Protokoll der Sitzung vom 24.03.2010

Drittes Beispiel: Die FuE-Anwendungen der Wirtschaft. Im Antrag wird eine elfprozentige Steigerung konstatiert und so zumindest zwischen den Zeilen der Eindruck erweckt, Nordrhein-Westfalen sei kurz davor, Baden-Württemberg und Bayern an der Spitze des FuE-Rankings abzulösen. Aber leider sieht die Realität, wie am 18. März 2010 auch im „Handelsblatt“ nachzulesen war, gänzlich anders aus. Das möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten einmal zitieren:

Nordrhein-Westfalen hingegen hinkt hinterher. An Rhein und Ruhr sind die Forschungsausgaben der Wirtschaft in diesem Zeitraum

gemeint ist 1997 bis 2007 –

nur marginal von 1,04 auf 1,14 % der Wirtschaftskraft des Landes gestiegen. Damit liegt Nordrhein-Westfalen weit unter dem Bundesdurchschnitt. Die FuE-Ausgaben pro Einwohner machen in Nordrhein-Westfalen weniger als ein Drittel des Wertes von Baden-Württemberg aus.

Viertes Beispiel: Die Patentanmeldungen. Hier betonen Sie, dass sich die Zahl der Patentanmeldungen aus der Hochschule heraus von 2005 bis 2007 von 60 Patenten auf 135 erhöht habe. Also: 75 Patente pro Jahr mehr – ein Anstieg von über 100 %.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Augenwi- scherei!)

Wenn man das so rechnet, ist das sicherlich ein Erfolg. Nur: Von allen Patenten, also von den 62.417 beim Deutschen Patent- und Markenamt 2008 angemeldeten Patenten, stammen gerade einmal 0,95 %, also weniger als 1 %, von den Hochschulen.

(Beifall von den GRÜNEN – Bodo Löttgen [CDU]: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen!)

Das bedeutet doch erstens, dass es wenig ist, und zweitens, dass die Musik bei den Patentanmeldungen nicht an den Hochschulen spielt, sondern in den Unternehmen. Hier – das unterschlägt der Antrag auch geflissentlich – stellt sich NRWs Bilanz weitaus schlechter dar. So wurden 2008 beim DPMA aus Baden-Württemberg 15.000 Patente angemeldet, in NRW nur knapp 8.000. In BadenWürttemberg haben wir es laut Bericht mit einer stark steigenden Tendenz zu tun, in NordrheinWestfalen ist die Tendenz leicht fallend.

Betrachtet man nicht die absoluten Zahlen, sondern die Patentanmeldungen pro 100.000 Einwohner, liegt Nordrhein-Westfalen nicht nur hinter Baden-Württemberg und Bayern, sondern auch noch hinter Hamburg und Hessen. Nachzulesen ist dies übrigens auf Seite 108 des Innovationsberichtes – das nur als kleiner Hinweis, da auch dieser Zusammenhang leider nicht in Ihrem Antrag dargestellt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, politisches Handeln braucht ambitionierte Ziele. Insofern ist es richtig, einen programmatischen Pfad anzulegen, wie der Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen über die Stärkung von Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation perspektivisch vorangebracht werden kann. Falsch ist es jedoch, wenn die Koalitionsfraktionen den Eindruck erwecken, diesen programmatischen Pfad könne man – Herr Witzel ist leider gerade weg –mit dem Credo liberaler Marktgläubigkeit, mit ein wenig Lyrik zur neuen Freiheit der Hochschulen und mit dem blinden Vertrauen in vermeintliche Spitzentechnologien beschreiten.

Herr Minister Pinkwart, Sie sind zu Beginn der Legislaturperiode angetreten, Nordrhein-Westfalen

zum Innovationsland Nummer eins zu machen. Was wir hier aus dem Innovationsbericht 2009 herauslesen, ist im besten Falle Mittelmaß. Deshalb würde ich Ihnen und den Koalitionsfraktionen empfehlen, sich mit diesem Bericht nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen – es könnte peinlich werden.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Es ist schon peinlich!)

Ich finde, die Zahlen zeigen, dass es für Sie heute schon peinlich geworden ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Jetzt hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Pinkwart das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich außerordentlich, dass wir den Innovationsbericht heute aufgrund des Antrags der Koalitionsfraktionen diskutieren können.

