Protokoll der Sitzung vom 24.03.2010

Deswegen wehre ich mich ernsthaft dagegen – darüber werden wir uns in den nächsten Wochen sicherlich noch unterhalten –, dass jede Überlegung, beim Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland auch über neue Finanzierungsquellen für die Finanzierung des medizinischen Fortschritts nachzudenken, von vornherein als unsozial dargestellt wird.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich weiß nur: Es ist das Unsozialste in einem Gesundheitssystem, wenn es in diesem Land in stärkerem Maße eine Zweiklassenmedizin gibt. Das ist das Unsozialste, was passieren kann.

(Beifall von CDU und FDP)

Da wir uns auch bei der Honorierung der Ärzte in der gegenwärtig nun einmal bestehenden Situation befinden, haben wir in bestimmten Regionen unseres Landes, in denen der Anteil der Privatversicherten niedrig ist, ernsthafte Probleme, noch niederlassungswillige Ärzte zu finden. Oder entgeht Ihnen etwa völlig die Realität in den ländlichen Gemeinden des Sauerlandes, im Kreis Borken oder im Kreis Kleve? Entgeht Ihnen völlig die Realität in Ostwestfalen-Lippe, wenn es darum geht, junge Ärzte in den Kreis Höxter zu holen? Entgeht Ihnen das wirklich alles völlig?

(Beifall von CDU und FDP)

Der Grund dafür, dass die jungen Ärzte nicht dorthin gehen, liegt nicht etwa darin, dass sie von vornherein etwas gegen die jeweilige Region hätten, sondern darin, dass sie unter der Budgetierung von Ulla

Schmidt – und im Übrigen auch unter dem Verhalten der Kassenärztlichen Vereinigungen – nicht wissen, wie sie eine Landarztpraxis noch aufbauen und solide finanzieren sollen!

(Beifall von CDU und FDP)

Ich halte es schon für eine Zweiklassenmedizin, wenn die Ärzte in den Städten, wo der Anteil der PKV-Versicherten hoch ist, vorhanden sind, während wir auf dem Land, wo der Anteil der PKVVersicherten logischerweise wesentlicher niedriger ist, kaum noch eine ärztliche Versorgung hinbekommen.

(Beifall von der FDP)

Ich sage Ihnen: Laumann sorgt dafür, dass die Landbevölkerung genauso versorgt wird wie die Stadtbevölkerung. Das werden wir auch in den nächsten Jahren hier durchsetzen.

(Beifall von CDU und FDP)

Jetzt will ich einmal ganz ruhig zu der nächsten Frage kommen. Wie ich gehört habe, wird man irgendwann nach Ostern bei Ihnen gegen eine Kopfpauschale unterschreiben können. Ich weiß gar nicht, wofür Sie diese Unterschriften sammeln. Von der Regierung in Berlin wird es keine Kopfpauschale geben; denn wir werden an der beitragsfreien Mitversicherung von nicht berufstätigen Ehegatten festhalten, und wir werden daran festhalten, dass die Kinder ohne eigene Beiträge in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind.

(Beifall von der CDU)

Wir waren auch die Regierung, die durch den Einsatz erheblicher Steueranteile im Gesundheitswesen die ersten Schritte dahin gemacht hat, dass Kinder nicht nur über Beitragszahler finanziert werden, sondern auch über Steuern, sodass auch diejenigen mit zu ihrer Finanzierung beitragen müssen, die gar nicht Mitglied des GKV-Systems sind. Das ist mehr Solidarität und nicht weniger Solidarität.

(Beifall von CDU und FDP)

Bei Ihnen wäre in dieser Frage nämlich nichts anderes passiert als eine knallharte Beitragserhöhung – und das in der aktuellen Wirtschaftskrise!

(Beifall von CDU und FDP)

Sie müssen es doch auch wissen, wenn Sie sich etwas mit Politik beschäftigen – und das sollte man schon tun, wenn man hier bezahlt wird. Zur Beschäftigung mit Politik gehört nämlich auch die Erkenntnis von Realitäten und Zusammenhängen.

