Protokoll der Sitzung vom 04.05.2006

Dieses Beispiel zeigt: Die Grundeinstellung von Frau Minister Müller-Piepenkötter passt sehr gut in das gesamte Bild der CDU, deren Erkennungsmerkmal – das haben wir in den letzten zwei Tagen häufig gehört – zu sein scheint: versprochen, gebrochen.

Dass die CDU ihre Wahlversprechen nicht einhält, das sieht auch der Deutsche Richterbund so. Er beklagt in der Stellungnahme des Landesverbandes, dem Frau Müller-Piepenkötter ja noch bis zum Amtsantritt vorstand, vom 13. März:

„Die Landesregierung kürzt keineswegs durchgängig. Vielmehr setzt Sie sehr wohl schon im Landeshaushalt für 2006 deutliche Schwerpunkte – die Justiz gehört allerdings nicht, wie vor der Wahl versprochen, dazu.“

So weit zum Thema „Versprechen der neuen Landesregierung“.

Für unseren Rechtsstaat ist es aber viel schlimmer, dass die jetzige Landesregierung mit ihrer Politik nicht die Funktionsfähigkeit der Justiz im Auge behält und die Ausführungen des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 2005 nicht ernst nimmt. In der Entscheidung führt der Senat aus:

„Nach der Erfahrung des Senats kommt es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsstrafverfahren dazu, dass eine dem Unrechtsgehalt schwerwiegender Korruptions- und Steuerhinterziehungsdelikte adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgen kann, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachver

halte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen.“

Auch die in Nordrhein-Westfalen in letzter Zeit gehäuften Fälle von Entlassungen aus der U-Haft unter anderem wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot deuten auf eine Maximalbelastung der Gerichte hin. Wo bleibt Ihr Verantwortungsgefühl?

Besonders bedaure ich jedoch die Kurzsichtigkeit dieses Haushaltes. Zukunftsfähig ist der Justizhaushalt nicht. Waren doch die Justizhaushalte der letzten Jahre davon geprägt, die initiierten und begonnenen Reformen, Projekte und organisatorischen Maßnahmen seriös umzusetzen und weiter zu entwickeln, ist davon heute keine Rede mehr.

Zum Beweis will ich an dieser Stelle das Konzept zum Abbau der Überbelegung in den Haftanstalten als ein Beispiel herausgreifen. Dass dieses Konzept greift, belegen die Zahlen. Inzwischen verzeichnen wir einen, wenn auch leichten, Rückgang der Gefangenenzahlen. Waren in NordrheinWestfalen im Jahr 2005 noch 19.070 Menschen in Haft, so waren es am 31. März 2005 noch 17.990 Gefangene. Daher ist meine Fraktion der Auffassung, dass alle Maßnahmen, die zur Vermeidung von Haft beitragen, unvermindert fortgesetzt werden sollten.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Denn, meine Damen und Herren, auch wenn es die Straffälligenhilfe, den Täter-Opfer-Ausgleich und die Haftvermeidungsprojekte nicht zum Nulltarif gibt, so helfen sie unzweifelhaft, Haftkosten einzusparen, und entlasten daher Gerichte und Haftanstalten in erheblicher Weise. Wer bei der Haftvermeidung spart, zahlt bei den Haftkosten doppelt und dreifach drauf. Das ist nicht zukunftsfähig.

Wir haben Ihnen aufgezeigt, wie Sie besser vorgehen können. Schauen Sie sich unsere Anträge aus den Ausschussberatungen an. Beispielhaft greife ich heute noch einmal die Arbeit der freien Straffälligenhilfe, die Haftvermeidungsprojekte und den Täter-Opfer-Ausgleich auf. Bereits jetzt ist eine steigende Nachfrage beim Täter-OpferAusgleich festzustellen. Wir sind der Meinung: Wenn die qualitativ hochwertige Arbeit der Fachstellen, der Täter-Opfer-Ausgleich und die Konfliktregelungen in Nordrhein-Westfalen aufrecht erhalten werden sollen, ist eine Absenkung ausgeschlossen.