Es ist eben im Unterschied zu früher so, dass diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen jedes Jahr auch hier im Parlament den Innovationsbericht diskutieren und dass wir es jedes Jahr auf der Grundlage desselben Instituts tun, des RWI, eines Instituts, das der Vorgängerregierung im Jahr 2004 auch einmal einen Bericht zur Innovationslage in Nordrhein-Westfalen vorgelegt hat. Nur haben Sie diesen damals gar nicht zum Vortrag im Parlament gebracht, weil Sie sich selbst den Spiegel nicht vorhalten wollten. Wir halten uns jedes Jahr aufs Neue den Spiegel vor, um zu schauen, wo Nordrhein-Westfalen steht und wie wir zu unserem Ziel kommen, Nordrhein-Westfalen bis 2015 zum Innovationsland Nummer eins zu machen.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Sie ziehen nur keine vernünftigen Konsequenzen!)

Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir setzen uns kritisch mit dem auseinander, was wir vorfinden, und überlegen, wie wir es besser machen können.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das ist aber was ganz Neues!)

Ja, ich weiß, jetzt sind Sie etwas aufgeregt. Aber Sie müssen die Fakten schon auf sich wirken lassen.

Wir diskutieren heute den Innovationsbericht des Jahres 2009, der die aktuellen Zahlen des Zeitraums von 2005 bis 2007 zum Gegenstand hat, an einigen wenigen Stellen auch Daten bis 2008. Das heißt, wir nehmen von den fünf Jahren, die Sie jetzt, Herr Schultheis und Frau Seidl, zum Gegenstand Ihrer Beiträge gemacht haben, den ersten Teil oder vielleicht die Hälfte der Legislaturperiode,

(Dr. Ruth Seidl [GRÜNE]: Aber die ist jetzt zu Ende!)

und noch nicht das, was wir insgesamt erreichen konnten. Aber schon das ist bemerkenswert und kann sich sehen lassen.

(Zuruf von der SPD)

Es muss sich auch sehen lassen; denn sonst könnten wir unser ambitioniertes Ziel bis 2015 nicht erreichen. Natürlich müssen wir in Nordrhein-Westfalen aufholen. Das sagen sowohl dieser Bericht als auch die Koalitionsfraktionen mit ihrem Antrag. Schon jetzt ist erkennbar eine Trendwende erreicht worden. Allerdings stehen wir noch vor großen Herausforderungen, nicht zuletzt, weil wir das aufholen müssen, was Sie hier jahrelang durch verfehlte Politik versäumt haben. Das muss man ganz klar sagen.

(Beifall von FDP – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Blicken Sie doch nach vorne und nicht zurück!)

Wollen wir es doch einmal in Zahlen gießen, lieber Herr Bollermann: Im Zeitraum rot-grüner Regierungsverantwortung von 1995 bis 2005 – Sie können das nachlesen – sind allein in der nordrheinwestfälischen Wirtschaft 2.600 Arbeitsplätze im Bereich Forschung und Entwicklung abgebaut worden. Im Zeitraum von 2005 bis 2007 – also in nur zwei Jahren gegenüber zehn Jahren des Abbaus – ist es gelungen, in Nordrhein-Westfalen die Zahl der FuE-Beschäftigten um 4.600 aufzubauen. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer Politik und der neuen Politik, die wir hier in Nordrhein-Westfalen verantworten.

(Beifall von FDP und CDU – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Und wie viele prekäre Ar- beitsverhältnisse waren das?)

Jetzt kommen Sie natürlich mit Ihren prekären Beschäftigungsverhältnissen. Ich empfehle sehr Seite 91 des Innovationsberichtes: Dort sehen Sie auch die Mittel pro FuE-Mitarbeiter, was die FuEAufwendungen anbelangt. Sie erkennen, diese sind seit 1995 von 86.280 auf 116.090 gestiegen. Der relative Anteil Personal zu FuE-Aufwand ist also gestiegen. Es liegt folglich nicht an prekären Beschäftigungsverhältnissen, dass wir jetzt mehr in FuE beschäftigt haben, sondern offensichtlich daran – und das ist doch zentral, wenn Sie es mit Bayern und vor allem Baden-Württemberg vergleichen –, dass die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen viel zu lange – und das haben Sie mit Recht aus den aktuellen Berichten des Stifterverbands zitiert – zu wenig in Forschung und Entwicklung investiert hat, sowohl an Aufwendungen wie auch an Personal. Bei Ihnen ist sogar abgebaut worden. Jetzt wird endlich von der Wirtschaft aufgebaut.

