Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

Richtig ist – auch das haben meine beiden Vorredner festgestellt –, dass der Umzug, wenn er komplett erfolgen würde, erhebliche zusätzliche Mittel in Milliardenhöhe als Aufwand für uns alle, für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, bedeuten würde. Richtig ist aber auch, dass er Vertrauen in der Region verletzten würde. Richtig ist auch, dass er nicht nur dazu führen würde, dass Ministerien gehen, sondern dass sich das weiter beschleunigen würde, was wir heute bereits haben, nämlich dass Verbände – das ist ein ganz wesentlicher Punkt – in die Nähe von Ministerien ziehen, wodurch das geschieht, was wir in der Region immer als Rutschbahn bezeichnet haben und was für uns ganz gefährlich ist.

Das ist übrigens eine Tendenz, die in den letzten Jahren längst begonnen hat. Unabhängig davon, dass wir alle diesen Beschluss aufrechterhalten wollen, haben sich zum Beispiel die Kassenärztliche Vereinigung, der Verband der Angestelltenkrankenkassen oder die AOK längst auf den Weg nach Berlin gemacht, wiederum mit der Folge, dass sich etliche Softwarefirmen, die sich in der Region rund um diese Verbände angesiedelt hatten, ebenfalls auf diesen Weg gemacht haben. Das heißt, wir haben es mit einer Angelegenheit zu tun, die latent stattfindet und die man nicht noch beschleunigen darf.

Auf einen Punkt möchte ich aufmerksam machen, der alle Fraktionen betrifft: Wir müssen versuchen, auch die Missgunst, die dieser Region entgegenschlägt, zu durchbrechen. Immer wieder hört man aus Berlin: Es geht euch gut genug. Ihr habt den wirtschaftlichen Umschwung geschafft. Ihr braucht das alles nicht mehr; aber wir hier in Berlin brauchen das.

Man muss deutlich darauf hinweisen, dass es sehr viel Initiative in Bonn, im Rhein-Sieg-Kreis und zum Teil auch in Ahrweiler gegeben hat, um Ausgründungen von Firmen zu beschleunigen, um das zu beschleunigen, was an Umbauten in der Region nötig gewesen ist – rund um die Telekom, die Post, die internationalen Organisationen.

Bei all dem muss man sehen, dass das alles noch keine festen Strukturen sind, die nicht zerstörbar sind, die nicht in Frage gestellt werden könnten. Es sind vielmehr Strukturen, die Stabilität auch in den nächsten Jahren brauchen. Man stelle sich einmal vor, was mit dem UN-Standort passieren würde, wenn tatsächlich alle Ministerien nach Ber

lin gehen würden. Es ist leicht vorherzusagen, dass wir dann am Ende vor einer Situation stünden, in der auch diese Standorte wieder in Frage gestellt würden.

Wir müssen daher auch in Berlin argumentieren, dass der Strukturwandel, der hier stattgefunden hat, noch nicht beendet ist, dass er nicht so stabil ist, dass er unwiderruflich wäre, und dass es nicht sein darf, dass er hier immer wieder in Frage gestellt wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen – auch das gehört dazu –: Wer die Debatte seinerzeit verfolgt und gesehen hat, wie sich insbesondere Herr Schäuble und Herr Genscher mit ihren Argumenten pro Berlin durchgesetzt haben, wer weiß, wie knapp der Beschluss war, dem ist auch klar, dass dieser Beschluss so nicht zustande gekommen wäre, wenn nicht damals schon von einer fairen Arbeitsteilung und von den heutigen Aufteilungen der Ministerien die Rede gewesen wäre. Das war immer Bestandteil dieses Beschlusses.

Wer den Beschluss heute in Frage stellt, muss sich auch fragen lassen, ob der damalige Beschluss nicht dann unter Vortäuschung falscher Tatsachen zustande gekommen ist. Auch das muss man immer wieder in das doch etwas abgehobene „politische Raumschiff“ Berlin als Botschaft senden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Becker. – Für die FDP spricht nun Herr Dr. Papke.

