können. Nordrhein-Westfalen steht in dieser Debatte als größtes deutsches Bundesland und eine der größten Regionen in Europa also an vorderster Stelle.

Wir machen bei jeder sich bietenden Gelegenheit unsere Zukunftsvorstellungen deutlich. Wir wollen eine Fortsetzung des Ziels der regionalen Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung – Ziel 2 – mit einem flächendeckenden horizontalen und dezentralen Förderansatz. Wir wollen, dass die inhaltli

chen Schwerpunkte der Strukturfonds weiterhin auf der Lissabon-Strategie bzw. der Post-LissabonStrategie „EU 2020“ aufsetzen. Wir wollen weitere Anstrengungen beim Bürokratieabbau und bei der Vereinfachung der Umsetzung der Strukturfonds.

Ich sage aber deutlich: Diese Debatte haben wir noch nicht gewonnen. Wir brauchen in dieser Debatte zahlreiche Mitstreiter und nicht überwiegend welche, die an irgendetwas herummäkeln.

(Beifall von der CDU)

Wir brauchen zum Beispiel die Verbände, die Städte, die Regionen in unserem Land, die ihre Möglichkeiten im Gespräch mit den Experten in Brüssel nutzen.

Ich appelliere auch an den Landtag, an all seine Mitglieder, sich hier einzuschalten – jeder an seiner Stelle, jeder nach seinen Möglichkeiten. Es wird insbesondere in diesem Jahr darauf ankommen, die Kommission und die nationalen Regierungen von den Vorteilen einer dezentralen, ortsnahen Strukturpolitik zu überzeugen – das ist im Moment Kern der Auseinandersetzung –; denn die wirtschaftlichen Probleme Europas – unsere Überzeugung – werden in den Regionen gelöst.

(Beifall von der CDU)

Ich wäre dem Landtag dankbar, wenn er die Position der Landesregierung nachhaltig, Frau Löhrmann, unterstützen würde. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin Thoben. – Für die SPD-Fraktion kommt bereits Herr Kollege Kuschke ans Rednerpult.

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Frau von Boeselager und Herr Brockes, Sie haben im Unterschied zu Frau Thoben – das will ich ausdrücklich anerkennen – unseren Antrag nicht gelesen. Denn wir haben die Bemühungen der Bundesländer, auch des Landes Nordrhein-Westfalen, ja anerkannt. Wir wären aber mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir nicht zur Kenntnis nehmen würden, dass wir hier bei allen 16 Bundesländern, auch den A-Ländern, Einstimmigkeit haben.

Es gibt aber einen Punkt, Frau von Boeselager, in dem Frau Ministerin Thoben eindeutig die Frage „Ist es zu früh oder zu spät?“ beantwortet hat. Ich finde es bemerkenswert, dass Sie hier sehr deutlich und auch sehr offen gesagt haben: Die Fortsetzung der EU-Strukturpolitik ist in keiner Weise gesichert. – Das haben Sie heute erklärt. Das war nicht defätistisch gemeint, sondern ich habe es so verstanden, dass in der Tat noch mal darum gerungen werden muss, eine Reihe von Punkten zu erreichen.

Erster Punkt. Wir sind uns in der Frage der Fortsetzung der Strukturpolitik einig. Wir brauchen den Bund, wir brauchen die EU-Kommission, und wir brauchen das EU-Parlament auf unserer Seite, damit das auch Wirklichkeit werden kann.

Zweiter Punkt. Ich glaube, dass wir auch so etwas wie einen europäischen Mehrwert unserer Programme definieren müssen. Ich finde es interessant, dass dieser Aspekt in der Studie von Herrn Untiedt und anderen, die Sie erwähnt haben, genannt worden ist. Wir hoffen allerdings auch, dass diese Studie nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ noch etwas angedickt wird. Sie erscheint uns ein bisschen dünn, was die Frage der Präzisierung der zukünftigen Ziele anbelangt.

Dritter Punkt. Wir können uns darüber streiten, ob wir tatsächlich anhand dieser beiden Leitprogramme agieren, wie wir es vorgeschlagen haben. Wir verstehen das aber als einen Vorschlag zur Strukturierung.

Frau Kollegin Löhrmann möchte ich zurufen – sie kann es ja nachlesen oder es wird ihr berichtet –: Infrastrukturpolitik ist etwas, was sozialökologische Projekte und Strukturen mit umfasst. Da ist kein Widerspruch vorhanden.

