Unsere Diskussionen mit dem Unternehmen waren sachlich pointiert, vernünftig und auf keinen Fall unfair – jedenfalls nicht von der parlamentarischen Seite aus. Dann kann es auch nicht sein, dass einem jemand gegenübersitzt, der sagt: „Die Erkenntnisse aus den Jahren 2000 und 2003 stehen im „Spiegel“, der auf verifizierbare Quellen zurückgreift; das können wir nicht bestreiten“, aber von 1994 fällt kein Wort.
Dann aber hört man: Das Landesamt für Materialprüfung hat 1994 Proben von 19 Strommasten, die in Bayern zusammengebrochen waren, untersucht. Das Ergebnis soll gewesen sein, dass auch damals Sprödbrüche vorgelegen haben, dass diese Masten aus dem sogenannten Thomasstahl gebaut waren. Das heißt: Das Problem war seit 1994 bekannt. Deshalb hätten an der Stelle viel eher Konsequenzen folgen müssen. Es kann doch nicht sein, dass ein Unternehmen, das 27.000 Masten aus diesem sprödbruchgefährdeten Stahl hat, 2003 – mit neun Jahren Verzöge
Das ist eine grundsätzliche Frage: Bei einem Stahl, der bis 1965 eingesetzt worden ist, der von seiner Zusammensetzung her stärker stickstoffhaltig ist und das Sprödbruchrisiko beinhaltet, der deswegen nicht geschweißt werden kann, sondern in der Regel genietet ist, muss ich, wenn ich die Erkenntnis habe, dass da etwas systematisch falsch ist, auch systematisch herangehen. Diesen Vorwurf kann man dem Unternehmen in aller Deutlichkeit machen: Sie haben es seit 1994 gewusst, das Landesamt für Materialprüfung hat das untersucht, und es hat nicht zu Konsequenzen geführt.
Warum dieses Amt – das ist eine Landeseinrichtung, die dem Energieministerium untersteht – das nicht an die Landesregierung gemeldet hat, ist für mich auch nicht nachvollziehbar. Normalerweise hätte man es, auch wenn man Aufträge für Dritte macht, melden müssen, wenn man Sachverhalte erkannt hat, die ein Risikopotenzial beinhalten.
Ich kann mich an Diskussionen erinnern, in denen Frau Künast dafür kritisiert worden ist, dass ein Labor, das unter ihrer Zuständigkeit stand, Proben für einen Nahrungsmittelkonzern untersucht und die Ergebnisse nicht nach Berlin gemeldet hat. Dazu gab es eine breite kritische Debatte. Die Meldung des Amtes an das Ministerium hätte man also erwarten können.
Deswegen übe ich eindeutig Kritik am Unternehmen. Der Umgang mit dem Parlament, dem das alles noch am Freitag verheimlicht worden ist, ist nicht korrekt. Die Erkenntnisse hätten uns auf den Tisch gelegt werden müssen.
Die Ministerin muss jetzt immer einen Tag später morgens in den Pressespiegel gucken und zusehen, bis mittags die nächste Anfrage an das Unternehmen gerichtet zu haben. So stellt man sich Regierungspolitik nicht vor. Dieses Verhalten ist auch für das Parlament nicht akzeptabel.
Deshalb liegt ein Arbeitsprozess vor uns. Der heißt ganz klar: Als Allererstes muss Transparenz in der Sache her. Wir brauchen dabei nicht aufgeregt zu sein. Aber dieses Vorgehen kann nicht akzeptiert werden. Vermutlich waren in dem Ordner, den das Unternehmen am Donnerstag übergeben hat, auch keine Berichte über die Untersuchung von 1994. Das heißt, Sie laufen jetzt wieder hin und sagen: Ich muss das wissen, ich muss einschätzen können, was da los ist.
Gleichzeitig müssen wir aber auch die anderen im Land tätigen Unternehmen fragen: Gibt es bei euch auch Risikopotenzial?