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr, wenn der Sommer kommt, rotten sich in Berlin einige Hinterbänkler aus dem Deutschen Bundestag zusammen und fordern – darauf kann man jedes Jahr warten –, dass endlich der Gesamtumzug der im Berlin/Bonn-Gesetz aufgeteilten Bundesbehörden nach Berlin erfolgen muss.

Meine Damen und Herren, sachlich hat diese Forderung – ich werde darauf gleich noch zu sprechen kommen – einen ähnlichen Gehalt wie die ebenfalls in Berlin vor einem Jahr vorgetragene Forderung, Mallorca zum 17. deutschen Bundesland zu machen.

Gleichwohl – und deshalb ist diese Debatte heute im Landtag Nordrhein-Westfalen sinnvoll – müssen wir diese immer wiederkehrende, wenn auch

ebenso schnell wieder zu Ende gehende Debatte ernst nehmen; denn mit diesen Initiativen wird Jahr für Jahr ein falsches Bild geweckt, das sich nicht verfestigen darf. Dieses falsche Bild lautet: Es würden durch die seinerzeit festgelegte Arbeitsteilung im Berlin/Bonn-Gesetz immense unnötige Kosten verursacht.

Diese Aussage, diese Behauptung, meine Damen und Herren, ist falsch. Seitdem der Bundesrechnungshof das Ganze im Jahr 2003 durchgerechnet hat und zu der Einschätzung gekommen ist, dass ein Komplettumzug mindestens 5 Milliarden € kosten würde, wissen wir: Wenn diese Summe tatsächlich kreditfinanziert werden müsste, stünden allein die dafür anfallenden jährlichen Zinskosten in keinem Verhältnis zu den jetzt auf etwa 10 Millionen € jährlich bezifferten Kosten für den getrennten Regierungssitz. Allein die Zinskosten lägen bei mindestens 300 Millionen € pro Jahr im Vergleich zu 10 Millionen € Zinskosten für den getrennten Regierungssitz.

(Beifall von der FDP)

Das ist nicht finanzierbar und deshalb unseriös. Ich glaube, dass wir dieses Argument in den Vordergrund stellen müssen, damit in Berlin nicht der Eindruck entsteht, wir würden gewissermaßen in unserer eigenen Perspektive für Nordrhein-Westfalen unsere Standortinteressen gegen Berlin wider die ökonomische Vernunft durchboxen wollen. Das Gegenteil ist richtig. Dieses Signal sollten wir heute noch einmal in aller Klarheit nach Berlin senden:

(Beifall von der FDP)

Der vollständige Umzug nach Berlin wäre ökonomisch unsinnig. Er wäre dem Steuerzahler nicht zuzumuten. Deshalb muss es bei der Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall von FDP und CDU)

Ich will noch auf einen weiteren Punkt hinweisen: Ich glaube, dass diese Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin auch der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland sehr gut getan hat. Wir haben in zurückliegenden Jahrzehnten nicht immer gute Erfahrungen gemacht, wenn Deutschland zentralistisch von Berlin aus regiert worden ist. Der Föderalismus, die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland gehört mit zu der demokratischen und freiheitlichen politischen Kultur, die nach 1945 erfolgreich weiterentwickelt worden ist. Deshalb tun wir gut daran, auch aus dieser Perspektive an Bonn festzuhalten.

