Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Sehr gute Sa- che!)

Natürlich ist es legitim, dass Sie Ihr angekündigtes Regierungsprogramm abarbeiten. Natürlich haben wir es nicht anders erwartet, als dass Sie hier eine deutliche wirtschaftsliberale Sprache sprechen. Nicht erwartet haben wir die gnadenlos schlechte handwerkliche Qualität Ihrer Gesetzentwürfe. Wir sagen deutlich: Ziehen Sie die besser zurück!

Bei der Anhörung zum Studiengebührengesetz in der vergangenen Woche war die Landesregierung – ich möchte es vorsichtig ausdrücken – einer erheblichen Kritik ausgesetzt, auch wenn Sie dies nach außen hin anders verkauft haben. Die Freiheit, die Sie den Hochschulen geben wollen, zum Beispiel selber darüber entscheiden zu können, ob und in welcher Höhe Studiengebühren eingeführt werden sollen, wird vom Vorsitzenden der Rektorenkonfe

renz, Prof. Ronge, glattweg abgelehnt. Ich zitiere: Diese angebliche Freiheit der Universitäten „ist mindestens illusorisch, wenn nicht zynisch“.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Auch der Vorsitzende der Rektorenkonferenz der Fachhochschulen, Prof. Metzner, ist der Meinung, dass Sie mit der geplanten Freiheit – ich zitiere – durch den hochschulinternen Entscheidungsprozess für „Chaos“ gesorgt haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Johannes Remmel [GRÜNE]: Der ist ja auch Chaos- Professor!)

Und was sagen die unmittelbar Betroffenen dazu, die sogenannten Nachfrager oder Nachfragerinnen, diejenigen, die Sie so gerne „Kunden“ nennen? Die Vertreter der Studierenden lehnen die Gebühren grundsätzlich ab. Sie lösen kein einziges Problem, sondern verschärfen nur die Krise des Bildungssystems, meint das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren.

Wenn sich also die wichtigsten Vertreterinnen und Vertreter an den Hochschulen, die Gruppe der Rektoren und die der Studierenden, aus sicherlich unterschiedlichen Blickwinkeln, aber gleichermaßen negativ äußern, Herrn Pinkwart, können wir nur wiederholen: Ziehen Sie diesen umstrittenen Gesetzesentwurf zurück!

Angefangen mit ernst zu nehmenden juristischen Zweifeln an der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs gab es Einwände gegen nahezu jede der geplanten Regelungen von verschiedenen Seiten: von Studierenden über die Kanzlerinnen und Kanzler, Rektorinnen und Rektoren bis hin zum Bundesverband der Banken.

Wie soll es zukünftig in der Wissenschaftspolitik des Landes weitergehen? Sollte es künftig keine einheitlichen landesweiten Vorgaben und Qualitätsstandards mehr geben und jede Hochschule alles selber entscheiden müssen? – Dann brauchen wir in Zukunft auch kein Parlament und kein Wissenschaftsministerium mehr.

Das also ist die Innovation à la Pinkwart. Das Zauberwort lautet „Abschaffung der Hochschulpolitik“.

Damit sind wir beim zweiten großen Innovationsvorhaben der Landesregierung im Wissenschaftsbereich, dem sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz. Hierzu liegen zwar bislang nur die Eckpunkte vor, aber auch die haben es in sich. Die Hochschulen werden aus dem staatlichen Zusammenhang herausgenommen. Gleichzeitig wird die Mitbestimmung an den Hochschulen drastisch zu

rückgefahren. Anstelle von Studierenden, Professorinnen und Mitarbeiterinnen soll zukünftig ein externer Hochschulrat die Geschicke der Hochschulen lenken. Das bedeutet das Ende der Freiheit von Forschung und Lehre.

(Ralf Witzel [FDP]: So ein Schwachsinn!)

Die Konsequenzen sind vielfältig: Das breite Fächerangebot unserer Hochschulen ist in Gefahr. Im Wettbewerb Hochschule gegen Hochschule können auch übergeordnete Interessen des Landes nicht mehr berücksichtigt werden. Minister Pinkwart nimmt bewusst in Kauf, dass Hochschulen Pleite gehen, ohne die Folgen für Menschen und Wirtschaft in einigen Regionen NordrheinWestfalens zu berücksichtigen.

Fragen Sie doch einmal nach, was die Hochschulen dazu sagen! Die sind nämlich gar nicht so glücklich über die von Ihnen von oben verordnete Freiheit. So sagte es der Rektor der Bergischen Universität Wuppertal und Vorsitzende der Rektorenkonferenz vorgestern im WDR.

(Lachen von Ralf Witzel [FDP] und Dr. Gerhard Papke [FDP])

Hören Sie einmal zu! Ich zitiere:

„Man muss aber sehen, dass anstelle der Politik jetzt per Gesetz Hochschulräte eingezogen werden, die in bestimmter Weise ähnliche Funktionen wie Aufsichtsräte in Unternehmen haben sollen.“

Und Herr Ronge sagte dazu weiter:

„Aus der Wirtschaft weiß man, dass dort eine ganz erhebliche Machtmonopolisierung und Steuerungsmonopolisierung eingezogen wird.“

(Zurufe von der CDU)

Dies habe natürlich auch Konsequenzen für Forschung und Lehre. – Und er sagt weiter:

„Denn die Ausrichtung zum Beispiel des Gesamtprogramms oder des Profils der Hochschule wird durch diese Hochschulräte in erheblichem Maße mitbestimmt, und was die dort machen, lässt sich auch nicht dadurch programmieren, dass Rektor und Senat diese Hochschulräte mit ausgewählt haben.“

Frau Abgeordnete Seidl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Papke?

Nein, ich bin mitten im Zitat. Ich rede jetzt erst einmal weiter.