Ich habe im Ausschuss gesagt: Wenn an meinem Kraftfahrzeug etwas kaputt ist und ich den Hinweis habe, dass an meinem Auto gravierende technische Mängel sind, und ich dann zum TÜV gehe und sage: „Ich mache einen Sanierungsplan bis 2015“, dann fragt der TÜV mich, ob ich noch ganz bei Sinnen bin. Das kann bei RWE nicht anders sein. Es muss technisch schneller möglich sein. Man muss mit dem Unternehmen reden, die Sanierung schneller durchzuführen.
Als nächsten Punkt möchte ich den Ersatz der entstandenen Schäden ansprechen. RWE hat einen 5-Millionen-Fonds angeboten. Aber nach allem, was wir wissen, reicht das bei weitem nicht aus. Da geht es nicht darum, dass man jedem, der von dem Stromausfall betroffen war, eine kleine Entschädigung von vielleicht 35 € gibt. Wir meinen belegbare und deutliche Vermögensschäden, die in Betrieben und in Haushalten beim Abschalten und Wiederanfahren der Netze entstanden sind. Dafür muss das Unternehmen aus unserer Sicht stärker aufkommen, als es das bisher angeboten hat. Auch darüber sollten wir mit dem Unternehmen reden. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Priggen, Sie haben bei den Ausführungen zu Ihrem Entschließungsantrag die Geschäftsordnung angesprochen. Auch wir können sie jetzt nicht ändern. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass wir einem dreiseitigen Antrag, den wir während dieser Debatte erhalten, nicht einfach zustimmen können. Wir müssen ihn deshalb ablehnen.
Ich denke, dass wir seit den Ausschussberatungen in der vergangenen Woche am Beginn der Debatte stehen, dass uns dieses Thema sicherlich die nächsten Wochen und Monate – wenn nicht sogar Jahre – weiter beschäftigen wird.
Herr Römer, Sie sprachen den Termin der Ausschusssitzung an. Die Terminprobleme lagen nicht bei mir, sondern bei anderen Ausschussmitgliedern, auch aus Ihrer Fraktion. Im Nachhinein muss ich aber ehrlich sagen, dass die Sitzung – 14 Tage nach dem Schneechaos – aus meiner Sicht zum richtigen Zeitpunkt stattgefunden hat; denn da konnte in den Ausschüssen bereits ausführlich berichtet werden. Das wäre eine Woche zuvor – wie von Ihnen gewünscht – sicherlich nicht der Fall gewesen. Versäumnisse kann ich insofern nicht erkennen.
Ich würde mir wünschen, dass Sie mit der Mähr aufhören, der Innenminister habe behauptet, alle Kabel müssten unter die Erde gelegt werden. Das hat er nie gesagt. Er hat wohl gesagt – jetzt hören Sie einmal genau zu! –, dass man auch überlegen muss, ob es in einigen Bereichen sinnvoll ist, entsprechende Kabel unterirdisch zu verlegen. Auch das ist sicherlich ein Prüfauftrag, der – da ist gerade auch der Stromversorger gefragt – bei der weiteren Behandlung der Problematik berücksichtigt werden muss.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich seitens der FDP-Fraktion auch all jenen Kräften danken, die im Münsterland wirklich unermüdlich mitgeholfen haben, um der Katastrophe Herr zu werden. Wir haben eine Vielzahl ehrenamtlicher Kräfte gehabt. Was mich besonders gefreut hat, war die große Welle der Solidarität im Münsterland, wo wirklich jeder dem anderen geholfen hat und zur Hand gegangen ist, wo die Sorgen des anderen weit mehr im Vordergrund standen als die eigenen.
Wir haben im Land das KatastrophenschutzEhrenzeichen-Gesetz. Ich rege an, hier regen Gebrauch davon zu machen und den Kräften zumindest diese kleine Würdigung zukommen zu lassen, die wir dafür vorgesehen haben.
82 Strommasten sind wie Streichhölzer umgeknickt. 25 Gemeinden waren längerfristig ohne Strom, einige Menschen sogar über sechs Tage lang. Das ist sicherlich Grund genug dafür, dass wir uns heute hier damit beschäftigen.
