Eines der Ziele der damaligen Reform war es, die Bürgerinnen und Bürger stärker am kommunalen Geschehen zu beteiligen. Dies gelang durch die Einführung des Bürgerbegehrens.
Seit den Kommunalwahlen von 1999 ist der Reformdruck in den Kommunen weiter gestiegen. Der damalige Innenminister Dr. Behrens berief eine Kommission ein, die im Jahre 2002 einen umfangreichen Empfehlungskatalog über Änderungsnotwendigkeiten der Gemeindeordnung vorlegte.
Unter den Kommissionsmitgliedern befanden sich von allen hier im Landtag vertretenen vier Fraktionen die Vertreter der jeweiligen kommunalpolitischen Vereinigungen. Herr Jäger, hören Sie genau zu: Alle vier sprachen unter anderem mehrheitlich die Empfehlung aus, dass die Amtszeit der Bürgermeister von der des Rates abgekoppelt und auf sechs Jahre verlängert werden sollte. Wir erinnern uns noch genau – Kollege Lux hat es erwähnt –: Es waren die Kollegen Klaus-Viktor Kleerbaum von der CDU, Robert Krumbein von der SPD, Günter Karen-Jungen von Bündnis 90/Die Grünen und Wilfried Kruse von FDP.
Voller Zuversicht, dass mit einer weitergehenden Reform der Gemeindeordnung der Rohdiamant aus dem Jahre 1994 – das sage ich ganz bewusst – weiter bearbeitet und optimiert werden müsste, geschah aber nach dem Abschlussbericht der Expertenkommission in der rot-grünen Regierungszeit, Herr Jäger, Frau Löhrmann, nichts mehr – ja, gar nichts mehr.
Sie, meine Damen und Herren auf der heutigen Oppositionsbank, kamen einfach nicht in die Puschen. Wir warteten vergeblich auf eine Fortentwicklung der Gemeindeordnung beziehungsweise Kommunalverfassung, die auf den bis dahin gesammelten Erfahrungen aufbauen sollte.
Der damalige Innenminister Fritz Behrens erklärte regierungsamtlich auf eine Anfrage der FDPFraktion, dass er keine Reform der Gemeindeordnung in der 13. Legislaturperiode durchführen werde. Das ist nichts anderes als regierungsamtliche Verweigerung. Ich möchte über die Gründe dafür jetzt nicht spekulieren; das schenke ich mir.
Die FDP-Landtagsfraktion hatte diese damalige Entscheidung als falsch bewertetet und sich im Interesse unserer Kommunen und der Bürgerinnen und Bürgern der Mühe unterzogen, auf Basis des Abschlussberichtes der Innenministerkommission einen eigenen Gesetzentwurf zur Reform der Gemeindeordnung zu formulieren.
Nach der Landtagswahl 2005, bei der Sie abgewählt wurden, waren wir uns mit unserem Koalitionspartner bei der Regierungsübernahme sofort einig, dass wir die kommunale Selbstverwaltung natürlich stärken müssen und den 1994 begonnenen Reformprozess der Kommunalverfassung fortführen wollen. Es galt, durch Änderung der Kommunalverfassung in erster Linie die kommunale Selbstverwaltung und auch die lokalen Demokratiepotenziale zu stärken sowie die politische Akzeptanz durch die Bürgerinnen und Bürger zu fördern.
Im Klartext heißt das: mehr Eigenständigkeit der Kommunen und mehr Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungsprozessen.
Darüber hinaus galt es, Städte, Gemeinden und die übrigen kommunalen Gebietskörperschaften in ihren inneren Strukturen und Abläufen fit für die Zukunft zu machen.
