Uns ist es wichtig, dass wir die Familien stärken. Denn jede Aufgabe, die subsidiär wahrgenommen wird, entlastet den Staat. Das gilt aber als Anspruch für viele Bereiche, die damit verbunden sind – auch in der Bildungspolitik. Ich lade Sie herzlich ein: Machen Sie deshalb mit, damit wir die Vereinbarkeit von Familie …
… und Beruf stärken. Stimmen Sie mit uns für die Aufhebung der Schulbezirksgrenzen, denn für viele junge Alleinerziehende ist die betriebsstättennahe Beschulung wichtiger als das reine Wohnortprinzip. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Grünen bietet eigentlich die Chance, einmal eine grundsätzliche Debatte darüber zu führen, welche Prioritäten man in der Familienpolitik setzt. Woran liegt es eigentlich, dass angesichts der Lage, die mehrere Redner – zuletzt Herr Witzel – beschrieben haben, in Deutschland weniger Menschen Ja zum Kind sagen als in der gesamten Europäischen Union?
Ich glaube, dafür gibt es sicherlich sehr unterschiedliche Gründe. Das eine betrifft die Frage: Sind wir eigentlich eine kinderfreundliche Gesell
schaft? Ist es in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union vorstellbar, dass jemand gegen eine Kindertagesstätte klagt, weil sie das Bundes-Immissionsschutzgesetz für Lärm überschreitet, sodass sie geschlossen werden muss? Ich denke, dies müssen Politik, aber auch viele andere leisten; man kann es nicht per Gesetz verordnen.
Das Zweite sind die familienpolitischen Leistungen, die angesprochen worden sind: Wir geben in der gesamten Europäischen Union mit das meiste Geld für Familienpolitik aus. Trotzdem haben wir mit die geringste Geburtenrate in der Europäischen Union. Da ist im System etwas falsch. Dieses Geld wird nicht da eingesetzt, wo es eingesetzt werden müsste.
Insofern ist die Debatte über richtige Prioritätensetzung sehr wichtig. Die Sorge, die auch der Ministerpräsident geäußert hat, ist, dass man bei dem vielen Geld, das man jetzt in Berlin in die Hand nimmt, erneut die falschen Schwerpunkte setzt und nicht exakt am Kernproblem ansetzt.
Nun hat Frau Asch einige Beispiele genannt und das alte Klischee „Kinder, Küche, Kirche“ hochgehalten, das aus meiner Sicht seit mindestens zwei Jahrzehnten überwunden ist – wahrscheinlich noch länger. Wir haben viele Jahre damit vertan, dass der Staat eine bestimmte Vorstellung in eine falsche Richtung vorgeben wollte.
Ich halte die Kritik der Grünen auf Bundesebene in den letzten Tagen für nicht richtig. Sie behaupten, wir seien gegen Alleinverdiener und brächten irgendjemanden zurück an den Herd. Das wird dann so schön als Zahlung einer „Herdprämie“ formuliert. Das ist alles nicht die Frage.
Der große Schritt, den wir in den 80er-Jahren gemacht haben, war, danach zu fragen: Wie kommt man dazu, Erziehungs- und Familienarbeit gleichermaßen anzuerkennen? Das war eine neue Definition von Arbeit, die Heiner Geißler in der Oppositionszeit damals unter dem Begriff „neue soziale Frage“ angesprochen und zusammen mit Rita Süssmuth in den 80er-Jahren in ein Gesetz umgesetzt hat.
Man hat erstmals gesagt: Auch derjenige, der Kinder erzieht, leistet Arbeit: Das werden wir in den Sozialversicherungssystemen auch anerkennen. Zum ersten Mal nach 100 Jahren Sozialversicherung aus Bismarck’scher Zeit ist man dazu gekommen, Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung anzuerkennen. Damals hat man das Erziehungsgeld eingeführt, was man aller
dings nie richtig angepasst hat. Deshalb haben wir ja heute die Probleme. Das hat einmal mit 600 DM begonnen und ist dann Stück für Stück abgesunken, sodass kaum noch jemand in den Genuss des Erziehungsgeldes kam.