Man muss im Nachgang aber auch ganz klar sagen – das bestätigen ja auch die Meteorologen –, dass eine solche Wetterlage in über 100 Jahren nicht vorgelegen hat und dass wir durch diese Wettersituation eine extreme Last auf den Stromleitungen hatten. Während auf den Stromleitungen bisher eine Eislast von 2 cm im Radius um das Seil als Grundlage diente, hatten wir hier mit dem 15fachen zu tun. Das macht deutlich, welche
Ich möchte auch mit der Legendenbildung aufhören, die Stromausfälle seien nur in Deutschland zutage getreten. Nein: Auch in den Niederlanden und in Belgien hatten wir umfangreiche Stromausfälle. So waren im Versorgungsbereich des niederländischen Essent rund 40.000 Menschen bis zu 50 Stunden nicht versorgt. In einer weiteren Region, in Hulst, waren rund 30 Menschen einen ganzen Tag lang ohne Strom. Das erwähne ich nur, um zu verdeutlichen, dass dieses Problem nicht allein in Nordrhein-Westfalen aufgetreten ist.
Vor dem Hintergrund dieser Jahrhundertwetterlage sind auch die Haftungsfragen und mögliche Schadenersatzansprüche zu bewerten. Nach der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden haften die Elektrizitätsversorgungsunternehmen bei Versorgungsstörungen nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Sind die Stromausfälle allein einem Naturereignis zuzuschreiben, wird weder den örtlichen Stadtwerken noch dem Vorlieferanten RWE ein Verschulden in Form des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit unterstellt werden können. Derartige Ereignisse fallen üblicherweise unter höhere Gewalt und liegen außerhalb jeglicher Verschuldenszurechnung.
Anders zu beurteilen wäre die Haftungsfrage dann, wenn sich herausstellen sollte, dass RWE die betroffenen Leitungen nicht ordnungsgemäß errichtet oder gewartet haben sollte, das heißt, wenn die hier maßgeblichen rechtlichen und technischen Vorgaben nicht beachtet worden sein sollten. Auch hier sollte man sich jedoch mit Vorfestlegungen zurückhalten.
Die Tatsache, dass nicht nur Masten aus Thomasstahl eingeknickt sind, sondern auch andere, neuere Masten oder auch Betonmasten, macht deutlich, dass das Problem nicht allein auf diese Problematik zurückzuführen ist.
Daher ist es meines Erachtens für abschließende Festlegungen, welche gegebenenfalls auch gesetzgeberische Konsequenzen nach sich ziehen, zum jetzigen Zeitpunkt zu früh. Trotzdem möchte ich einige Punkte anführen, die aus meiner Sicht hier angesprochen werden müssen.
Es ist zu begrüßen, dass RWE ungeachtet der ungeklärten Haftungsfrage einen Härtefallfonds in Höhe von 5 Millionen € eingerichtet hat. Angesichts der Schadenshöhe von weit über 100 Millionen € sollte RWE über die finanzielle Ausstattung des Fonds aber noch einmal nachdenken. Auch im eigenen Interesse sollte das Unternehmen den
Eindruck vermeiden, der Fonds sei reine Symbolik oder er sei nur deshalb mit 5 Millionen € ausgestattet worden, weil die Haftung in diesem Fall exakt auf die gleiche Summe begrenzt ist.
Auch muss RWE aus unserer Sicht alle Anstrengungen unternehmen, um das Mastensanierungsprogramm zu beschleunigen. Die bisherigen Planungen, die Thomasstahlträger bis zum Jahr 2015 zu sanieren, sind auch nach unserer Meinung nicht besonders ehrgeizig.
Nicht ohne Folgen darf auch die Desinformationspolitik von RWE bleiben. Bereits im Jahr 2000 waren dem Konzern bei der Verwendung von Thomasstahl für Hochspannungsmasten Materialmängel bekannt. 2001 wurde ein Sanierungsprogramm beschlossen, das im Jahr 2003 beschleunigt wurde und ein Volumen von 550 Millionen € umfasst. Seit gestern wissen wir, dass RWE bereits 1994 Informationen darüber vorlagen, dass der Zusammenbruch von 19 Strommasten auf der Hochspannungsstrecke Vöhringen–Füssen auf verminderte Bruchkräfte des Maststahls zurückzuführen war.
