Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Wie das funktioniert, kann man etwa am Beispiel der Universität Bremen sehen. Wer von uns hätte vor fünf oder zehn Jahren gedacht, dass diese Universität es einmal schaffen würde, in einem nationalen Wettbewerb unter die besten zehn Universitäten gelangen zu können? Das hat sie nur erreicht, weil sie diesen Wettbewerb auch tatsächlich aufgenommen hat.

Dritte Voraussetzung: Wer Schrittmacher will, muss Entscheidungsstärke zulassen. Ich zitiere hierzu den Konstanzer Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß:

„Die überkommenden Organisationsstrukturen der deutschen Universität sind so ausgelegt, dass sie Verantwortlichkeiten zerlegen, und zwar derart, dass Verantwortung im strengen Sinne schließlich nirgendwo mehr wirklich identifizierbar ist.“

In dem uns heute vorliegenden Antrag der SPDFraktion erkenne ich keinen einzigen Ansatzpunkt, um die von Mittelstraß so treffend charakterisierte kollektive Unverantwortlichkeit an unseren Hochschulen aufzulösen. Im Gegenteil. Sie wollen keine modernen Organisationsstrukturen, in denen sich die Gremien und Organe in den Hochschulen nicht mehr gegenseitig ausbremsen und blockieren. Was Sie wollen, ist nur ein aufpolierter Status quo.

Das soll diejenigen an den Hochschulen beruhigen, die sich durch den Gesetzentwurf der Landesregierung in ihrer Komfortzone beeinträchtigt sehen. Im Gesamtinteresse unserer Hochschulen liegt das nicht. Es liegt auch nicht im Interesse derjenigen an den Hochschulen, die schon längst darunter leiden, dass die Rahmenbedingungen sie daran hindern, besser zu forschen, zu lehren und am internationalen Wettbewerb teilzunehmen.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist für diejenigen gemacht, die die Hochschulen voranbringen wollen. Wir schaffen neue starke Leitungsstrukturen in den Hochschulen mit klarer Aufgabenverteilung zwischen Hochschulleitung und hochschulinterner Selbstverantwortung.

Die neuen Strukturen schaffen auch eine engere Anbindung an das gesellschaftliche Umfeld. Das

Gesetz stärkt die Handlungsfähigkeit des Präsidiums beziehungsweise Rektorats. Es definiert eine klare und konstruktive Rolle des Senats. Der Senat ist für die Rechtsetzung zuständig. Er berät die Hochschule in wichtigen Fragen. Als neues Organ kommt der Hochschulrat hinzu. Er hat die Aufgabe, die Hochschulleitung strategisch zu beraten und Aufsichtsfunktionen wahrzunehmen.

Über diesen Rat ist in den letzten Wochen viel geredet worden. Aus meiner Sicht klang es manchmal so, als sollten künftig dubiose Gestalten die Geschicke unserer Hochschulen bestimmen. Lassen Sie mich dazu nur zwei Beispiele nennen. Im Hochschulrat der TU München sitzt ein Nobelpreisträger für Chemie neben dem Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG. Im Hochschulrat der TU Darmstadt sitzt die renommierte Soziologin und Leiterin des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, Allmendinger, neben dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Prof. Dr. Gruss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer uns glauben machen will, dass die Hochschulen vor solchen Persönlichkeiten Angst haben sollten, hat die Hochschullandschaft in Wahrheit überhaupt nicht verstanden.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir glauben, dass unsere Hochschulen von solchen Persönlichkeiten profitieren könnten.

Moderne Leitungs- und Organisationsstrukturen stehen keinesfalls im Widerspruch zu wissenschaftlicher Exzellenz, sondern sie machen Spitzenleistung oft erst möglich. Die Hochschulen werden als Ganzes ihre Ziele besser erreichen und endlich entscheidungsstarke Partner anderer Akteure in Wissenschaft und Wirtschaft sein.

Entscheidungsstark ist aber nur der, der über Personal und Finanzen selbst bestimmen kann. Deswegen werden die Hochschulen künftig ein eigenverantwortliches Personalmanagement betreiben können. Die Hochschule wird Arbeitgeber beziehungsweise Dienstherr ihres Personals.

Eines ist mir dabei besonders wichtig. Bei diesem Übergang vom Land auf die Hochschulen verlieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keinerlei Rechte. Die Tarifverträge bleiben gültig. Im Bereich der Finanzen werden die Hochschulen aus dem Korsett der Landeshaushaltsordnung befreit. Auch das Mitsteuern des Staates über die Haushaltsordnung entfällt. Bisher haben wir den Hochschulen so wichtige Punkte diktiert wie: Der Dienstwagen des Rektors darf mit Standheizung

ausgestattet werden, der Wagen des Kanzlers oder des Co-Rektors nicht.

(Zuruf von der SPD: Das sind keine Neuhei- ten! Das ist Schnee von gestern!)

