Protokoll der Sitzung vom 27.09.2006

Liebe Frau Steffens, die Sache stellt sich noch etwas anders dar, als Sie es vortragen. In Wahrheit hatten Sie nicht den Mut, diese Frage vor der Landtagswahl anzugehen. Sie hatten 13 Jahre lang nicht den Mut, das Finanzierungssystem der Kindertagseinrichtungen vernünftig handhabbar zu machen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Glaskugel!)

Wir haben diesen Mut. Wir setzen das um. Wir erleben im Land, dass die Kommunen mit der neuen Freiheit vernünftig umgehen. Dass dies in den Kommen vielfach auch zu schwierigen Entscheidungen führt, ist uns klar. Die Kommunen gehen aber gut mit der Freiheit um. Viele haben sich auch in schwieriger Haushaltslage und trotz eines Haushaltssicherungskonzeptes dafür entschieden, die Elternbeiträge nicht zu erhöhen.

Der Innenminister hat keinen solchen Erlass vorgelegt. Liebe Frau Asch, die Kommunen müssen nicht erhöhen. Das konkrete Haushaltssicherungskonzept entscheidet. Hören Sie mit Ihren Angstkampagnen auf. Wenn Sie immer nur den Baum hinaufklettern, werden Sie irgendwann nicht mehr herunterkommen. Sie müssen in der Realität ankommen und mit Ihren Versprechungen aufhören. – Haben Sie vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner.

Aus aktuellem Anlass erlaube ich mir den Hinweis, dass es Zwischenfragen und Antworten auf dieselben geben kann. Das ist das, was die Geschäftsordnung vorsieht.

Mit diesem allgemeinen Hinweis erteile ich nun Herrn Minister Laschet für die Landesregierung das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Grünen ist durch den Wortbeitrag von Frau Altenkamp schon qualifiziert worden. Er geht, wie ich denke, auch an der Realität, die wir im Land derzeit erleben, vorbei.

Es ist eben nicht der größte anzunehmende Unfall. „GAU“ und welche großen Worte sonst noch haben Sie in den Mund genommen, um zu beschreiben, was sich im Lande derzeit vollzieht, Frau Asch. Wenn das der größte anzunehmende Unfall wäre, stünde die Landesregierung wirklich noch blendender da, als sie in Wirklichkeit dasteht. Wenn das das größte Problem in diesem Land wäre, in dem wir derzeit mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit umsetzen, als Sie es je gemacht haben, dann ist der „größte anzunehmende Unfall“ wirklich eine sehr charmante Beschreibung.

(Beifall von der CDU)

Sie verdrehen jedes Mal die Augen, wenn irgendjemand die Haushaltslage des Landes beschreibt, Frau Asch. Tatsächlich zahlen wir pro Woche aber 100 Millionen € an Zinsen. Für die Summe, die wir Woche für Woche zahlen, für die Summe, über die Herr Linssen in seinem Büro Schecks an irgendwelche asiatischen Banken ausstellt, um Zinsen zurückzuzahlen, könnten wir in einem Jahr alle Kindergärten im ganzen Land freimachen. Das müssen Sie sich vorhalten lassen, und das müssen Sie sich noch lange vorhalten lassen.

Diese Situation haben wir von Ihnen übernommen, als wir kinder- und familienfreundliche Politik umsetzen wollten.

(Beifall von der CDU – Britta Altenkamp [SPD]: Wenn es europäische Banken wären, wäre es besser?)

Es sind auch ein paar europäische Banken dabei. Das ändert am Zinssatz aber wenig, Frau Altenkamp. Wir können das Geld nicht einsetzen, um es für Kinder zu verwenden. Das ist aber unsere Absicht.

Ich will noch einmal das beschreiben, was wir gemacht haben. Man muss erst einmal auf eine solche Konstruktion kommen, wie sie das GTK vorher hatte. Das ist die Spitze des Bürokratismus, den sich Rot-Grün bzw. die SPD, als sie noch allein regierte, hat einfallen lassen:

Es gibt vier Säulen zur Finanzierung von Kindergärten, nämlich Eltern, Träger, Kommunen und das Land. Der Gesetzgeber legt in diesem Plenarsaal den Elternbeitrag fiktiv auf 19 % fest. Dann stellt man fest, was vor Ort ankommt. Mit 16 oder 17 % erreichen die Beiträge nicht ganz die Höhe von 19 %. Dann leitet man ein Elternbeitragsdefizitausgleichsverfahren ein, bei dem die Kommunen ihre Zahlen melden. Je zur Hälfte erstatten dann Land und Kommunen die Differenz zwischen den 17 und den 19 %.

