Protokoll der Sitzung vom 02.02.2006

Herr Sagel, wir.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Wer ist „wir“?)

Wir, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, und wir, die FDP.

(Beifall von der FDP)

Wenn Sie es noch präziser wollen: Auch ich. – Ist diese Frage jetzt geklärt? „Wir“ müsste umfassend beschrieben werden. Ansonsten kann jede Kollegin und jeder Kollege sicherlich noch im Vieraugengespräch einzeln dazu Auskunft geben.

Meine Damen und Herren, das haben wir immer klar gesagt; und ich finde es auch richtig, dass es dabei keine Tabus und keine Scheuklappen gibt und tatsächlich erst einmal alles daraufhin überprüft werden kann, ob Aufgaben nicht auch von Privaten wahrgenommen werden können.

Herr Sagel hat völlig zu Recht auf ein paar Punkte hingewiesen, die wir bei der Aufgabenkritik beachten müssen. Wir müssen tatsächlich danach gucken, welche Leistung überhaupt zu welcher Organisationsform passt. Wenn Herr Becker ausführt, dass es Aufgaben gibt, nach denen sich niemand drängt, muss man sich legitimerweise die Frage gefallen lassen, ob es denn überhaupt zwingend notwendig ist, dass diese Aufgaben von jemandem erfüllt werden.

(Horst Becker [GRÜNE]: Aber Sie schließen das ja schon aus! – Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Wollen Sie Leute entlassen, oder was?)

Dazu haben wir ausdrücklich erklärt: Es gibt bei der Privatisierung auch Grenzen, das wissen Sie. Das haben wir immer betont. Sie werden an der Verfassung ausgerichtet gezogen: Es gibt einen Kernbereich des staatlichen Handelns, zu dem auch wir Liberale uns immer bekannt haben, weil für uns Privatisierung kein Dogma ist.

Allerdings haben wir auch immer deutlich gemacht, dass sich der Staat aus ordnungspolitischer Sicht darauf beschränken soll, den institutionellen Rahmen und die Grenzen für eine funktionierende Wirtschaft zu setzen. Durch Entstaatlichung soll er einen Beitrag zur Deregulierung leisten. Denn für uns stellt es genauso wenig ein Dogma dar, dass alles aus staatlicher Kompetenz heraus geregelt werden müsste.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Wir wollen den Zugewinn an individueller Handlungsfreiheit durch die Entzerrung der wirtschaftlichen Macht auf der einen Seite und der politischen Entscheidungskompetenz auf der anderen Seite. Deswegen kann ich nur noch einmal wiederholen: Wir begrüßen, dass in dieser Landesregierung tabulos darüber nachgedacht wird,

(Zuruf von Dr. Axel Horstmann [SPD])

an welchen Stellen dieser Rahmen für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik Deutschland klarer gesetzt werden kann, damit er nicht so sehr in die Details ihrer Strukturen und in ihre Handlungsfreiheit eingreift. Der Rahmen muss klar umschrieben sein, aber es muss nicht jede einzelne Sache detailliert geregelt sein.

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Herr Präsident, ich komme dann auch zum Schluss. – Sie haben uns vorhin vorgeworfen, wir würden den öffentlichen Dienst verteufeln. Ich sage Ihnen: Verteufeln Sie nicht die Privatwirtschaft und diejenigen, die in privater Initiative Arbeitsplätze schaffen.

Frau Kollegin!

Die Bediensteten in diesem Land leisten hervorragende Arbeit. Ich finde es einfach unseriös und unanständig, wenn Sie sie mit halben Gerüchten – als trieben Sie eine neue Sau durchs Dorf – fahrlässig verunsichern.

Frau Freimuth!

Lasst uns darüber diskutieren, wenn es klar ist. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Als Vizepräsidentin sind Sie ein Vorbild, nicht? – Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen die Debatte fort. Als nächsten Redner habe ich Herrn Jäger von der SPD-Fraktion auf der Liste. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat erwartet jede Zeit ihre eigenen Antworten, Frau Freimuth.

(Oh-Rufe von der FDP)

Verwaltung – und die öffentliche Verwaltung im Besonderen – ist kein statisches Ding, sondern muss ein dynamischer Prozess sein. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben einen Anspruch darauf, dass öffentliche Verwaltung so organisiert ist, dass mit ihren Steuergeldern wirtschaftlich, effizient und effektiv umgegangen wird. Privatisierung kann durchaus ein Instrument sein, um die öffentliche Verwaltung besser aufzustellen oder ihre Effizienz zu steigern. Das schließen wir gar nicht aus.

Aber der große Unterschied zwischen Ihnen und uns, Frau Freimuth, ist folgender: Bei uns ist Privatisierung das letzte Mittel, um die öffentliche Verwaltung zu verbessern. Bei Ihnen ist Privatisierung ein Wert an sich, eine Ideologie, oder, wie es Herr Engel genannt hat, eine Zauberformel.