„Sie werden sich dann so verhalten wie Aufsichtsräte im Unternehmen auch.“

Mit anderen Worten: Die Hochschulen sollen künftig nicht nur unternehmerisch gesteuert, sondern auch in erster Linie den Interessen der Wirtschaft untergeordnet werden.

Dies ist keine veränderte Autonomie im Rahmen der bisherigen Beziehungen zwischen Hochschulen und Staat, sondern ein Abschied von jeder bildungs- und landesplanerischen Verantwortung in der Hochschulpolitik.

Der eigentliche Autonomiegewinn für die Hochschulen, meine Damen und Herren, waren die Instrumente Globalhaushalt, leistungsbezogene Mittelvergabe und Zielvereinbarungen zwischen dem Land und der einzelnen Hochschule. Und die hatten wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen.

(Dr. Gerhard Papke [FDP] spricht an der Re- gierungsbank mit Minister Dr. Helmut Lins- sen.)

Herr Papke, Sie könnten sich auch setzen und Ihre Privatgespräche später weiterführen. Das ist jetzt kein parlamentarisch gutes Benehmen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Papke, was jetzt hinzukommt, ist ein Schritt hin zur Privatisierung der Hochschullandschaft. Entstaatlichung der Hochschulen und die Einführung von Studiengebühren sind zwei Seiten einer Medaille, die deutlich machen, wie man sich heimlich aus der bildungspolitischen Verantwortung stehlen kann.

(Jochen Dieckmann [SPD] steht am Platz von Marc Jan Eumann [SPD] und redet mit ihm. – Ralf Witzel [FDP] und Dr. Gerhard Papke [FDP]: Was macht denn der Dieck- mann gerade?)

Dazu passt dann auch die jetzt tatsächlich im Haushaltsentwurf verankerte Mittelkürzung bei den Studentenwerken. Wir haben vor kurzem noch darüber diskutiert. Das ist das dritte Projekt. Wie können Sie bei solch massiven Belastungen der Studierenden noch von Sozialverträglichkeit bei den Studienbeiträgen und der Unterhaltsfinanzierung reden? Und wie wollen Sie unter diesen Bedingungen dem Anspruch gerecht werden, dass zukünftig mehr junge Menschen in Nordrhein-Westfalen ein Hochschulstudium aufnehmen und erfolgreich abschließen?

Sie werden langsam unglaubwürdig in der Hochschulpolitik, meine Damen und Herren von der Regierung.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Sie war noch nie glaubwürdig!)

Und eines wird deutlich – ich wiederhole, was ich Ihnen bereits in der Debatte zu den Studentenwerken gesagt habe –: Ihre bildungspolitischen Vorschläge werden zu einer sozialen Spaltung der Gesellschaft führen.

(Ralf Witzel [FDP]: So wie bei den Pisa- Sieger-Ländern! Genauso „erfolglos“ wird das sein!)

Mit der Liberalisierung der Grundschulbezirke, einem auf Ausgrenzung angelegten Schulsystem, der Einschränkung des Hochschulzugangs und der Einführung von Studiengebühren werden wir dem Ziel, die Studienanfängerquote zumindest auf den OECD-Durchschnitt von über 40 % anzuheben, nicht näher kommen. Vor allem wird es uns nicht gelingen, den alarmierend engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung aufzubrechen.

(Ralf Witzel [FDP]: Den haben Sie doch ge- schaffen! Er ist doch unter Ihnen entstan- den!)

Aber ich möchte auch gerne Ihre forschungspolitischen Innovationen ansprechen.

An der Zielperspektive „Nordrhein-Westfalen muss Innovationsland Nummer eins in Deutschland werden“ gibt es nichts auszusetzen. Wir wollen natürlich auch bis 2010 die Trendwende schaffen und damit den Abstand bei der FuEQuote zum Bundesdurchschnitt verringern. Aber das ist ja nichts Neues. Das war schon unser Ziel in der vergangenen Legislaturperiode und ist deutlich formuliert worden im Forschungskonzept 2010, das bereits die alte Landesregierung auf den Weg gebracht hat.

Die ersten Unterschiede werden jedoch offenbar, wenn Sie, Herr Pinkwart, auf die RWI-Studie verweisen, die im Übrigen auch von der alten Landesregierung in Auftrag gegeben wurde.

(Christian Lindner [FDP]: Ja, ja, alles Gute kommt von Ihnen!)

Die Schlüsse, die Sie aus den vorgelegten Zahlen ziehen, sind überaus einseitig. Es ist richtig, dass wir in Nordrhein-Westfalen nur rund 2 % unseres BIP für Forschung und Entwicklung ausgeben und dass dies in Bayern 3 % und in Baden-Württemberg sogar 4 % sind. Aber genau so richtig ist es doch

auch, dass der Anteil der Wirtschaft an diesen Investitionen weitaus höher ist als der in NordrheinWestfalen.

Bezogen auf den Landesanteil aber ist das Verhältnis eher umgekehrt. Lediglich Baden-Württemberg steht mit 0,8 % des Bruttoinlandsproduktes etwas besser da als wir in NordrheinWestfalen mit 0,7 %. Länder wie Bayern oder Hessen, die Sie uns früher immer als leuchtendes Vorbild vor Augen geführt haben, stehen jedoch mit 0,6 % oder 0,5 % deutlich schlechter da.

Wenn der Vorwurf also lautet, dass nur die rotgrüne Politik der letzten Jahre an unserem Rückstand Schuld sei, dann kann dies zumindest nicht die Forschungs- und Finanzpolitik des Landes gewesen sein. Denn bei der Bereitstellung von öffentlichen Mitteln – das zeigen die Daten mehr als deutlich – haben wir alles getan, was möglich war.