Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/869 und der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Drucksache 14/879 sollen federführend an den Hauptausschuss und mitberatend an Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie, an den Ausschuss für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales überwiesen werden. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es Widerspruch gegen diese Überweisungsempfehlung? – Das ist nicht der Fall. Stimmenenthaltungen? – Auch nicht. Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf:

3 Hintergrund und Konsequenzen der Stromausfälle im Münsterland

Unterrichtung durch die Landesregierung

Die Landesregierung hat mit Schreiben vom 6. Dezember 2005 gebeten, eine Unterrichtung zu dem genannten Thema in die Tagesordnung aufzunehmen. Das haben wir selbstverständlich getan.

Ich weise auf den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 14/923 hin und bitte Frau Ministerin Thoben, uns zu unterrichten.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man in den letzten Tagen die Presse las, kamen immer wieder Hinweise darauf vor, dass mit der technischen Sicherheit unserer Stromleitungen vielleicht doch einiges im Argen liegt. Dieses Thema ist nicht zuletzt als Konsequenz aus den Vorfällen im Münsterland von vielen Beteiligten und auch von weniger Beteiligten aufgegriffen worden.

Ich möchte diesen Bericht zunächst nutzen, um all denen zu danken, die vor Ort geholfen haben, in den schwierigen Tagen möglichst schnell den Weg zurück in die Normalität zu finden.

(Allgemeiner Beifall)

Die Situation vor Ort ist entschärft. Jetzt geht es darum, das Geschehen aufzuarbeiten, um zukünftige Schäden zu vermeiden.

Lassen Sie mich nur kurz noch einmal die Daten nennen. Am 25. November setzte starker und sehr ergiebiger Schneefall ein. Ungünstige Temperaturen führten zusammen mit erheblichen Winden zur Eisbildung an Leitungen. Es kam zum

Ausfall und zu nachhaltigen Störungen in der Stromversorgung insbesondere in den Kreisen Borken, Coesfeld und Steinfurt.

In 25 Gemeinden im westlichen Münsterland fiel die Stromversorgung mehrere Tage lang aus. 250.000 Einwohner waren betroffen. Bei der Landesregierung und den örtlichen Behörden wurden Krisenstäbe eingerichtet. Soweit heute rückblickend erkennbar, haben diese koordiniert und erfolgreich zusammengearbeitet. Das Wirtschafts- und Energieministerium war in die Schadensermittlung und die Begleitung der Reparaturen von Anfang an eingebunden.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Status der Stromversorgung und zur weiteren Entwicklung: Schon am 26. November zeichnete sich ab, dass die Stromversorgung nicht überall kurzfristig wieder herstellbar war. Seit der Zuschaltung insbesondere anderer Versorgungsleitungen war die Versorgung bis auf Einzelmaßnahmen in der Mittel-/Niederspannungslast zwar gesichert, allerdings blieben einige Teilbereiche noch länger problematisch und nur durch Notstrom versorgt.

Wir müssen jetzt die Frage klären, wie diese Situation entstehen konnte und wie wir sie künftig vermeiden.

Das Wirtschafts- und Energieministerium hat nach dem Energiewirtschaftsgesetz die aufsichtsrechtlichen Zuständigkeiten. Die technischen Anforderungen an die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Energieversorgung werden in § 49 geregelt. Das Gesetz sieht jedoch keine präventive Verpflichtung der Behörde, sondern sieht primär die Eigenverantwortung der Versorgungsunternehmen.

Die eigentliche Kontrolle, ob die technische Sicherheit von Energieleitungen auch nach der Errichtung gewährleistet ist, wurde bewusst als allgemeine Überwachungsaufgabe geregelt, ohne dass im Gesetz periodische Überprüfungen vorgeschrieben sind oder sonstige Vorgaben für die Wahrnehmung der Aufsicht gemacht werden.

Meine Bewertung: Das ist eine Lücke. Dies macht deutlich, dass der Gesetzgeber, aus welchen Gründen auch immer, die primäre Verantwortung für die technische Sicherheit beim Unternehmen gesehen hat. Die Energieaufsicht wird dementsprechend tätig, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die gesetzlichen Anforderungen nicht eingehalten werden. Die Frage, ob „Spiegel“Berichte zu Anhaltspunkten gehören, will ich vorsorglich einmal gestellt haben.

Im Strombereich hat es, so die damalige Einlassung der Landesregierung, denn sie wurde nicht

tätig, solche Anhaltspunkte nicht gegeben. Es gab weder seitens des Unternehmens noch vonseiten Dritter Hinweise darauf – so wurde das gesehen -, dass die technische Sicherheit nicht gegeben sein könnte.

