Protokoll der Sitzung vom 16.03.2006

Hier geht es um die Frage der Prioritäten.

Herr Remmel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ellerbrock von der FDP?

Ich würde gerne erst den Gedanken der Priorität vortragen, und dann ist der Herr Ellerbrock dran.

Sagen Sie mir bitte Bescheid.

Es geht um die Umkehrung der Priorität. Bisher ist es auch schon möglich, dass eine Kommune gestattet, Biergärten länger zu öffnen. Aber die Kommune entscheidet darüber, und es müssen diejenigen begründen, die länger offen halten wollen, warum der Lärm nicht schädlich ist.

Jetzt müssen diejenigen begründen, die ein Recht auf Nachruhe haben, warum sie diese Nachtruhe haben wollen. Diese Umkehrung der Begründungszusammenhänge ist aus unserer Sicht politisch falsch und auch fatal ist, weil die Prioritäten deutlich bei Lärm und Freizeitlärm gesetzt werden, während umgekehrt das Bedürfnis auf Nachtruhe in den entsprechenden Quartieren zurückgestellt wird. Dieser Umkehr der Prioritäten

wollen wir nicht entsprechen. Deshalb sind wir auch gegen diesen Gesetzentwurf. – Jetzt ist Herr Ellerbrock dran, wenn der Präsident erlaubt.

Wenn ich ihm den Saft gebe, den er braucht, um zu sprechen. – Herr Ellerbrock, Sie sind dran.

Schönen Dank, Herr Präsident, für den Saft, den Sie mir nun gegeben haben.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ja, auf die Knie!)

Herr Kollege Remmel, Sie haben Ausführungen zum Verhältnis der Koalitionspartner gemacht. Würden Sie dem Kollegen Remmel der letzten Legislaturperiode zustimmen, der in Bezug auf das Verhältnis der Koalitionspartner dargelegt hat, dass man ein wechselseitiges Überzeugen in einer Koalition nie ausschließen kann und so zu gemeinsam getragenen Überlegungen kommt? Würden Sie dieser Äußerung des Kollegen Remmel zustimmen?

Ich weiß nicht, ob ich die Äußerung je getan habe. Aber wenn Sie auf die Verhältnisse in der letzten Legislatur anspielen: Da hatte ich immer das Gefühl, dass wir in großem Einvernehmen alle Dinge miteinander geregelt und solche Verhältnisse wie bei Ihnen bei uns keine Rolle gespielt haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Unterm Strich: Die Umkehrung der Prioritäten in diesem Gesetzentwurf ist politisch abzulehnen. Dass Sie bei der Fokussierung auf die Kommunen nicht dem Fachverstand gefolgt sind, diskreditiert Ihren Gesetzentwurf. Deshalb wird meine Fraktion wie auch im Ausschuss den Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Remmel. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Engel um das Wort gebeten. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist wieder ein guter Tag, ein Tag zur Freude, Frau Wiegand, Herr Remmel. Wir gewinnen nämlich heute wieder ein Stückchen Freiheit zurück.

(Zurufe von der SPD)

Wir ändern zwar nur das Landesimmissionsschutzgesetz. Ich kann ja verstehen, dass Sie in

Ihrer Ecke, um vielleicht in der Fußballsprache zu bleiben, im Abseits verharren wollen,

(Britta Altenkamp [SPD]: Prost!)

aber dennoch: Wir ändern es heute. Und daran, Frau Wiegand, werden Sie nachher erkennen, dass wir schon lange in der Regierung angekommen sind.

Wir müssen es auch ändern – die Debatte haben wir vor einigen Jahren in der 13. Legislatur geführt –, weil sich das gesamte Freizeitverhalten schon lange geändert hat. Bei Ihnen ist das nur noch nicht angekommen.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Nur von de- nen, die es können!)

Nur von denen, die es können, Herr Remmel, ja. Aber gerade in kommenden Sommermonaten – ich hoffe nicht, dass wir von diesem Winter übergangslos in den nächsten Winter gehen –

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Das kriegen Sie auch noch hin!)

werden wir ja sehen, was draußen passiert. Im Zusammenhang mit der Abschaffung der Sperrzeiten in der Innengastronomie haben Sie alle vom Untergang des Abendlandes gesprochen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das ist totaler Quatsch!)

Nichts davon ist eingetreten, überhaupt nichts! Es funktioniert.

Wir könnten unsere Reden von damals heute wiederholen: die gleichen Reden, die gleichen Argumente – Ihre Gegenargumente, unsere Argumente – für die damals gemeinsam gemachte Änderung.

Wen wundert es, wenn wir nun endlich die Sommerperiode haben, dass gerade in den vielen Biergärten unseres Landes jeder Platz besetzt ist? – Die Leute wollen raus, sie wollen mit Freunden, mit Nachbarn einen Abend genießen, ein Bier trinken, sich unterhalten, neue Freunde gewinnen, raus aus den vier Wänden, plauschen, sehen und gesehen werden, oft an den besonders schwülen Abenden erst nach 21 Uhr. Aber nach 22 Uhr – für die Gastronomen, die dann eine Ausnahmegenehmigung haben, 23 Uhr – ist nach Ihren Vorstellungen schon wieder Schluss.