Außerdem hat man den Erziehungsurlaub, wie man ihn damals nannte, eingeführt, den wir heute Elternzeit nennen. Damit hat man, wenn man aus dem Beruf aussteigt, für drei Jahre eine Arbeitsplatzgarantie.
Mich wundert, dass die SPD mit wehenden Fahnen für dieses Elterngeld ficht: eine – wie Sie das immer so schön sagen – Umverteilung von unten nach oben. Zum ersten Mal werden Kinder nicht mehr gleich behandelt, zum ersten Mal wird die Tochter der Rechtsanwaltsgehilfin schlechter behandelt als die Tochter der Rechtsanwältin.
Dass das von einer sozialdemokratischen Partei mit so viel Engagement vorangetrieben wird, ist mir bis heute unverständlich. Ich glaube, dass viele Ihrer Mitglieder und Ihrer Wähler, die in Zukunft weniger Geld haben werden, weil der Sockelbetrag unter dem Elterngeld liegen wird, Ihnen das in vielen Diskussionen vorhalten werden, wenn das Ganze erst einmal umgesetzt ist. Es hat mit sozialer Gerechtigkeit nichts mehr zu tun, wenn die Kinder der Reichen mehr Geld bekommen als die Kinder sozial Schwächerer.
Insofern halte ich, wenn wir so viel Geld in die Hand nehmen, den Ansatz für richtig, erst einmal das Betreuungsangebot auszubauen.
Was hilft es denn der Frau – sie ist ja meist diejenige, die aus dem Beruf aussteigt –, wenn sie nach zehn Monaten in den Beruf zurückkehren will, dann aber kein Betreuungsangebot für ihr Kind hat?
Und glauben Sie doch nicht, dass aufgrund solcher Lohnersatzleistungen irgendjemand Ja zu einem Kind sagen würde.
Deshalb ist folgende Prioritätensetzung richtig: erstens Betreuungsangebot verbessern, zweitens Ganztagsschulen ausbauen, so wie es sich diese Landesregierung vorgenommen hat, drittens familienfreundlichere Flexibilisierung auf dem Ar
beitsmarkt vorantreiben, viertens die Qualität der Betreuung verbessern. Und wenn dann noch finanzielle Spielräume da sind, kann man auch über Lohnersatzleistungen oder Ähnliches nachdenken.
Der Grund, weshalb man Ihrem Antrag nicht zustimmen kann, ist die Passage, die sich auf den Kompromiss bei der Steuer bezieht, den man jetzt in Berlin beschlossen hat. Auch das hätte man anders machen können.
Aber ich denke, dass Familien durch die neuen Beschlüsse der großen Koalition ganz erheblich entlastet werden. Selbst wenn die Elternbeiträge, die seit 1993 nicht mehr angehoben wurden, um wenige Euro steigen würden – Herr Kollege Haseloh, Sie haben das eben dramatisch an die Wand gemalt –, wären die sozial Schwachen davon gar nicht betroffen. Sie wissen, dass 22 % der Menschen gar keine Elternbeiträge zahlen.