(Beifall von CDU und FDP)

Da gibt es noch eine Sache. Schauen Sie sich schlicht und ergreifend einmal die Preissteigerung bei Arzneimitteln an. Sie betrug in den letzten zehn Jahren 65 %. Übrigens haben Sie neuneinhalb Jah

re davon die Gesundheitsminister auf Bundesebene gestellt.

Dazu nur ein Beispiel: Es ist doch nicht wahr, dass diese Steigerungen entstanden sind, weil wir alle zu viele Medikamente nehmen und weil wir eine Entwicklung bei den Preisen haben, die ganz furchtbar ist. Das spielt bei einem kleinen Teil eine Rolle. Jetzt ist Herr Rösler ja auch dabei, das einzufangen. – Der entscheidende Punkt, warum wir diese Ausgabensteigerung bei den Medikamenten gehabt haben, meine Damen und Herren, ist doch, dass wir – Gott sei Dank – einen gewaltigen medizinischen Fortschritt bekommen haben.

(Beifall von der CDU)

In der letzten Sitzungswoche – viele von Ihnen waren mit dabei – haben wir im nordrhein-westfälischen Landtag eine Feierstunde für 25 Jahre Aids-Hilfe gehabt. Warum war denn kein einziges Mitglied der Aids-Hilfe dabei, das vor 25 Jahren zu den Gründungsmitgliedern gehört hat? Weil damals Aids eine Krankheit war, die zum Tode führte.

(Frank Sichau [SPD]: Es waren doch welche da!)

Die Aids-Hilfe ist am Anfang – das haben wir alles noch einmal gehört, es ging einem wieder richtig auf, weil man die Zeit auch bewusst miterlebt hat – eher gegründet worden, um Menschen, die am Rande der Gesellschaft standen – das war ein gesellschaftliches Problem –, die aber vor allem krank waren, die pflegebedürftig waren, ein Stück soziale Unterstützung zu geben.

Dass Aids heute eine Krankheit ist, die nach wie vor schlimm ist, bestreitet niemand. Aber dass wir aufgrund von medizinischem Fortschritt in der Lage sind, dass diese Menschen heute damit eine erheblich längere Lebensperspektive haben, ist doch ein Segen. Aber, meine Damen und Herren, das kostet nun einmal im Gesundheitswesen Geld. Und dieses Geld muss zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall von der CDU)

Gucken Sie sich die Entwicklung bei den Krebserkrankungen an! Wir sind in der Frage der Heilung gar nicht so viel besser geworden. Aber die Zeitspanne, wie lange man mit einer solchen Krankheit in vielen Fällen mit einer hohen Qualität leben kann, hat mit Fortschritten bei Medikamenten zu tun. Sie wissen, dass wir hier oft über eine Medikation von tausend und mehr Euro im Monat reden. Das muss ein Gesundheitswesen zur Verfügung stellen.

Deswegen sind CDU und FDP der Meinung, dass wir diesen medizinischen Fortschritt nicht alleine auf die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze abwälzen können, so wie wir das Gesundheitssystem in Deutschland seit 135 Jahren über dieses Arbeitsverhältnis am meisten und fast ausschließlich finanzieren.

Die Wahrheit ist – ob wir regiert haben oder ob Sie regiert haben, ich war lange dabei in Berlin, ich habe unterschiedliche Gesundheitsreformen erlebt, es gab auch welche, die man zusammen gemacht hat –, die Wahrheit ist, dass wir manche Budgetierungen gemacht haben, weil wir uns aus wirtschaftspolitischen Gründen eine Steigerung der Lohnnebenkosten nicht erlauben wollten. Auch dass wir die Parität nicht mehr haben, im Übrigen von Rot-Grün beschlossen, hat mit dieser Frage zu tun.

(Helmut Stahl [CDU]: So ist es!)