Hierzu gehören unter anderem die Einführung des Ratsbürgerentscheids, die Neuordnung der Entscheidungs- und Verantwortungsabgrenzung zwischen Rat/Kreistag und Bürgermeister/Landrat, die Verankerung der Generationengerechtigkeit, die Herabsetzung der Mindestfraktionsstärke, das Antragsrecht der Fraktionen für Tagesordnungspunkte, geheime Abstimmungen auf Antrag einer Fraktion, die Verstärkung der Integrations- und Migrationsarbeit, die Änderung des kommunalen Wirtschaftsrechts – das wurde hier schon angesprochen – zugunsten der freien Wirtschaft. Hier gilt – das ist sehr richtig – privat vor Staat. Ich habe Ihnen bereits eingangs gesagt, was es heißt, vernünftige Ordnungspolitik zu machen. Weiter gehören dazu die Stärkung der interkommunalen Zusammenarbeit, die Herabsetzung der Einwohnerschwellenwerte, damit möglichst vor Ort unmittelbar bei den Bürgern die Aufgaben wahrgenommen werden, die Verlängerung der Amtszeit der Bürgermeister beziehungsweise der Landräte, die Entkoppelung der Wahl von Rat/Kreistag und Bürgermeister/Landrat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese wichtigen Eckpunkte, die zum Teil auch als Prüfaufträge formuliert worden sind, werden von uns in die Fortentwicklung des Reformprozesses wohl bedacht eingebunden und in die Tat umgesetzt.
Wer zweifelt denn daran, dass es das gute Recht der Regierungskoalition ist, ja sogar die Pflicht, alle Eckpunkte, auch die Entkoppelung der Gremien- und Personenwahl, vor einer Kabinettsentscheidung noch einmal unter die Lupe zu nehmen? Es gibt eben keine Schnellschüsse. Wir wollen ein Reformwerk aus einem Guss, einen großen Schritt und keine Trippelschritte.
Um gleich Ihrem Vorwurf, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, zu begegnen und Ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, möchte ich betonen, dass wir uns dafür die notwendige Zeit nehmen. Herr Dr. Behrens hatte damals im Rahmen der Debatte über die Gemeindereform in der 13. Legislaturperiode im Plenum vorgetragen, dass eine umfassende GONovelle einen Vorlauf von zwei Jahren benötigt.
Ich selber habe mich bei Kollegen von der SPDFraktion und von CDU-Fraktion erkundigt, wie lange wir denn dafür brauchen und wie sie das
einschätzen. Es hieß: mindestens anderthalb Jahre. Wir sind also mit 16 Monaten klar im Zeitplan. Und wenn Sie, Herr Jäger und andere Kolleginnen und Kollegen, von Kumulieren und Panaschieren sprechen und hier vortragen, das würde die Wahlbeteiligung senken,...
... sage ich Ihnen: Der Einfluss des Wetters ist größer als Kumulieren und Panaschieren. Das wissen Sie als Wahlkämpfer auch.
Die Überlagerung der Personenwahl von der Gremienwahl so wie jetzt macht die einzelne Entscheidung vor Ort komplizierter. Tun wir was vor Ort, dann sage ich Ihnen, welche Mobilisierungseffekte damit verbunden sind. Mobilisierungseffekte heißt auch, wer alles dann noch zusätzlich zur Wahl geht. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Für die Landesregierung hat der Innenminister, Herr Dr. Wolf, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein erneuter Versuch der Opposition, ohne das Fundament eines Gesetzentwurfes hier die Reform der Kommunalverfassung zu diskutieren.
Und wir haben erlebt, dass Herr Jäger meinte, auch noch das Kumulieren einführen zu müssen, was erkennbar in dieser Tranche unserer Reformpolitik überhaupt noch nicht auf der Tagesordnung steht.
Diesmal nehmen die Fraktionen der Opposition die Kommunalwahl in Niedersachsen zum Anlass einer Debatte über Wahlbeteiligung. Ich rate an, sich an die eigene Nase zu fassen und sich die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen unter Ihrer Regierungsverantwortung anzuschauen. Wenn wir die Wahlbeteiligung von 1984 bis 2004 vergleichen, dann ist sie in dieser Zeit von 65,8 auf 54,4 % gesunken, also um mehr als 10 %.