Auch die Haftvermeidungsprojekte und die freien Träger der Straffälligenhilfe haben erfolgreich

nachgewiesen, dass Haftvermeidung im großen Umfang möglich ist und zu hohen Einsparungen im Landeshaushalt führen kann. Deshalb ist es nicht nur widersprüchlich, sondern auch kurzsichtig, zu kürzen.

Ich zitiere noch einmal: Wir brauchen ambulante Netzwerke zur Nachsorge für Entlassene aus dem Strafvollzug, heißt es auf einer Expertentagung des Instituts für Konfliktforschung in Maria Laach, die kürzlich stattgefunden hat, damit eine Resozialisierung stattfinden kann.

Festgestellt wurde dort auch:

„Längere Haftstrafen tragen nicht dazu bei, die Rückfallquote zu senken. Im Gegenteil: Je länger die Leute in Haft sind und sich niemand um sie kümmert, desto sicherer ist die Gewähr für Rückfälle.“

Wenn Sie jetzt aber, Frau Minister MüllerPiepenkötter, die Arbeit der Freien Straffälligenhilfe und die ehrenamtliche Arbeit reduzieren, senken Sie gleichzeitig die Chancen für eine gelungene Resozialisierung. Wir alle wissen aber, dass eine größere Sicherheit und ein besserer Schutz in und für unsere Gesellschaft eine gelungene Resozialisierung voraussetzen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir wissen auch – die Regierung sagt es immer wieder –: Alle müssen sparen. Doch es ist nicht wahr: Sie sparen nicht an allen, aber an den falschen Stellen; an anderen legen Sie drauf. Statt ins soziale Netz zu schneiden, sollten Sie die bestehenden Netzwerke besser ausbauen. Prävention und Haftvermeidung lohnen sich allemal. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Dr. Seidl. – Für die FDP spricht Herr Dr. Orth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde, Herr Kollege Sichau und auch Frau Kollegin Seidl, muss ich mich doch etwas ärgern, dass Sie hier nicht ganz korrekt vortragen. Sie sagen undifferenziert, wir hätten Zusagen in Bezug auf kw-Vermerke gemacht. Ich kann für meine Fraktion ganz klar sagen, dass wir weder vor noch nach der Wahl eine solche Aussage getätigt haben. Ich bitte Sie, zukünftig bei den Fakten zu bleiben.

(Beifall von FDP und CDU)

Außerdem bin ich sehr beruhigt, dass die neue Landesregierung anscheinend sehr wohl zwischen Lobbyarbeit aus früherer Tätigkeit einerseits und Regierungstätigkeit heute andererseits zu differenzieren weiß.

(Beifall von der CDU)

Mich hat es wirklich immer sehr gestört, dass die Arbeit in Öko-Instituten als Regierungsmitglied fortgesetzt wurde oder dass sich die Gewerkschaftsfunktionärstätigkeit hinterher im konkreten Regierungshandeln widergespiegelt hat. Meine Damen und Herren, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Da vertraue ich der neuen Landesregierung mehr als der alten.

(Beifall von FDP und CDU)

Herr Kollege Sichau, Sie haben auf die TäterOpfer-Ausgleichspauschale abgestellt. Ich hätte mir gewünscht, dass die ehemaligen Landesregierungen die letzten Jahrzehnte genutzt hätten, über das antiquierte System der Verteilung von Mitteln nachzudenken. Jahrelang, jahrzehntelang haben Sie nicht nur beim Täter-Opfer-Ausgleich, sondern auch ansonsten immer die Einrichtungen finanziert, aber nie geguckt, was diese hinterher tatsächlich für die Menschen, die das erreichen soll, getan haben.