Wir meinen, solcherlei Regelungen brauchen wir erwachsenen Menschen nicht vorzugeben.

(Beifall von CDU und FDP)

Die Hochschulen werden künftig über Zuschüsse finanziert und können dann frei wirtschaften.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu einem anderen Thema sagen, das in der Diskussion war. Ich meine die angeblich drohende Insolvenz.

Ich zitiere aus der „Westfälischen Rundschau“ vom 15. Juni. Dort hat sich der künftige DFGPräsident, Matthias Kleiner, von der Universität Dortmund geäußert. Ich finde seine Aussage auch deshalb wichtig, weil sie ebenfalls für manch andere Stimme gilt, die gelegentlich so kritisch daherkommt wie manche Meldung, die man am heutigen Tag so liest. Herr Kleiner sagt:

„Da gibt man den Unis neue Möglichkeiten. Und das Erste, worüber geredet wird, ist das, was irgendwo am Ende drohen könnte. Das ist typisch deutsch. Man kümmert sich nur um den Worst Case.“

Hier wird von einem Wissenschaftler aus Nordrhein-Westfalen, dem künftigen DFG-Präsidenten, verdeutlicht, wie unser Hochschulfreiheitsgesetz in Wahrheit zu bewerten ist.

(Beifall von der FDP)

Es schafft Freiheit und Autonomie, damit die Hochschulen besser werden können. Es eignet sich nicht, um die Risiken wieder in den Vordergrund zu stellen. Wir haben trotzdem alle Bedenken aufgegriffen.

Die Reformgegner wollten suggerieren, dass wir uns selbst beim Worst Case nicht um die Mitarbeiter kümmerten. Ihnen will ich noch einmal sagen, dass selbst für den theoretischen Fall einer nicht hinreichenden Zahlungsfähigkeit die Fortzahlung der Gehälter der Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeiter stets durch den Gesetzentwurf gesichert ist und dass die Studierenden ihr Studium vollenden können.

Gleiches gilt für die angebliche Mehrkostenbelastung, die auf die Hochschulen zukommen könnte. Ich kann Sie beruhigen. Die Arbeitsgruppe, die wir dazu mit den Universitäten und Fachhochschulen eingerichtet haben, wird zu einem sehr positiven Ergebnis kommen.

Aus anderen Ländern, die ein solches Hochschulfreiheitsgesetz eingerichtet haben, zum Beispiel Österreich, wissen wir – jetzt bitte ich die Präsidentin des Landesrechnungshofes und den Landesfinanzminister, wegzuhören –, dass es erhebliche Rationalisierungspotenziale gegeben hat, die die Hochschulen nutzen konnten. Ich möchte, dass diese Potenziale nicht von den Hochschulen abgezogen werden, sondern bei den Hochschulen verbleiben. Wir wollen stärkere und bessere Hochschulen. Nur: Wir gehen davon aus, dass sie sich nicht vor dieser Freiheit fürchten müssen, sondern die Freiheit als Chance nutzen können, um hinreichende finanzielle Gestaltungskraft zu haben und die Herausforderungen der nächsten Jahre tatsächlich bewältigen zu können.

Daher haben wir uns als Landesregierung mit Blick auf steigende Studierendenzahlen auch auf Bundesebene eingebracht und deutlich gemacht: Das Land Nordrhein-Westfalen bildet jeden vierten Studierenden in Deutschland aus. Wir leisten also einen überdurchschnittlichen Beitrag. Wir sind auch gerne bereit – wenn der Bund einen zusätzlichen Aufwuchs an Studierendenzahlen durch entsprechende Begleitfinanzierung besser ausstatten will –, weitere Verantwortung zu übernehmen.

Eines ist für uns aber auch klar: Nach unserer festen Überzeugung können an dem Hochschulpakt 2020, für den ich mich persönlich von Anfang an intensiv eingesetzt habe, nur diejenigen Bundesländer teilnehmen, die in den nächsten Jahren keine Kapazitäten aus eigener Kraft abbauen, sondern mindestens ihre Kapazitäten in dem bisherigen Umfang aufrechterhalten. Nur dann macht es Sinn, diesen Ländern auch einen weiteren Aufwuchs zu ermöglichen.

Lassen Sie mich zu einer abschließenden Feststellung kommen: Wir brauchen den entscheidenden Schritt zur echten Eigenverantwortung und Autonomie. Und ich betone: Wir brauchen ihn jetzt. Anders als von der SPD in dem Antrag suggeriert, sind in die vorliegende Fassung des Gesetzes konstruktive Kritik und Vorschläge aus der internen Anhörung eingeflossen. Alle inhaltlichen Punkte der Landesrektorenkonferenz sind 1:1 in den vorliegenden Gesetzentwurf eingearbeitet worden. Der intensive Dialog mit den Beteiligten in den Hochschulen hat also nicht nur stattgefunden, sondern auch konkrete Ergebnisse zutage gefördert.