(Beifall von der SPD)

Sie stellen gar nicht erst infrage, ob öffentliche Aufgaben und öffentliche Daseinsvorsorge nicht sinnvoller in der Hand des Staates liegen. Sie propagieren „Privat vor Staat“. Möglichst alles soll privatisiert werden; der Staat soll nichts mehr machen. Daraus duftet ein Staatsverständnis, Frau Freimuth, in dem wir uns maßgeblich unterscheiden.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das stimmt!)

Ich glaube im Übrigen auch, dass die These, dass der Private immer alles besser macht als der Staat, nicht nur falsch ist, sondern in hohem Maße die Kompetenz und die Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst diskreditiert, von denen ich glaube, dass die Mehrzahl von ihnen die gestellten Aufgaben auf hervorragende Weise löst.

(Beifall von der SPD)

Deshalb finde ich die Debatte, die über den Grundsatz geführt wird, ob Privatisierung sinnvoll ist, so wichtig.

Wir unterscheiden uns auch noch in einem zweiten Punkt, Frau Freimuth: Die Grundlage unseres Wohlstandes ist, dass die öffentliche Daseinsvorsorge, also die Sorge des Staates dafür, dass in diesem Land innerhalb einer sozialen Marktwirtschaft gewirtschaftet werden kann, indem er die Rahmenbedingungen und die Leitplanken vorgibt, durch den Staat selbst garantiert wird. Ein Staat, der sich nur auf den Rest reduziert und die Privaten alles andere machen lässt, der die öffentliche Verwaltung und öffentliche Aufgaben mit der Abrissbirne abbaut, riskiert, genau diese Grundlage des Wohlstandes zu zerstören.

(Beifall von der SPD)

Auch in einem dritten Punkt unterscheiden wir uns, Frau Freimuth: Bei einem Modernisierungsprozess, dem jede Verwaltung – egal, ob privat oder öffentlich – unterliegen muss, müssen wir die Mitarbeiter immer mitnehmen. Das gilt für die Fabrik, für das Dienstleistungsunternehmen und für die öffentliche Verwaltung. Man muss Menschen für Reformprozesse begeistern, die Ziele beschreiben und sie mitnehmen. – Sie gehen so vor:

Der Herr befielt, der Knecht hat zu folgen. Darin unterscheiden wir uns.

(Beifall von der SPD)

Was Sie mit Ihrer Diskussion um Privatisierung eigentlich bezwecken, kann man dem Entwurf der Kabinettsvorlage entnehmen. Dort sagen Sie schlicht und ergreifen: Der Vorteil der Privatisierung ist, größere Handlungsspielräume für private Unternehmen zu gewinnen.

(Hannelore Kraft [SPD]: Ja!)

Das ist Ihre Ideologie, die dahinter steht. Sie werfen den privaten Unternehmen das Land ganz neoliberal als Beute vor. Das unterscheidet Sie, Herr Papke und Frau Freimuth, ganz nachhaltig von uns.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das ist einfach nur schlimm! Sie verstehen nichts!)

Wir werden nicht zulassen, dass den Privaten überlassen wird, worauf die Menschen in diesem Land Anspruch haben, was Bürgerinnen und Bürger vom Staat und von uns Politikern erwarten – Herr Papke, es wäre gut, wenn Sie zuhören würden. Wir sehen eine gesellschaftliche Verpflichtung des Staates, für seine Bürgerinnen und Bürger zu sorgen.

(Beifall von der SPD)

Der vierte Punkt, den ich ansprechen will: Meine Damen und Herren, was Sie jetzt einholt – das hat Herr Engel so schön vorgetragen –, ist, dass Sie so stolz waren, einen Koalitionsvertrag so schnell vorzulegen. Aber jetzt entpuppt sich, das dieser Koalitionsvertrag im Wesentlichen aus politischer Prosa besteht: Privat vor Staat, Erarbeiten statt Verteilen und solche Plattitüden.

Tatsächlich wird jetzt offenbar, dass Sie gar nicht wussten, mit welchen Inhalten Sie die Plattitüden füllen wollten.

(Helmut Stahl [CDU]: Doch! Sehr genau!)

Nein, eben nicht. Das offenbart die heutige Diskussion. So, wie sie geführt worden ist, frage ich mich manchmal, Herr Stahl: Wer stellt eigentlich den Ministerpräsidenten in diesem Land? Die CDU oder die FDP?

(Beifall von der SPD – Helmut Stahl [CDU]: Wir sind die Achsenmächte!)

Der allerletzte Punkt in Bezug darauf, was man von solchen Entwürfen, von Kabinettsvorlagen halten sollte: Da werden Vorlagen geschrieben, dann werden sie in den Diskussionsprozess eingespeist, an dem einen oder anderen Ministerium

vorbei, ohne seine Kenntnis. Das wird dann offenbar, und dann wird das wieder zurückgenommen. Das ist sozusagen Regierung im Krebsgang: zwei vor, einen zurück.

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Ende Ihrer Rede.