Wir wollen aber die Sichtung dieser Zuständigkeiten neu überprüfen. Aufgrund des Artikels im „Spiegel“ vom 5. Dezember wurden Hinweise auf mögliche Materialprobleme der Masten in die öffentliche Diskussion gebracht. Ich habe noch am gleichen Tag schriftlich weitere Fragen an RWE gestellt. RWE hat mir am 8. Dezember eine umfangreiche Dokumentation übergeben. Inzwischen ist öffentlich geworden, dass es bereits im Jahre 2003 einen „Spiegel“-Artikel gab, der auf Materialprobleme abhob. Des Weiteren ist über die Presse bekannt geworden, dass im Jahre 1994 das Materialprüfungsamt bei einer kleineren Maßnahme eingeschaltet war.

Meine Damen und Herren, ich will die Wettersituation nicht noch einmal beleuchten, aber deutlich sagen, dass für mich als Energieaufsichtsbehörde weder die Informationspolitik noch die rechtliche Zuständigkeit für die technische Leistungsfähigkeit der Anlage hinreichend ist. Deshalb habe ich der Wirtschaftsministerkonferenz eine Entschließung vorgelegt, die gestern Abend mit 16:0 angenommen worden ist. Ich möchte sie Ihnen im Wortlaut vortragen, weil sie vielleicht für unsere weitere Beratung hilfreich sein könnte.

„Die Wirtschaftsministerkonferenz unterstreicht angesichts der mehrtägigen Stromausfälle im Münsterland die Verantwortung der Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber, die

Versorgungssicherheit durch ein technisch sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Elektrizitätsversorgungsnetz zu gewährleisten und

Netzausfälle, die auch bei Beachtung dieser Anforderungen nicht vermieden werden können, so schnell und wirksam wie möglich zu beheben.

Sie betont, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Netzentgelte die Netzbetreiber in die Lage versetzen, ihre Betreiberpflichten uneingeschränkt zu erfüllen. Die Regulierungsbehörden werden der Notwendigkeit einer hohen Sicherheit und Zuverlässigkeit der Stromversorgung unbeschadet des Ziels niedriger Netznutzungsentgelte durch eine höhere Kosteneffizienz Rechnung tragen.

Auch wenn die Ursachen für die Stromausfälle im Münsterland im Einzelnen noch der Aufklä

rung bedürfen, gibt das Ausmaß der Netzausfälle Anlass zu einer Prüfung, wie die Wirksamkeit der Aufsicht über die technische Sicherheit der Elektrizitätsversorgungsnetze in Verbindung mit der brancheneigenen technischen Netzsicherheitsorganisation noch erhöht werden kann. Zu vermeiden sind Bürokratieaufbau, höhere Netzkosten und ein zusätzlicher staatlicher Personalaufwand, die außer Verhältnis zur Sicherheitsverbesserung stehen.“

So weit zum Wunsch der SPD nach einem TÜV.

„Die Wirtschaftsministerkonferenz beauftragt vor diesem Hintergrund den Arbeitskreis Energiepolitik, ihr bis zur nächsten Sitzung unter Beteiligung sowohl der Energieaufsicht als auch der Regulierungsbehörden einen Bericht zu der Frage vorzulegen, ob und auf welche Weise die Wahrnehmung der Aufsicht über die Energienetze wirksamer gestaltet werden kann.“

Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Wir haben in Nordrhein-Westfalen Strommasten aus ganz verschiedenen Jahren und Jahrzehnten. Es bleibt für mich die Frage, warum frühere Landesregierungen – dabei handelte es sich nach den ersten Erkenntnissen um Wirtschaftsminister wie Einert, Clement, Steinbrück, Schwanhold und Horstmann –, egal was berichtet wurde, keinerlei Fragen hatten. Ich habe sie. Die Wirtschaftsministerkonferenz hat gestern mit 16:0 beschlossen, dass sie aufgrund der Vorfälle auch diese Lücke sieht und helfen wird, an deren Überwindung beziehungsweise Schließung zu arbeiten.

(Beifall von der CDU)

Herr Adamowitsch war gestern in der Wirtschaftsministerkonferenz. Er kennt ja auch einigermaßen die Verhältnisse hier im Land. Er hat gestern für die Bundesregierung vorgetragen, man habe geglaubt, dass mit der Einrichtung der Bundesnetzagentur, die ja im Rhythmus von zwei Jahren eine Berichterstattungspflicht der Energieversorger vorsieht, diese Frage ausreichend beantwortet sei, und man darauf hoffen könne, dass die Elemente, die hier jetzt als Sicherheitsproblem oder mangelnde, unzulängliche Information aufgetaucht seien, behoben seien. Dem sind die anderen Landeswirtschaftsminister nicht gefolgt.

