Protokoll der Sitzung vom 17.05.2006

Meine Damen und Herren, den Grundsatz „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, den Sie jetzt bei der Gemeindeordnung offensichtlich doch anwenden, hätten Sie gerade beim Haushalt beherzigen müssen. Die Kommunalpolitiker hätten Ihnen berichtet, wie sich die Sparpolitik vor Ort auswirkt. Es ist doch kein Zufall, dass die allermeisten der Resolutionen – Sie wissen so gut wie ich, dass es Dutzende waren, die aus den Städte- und Gemeindeparlamenten an den Landtag geschickt worden sind – von der CDU vor Ort mit beschlossen worden sind.

Lassen Sie mich hier nur eine von vielen Resolutionen zitieren. Diese Resolution stammt aus Willebadessen, einer Gemeinde, die für viele CDUregierte Kommunen steht, einer Gemeinde, in der die CDU – man höre und staune – 18 von 26 Ratsmitgliedern stellt. Darin steht – ich zitiere –:

„Durch die geplanten Kürzungen im Bereich der Kindergartenfinanzierung wird das positive Bemühen der Landesregierung um eine Verbesserung der vorschulischen Bildung ad absurdum geführt.“

(Beifall von der SPD)

Da kann man nur applaudieren!

„Sollten die Folge … steigende Kindergartenbeiträge sein, werden noch mehr Kinder keine Kindertageseinrichtung besuchen und somit ohne vorschulische Bildung bleiben und daraus folgend mit deutlichen Defiziten die Grundschule besuchen. … Eine solche Verlagerung gesetzlicher Finanzierungspflichten des Landes auf die Kommunen ist nicht hinzunehmen.“

(Christian Lindner [FDP]: Absurd!)

Regen Sie doch nicht so auf! Das sind doch nicht Ihre Parteikollegen. Die sind doch von der CDU. Sie haben eh keine Basis in den Kommunen dieses Landes.

(Lachen und Beifall von der SPD)

Ich kann Ihnen ein weiteres Beispiel nicht ersparen. Die CDU-Fraktion in Oberhausen hat einen Protestbrief an den gesamten Landtag geschickt.

Ich dachte, ich lese nicht richtig. Dort ist nämlich – ich zitiere – zu lesen:

„Für uns sind die CDU-Wahlaussagen auch nach der Wahl in der Stunde der Haushaltswahrheit gültig. … Aus diesen Gründen unterstützt unsere Fraktion die erneute Volksinitiative ‚Jugend braucht Vertrauen’ im Interesse der Betroffenen.“

Meine Herren und Damen von der CDU, es muss schon bitter sein, wenn einem die eigenen Parteifreunde in offiziellen Zuschriften bescheinigen, dass man seine Versprechen bricht.

(Lebhafter Beifall von der SPD)

Noch eine letzte Stellungnahme, die ich auch sehr interessant finde. Dabei geht es um die Stellungnahme der Caritas, die die Caritas-Direktoren aller Diözesen in NRW unterschrieben haben. Ich zitiere:

„Daher warnen wir ausdrücklich vor den hohen sozialen Folgekosten einer Politik, die ausschließlich die Haushaltskonsolidierung anstrebt. Wer heute bei Leistungen für Kinder, Jugendliche und Familien spart, dem wird morgen die Infrastruktur fehlen, die diese brauchen.“

Herr Ministerpräsident, dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dabei legen Sie doch großen Wert darauf, Ihre Politik aus christlichen Werten und Traditionen abzuleiten. Diese Stellungnahme zeigt – deshalb habe ich sie hier zitiert: Sie haben es innerhalb eines Jahres geschafft, selbst den Bonus in Ihrer Kernzielgruppe zu verspielen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Viele Ihrer Wahlversprechen sind heute schon nicht mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt worden sind.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von der SPD: So ist das!)

Das Problem ist: Die Menschen haben es gemerkt. Studenten, Richter, Beamte, Polizisten, der DGB –

(Zuruf von der CDU)

sie merken, dass Sie die Gesellschaft entsprechend Ihrer konservativen marktliberalen Vorstellungen umbauen. Ihr neues NRW wird ein sozial kaltes NRW sein.