Wir gehen einen anderen Weg: Wir stellen um auf Fallpauschalen. Fallpauschalen haben nichts Schlechtes, sondern sie führen dazu, dass die Mittel des Landes zielgerichtet eingesetzt werden. Auch darüber freue ich mich sehr, meine Damen und Herren.

(Beifall von FDP und CDU)

Kollege Sichau, Sie sagen, wir hätten mit diesem Haushalt eine neoliberale Politik gemacht. Ich kann nur sagen: Wir haben liberale Politik gemacht. Darin ist auch „neo“ zu sehen. Aber „neoliberal“ ist dieser Haushalt wahrlich nicht.

(Beifall von der FDP)

Wir haben wesentliche Mittel behalten. Wir haben aber natürlich auch Kürzungen vornehmen müssen. Aber warum haben wir Kürzungen vornehmen müssen? Weil Sie in vielen Bereichen geschlafen haben! Sie haben das Landesjustizvollzugsamt geschaffen. Wir lösen es auf. Es sind ganz konkrete Einsparungen, die wir hier vornehmen.

(Beifall von der FDP)

Sie hatten das Patentgericht in Düsseldorf bereits aufgegeben. Die neue Landesregierung und inzwischen wir alle im Rechtsausschuss sind ganz

zuversichtlich, dass es auch in Zukunft Patentgerichtsbarkeit in NRW geben wird, die maßgeblich den Justizhaushalt finanziert, wie Sie wissen.

Leider haben wir auch viele ungelöste Probleme vorgefunden. Nehmen wir das Gerichtsgebäude in Düsseldorf: Sie haben es verkauft, und wir müssen den Neubau planen und regeln. Meine Damen und Herren, ich hätte mir gewünscht, dass die alte Landesregierung das Gebäude erst dann verkauft hätte, wenn die Planung des Neubaus durch gewesen wäre.

(Beifall von der FDP)

Genauso haben Sie uns jahrelang ein quasi fertiges neues Gefängnis für die Ulmer Höh als PPPProjekt in Hochglanz verkauft. Was war geschehen? Sie hatten noch nicht eine konkrete Sache durch. Einerseits haben Sie es nicht richtig durchgerechnet gehabt, andererseits haben Sie nicht das Gelände gehabt. Nun schlagen wir uns mit den Dingen herum, die Sie alle angeblich schon längst gelöst hatten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Frau Kollegin Seidl, ich empfand Ihren Vortrag im Vergleich zu denen der Kollegin Haußmann in den Vorjahren als wohltuend sachlich. Aber in einem Punkt, glaube ich, unterscheidet sich die Rechtsstaatspartei FDP sehr von der Partei der Grünen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Sie haben es als bedenklich empfunden, dass Menschen, die zu lange in U-Haft saßen, freigelassen wurden. Ich sage: Das ist Ausfluss des Rechtsstaates. Das gab es in allen Jahrzehnten dieser Republik. Ich bin froh, dass Gerichte weiterhin das Rechtsstaatsprinzip anwenden.

(Beifall von der FDP)

Was es allerdings nicht mehr gibt, das sind Freigänge für den Geiselgangster von Gladbeck. Da sind Sie, meine ich, viel zu weit gegangen.

(Beifall von der FDP)

Da sollte man über Risiken für die Gesellschaft nachdenken.

Zum Schluss möchte ich sagen: Wir sind schon ein ganzes Stück weiter. aber es gibt noch einiges zu tun. Aus meiner Sicht sind wir auch bei der Privatisierung noch nicht so weit, wie wir es am Ende der Legislaturperiode seien sollten. Wir haben uns vorgenommen, im Gerichtsvollzieherwesen Privatisierungsüberlegungen voranzutreiben. Wir diskutieren über Bewährungshilfe. Wir diskutieren über

Schulungseinrichtungen. Ich sage auch bewusst: Es darf auch in den Justizvollzugsanstalten kein Tabu für Privatisierungen geben, meine Damen und Herren.