Wenn wir den Ausschlag bei der 94er-Wahl beiseite lassen, als gleichzeitig der Bundestag gewählt wurde, ist das ein veritabler Rückgang.
Ich habe nicht erlebt, dass Sie sich in der Vergangenheit heftig Gedanken darüber gemacht hätten, wie man das ändern könnte. Nun versuchen Sie, hier einen Popanz aufzubauen, als ob durch eine solche Änderung der GO maßgeblich die Wahlbeteiligung beeinflusst würde. Ihre Krokodilstränen sind wahrlich unangebracht.
Die Entkoppelung der kommunalen Wahlen wird hier thematisiert, die Verlängerung der Amtszeiten, die Abschaffung der Stichwahl. Das sind alles Elemente – sowohl Kollege Lux als auch Kollege Engel haben es gesagt –, die alle schon in der damaligen Reformkommission mit einer durchaus breiten Mehrheit gemeinsam verabschiedet worden sind, nur ist es nicht zu einem Gesetzentwurf gekommen. Das hat an der SPD gelegen – das wissen wir –, die insbesondere die Verlängerung der Amtszeit nicht wollte.
Übrigens: Wer über Stichwahlen spricht, sollte sich einmal ganz kurz fragen, wie man ein Direktmandat im Landtag gewinnt.
Wenn Sie sich das einmal anschauen, sehen Sie: Weiß Gott bekommen nicht alle im ersten und einzigen Wahlgang direkt Gewählten über 50 %. Also auch hier bedarf es nicht der absoluten Mehrheit. Deswegen rate ich, das Ganze ein bisschen niedriger zu hängen.
Ball flach halten gilt natürlich auch bei dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Sie kultivieren wieder einmal die Ängste in Bezug auf die Wahlbeteiligung. Diese Ängste nehmen wir sehr wohl ernst, müssen sie aber auch insofern relativieren, als die Wahlbeteiligung systemunabhängig in ganz Deutschland bei allen Wahlen zurückgeht. Das heißt, dieses Phänomen an nur einem und gerade diesem Punkt aufzuhängen, ist sicherlich völlig falsch.
Wenn dann auch noch wieder Frau Löhrmann mit ihrem Thema des § 107 GO hier aufschlägt, kann ich nur sagen: Ein Blick über die Landesgrenzen wirkt immer Wunder. Wenn man sieht, welche Art von Regelungen in anderen Ländern völlig unproblematisch laufen, dann sollte man hier nicht den Untergang des Abendlandes beschwören.
Im Übrigen spielen gerade die Grünen – das möchte ich noch einmal betonen – ihren beliebten Part der Umfaller-Partei; sie schlagen sich in die Büsche. Sie haben sich damals in der Expertenkommission gegen die SPD mit den damaligen Oppositionsparteien auf eine Linie verständigen wollen. Ich weiß noch, wie es im kommunalpolitischen Ausschuss von Ihrem Vertreter immer wieder hieß: Wir würden ja gerne, leider macht der Koalitionspartner nicht mit. Dann ist das Ding zweieinhalb Jahre hängengeblieben.
Wir werden jetzt die Gemeindeordnung mit einer entsprechenden Reform versehen. Das ist völlig klar. Das wird eine ausgewogene und gute Gemeindeordnungsänderung. Wir lassen uns dabei von oppositionellem Störfeuer überhaupt nicht bremsen. Das sind wir gewohnt.
Ich sage Ihnen: Gerade mit Blick darauf, dass Sie in Ihren eigenen Parteien auch Diskussionsbedarf zu diesen Punkten haben, sehen wir das Ganze ganz gelassen.
Das Parlament hat keine Moderatorenrolle und Aufsichts- und Kontrollfunktion gegenüber einer Partei, auch nicht über Parteitage. Ich kann mir gut vorstellen, dass die heutige Opposition es sich sicherlich verbeten hätte, hätten wir Ihnen für Parteitage Vorschriften oder Vorschläge unterbreitet. Exakt so sehen wir das umgekehrt.