Ein solches Verfahren gibt es in keinem anderen deutschen Bundesland. Es ist das komplizierteste Verfahren, das man überhaupt machen kann. Das haben wir abgeschafft. Das war richtig. Es ist auch richtig, dass diese Bürokratie aufhört. Die Elternbeiträge werden durch die Kommunen entschieden, wie es in ganz Deutschland üblich ist. Nun wird es auch in Nordrhein-Westfalen so praktiziert.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte gerne kurz das Verfahren erläutern. Sie wissen, ich lasse immer Fragen zu, besonders wenn sie von Frau Asch gestellt werden. Ich möchte jetzt aber gerne dieses Verfahren erläutern.

Wie sehen die Zahlen aus? Die Mehrheit der Kommunen und Kreise, nämlich 115 oder zwei Drittel, hat die Elternbeiträge nicht erhöht. Das ist der sogenannte größte anzunehmende Fall, den Frau Asch eben mit großen Worten beschrieben hat. In zwei Dritteln des Landes ist das, was Sie

als Drama beschreiben, überhaupt keine Realität. In 22 Jugendamtsbezirken hat es eine lineare Erhöhung um 5 bis 20 % gegeben, in der Regel gestaffelt nach dem Einkommen der Eltern.

(Frank Sichau [SPD]: Das war immer so!)

In Euro umgerechnet bedeutet eine fünfprozentige Steigerung in der niedrigsten Stufe eine monatliche Mehrbelastung von 1,30 €.

In 39 Jugendamtsbezirken wurde die neue Gesetzeslage dazu genutzt, das Beitragssystem differenzierter und gerechter zu machen. Es gibt neue Einkommensstaffeln. Die beitragsfreie Stufe wurde ausgeweitet. Die Beiträge wurden genauer nach der Zeit gestaffelt, die die Kinder in der Kindertagesstätte verbringen.

Das ist doch alles vernünftig, was die Kommunen gemacht haben. Die meisten Kommunen haben als Erstes die freie Geschwisterregelung abgeschafft. Das war doch das Allerabsurdeste. Ich habe selbst drei Kinder. Die lagen immer so, dass die Geschwisterfreiheit nicht wirkte, weil sie nicht zeitgleich im Kindergarten waren. Wären die ein halbes Jahr vorher geboren worden, hätte das Hunderte Euro mehr an Entlastung gebracht, weil sie Geschwisterbeitragsfreiheit haben. Ein solcher Unsinn ist durch jede Kommune, die es frei entscheiden konnte, als Erstes beseitigt worden. Das zeigt: Die Kommunen nutzen die Spielräume verantwortlich. Und es ist richtig, was sie tun.

Jetzt kommt das Drama „größter anzunehmender Unfall“: Alle melden ihre Kinder ab. Das wird immer so in den Raum hinein behauptet. In Ostwestfalen-Lippe hat mir in der Tat ein Träger das einmal so allgemein beschrieben. Dann habe ich gesagt: Das wollen wir natürlich nicht. Bitte beschreiben Sie mir einmal den Fall. Wie viele Kinder sind in welcher Kindertagesstätte abgemeldet worden? – Ich habe bis heute keinen einzigen Fall einer Einrichtung so beschrieben, dass es wirklich ein Problem wäre.

Wenn es auftaucht, wird die Landesregierung darauf reagieren. Wenn es tatsächlich so ist, dass Besserverdienende ihre Kinder abmelden, wird uns das natürlich dazu bringen, hier nachzusteuern. Aber das findet alles gar nicht statt, was Sie hier theoretisch beschreiben. Insofern meine ich, dass auch das hier in der Sache nicht weiterhilft.

