Protokoll der Sitzung vom 15.12.2005

Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 16. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen.

Ich entschuldige mich dafür, dass wir etwas später anfangen. Wir hatten eine Ältestenratssitzung sowie eine Sitzung des Ältestenrates in seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat der Hilfskasse und haben dort die Interessen dieses Hauses vertreten. Leider haben wir etwas länger gebraucht, als veranschlagt war.

Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich elf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Ihren Geburtstag feiert heute Frau Ministerin Barbara Sommer. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses!

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, ich habe einen Hinweis zur Ergänzung der Tagesordnung. Wir haben einen neuen Tagesordnungspunkt 2, eine weitere Aktuelle Stunde. Das ergibt sich aus dem gestern im Nachgang zur Fragestunde gestellten Antrag.

Wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

Thema: Landesregierung spart auf Kosten von Familien, Kindern und Jugendlichen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß § 90 Abs. 2 GeschO

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 12. Dezember 2005 dazu eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin Asch von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die neue Lan

desregierung ist mit der klaren Aussage angetreten: Wir tun mehr für Familien. Wir setzen unsere Schwerpunkte bei der Politik für Familien, Kinder und Jugendliche.

(Demonstrativer Beifall von CDU und FDP)

Warten Sie ab! – Das waren Ihre Ankündigungen im Wahlkampf. Der Ministerpräsident hat das auch in seiner Regierungserklärung explizit bekräftigt. Bereits nach einem halben Jahr Regierungszeit wird klar, dass die Halbwertszeit von Wahlversprechen selten so kurz war wie bei dieser Landesregierung.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Denn der vorgestellte Haushaltsentwurf ist das genaue Gegenteil Ihrer Ankündigungen. Sie haben die Familien nicht zum Schwerpunkt Ihrer Politik, sondern zum Schwerpunkt Ihrer Kürzungen gemacht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ausgerechnet der Kinder- und Jugendbereich muss am stärksten bluten. Ausgerechnet die Leistungen für Familien, Kinder und Jugendliche müssen am stärksten zur Haushaltskonsolidierung beitragen. 220 Millionen € sollen gekürzt werden. Selbst die Einsparungen im Personalbereich erreichen dieses Niveau nicht. Dadurch werden ausgerechnet die Kleinsten und die Schwächsten unserer Gesellschaft zum größten Sparstrumpf des Finanzministers.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Hört, hört!)

Ihren Wortbruch rechtfertigen Sie damit, dass überall gespart werden muss. Sie wiederholen zigmal, dass für alle Grausamkeiten, die Sie begehen, natürlich Rot-Grün verantwortlich sei. Das ist eine alte Leier. Dabei tun Sie so, als wären Sie eben erst vom Mars in die Regierungsverantwortung gefallen und hätten von der Verschuldung des Landes gar nichts gewusst.

Ihre Versprechungen haben Sie aber in Kenntnis der schwierigen Haushaltssituation gemacht; die haben Sie uns ja immer wieder unter die Nase gerieben. Sich jetzt hinter gespielter Naivität zu verstecken und wie Herr Stahl in seiner Presseerklärung zu behaupten, von all dem nichts geahnt zu haben, ist unlauter und unseriös.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, Sie argumentieren, dass überall gespart werden muss. Sie sparen

aber nicht überall gleichermaßen. Auch hier sagen Sie die Unwahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie sparen zum Beispiel kein Stück beim Straßenbau. Im Gegenteil: Hier erhöhen Sie die Mittel noch um 5 %. Sie sparen auch nicht bei den Landwirtschaftskammern: Minister Uhlenberg hat für seine Bauernfunktionäre satte 17 Millionen € mehr. Sie setzen offenbar andere Schwerpunkte, die allerdings in keiner Regierungserklärung stehen und vor der Wahl nicht angekündigt worden sind.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zuruf von der SPD: Natürlich nicht!)

Es macht sich im Wahlkampf natürlich besser, für Familien einzutreten. Es macht sich gut, mehr Mittel für Kindertagesstätten, für Kinder und Jugendliche zu fordern. Sie haben während Ihrer Oppositionszeit das Blaue vom Himmel herunter versprochen. Das hat sich gut gemacht.

Was sich jetzt gar nicht gut macht, meine Damen und Herren, ist, diese Wahlversprechen bei der ersten konkreten Gelegenheit, die sich bietet, nämlich bei der Gestaltung des ersten Haushaltes, zu brechen. Denn genau das tun Sie hier. Sie tun genau das Gegenteil von dem, was Sie angekündigt haben!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das lässt sich durch andere Bereiche der Familien-, der Kinder- und Jugendpolitik durchdeklinieren.