(Svenja Schulze [SPD]: Das ist doch Quatsch! Nur da, wo es die Nachtruhe stört!)

Bisher ist es ein kurzes Vergnügen, Frau Kollegin. Um 22 Uhr ist in der Regel Schluss. Last Order! Nichts geht mehr! Nichts mit Biergarten!

Fragen Sie doch die Wirte! „Kommen Sie rein, ich kriege sonst Ärger mit unserem Ordnungsamt“, so landauf, landab die Einlassung der Leute aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe.

Der heilige Bürokratius kannte keine Gnade: Um 22 Uhr Sense! So wollte es die alte rot-grüne Landesregierung. Keine Chance auf Besserung!

Die damalige grüne Umweltministerin, Ihre Frau Kollegin Höhn, Herr Remmel, stand – ich erinnere mich noch sehr genau – quer in der Tür: „Mit mir nicht“! Alle drei Versuche der FDP-Landtagsfraktion scheiterten in der 13. Legislaturperiode an grüner Uneinsichtigkeit. Das Landes-Immissionsschutzgesetz zu ändern, hier ein Stück mehr Freiheit und Lebensqualität zu geben – nein, Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, hielten unbeirrt an Uraltregeln fest, an Regeln aus dem letzten Jahrhundert.

Sie wissen und haben es bei der letzten Landtagswahl ja auch erfahren: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

(Beifall von der FDP)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir wollen und wir können heute für die Menschen ein Stückchen mehr Freiheit und Lebensqualität gewinnen. Wir freuen uns, dass nun eine langjährige Forderung der FDP und des Hotel- und Gaststättenverbandes schnell und unkompliziert realisiert werden kann. Zitat:

Sie entspricht sowohl den Ansprüchen unserer Gäste als auch den Hoffnungen unserer Betriebe.

So die Dehoga in ihrer jüngsten Presseerklärung. Wohl wahr!

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen werden in diesem Sommer zwei wertvolle Stunden mehr Zeit haben, warme Sommerabende in unseren Biergärten und Straßencafés genießen zu können. Das belebt unsere Innenstädte, macht sie attraktiver. Das fördert Miteinander und Kommunikation. Das schafft einen neuen Rahmen auch für neue Arbeitsplätze. Das sichert vorhandene Arbeitsplätze. Das Hotel- und Gaststättengewerbe und die Tourismusbranche haben mit uns allen Grund zur Freude.

Mit dieser Lösung wird das neue NordrheinWestfalen seinen Bürgern die bundesweit fortschrittlichste Regelung bieten. Sie ist ausgewogen, und sie ist auch fair. Hier geht nichts zulasten der Anwohner, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Die Regelung stellt nämlich gleichzeitig sicher, dass auch der

Anwohnerschutz gewährleistet bleibt, so wie wir es damals bei der Innengastronomie gemacht haben. Die Regelung gewährleistet den Anwohnerschutz, weil bei schützenswerten Bereichen – Wohngebiete oder Nähe zu einem Seniorenheim oder Krankenhäuser – die Gemeinden mit Ortsrecht vor Ort reagieren können.

Ortsnähe und Entscheidungsbefugnis gehören dahin, wo man sie richtig einschätzen kann. Das machen wir. Das ist auch nicht neu; das habe ich bereits erwähnt. Bei der Kürzung der Sperrzeiten in der Innengastronomie haben wir das genauso gemacht. Ordnungsamtsleiter prognostizierten damals den Untergang des Abendlandes, am schlimmsten der Kölner. Vor laufender Kamera hat der Kölner Ordnungsamtsleiter mitgeteilt: Mir fehlen dann 800.000 an Gebühren aus der Verlängerungspraxis.

(Achim Tüttenberg [SPD]: Wird Herr Schram- ma ihm gesagt haben!)

Verwaltung ist als Selbstzweck.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erinnere an die Reden von Herrn Eumann und Frau Milz, als es um die Innengastronomie ging. Das, was von den Grünen als Bedenken vorgetragen wurde, ist nicht eingetreten. Fragen Sie nach. Man ist sehr zufrieden mit dieser Regelung.

Aber im Weltmeisterschaftsjahr – nur noch 85 Tage bis zum Eröffnungsspiel – unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ haben wir auch einen anderen Bereich zu berücksichtigen. Nordrhein-Westfalen ist mit 16 Spielen – das ist ein Viertel aller Spiele – an den drei Standorten Köln, Dortmund und Schalke ein Zentrum dieser Fußball-WM. Acht Nationalmannschaften schlagen hier ihr Quartier auf. Noch drei Mal wird die deutsche Elf Vorbereitungsspiele bestreiten – ich hoffe, vom Ergebnis her besser als in Florenz. Wir erwarten in Deutschland über 3,2 Millionen Gäste, davon ein Drittel aus dem Ausland.

Längst nicht alle in Nordrhein-Westfalen werden die Möglichkeit haben, die Spiele live in den Stadien zu erleben. Deshalb haben wir die Großbildleinwände. Auch dabei ist es wichtig, dass nicht in der Verlängerung oder gerade beim Elfmeterschießen, weil der Gesetzgeber es so wollte, abgebrochen werden muss. Die deutsche Uraltbürokratie wäre auch dazu noch imstande.