Ich habe die Säulen beschrieben, die die Kindergärten zurzeit tragen: Land, Kommunen, Träger und Eltern. Die einzige Säule, die seit 1993 ihren Anteil nicht erhöht hat, sind die Eltern. Das ist auch die Schuld der alten Landesregierung, da man nie den Mut gehabt hat, am Viersäulenmo

dell festzuhalten und auch den Elternanteil so anzupassen, dass er wenigstens der allgemeinen Kostenentwicklung folgt. Wir haben seit 1993 um 40,5 % höhere Einkommen bei den Angestellten. Wir haben um 30,5 % höhere Einkommen bei den Arbeitern. Wir haben seit 1993 eine allgemeine Teuerungsrate von 20,5 %. Das Einzige, was nie verändert worden ist, sind die Beiträge der Eltern zu den Kindergärten. Insofern ist das, was wir jetzt tun, Aufräumarbeit bei einer alten rot-grünen Politik, die nicht mutig genug war, am Viersäulenmodell festzuhalten.

Hinzu kommt: Dieses Jahr ist das Jahr – Sie haben es erwähnt –, in dem zum ersten Mal durch die Bundesfamilienministerin ein Gesetz vorgelegt worden ist, das Elternbeiträge von der Steuer abziehbar macht. Das hat es unter rot-grünen Regierungen nie gegeben.

(Andrea Asch [GRÜNE]: Rechte Tasche, lin- ke Tasche! – Zurufe von der SPD)

Die Kindergartenbeiträge waren nie von der Steuer absetzbar.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Das ist rückwirkend seit 1. Januar 2006 möglich. Bis zu 4.000 € können jetzt geltend gemacht werden. Insofern: Wenn es Anpassungen gibt, liebe Frau Altenkamp, gibt es kein besseres Jahr als das Jahr 2006, um etwas zu korrigieren, was seit 1993 nicht mehr stattgefunden hat.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das sehen die kommunalen Vertreter aber anders!)

Sie haben eben ein Beispiel aus Essen genannt, dass eine Familie 40.000 € bis 45.000 € hat, und angefügt, dass für eine solche Familie 3, 4, 5 oder 10 € viel Geld sind. Das stimmt. Das ist für eine solche Familie ein Betrag, mit dem sie rechnet. Nur: Diese Familie mit 40.000 € bis 50.000 € Jahreseinkommen und schätzungsweise 10 € mehr Kindergartenbeitrag wird sich am Ende dieses Jahres trotz dieser leichten Anpassung wesentlich besser stehen als zu Beginn dieses Jahres. Ich verstehe nicht, warum diese Familie dann ihr Kind abmelden soll, weil sie plötzlich alle Beiträge, selbst wenn sie erhöht sind, erstattet bekommt.

(Frank Sichau [SPD]: Und wenn sie keine Steuern bezahlen? Was ist dann?)

Lieber Zwischenrufer aus der allerletzten Reihe, wenn sie keine Steuern zahlen, zahlen sie auch keine Elternbeiträge,

(Beifall von der CDU)

weil 22 % überhaupt keine Elternbeiträge zahlen.

(Zurufe von der SPD)

Das System ist so kompliziert, dass nicht jeder, der sich mit dem Thema nicht beschäftigt hat, hier irgendetwas dazwischenrufen kann.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Er kann dazwischenrufen. Er kann das auch im Protokoll nachlesen. Der Rest des Plenums wird aber lachen, wenn er solche Zwischenrufe hört. Dieser Zwischenrufer hat das Recht, sich zu blamieren, wie er will. Aber es ist nicht hilfreich für den Verlauf der Debatte.

(Beifall von der CDU)

Ich erkläre es Ihnen ja noch einmal: 22 % zahlen keine Elternbeiträge. Da die meisten Kommunen die Beiträge jetzt so gestaffelt haben, dass sie die kleinen Einkommen eher schützen, werden mit dieser Regelung noch mehr Eltern gar keine Elternbeiträge mehr zahlen. Alle die, die keine Steuern zahlen, zahlen auch keine Elternbeiträge.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das ist Quatsch!)

So einfach ist die Rechnung.

(Beifall von der CDU)

So wird das auch vor Ort umgesetzt.