Das kritisiere ich ja gar nicht. Aber dass man in einer Regierungskommission in Ruhe am Anfang einer neuen Regierung überlegt, ob man es unbürokratisch schaffen kann, dass man auch neuere Finanzierungsquellen für das Gesundheitssystem findet, ohne eine riesige Bürokratie auszulösen, wobei die alten Grundsätze gelten -Gesunde zahlen für Kranke, Stärkere zahlen für Schwache mit, und vor allen Dingen, alle Menschen haben einen Anteil am medizinischen Fortschritt –, halte ich für richtig, für verantwortungsbewusst und in dieser Zeit für eine notwendige und gebotene Maßnahme im Gesundheitssystem.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])

Wenn Sie nicht für diese Finanzierungsquellen sorgen, dann ist alles das, was Sie sich an medizinischer Versorgung wünschen, in Wahrheit Schall und Rauch. Es glaubt Ihnen nämlich niemand mehr, dass man in die Gesetze reinschreiben kann, ihr bekommt jede medizinische Leistung, wenn man auf der anderen Seite Ärzte beauftragt, Budgetierungen vorzunehmen und dann mit ihrem Gewissen alleine zu verantworten, was es noch an medizinischen Leistungen gibt.

Deswegen bin ich ganz entschieden dafür, dass wir diesen Weg weitergehen. Wir müssen den Weg einer engeren Verzahnung von ambulant und stationär weitergehen, um auch da Wirtschaftlichkeitsreserven zu nutzen.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Das kann doch nicht so aussehen, dass wir den Krankenhäusern im ambulanten Bereich jede Ermächtigung zur Behandlung geben. Denn wir haben in Deutschland auch Fachärzte im niedergelassenen Bereich. Man muss so etwas auf Ausnahmen beschränken. Das ist nun einmal unser deutsches System.

Ich möchte im Übrigen nicht, dass es dazu kommt, dass es nur noch angestellte Ärzte gibt. Es ist wichtig, dass wir eine Politik machen, bei der wir die medizinischen Versorgungszentren in Trägerschaft von Krankenkassen oder Pharmakonzernen nicht wollen. Wir wollen, dass der Arzt freiberuflich und unabhängig bleibt. Ich möchte, wenn ich krank werde, vom Arzt einen Rat bekommen und in ein Kran

kenhaus gehen, bei dem ich weiß, dass er an diesem Krankenhaus finanziell nicht beteiligt ist. Deswegen sind unsere Entscheidungen in dieser Frage zukunftsweisend und richtig.

(Beifall von CDU und FDP)

Natürlich möchte ich auch ein Gesundheitssystem, bei dem wir nicht nur nach dem Markt rufen. Der kranke Mensch ist ein hilfesuchender Mensch, vor allen Dingen, wenn er schwer krank ist, und kein normaler Marktteilnehmer. Deswegen muss es den Auftrag des Staates in der Gesundheitspolitik geben, und den muss der Staat am Ende auch durchsetzen können, auch dann, wenn das die Selbstverwaltung des Gesundheitswesens schlecht macht: nämlich, dass wir in anderen Regionen unseres Landes, sowohl was den stationären Bereich wie den ambulanten Bereich angeht, eine exzellent gute Versorgung haben. Und das muss Schwerpunkt einer Krankenhausplanung sein.

Aber man muss innerhalb dieser Krankenhausplanung auch nicht die letzte Detailstation planen, das letzte Bett planen, sondern man muss dann auch bestimmte Patientenströme und Entwicklungen zulassen, bei denen sich ein Krankenhaus stärker entwickeln kann als andere, weil das auch mit Qualität zu tun hat. In diesem Rahmen wünsche ich mir auch unter Krankenhäusern einen gewissen stärkeren Wettbewerb, als wir ihn in der Vergangenheit hatten.

(Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])

Deswegen ist vielleicht auch Ihr Antrag und diese Debatte so zu verstehen: Ich weiß sehr genau, dass wir in diesem Gesundheitssystem weder bei den niedergelassenen Hausärzten noch bei den niedergelassenen Fachärzten – trotz aller Probleme, die wir gerade in Nordrhein-Westfalen mit der Honorarsituation haben, die nicht politisch, sondern von der Selbstverwaltung zu verantworten sind –, aber auch in der Krankenhausszene niemanden finden, der sich wirklich wünscht, dass in diesem Land ein Bündnis aus Kommunisten, SPD und Grünen die Gesundheitspolitik bestimmt. Denn das wäre das Ende einer freiheitlichen Gesundheitspolitik.

(Anhaltender lebhafter Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Als nächste Rednerin spricht für die SPD Frau Kollegin Howe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Herr Laumann ist immer für ein gutes Statement gut, vor allen Dingen zum Abschluss.

(Beifall von CDU und FDP)