Herr Ministerpräsident, das wird Ihnen auf Dauer niemand abnehmen: samstags und sonntags der neue Karl Arnold und ab Montag wieder neoliberales „Privat vor Staat“ und sozialer Kahlschlag beim Haushalt. Und das Ganze, ohne mit der Wimper zu zucken, meine Damen und Herren.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Der Landeshaushalt 2006 ist ein Ausweis dieser Politik. Halten wir uns zunächst einmal an die offensichtlichen Fakten: Es ist kein Sparhaushalt. Bereinigt um die Sondereffekte des Jahres 2005, die wir alle kennen, wächst er sogar. Bei dieser Gelegenheit darf daran erinnert werden, dass es ein verfassungswidriger Haushalt ist, weil Sie ohne rechtlich tragfähige Begründung mehr Schulden machen als Investitionen tätigen.

(Beifall von der SPD)

Ich erinnere mich gut an Ihre Wahlversprechen, Sie würden den Haushalt so schnell wie möglich – Sie haben den Eindruck erweckt: eher morgen als übermorgen – wieder ins Lot bringen. Was stellen wir fest: Dieser Haushalt ist der Haushalt mit der höchsten Nettoneuverschuldung bei Einbringung in der Geschichte dieses Landes.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Lachen und Widerspruch von der CDU)

Wir warten ab, bis das Jahr zu Ende geht. Sie hoffen darauf, dass die Steuern noch stärker fließen. Darauf komme ich gleich noch.

Eine letzte Überschrift: Es ist ein Haushalt der Umverteilung. Sie setzen in Wahrheit neue Schwerpunkte. Aber die Verlierer sind und bleiben die Kinder, die Jugend und die Familien in diesem Land.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie kürzen drastisch bei den Kindergärten. Da helfen Ihre Trostpflaster auch nichts.

(Rudolf Henke [CDU]: 65 Millionen € mehr für Kinder!)

Fakt ist: Rein rechnerisch hat jeder Kindergarten in diesem Jahr 17.000 € weniger Geld.

(Minister Armin Laschet: Das stimmt doch nicht!)

Sie kürzen bei der Familienberatung. Sie brechen Ihre eigenen Versprechen zur dauerhaften Finanzierung des Landesjugendplans. 20 % weniger für die Träger und Vereine in den sozialen Netzen. Das ist Ihre durchschnittliche Marge.

Herr Ministerpräsident, aber an anderer Stelle legen Sie mehr drauf – Beispiel: Landwirtschaftskammer, Beispiel: Werbung in eigener Sache. Ich weiß ja, Herr Ministerpräsident, dass Sie ein Baumarktfreund sind. Vielleicht verfahren Sie nach dem „Praktiker“-Spruch: 20 % auf alles, außer auf Tiernahrung und auf Werbung!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie erklären Ihren Kurs für alternativlos. Herr Ministerpräsident, Sie irren. Es gibt Alternativen. Wir haben Sie in den Beratungen aufgezeigt: Die Kürzungen bei Kindern, Jugend, Familien, Frauen und sozialen Netzen könnten zurückgenommen werden, ohne dass auch nur ein Euro mehr Schulden zulasten kommender Generationen aufgenommen werden muss.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

In der zweiten Lesung haben Sie unsere Vorschläge als unseriös und unsolide abgetan. Offensichtlich hat der Finanzminister, der angeblich alle Tricks kennt, den Zeitpunkt der Steuerschätzung nicht auf dem Bildschirm gehabt, als er Ihnen den Zeitplan vorgeschlagen hat. Denn inzwischen hat Sie die Realität an dieser Stelle eingeholt.

Zur Erinnerung: Wir hatten in der zweiten Lesung Steuermehreinnahmen von 350 Millionen € einkalkuliert. Ich bleibe dabei: 496 Millionen € sind es geworden. 300 Millionen € geben Sie zu. 200 Millionen € wollen Sie unter den Tisch fallen lassen, und die werden wohl im Sparstrumpf landen.

(Zuruf von der CDU: Sparstrumpf?)

Von den 350 Millionen € wollten wir einen Großteil, nämlich rund 260 Millionen €, verwenden, um weniger neue Schulden zu machen. Jetzt, nach der neuen und aktualisierten Schätzung, könnten es noch 146 Millionen € mehr sein. Gleichzeitig haben wir Ihnen bewiesen, dass noch Luft im Haushalt ist. Wir haben Einsparungen und Mehreinnahmen in Höhe von 235 Millionen € vorgeschlagen. Damit könnten, meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, Ihre unsozialen Kürzungen zurückgenommen und für die Zukunft des Landes entscheidende familienpolitische Weichenstellungen vorgenommen werden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir sind uns doch in der Analyse

und in den Zielen bei den Kernproblemen unseres Landes meist einig.

(Hendrik Wüst [CDU]: Nein! Sie wollen mehr Schulden, wir weniger!)