Eine Steigerung um 25 %, die jetzt auch vonseiten der Verbände immer wieder genannt wird, bedeutet für viele nicht mehr als 7 €, 8 € oder 9 €. Jede Familie wird sich durch das, was in Berlin zum Abzug der Kinderbetreuungskosten im Steuerrecht beschlossen worden ist, besser stehen. Insofern entspricht das Horrorszenario, das Sie an die Wand gemalt haben, dass sich das Kinderbetreuungsangebot dadurch verschlechtern wird, nicht der Realität.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt, der über das Betreuungsangebot hinausgeht, erwähnen. Wie die Kollegen es hier beschrieben haben, gibt es eine Fülle an familienpolitischen Leistungen, die in dem System von Bund, Ländern und Kommunen aber so kompliziert organisiert sind, die so kostspielige Verschiebebahnhöfe haben, dass wir hier über eine völlige Neuordnung nachdenken müssen. Zum Beispiel werden nach dem Unterhaltsvorschussgesetz Leistungen angerechnet, wenn man Arbeitslosengeldes II bezieht. Ich frage mich, welchen Sinn es hat, einer Alleinerziehenden mit viel Aufwand im Rahmen des Unterhaltsvorschusses Geld zu geben und es ihr beim Arbeitslosengeld II gleich wieder abzuziehen. Wir denken bereits darüber nach, wie man hier zu einer Vereinfachung kommen kann. Auch das wäre ein wichtigerer Schritt, als jetzt das Elterngeld einzuführen.
Wir werden die Debatte in den nächsten Wochen mit der Bundesregierung in Berlin führen müssen: über Familien mit geringeren Einkommen, die
durch diese Regelung benachteiligt werden, im Sinne der Alleinerziehenden, denen dieses Modell nicht weiterhilft, und unter dem Gesichtspunkt, ob wir auch denjenigen anerkennen, der Familienarbeit leistet. Was ist beispielsweise mit dem, der Ja sagt zum Kind, der ein Kind bekommt, der die zehn Monate in Anspruch nimmt
oder die –, wo auch der Mann, Frau Altenkamp, die vorgesehenen zwei Monate in Anspruch nimmt, und dann das zweite Kind bekommt? Ab diesem Zeitpunkt ist er auf den Sockelbetrag heruntergesetzt. Auch das zeigt, dass das, was bisher zum Elterngeld vorgeschlagen wird, völlig unausgegoren ist und dass die jetzt stattfindende Diskussion einem Elterngeldgesetz nutzen wird.
Betreuung ist der Schwerpunkt der Landesregierung. Wir haben bereits unmittelbar nach Übernahme der Regierungsverantwortung damit begonnen, zu den vorhandenen 38.700 Plätzen für unter Dreijährige in Kindertageseinrichtungen, Spielgruppen und Kindertagespflege Betreuungsplätze für weitere 16.500 Kinder zu schaffen. Wir wollen darüber hinaus in den Jahren 2005 und 2006 jeweils 25 Millionen € aus ESF-Mitteln zur Verfügung stellen, um Eltern, die lange Zeit arbeitslos waren und nun wieder eine Tätigkeit aufnehmen wollen, oder Väter und Müttern, die vorzeitig aus der Elternzeit zurückkehren möchten, einen Zuschuss zu den Kosten für die Betreuung der unter Dreijährigen zu geben.
Wir werden mit einer Reform des GTK die Tagespflege ausbauen. Wir wollen mehr Plätze für über Dreijährige in Plätze für unter Dreijährige umwandeln. Sie kennen unsere Zielvorgabe von 20 % für diese Wahlperiode. Insofern ist der Grundansatz richtig: Kinderbetreuung muss Priorität haben. Kinderbetreuung erleichtert das Ja zum Kind. Dazu sind heute oft Schweden oder andere skandinavische Länder zitiert worden. Für uns ist viel eher Frankreich ein Muster, ein Beispiel, wie Familientätigkeit und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren sind. In Frankreich ist das A und O eine gute, qualifizierte Kinderbetreuung. An der wollen wir ebenfalls arbeiten. – Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man könnte meinen, der Antrag der Grünen sei, wenn man von der Über
schrift einmal absieht, eine ganz sinnvolle Geschichte. Der Hintergrund dieses Antrags ist aber, einen Keil zwischen die Partner der großen Koalition auf Bundesebene zu treiben. Nach den Äußerungen des Ministers kann ich nur sagen: Das scheint irgendwie gelungen zu sein. Das muss man wohl mal sagen.