Was die SPD mit ihrem Antrag und den dazugehörigen Eckpunkten liefert, ist kein Gegenentwurf, sondern ein selbstzufriedenes „Weiter wie bisher“.

Das können wir uns aber, wie ich meine, nicht leisten.

Die Uhr tickt für unsere Hochschulen. Unsere Hochschulen müssen im internationalen Wettbewerb dringend besser werden. Wir wissen das und wollen darauf die richtige Antwort geben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Minister Dr. Pinkwart. – Für die SPD spricht nun Herr Kollege Eumann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Autonomie für die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen – das ist auch das Ziel der SPD.

Der Titel Ihres Gesetzentwurfes „Hochschulfreiheitsgesetz“ verspricht Verheißungsvolles. Der Inhalt wird dem nicht gerecht. Wir bleiben dabei: Sie missbrauchen den Freiheitsbegriff. – Es hat mit Worst Case, Herr Minister Pinkwart, nichts zu tun, wenn statt mehr Freiheit Zahlungsunfähigkeit für nordrhein-westfälische Hochschulen am Ende ihres Prozesses steht. Das ist kein Worst-CaseSzenario, sondern es ist die Spur, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf angelegt haben. Auf diesen Nenner lässt sich der Gesetzentwurf zum sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz bringen.

Das, was Sie heute hier formuliert haben, Herr Minister Pinkwart, zeigt auch, dass Sie nicht bereit sind, die Menschen mitzunehmen. Wenn Sie von Komfortzonen an den Hochschulen sprechen, dann sprechen Sie davon, dass es da Beschäftigte gibt, die ihre Arbeit nicht gut und engagiert machen. Wenn Sie davon sprechen, dass es nicht nur Gewinner, sondern vor allem auch Verlierer gibt, dann setzen Sie darauf, dass es nicht nur Gewinner in Nordrhein-Westfalen an den Hochschulen gibt. Die Hochschulen, die Professoren, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Studierenden sollen Gewinner sein. Aber Sie gehen ja schon davon aus, dass es Verlierer in Ihrer Politik geben wird.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Gibt es hier im Plenum auch!)

Und das kritisieren wir an Ihrem sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz. Das ist der falsche Weg. Denn am Ende werden wahrscheinlich weniger Vielfalt in Forschung und Lehre stehen und wahrscheinlich sogar weniger Hochschulen in Nordrhein-Westfalen.

Wie groß Ihre eigene Unsicherheit ist, Herr Minister Pinkwart, zeigt sich an Ihrem Zeitplan. Man könnte ja meinen, er sei, wohlwollend formuliert, ambitioniert. In Wahrheit wollen Sie Ihren Gesetzentwurf durch das Parlament und die Beratung peitschen, um die Kritik wenn nicht in der Dimension, aber zumindest im zeitlichen Umfang einigermaßen zu begrenzen.

(Christian Lindner [FDP]: Sie haben bei den Beratungen den Zeitplan nicht eingehalten!)

Doch, doch. Den haben wir eingehalten. Aber wir haben die Kritik doch mitbekommen. Wir haben ihn verabredet. Ihre Intervention an der Stelle, Herr Minister Pinkwart, ist doch geschenkt. Es gibt erhebliche Kritik an Ihrem Entwurf. Das wissen Sie. Sie haben die Kritik nicht in ausreichendem Maße aufgenommen. Dass es Kritik gibt, sehen Sie auch an den demonstrierenden Studierenden heute hier vor dem Landtag. Da wird noch so manches kommen.

Sie sind auch in einigen Punkten

(Zurufe von der FDP)

seien Sie doch ein bisschen gelassener, wenn Sie so sicher sind – zu Änderungen gekommen, wobei klar ist: Ihr vermeintlich großzügiges Angebot erstreckt sich vor allem darauf, im Falle der drohenden Zahlungsunfähigkeit einer NRWHochschule einen Insolvenzverwalter dorthin zu schicken, der die Abwicklung des Studienbetriebes organisiert und der übrigens nur – ich komme gleich noch darauf – für das Personal verantwortlich ist, das bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Hochschule gehört hat.

Herr Minister Pinkwart, es gibt – Sie wissen das – nicht nur Kritik hier im Landtag von NordrheinWestfalen, sondern es gibt von vielen Seiten Kritik an dem, was Sie machen. Ich zitiere die Stellungnahme der Vereinigung der Industrie- und Handelskammern, die auch noch einmal etwas zum Zeitplan sagt. Sie schreibt zum Referentenentwurf:

„Der Gesetzgeber sollte sich darüber im Klaren sein, dass er bei der kurzen Frist bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes viele Hochschulen in NRW vor nicht lösbare Anpassungsprobleme stellen wird.“

Das ist doch die Kritik: Sie wollen hier etwas durchpeitschen.