Das ist auch deshalb wichtig – das ist ein weiteres Argument –, weil wir um die schleichenden Tendenzen wissen, von Berlin aus mehr und mehr Behörden jenseits des Berlin/Bonn-Gesetzes zu zentralisieren. Wir haben in der Region vor einigen Jahren nach der Initiative des damaligen Bundesinnenministers, die Einrichtung des Bundeskriminalamts komplett nach Berlin zu holen, eine ganz erbitterte Debatte gehabt. Das hätte die Hessen und auch uns in der Region Bonn-RheinSieg – nämlich das BKA in Meckenheim – betroffen. Durch eine parteiübergreifende Initiative und durch gute Argumente ist es gelungen, das zu verhindern. Aber dieser Vorfall, meine Damen und Herren, sollte uns zeigen, dass wir immer wieder aufpassen müssen – auch wenn es sich auch dieses Mal wieder um Beiträge zu Sommerlochdebatten gehandelt hat –, dass sich nicht ein falsches Bild in den Köpfen festsetzt.

Wir freuen uns sehr, dass sich die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unserer Antragsinitiative angeschlossen haben. Deshalb schlage ich vor, dass wir den Beschluss, den wir gleich sicherlich einstimmig fassen werden, parallel an unsere Bundestagsfraktionen und gerade an die Entscheidungsträger in Berlin senden mit dem klaren Hinweis, dass der Landtag NordrheinWestfalen insgesamt Vertragstreue erwartet, dass wir erwarten, dass das Berlin/Bonn-Gesetz 1:1, genau so, wie es verabredet worden ist, umgesetzt wird und dass wir alle Möglichkeiten nutzen werden – auch über unsere jeweiligen Kontakte in unseren Bundestagsfraktionen und in unseren Bundesparteien – darauf zu achten, dass nicht falsche Signale gesetzt werden.

Die Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin, meine Damen und Herren, ist Recht und Gesetz. Sie ist inhaltlich erfolgreich. Es gibt keinen Grund, sie infrage zu stellen. Wir sind uns darin mit Sicherheit einig. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Dr. Papke. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Breuer.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist nicht alltäglich, dass wir mit vier Fraktionen einen Antrag debattieren und Übereinstimmung feststellen. Es ist auch nicht alltäglich, Herr Dieckmann, dass sich ein führender Sozialdemokrat bei einem Minister der schwarz-gelben Landesregierung bedankt.

(Edgar Moron [SPD]: Das soll nicht zur Re- gel werden! – Jochen Dieckmann [SPD]: Genießen Sie es!)

Ich habe mir die heutige Tagesordnung angesehen. Ich glaube, die Chancen, dass das heute noch einmal passiert, sind äußerst übersichtlich.

(Martin Börschel [SPD]: Sie können die Ta- gesordnung an die Wand hängen und rot markieren!)

Aber ich bin froh, dass wir bei einem so wichtigen Punkt einer Meinung sind.

Der Deutsche Bundestag hat am 20. Juni 1991 beschlossen, seinen Sitz von Bonn nach Berlin zu verlegen. Er hat sich dabei von der Erwartung leiten lassen, dass der Kernbereich der Regierungsfunktion in Berlin angesiedelt und eine faire Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn gewährleistet wird. Mit dem am 26. April 1994 verabschiedeten Berlin/Bonn-Gesetz hat der Deutsche Bundestag diesen Beschluss umgesetzt und konkretisiert. Der Bund hat mit dem Berlin/Bonn-Gesetz seine Verantwortung für die Stadt und für die Region Bonn angenommen, deren Entwicklung er seit 1949 maßgeblich geprägt hat.

Das Berlin/Bonn-Gesetz hat für den Strukturwandel in Bonn eine ganz wichtige Katalysatorfunktion: Die Stadt, aber auch die ganze Region haben die Grundlagen für eine gute Zukunft gelegt. Sie spiegelt sich gerade in einem bemerkenswerten Wachstum der Bevölkerung und der Arbeitsplätze wider. Damit ist die Region gut aufgestellt. Ich finde, das darf ihr heute in der öffentlichen Diskussion nicht zum Nachteil ausgelegt werden.

