Protokoll der Sitzung vom 24.03.2010

Herr Kleff, ich habe Verständnis dafür, dass Sie versuchen, in der Bilanz von fünf Jahren hier noch einmal etwas Positives darzustellen. Aber dass Sie sich ausgerechnet das Nichtrauchgesetz, dieses verkorkste Gesetz, über das Herr Laumann einen Staatssekretär verloren hat und bei dem Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner auch nicht einigen konnten, ausgesucht haben!

Ich hatte heute Morgen ein Gespräch – Frau Kastner hatte das auch – mit dem Deutschen Kinderhilfswerk. Wissen Sie, was die uns gesagt haben? – Die haben gesagt, dass es in Deutschland kein Nichtrauchergesetz gibt, das Kinder so wenig schützt wie das nordrhein-westfälische.

(Widerspruch von Marie-Theres Kastner [CDU])

Es gibt nämlich keinen Nichtraucherschutz in der Kindertagespflege. Bei den begleiteten Ausflügen wird nicht daran gedacht, dass nicht geraucht wird. In den Einrichtungen und Schulen darf weiter geraucht werden, wenn die Kinder nicht da sind. Das ist eine tolle Leistung, die Sie da hingelegt haben!

(Minister Karl-Josef Laumann: Wie war das bei Ihnen?)

Meine Damen und Herren, der Antrag der SPD greift eine gesellschaftliche und politische Debatte zur Zukunft unseres Gesundheitswesens auf. Das begrüßen wir.

(Dr. Stefan Romberg [FDP]: So eine Schein- heiligkeit! Unmöglich! – Weitere lebhafte Zu- rufe)

Allerdings muss ich auch sagen, dass wir zu einigen Punkten kritische Anmerkungen haben. So werden wir die Weiterentwicklung der Medizinischen Versorgungszentren – MVZ – weiter kritisch begleiten. Die Monopolstellung der Versorgungsketten insbesondere durch Krankenhauskonzerne und Krankenkassen lehnen wir als Grünen-Fraktion ab.

In der Frage, was für eine gute Gesundheitspolitik in Nordrhein-Westfalen eigentlich erforderlich ist, sind für uns Grüne folgende Punkte wichtig:

Erstens. Das Angebot der gesundheitlichen Versorgung muss alle Menschen erreichen. Wer krank ist, der muss sich wirklich darauf verlassen können, die notwendige medizinische und gesundheitliche Versorgung zu erhalten, und zwar unabhängig von Einkommen, Geschlecht, Herkunft, sozialer Lage und Wohnort. Dabei ist die gerade die Sicherung der wohnortnahen gesundheitlichen Versorgung eine zentrale Herausforderung der zukünftigen Gesundheitspolitik. Wir müssen daran arbeiten, die Zugangshemmnisse bei sozial benachteiligten Gruppen abzubauen.

Wir wissen, dass es die gibt. Und wir wissen, dass wir diese Gruppen besser erreichen müssen.

Zweitens. Das Gesundheitssystem muss geschlechtergerecht gestaltet werden. Wir wissen: Ursachen und Auswirkungen von Erkrankungen sind bei Frauen und Männern unterschiedlich. Genauso gilt das für die Bewertung von Krankheitserscheinungen. Notwendig ist daher eine medizinische und therapeutische Versorgung, die auf die spezifischen Belange und Bedarfslagen von Frauen und Männern ausgerichtet ist. Das gilt insbesondere bei Präventionsangeboten.

Drittens. Die Sicherung der wohnortnahen gesundheitlichen Versorgung ist eine der zentralen Herausforderungen. Das gilt insbesondere für weniger mobile Personengruppen, das gilt für ältere Menschen und Kinder.

Es gibt zwar in Nordrhein-Westfalen noch keinen Ärztinnenmangel, aber vor allen Dingen im ländlichen Raum …

(Lebhafter Widerspruch von Dr. Stefan Rom- berg [FDP])

Es gibt keinen generellen Ärztemangel, Herr Romberg. Aber vor allem im ländlichen Raum fehlt es perspektivisch an Haus- und Fachärztinnen. Gerade dort müssen neue Versorgungsangebote entstehen.

(Dr. Stefan Romberg [FDP]: Völlig irreal!)

Dazu kann die Einrichtung mobiler Ärzteteams genauso gehören wie die Öffnung von Krankenhäusern für die ambulante ärztliche Versorgung.

(Günter Garbrecht [SPD]: Das will Herr Rom- berg nicht! – Minister Karl-Josef Laumann: Das will ich auch nicht!)

Viertens. In der medizinischen Behandlung und Pflege bleibt die unmittelbare Fürsorge von Mensch zu Mensch das wichtigste Element.

(Beifall von den GRÜNEN)

Menschliche Zuwendung muss von daher wieder einen höheren Stellenwert in der gesundheitlichen

Versorgung erhalten. Sie muss deshalb auch angemessen finanziert werden.

Fünftens. Viele Menschen werden von den herkömmlichen Präventionsangeboten nicht erreicht. Deshalb sind dort mehr Maßnahmen erforderlich, wo die Menschen wirklich zusammen leben, wo sie zusammen arbeiten, spielen oder sich erholen. Das heißt: Prävention muss an den Lebenswelten der Menschen ansetzen.

Sechstens. Die Gesundheitschancen von Kindern sind immer noch sehr ungleich verteilt. Soziale Benachteiligung, Umweltbelastungen und schlechte Ernährung haben zur Folge, dass viel zu viele Kinder in unserem Land nicht gesund aufwachsen können.