(Beifall von FDP und CDU)

Wenn wir das nicht vorantreiben, dann werden wir auch nicht an die anderen Länder herankommen.

Herr Minister, kann ich Sie kurz unterbrechen? Ich habe hier eine Kollegin und einen Kollegen, die sich mit Fragen an Sie wenden. Lassen Sie diese zu?

Sehr gerne.

Dann beginnen wir mit Frau Dr. Seidl. Bitte schön.

Herr Minister, könnten Sie uns vielleicht erklären, warum in den wirtschaftsstarken Jahren, gerade in 2006 und 2007, wo wir Wachstumsraten hatten, die FuE-Quote im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt nicht gestiegen ist?

Moment, antworten Sie noch nicht, Herr Minister. Die zweite Frage kommt gleich dazu, sonst wird mir das hier alles zu lang. – Herr Schultheis.

Herr Minister, ich zitiere noch einmal den Ausdruck aus „facts“, den Fakten des Stifterverbandes. Ich frage Sie, ob Sie den hier gemachten Aussagen und Feststellungen zustimmen. Hier heißt es – März 2010 –:

Setzt man nämlich die regionalen internen FuEAufwendungen in Bezug zum regionalen Bruttoinlandsprodukt, dann findet sich beispielsweise Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland und der damit einhergehenden Wirtschaftskraft erst an achter Stelle wieder. Sowohl die FuE-Aufwendungen pro Einwohner und in Relation zum regionalen BIP betragen weniger als ein Drittel der vergleichbaren Größen von Baden-Württemberg. Auch Bayern und Hessen liegen deutlich über den nordrheinwestfälischen Werten.

Ist das aus Ihrer Sicht richtig oder falsch?

Das war es jetzt. – Bitte, Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zu antworten.

Darauf kann ich sehr gerne antworten. Das ist genau das, was ich eben vorgetragen habe. Herr Schultheis, was Sie vortragen, ist zutreffend. Deswegen ist es nötig, dass wir aufholen. Nur die Tat

sache, dass Nordrhein-Westfalen bei der relativen Größe noch nicht ganz vorne dabei ist, liegt daran, dass unter Ihrer Regierungsverantwortung die Zahl der FuE-Beschäftigten abgebaut worden ist und erst unter unserer Regierungsverantwortung Beschäftigung wieder aufgebaut wird.

(Beifall von CDU und FDP)

Hätten Sie in den letzten zehn Jahren Ihrer Verantwortung alle zwei Jahre 4600 Beschäftigte mehr gehabt, wie wir, dann stünden wir heute dort, wo Bayern und Baden-Württemberg schon sind. Aber Sie haben den Abstand doch vergrößert – und wir verringern ihn jetzt. Das ist der Unterschied.

(Beifall von CDU und FDP)

Liebe Frau Seidl, das steht im Bericht: In den Jahren 2006 und 2007 sind FuE-Aufwendungen und Personal deutlich überdurchschnittlich gewachsen. Die FuE-Aufwendungen in der Wirtschaft – das können Sie nachlesen – sind um 11 % gestiegen,

(Beifall von der CDU)

so stark wie seit langen Zeiten nicht mehr. Allerdings – das muss man dazusagen – ist auch die Wirtschaftskraft gestiegen. Diese ist schon zu früheren Jahren einmal gestiegen, ohne dass FuE stark gestiegen wäre, aber dieses Mal ist beides zusammen gekommen: Die Wirtschaft ist stark gewachsen, und die Wirtschaft hat überproportional in FuE investiert, was uns sehr freut. Das macht natürlich im Quotienten, bezogen auf das BIP, insgesamt einen nicht so hohen Anstieg aus. Das sagt der Bericht auch aus. Damit habe ich die Fragen beantwortet.