Ich kann Ihnen versprechen: Mir liegt die technische Sicherheit nicht nur am Herzen, sondern ich werde auch meinen ganzen Verstand dafür einsetzen, dass wir auf diesem Gebiet vorankommen. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, Sie haben die Unterrichtung gehört.

Wir kommen nun zur Aussprache. Als erster Redner hat der Abgeordnete Römer von der SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, vielen Dank für diesen Bericht. Ich erinnere daran, dass dieser Bericht auch deshalb möglich geworden ist, weil die SPDLandtagsfraktion eine Sondersitzung der beiden zuständigen Ausschüsse, nämlich Wirtschaftsausschuss und Innenausschuss, nicht nur beantragt,

(Beifall von der SPD)

sondern auch gegen den hinhaltenden Widerstand aus den Regierungsfraktionen, eine Debatte im Ausschuss möglichst zeitnah stattfinden zu lassen, durchgesetzt hat.

Frau Ministerin, ich möchte auf den einen oder anderen Punkt in Ihrem Bericht eingehen, um die Diskussion in dieser Angelegenheit nach vorne zu bringen. Es geht – ich halte das noch einmal ausdrücklich fest – vor allem darum, dass wir aus dem lernen, was im Münsterland passiert ist, und zwar mit dem Blick nach vorne gerichtet, aber auch selbstverständlich in Kenntnis dessen, was bisher der Fall gewesen ist. Es geht darum, erstens feststellen zu können – Gutachter sind entsprechend beauftragt worden –, ob die Vorsorge und die Sicherheit von Netzen und Leitungen, von Masten in einem Maße gegeben waren, dass man davon ausgehen konnte, es könne zu solchen Vorkommnissen nicht kommen.

Es gibt die Erklärung, dass es sich dabei um ein Wettereignis von außergewöhnlicher Bedeutung handele, das sonst so nicht vorkomme. Das werden wir sehen. Wir werden das prüfen.

Es geht zweitens darum, wie die Schadensbehebung und die Schadensbegrenzung abgelaufen sind. War RWE ausreichend vorbereitet? Wurde mit einer Geschwindigkeit und Intensität gehandelt, die in einem solchen Fall notwendigerweise an den Tag gelegt werden muss?

Drittens. Wie verhält es sich mit dem Schadensausgleich? Jenseits von Haftungsfragen hat das Unternehmen einen Härtefallfonds im Rahmen der Vorgaben des Gesetzgebers eingerichtet. Wir glauben, dass so etwas in Zukunft auch auf Bundesebene – unter Aufsicht der Bundesnetzagentur und gespeist aus den Stromversor

gungsunternehmen – eingerichtet werden sollte, weil man solche Fälle nicht ausschließen kann.

Viertens. Was lernen Politik und Unternehmen aus diesem Vorkommnis? Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, den die Ministerin gerade mit Blick auf die Wirtschaftsministerkonferenz vorgetragen hat: Wir sind der festen Überzeugung, dass die Sicherheit der Versorgung nicht nur bei Leitungen und bei der Verteilung, sondern auch insgesamt für die Energiewirtschaft und für die Energieversorgung von entscheidender Bedeutung ist.

Ich will mit Blick auf die beiden Regierungsfraktionen deutlich machen: Das gilt im Übrigen für die gesamte Bereitstellung von Energie – auch für die Erzeugung. Ich bin sehr gespannt, wie wir mit Blick auf die energiepolitische Diskussion zueinander finden. Wir reden – auch Sie, Frau Ministerin haben das in Ihrem Bericht gerade getan – zu Recht von folgenden Fragen: Wer prüft? Wie reguliert die Aufsichtsbehörde in einem solchen Prozess? Hat sie eine Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen?

Ich will darauf hinweisen, dass die Bundesnetzagentur im nächsten Jahr mit dem beginnen kann, was wir Anreizregulierung nennen. Gerade die Sozialdemokraten haben in diesem Prozess der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes – im Übrigen waren die Grünen und vor allen Dingen die CDU-regierten Bundesländer im Bundesrat anderer Meinung – sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Bundesnetzagentur mit diesem Instrument bei der Steuerung von Investitionen eine Möglichkeit hat, besser auf Sicherheit hinzuwirken, als es allein unter den Gesichtspunkten von Kosteneffizienz und von Liberalisierung möglich ist.