Fangen wir bei den Kindergärten an: Sie haben Wahlkampf mit der klaren Zusage gemacht, die Betriebskosten für die Kitas zu erhöhen. Viele Träger, die kaum mehr Eigenmittel aufbringen können, haben sich darauf verlassen. Statt jetzt draufzusatteln, wie angekündigt, kürzen Sie die Betriebskostenzuschüsse noch zusätzlich, und die Träger müssen mit weniger Geld auskommen. Das, meine Damen und Herren, ist nichts anderes als ein doppelter Wortbruch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht noch weiter: 84 Millionen € streichen Sie den Kommunen an der Kindertagesstättenförderung, mit denen die nicht eingenommenen Elternbeiträge ausgeglichen werden sollen. Treffen wird es vor allem die armen, die strukturschwachen Städte und Gemeinden, die sowieso schon in der Haushaltssicherung sind.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Wir kommen gleich zu Ihnen, Herr Lindner. – Diese Kommunen dürfen dann zum Ausgleich den Familien die Kindergartenbeiträge erhöhen. Herr Lindner, sagen Sie doch einmal: Wie fühlen Sie sich eigentlich als Wendehals? Sie verkünden überall im Wahlkampf und in Anträgen in der letzten Legislaturperiode, Sie wollten die Elternbeiträge im Kindergarten abschaffen. Jetzt fordern Sie die Kommunen auf, sie sogar zu erhöhen!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, das ist kein doppelter Wortbruch mehr. Das ist schon ein Turbo-Wortbruch!

Ihrer Streichorgie stellen Sie dann als gute Tat gegenüber, Herr Minister Laschet, dass Sie Familienzentren fördern wollen. Dazu steht allerdings kein müder Cent in Ihrem Haushaltsentwurf, nur Prosa, keinerlei Mittel, die Sie dafür auch wirklich einsetzen wollen.

(Minister Armin Laschet: Das stimmt doch gar nicht!)

Nein, de facto gibt es hier nur Kürzungen. Denn bei allen Bausteinen, aus denen die Familienzentren bestehen, wird der Rotstift angesetzt: Betreuung kürzen – das hatten wir eben im Kita-Bereich, Familienbildung – 20 % Kürzungen, Familienberatung – ebenfalls 20 % Kürzungen. Herr Minister Laschet, wie wollen Sie eigentlich die Familienberatung mit Kitas vernetzen, wenn Sie denen jetzt 20 % der Mittel streichen?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist doch aberwitzig. Sie bräuchten eine Aufstockung der Erziehungsberatung, damit Sie diese zusätzlichen Leistungen auch erbringen können. Schon jetzt sind die Wartelisten der Beratungsstellen ellenlang. Wartezeiten von einem halben Jahr sind in den Beratungsstellen die Regel. Diese Realitäten der Arbeit vor Ort sind Ihnen offenbar so fern wie der Mond.

Auch hier gilt das gleiche Spiel. Nein, meine Damen und Herren, es ist bitterer Ernst: Nicht nur, dass Sie den Kommunen kein Geld für zusätzliche Aufgaben in die Hand geben; Sie hauen auch noch die Landeszuschüsse weg, die genau in diese neuen Angebote einfließen sollen. Diese Familienzentren werden damit zur reinen Makulatur, zur Mogelpackung: ein schönes neues Namensschild mit nichts dahinter.

Es kommt noch schlimmer: Eine Volksinitiative erzwingt ein Gesetz, das Jugendfördergesetz, inklusive einer Förderhöhe von 96 Millionen € für 2006. Gerade die CDU hat diese Volksinitiative aktiv un

terstützt. Die Summe wird von allen Fraktionen dieses Landtages getragen und beschlossen. In allen Debatten haben Sie als CDU und FDP immer wieder gefordert, die 96 Millionen € müssten eingestellt und eingehalten werden. Auch im Koalitionsvertrag haben Sie explizit festgelegt, dass Sie das Jugendfördergesetz einhalten wollen.

Und jetzt? Jetzt stellen Sie nicht nur die von Ihnen avisierten Mittel nicht ein; nein, sie kürzen zusätzlich auf 75 Millionen €. Denn im diesjährigen Haushalt stehen 80 Millionen € für die Jugendförderung zur Verfügung. Sie kündigen damit nicht nur den überparteilichen Konsens, sondern auch einen Konsens, der weit in die Gesellschaft hineinreicht, der die Unterstützerinnen und Unterstützer der Volksinitiative, die Verbände, die Kommunen, die Kirchen, die Träger und die vielen ehrenamtlich Tätigen umfasst.

Was Sie hier anrichten, wissen Sie selbst. Sie haben es in den vergangenen Debatten immer wieder selbst beschworen: Durch die Kürzungen werden ganze Strukturen im Jugendbereich wegbrechen. Träger können zumachen. Sie können einpacken. Das sind Strukturen, die unwiderruflich wegfallen. Sie werden es erleben: Diesen Wortbruch werden Ihnen die Jugendlichen und die Verbände nicht durchgehen lassen.