Vierter Punkt: Stichwort Kofinanzierung. Wir haben mittlerweile eine Initiative in fast allen Fraktionen im Europäischen Parlament, wo laut darüber nachgedacht wird, ob wir bei wichtigen Förderprogrammen der Europäischen Union nicht diejenigen, die eigentlich kofinanzieren müssten, in einem gewissen Umfang von der Kofinanzierung freistellen. Das müsste ein deutliches Signal insbesondere an kommunale Gebietskörperschaften, Städte, Gemeinden und Kreise, sein, die im Augenblick nur schwer in der Lage sind, ihren Anteil bei der Kofinanzierung aufzubringen.

Fünfter Punkt. Frau Ministerin, das ist etwas, was Sie so nicht erwähnt haben und was wir in der Vergangenheit auch kritisiert haben: Wir müssen die Neuausrichtung der EU-Strukturpolitik nutzen, um unsere eigene Regional- und Strukturpolitik anders auszurichten, das als Chance begreifen und auch zu einer anderen Verzahnung kommen.

Sechster Punkt: Stichwort Verfahren. Da kann ich es Ihnen nicht ersparen, zu sagen, dass wir eine ganz andere Einschätzung dessen haben, was dort passiert ist. Wir glauben, die Wettbewerbe waren oftmals – ich formuliere es mal sanft – im Geruch von Befangenheit. Ich könnte es auch noch stärker formulieren. Es war mangelnde Transparenz vorhanden.

(Ministerin Christa Thoben: Das behauptet kein Mensch mehr!)

Entschuldigung, wir haben doch angebliche Wettbewerbssieger gehabt, die überhaupt nicht zum

Zuge gekommen sind. Das saugen wir uns doch nicht aus den Fingern.

(Beifall von der SPD)

Jurys mussten neu besetzt werden. Der Kollege Laumann ist im Augenblick nicht da; der könnte bestätigen, was dort passiert ist.

Hier brauchen wir also ein anderes Verfahren, nicht nur ein zügigeres, sondern auch ein transparentes Verfahren, bei dem vor allen Dingen die Regionen von vornherein mit beteiligt werden.

Meine Damen und Herren, ich will diese Gelegenheit auch nutzen, um noch mal deutlich zu machen, dass die EU-Strukturpolitik ein Thema ist, das dieses Parlament über mehrere Legislaturperioden beschäftigt hat. Frau Kollegin Sikora hat dazu heute noch mal einen Beitrag in ihrer wahrscheinlich letzten Rede im Landtag geliefert. Für dieses engagierte Festbeißen an der Sache danken wir außerordentlich herzlich. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Kuschke. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Hovenjürgen das Wort.

(Ministerin Christa Thoben geht bereits Rich- tung Rednerpult.)

Nein, nein, die Reihenfolge bestimmen wir hier. Zunächst spricht Herr Hovenjürgen, und dann wird die Frau Ministerin sprechen, wenn sie möchte. – Herr Kollege, bitte schön.

Natürlich, Herr Präsident, wenn Sie das so sehen, machen wir das auch so. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kuschke – Frau Löhrmann ist leider nicht da, sie hat sich ja entschuldigt, dass sie telefonieren müsste –, erst einmal konnte man wahrnehmen – und das tat eigentlich ganz gut –, dass es hier im Hause doch einen großen Anteil Übereinstimmung gibt, wie wir die Dinge einschätzen.

Dass Herr Kuschke der Regierung zugestehen konnte, dass sie sich intensiv bemüht, auf einem guten Weg ist, sich um die Dinge kümmert und die Ministerin klar und offen formuliert, ist sicherlich auch dankenswert und trägt zu einem gemeinsamen Handeln in diesem Hause in diesen Fragen bei. Dass wir Probleme haben, über die wir gemeinsam reden müssen, ist auch klar. Dass wir, wenn wir von Strukturwandel reden, natürlich auch darüber sprechen müssen, dass Strukturwandel dort, wo er nötig ist, auch stattfinden muss, nämlich da, wo wir auch haushalterische Probleme haben, und dass hier Fragestellungen wie „Wie kommen wir bei der nicht möglichen Kofinanzierung weiter, um auch