Doch vor dem Stromnetzausfall am 25. November hatte es RWE zu keiner Zeit für nötig befunden, die Aufsichtsbehörden, geschweige denn die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Das muss geprüft werden. Der Stromversorger muss sicherstellen, dass zukünftig weitaus frühzeitiger berichtet wird. Dies ist ja auch Teil des neuen Energiewirtschaftsgesetzes.
Meine Damen und Herren, damit bin ich bei dem Punkt, der die Politik betrifft. Wir sollten vermeiden, im vorauseilenden Gehorsam neue Forderungen aufzustellen, und erst einmal schauen, was derzeit möglich ist. Das neue Energiewirtschaftsgesetz ist erst im Juli in Kraft getreten. Das bedeutet, dass eine Vielzahl der Maßnahmen, die dort beschrieben werden, bis heute nicht umgesetzt wurden.
Was zum Beispiel die Berichtspflicht betrifft, müssen die Betreiber von Übertragungsnetzen erstmals zum 1. Februar 2006 alle zwei Jahre einen Bericht über den Netzzustand und die Netzausbauplanungen vorlegen. Zur Vermeidung schwerwiegender Versorgungsstörungen müssen sie jährlich eine Schwachstellenanalyse vornehmen und auf dieser Grundlage notwendige Maßnahmen treffen. Das neue Gesetz sieht also Maßnahmen vor, die bisher aber nicht ergriffen wurden.
Ein ganz wichtiger Punkt ist die Anreizregulierung, das zentrale Instrument des Gesetzes. Dieses muss von der Netzagentur erst einmal ausgear
beitet werden. Hier ist die schwierige Aufgabe zu lösen, die qualitativen Standards für die Netze und damit die Versorgungssicherheit so zu definieren, dass sie mit dem Ziel sinkender Netzentgelte im Einklang stehen. Aus heutiger Sicht ist hier insbesondere die Sicherheit zu berücksichtigen. Dass auch bei sinkenden Netzpreisen die Sicherheit nicht leiden muss, hat uns – in diesem Fall ausnahmsweise -Großbritannien vorgemacht.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der Stromausfall im Münsterland und die daraus abzuleitenden Konsequenzen werden uns im nächsten Jahr sicherlich noch häufiger beschäftigen. Es ist klar, dass man solche Jahrhundertkatastrophen nicht gänzlich ausschließen kann. Dies wäre, wenn überhaupt, nur durch Netzinvestitionen in Milliardenhöhe zu erreichen. Angesichts der ohnehin schon hohen Strompreise kann man dies nicht ernsthaft in Erwägung ziehen. – Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weil Herr Kollege Brockes davon gesprochen hat, dass es unzumutbar erscheine, über einen Entschließungsantrag abzustimmen, der relativ umfangreich ist und erst während der Sitzung verteilt worden ist, will ich den geschäftsleitenden Hinweis geben, dass § 107 unserer Geschäftsordnung es ermöglicht, im Einzelfall von der Geschäftsordnung abzuweichen, wenn nicht mindestens fünf Mitglieder des Landtags widersprechen.
Wir könnten den Entschließungsantrag – die Fraktion müsste ihn zum Antrag erheben – also unmittelbar an die Ausschüsse – ich vermute, federführend an den Wirtschaftsausschuss, mitberatend an den Innenausschuss – überweisen, wenn nicht mindestens fünf Mitglieder dieses Hohen Hauses widersprechen. Man würde sich dann das Schauspiel ersparen, ihn erneut einbringen zu müssen. Ich empfehle, darüber während der Debatte nachzudenken.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Thoben! Dass ein Stromchaos solchen Ausmaßes für die Menschen im Münsterland glimpflich abgelaufen ist, haben wir in erster Linie der guten Nachbarschaft und dem privaten Engagement vieler Einzelpersonen zu verdanken, die spontan und in Eigeninitiative ge
holfen haben. Ihnen und den Hilfsorganisationen gelten der Respekt und die Anerkennung der SPD-Fraktion.