Wir müssen diese Benachteiligung auflösen, das heißt, Kinderarmut und soziale Benachteiligung reduzieren, das heißt, Hilfsangebote wie die Familienhilfe, die in den letzten Jahren sehr stark gekürzt wurde, ausbauen und finanzieren.

Siebtens. Gerade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft muss sich die örtliche Gesundheitsfürsorge stärker auf den Bedarf älterer Menschen einstellen. Dazu gehören Angebote an Hausbesuchen sowie die Verankerung geriatrischer Kompetenz in der gesamten Versorgungslandschaft und der Ausbau qualifizierter gerontopsychiatrischer und psychotherapeutischer Betreuung.

Nicht zuletzt wird in der UN-Konvention die gemeindenahe gesundheitliche Versorgung für alle Menschen mit Behinderung gefordert. Hier brauchen wir Konzepte für einen barrierefreien gesundheitlichen Zugang und eine barrierefreie Versorgung.

Schließlich muss für Migrantinnen und Migranten der Zugang zur medizinischen Versorgung verbessert werden. Wir wissen, dass sie nicht entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung die Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen und in den Krankenhäusern präsent sind. Daher müssen die Gesundheits- und Aufklärungsprogramme für Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund verstärkt werden. Sie müssen weiterentwickelt werden. Außerdem muss die interkulturelle Kompetenz der Gesundheitseinrichtungen gestärkt werden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, das alles verbinden wir als Grüne mit einer guten Gesundheitspolitik für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. Daran richten wir unsere grünen Konzepte für eine gute Gesundheitspolitik in Nordrhein-Westfalen aus. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Laumann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So wie der SPD-Antrag „Gute Gesundheitspolitik für die Menschen in NRW“ formuliert ist, kann man ihn nur stellen, wenn man weiß, dass durch die Mehrheit des Parlamentes die Ablehnung dieses Antrages gesichert ist;

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

denn ansonsten würde man unser Gesundheitssystem damit in schwere Bedrängnis bringen.

Frau Gebhardt, Sie haben in Ihrer Rede kritisiert, was in den letzten fünf Jahren alles passiert sei. Dazu sage ich Ihnen nur: Wir haben in NordrheinWestfalen dafür gesorgt, dass unsere Krankenhäuser mit einer klaren, für sie berechenbaren Investitionspauschale endlich ein gerechtes Finanzierungssystem bekommen haben. Ihren alten FörderPaternoster, den wir abgeschafft haben, wünscht sich in Nordrhein-Westfalen niemand mehr zurück.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie haben vergessen, zu erwähnen, dass wir mit dem Krankenhausgestaltungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen eine Riesenwelle der Zusammenarbeit bis hin zu Fusionen von Krankenhäusern Schritt für Schritt erreicht haben. Jetzt sind wir mitten in diesem Prozess, in dem wir in den Regionen qualitativ erheblich nach vorne kommen. An dieser Stelle sorgen wir auch dafür, dass in den Krankenhäusern Strukturen entstehen, in denen man unter den Bedingungen der diagnosebezogenen Fallpauschalen erfolgreich Medizin betreiben kann.

(Beifall von der CDU)

Sie haben wohl Gedächtnislücken, wenn es um die Frage geht, wie stark die Ärzteausbildung in Nordrhein-Westfalen in den letzten zehn Jahren Ihrer Verantwortung zurückgeführt worden ist. Die Ärzte, die uns jetzt fehlen, hätten vor zehn Jahren ihr Studium aufnehmen müssen, damit sie heute da wären.

(Beifall von der CDU)

Welche Landesregierung hat denn die hausärztliche Versorgung auf dem Lande zum Thema gemacht? Das war doch wohl die Landesregierung, die jetzt im Amt ist. Es war vor allem mein Haus und insbesondere der Minister selber, der dies zum Thema gemacht hat.

(Beifall von der CDU)

Natürlich sind wir auch in der Frage der Prävention aktiv. Es gibt eine Broschüre, in der Sie das Präventionskonzept dieser Legislaturperiode nachlesen

können – von der Sturzprävention für ältere Menschen über die Frage übergewichtiger Kinder hin zu vielen anderen Punkten. Ich weiß gar nicht, warum ich dem Landtag andauernd diese Informationen zuschicke, wenn Sie sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Aber man kann zuschicken, was man will – wenn jemand das nicht zur Kenntnis nehmen will, nimmt er es eben nicht zur Kenntnis.

Ist eigentlich völlig vergessen, dass wir im Gesundheitssystem eine Situation haben, die zunehmend zu einer Zweiklassenmedizin führt, und zwar deswegen, weil über Jahre das Finanzierungsproblem des medizinischen Fortschritts in der Bundesrepublik Deutschland nicht gelöst worden ist?

(Beifall von der CDU)

Das ist einfach eine Wahrheit. Es ist doch wahr, dass wir in vielen Bereichen diese Mangelverwaltung haben, weil wir budgetieren, budgetieren und nochmals budgetieren. Zwar schreiben wir alle zusammen in die Gesetze, dass jeder Mensch jede medizinische Leistung bekommt. Als Staat ducken wir uns dann aber weg und lassen die Ärzte alleine vor der Frage stehen, dies mit Budgets irgendwie sicherzustellen.

(Beifall von CDU)

Deswegen wehre ich mich ernsthaft dagegen – darüber werden wir uns in den nächsten Wochen sicherlich noch unterhalten –, dass jede Überlegung, beim Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland auch über neue Finanzierungsquellen für die Finanzierung des medizinischen Fortschritts nachzudenken, von vornherein als unsozial dargestellt wird.