(Beifall von CDU und FDP)

Die Landesregierung hat zugesagt, die Entwicklung der Region weiter zu fördern und zu unterstützen. Dabei haben wir darauf zu achten, dass das Berlin/Bonn-Gesetz nach Geist und Buchstaben eingehalten wird und Bonn als Standort für die internationale Zusammenarbeit und den internationalen Dialog weiter ausgebaut wird. Denn Nordrhein-Westfalen bekennt sich zu den Festlegungen des Gesetzes. Diese haben sich in den vergangenen Jahren trotz mancher Kritik bewährt.

In diesem Bekenntnis fühlt sich die Landesregierung auch durch die jüngsten parlamentarischen Beschlüsse auf Bundesebene zur Föderalismusreform gestützt und gestärkt. Denn es ist nicht ein paar Jahre her, sondern ganz frisch, dass wir den Föderalismuskompromiss abgesegnet haben. Sowohl in der Begründung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes als auch in der Be

gleitentschließung zum Gesamtpaket Föderalismusreform wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Regelungen des Berlin/Bonn-Gesetzes durch die Neufassung des Art. 22 des Grundgesetzes zur Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland unberührt bleiben.

Diese Begleitentschließung wurde sowohl vom Bundestag als auch vom Bundesrat noch in diesem Sommer, im Juli, mit Zweidrittelmehrheit angenommen. Ich glaube, das sollten wir in Erinnerung bringen. Es ist sehr ärgerlich, wenn einige Wochen später dieses gleich wieder infrage gestellt wird. Dieses Signal muss man den Herren und Damen mit auf den Weg geben.

(Beifall von CDU und FDP)

Es ist eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, dass am Berlin/Bonn-Gesetz nicht gerüttelt wird. Die Landesregierung wird sich deshalb allen Bestrebungen, den Sitz weiterer Einrichtungen nach Berlin zu verlagern, nachdrücklich widersetzen. Bonn hat sich ja auch nur deshalb zu der deutschen UN-Stadt entwickelt, weil es auch Standort von Bundeseinrichtungen, von Bundesministerien geblieben ist. Eine Rücknahme dieser Zusage würde die weitere Entwicklung und die weiteren Bemühungen zumindest gefährden. Mit Blick auf die weitere Entwicklung in der Region darf das Vertrauen in die Festlegungen des Berlin/BonnGesetzes nicht infrage gestellt werden. Wir wollen dafür sorgen, dass die internationale Zusammenarbeit und der internationale Dialog in Bonn weiter ausgebaut werden.

Zu den finanziellen Aspekten! Es ist mehrfach angesprochen worden: Sie rechtfertigen keinesfalls das Abrücken von den Festlegungen des Gesetzes. Wenn wir ganz ehrlich sind: Hätten finanzielle Aspekte beim Berlin/Bonn-Gesetz und beim Berlin/Bonn-Beschluss eine Rolle gespielt, wäre es rein nach den Finanzen gegangen, dann, glaube ich, hätte es die Sitzverlagerung von Bonn nach Berlin nicht gegeben.

Ich bin überzeugt, dass der Antrag – von allen vier Fraktionen getragen – ein wichtiger Beitrag dazu ist, den gelebten Föderalismus deutlich zu machen, indem die Ministerien, die Einrichtungen nicht alle in Berlin konzentriert werden, sondern nahe bei den Menschen, nahe in den Regionen sind. Nicht nur geografisch, sondern auch wirtschaftlich oder geozentrisch ist Berlin nicht der Mittelpunkt Deutschlands. Wenn man ganz ehrlich ist, kann man hier und da auch den Eindruck haben, es liegt eher an der Peripherie als beispielsweise Nordrhein-Westfalen und die Rheinschiene. – Vielen

Dank für Ihre Unterstützung. An dieser Stelle: Glück auf für Bonn!

(Allgemeiner Beifall)

Danke schön, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, wir kommen zum Schluss der Beratung.

Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags aller Fraktionen in Drucksache 14/2493 – Neudruck. Wer diesem Antrag zustimmen mag, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag einstimmig so verabschiedet.

Wir kommen zu:

2 Aktuelle Stunde

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