Protokoll der Sitzung vom 27.09.2006

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Berger. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält Frau Abgeordnete Dr. Seidl das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Berger, Sie können nicht ausblenden, dass die Situation auf dem Ausbildungsmarkt trotz der Maßnahmen der Landesregierung, die Sie beschrieben haben, bedrohlich ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Seit dem Jahr 2000 nimmt die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge kontinuierlich ab. Mehr als 10.000 Jugendliche in NRW suchen in diesem Monat, im Monat September, noch einen Ausbildungsplatz. Manche haben über 50 Bewerbungen geschrieben, und von den 145.000 Bewerberinnen und Bewerbern, die sich in Nordrhein-Westfalen im gesamten Jahr gemeldet haben, sind 54 % Altbewerber. Das heißt, wir schieben eine riesige Bugwelle von ausbildungswilligen jungen Menschen vor uns her, die Zahl derjenigen in der Warteschleife wird von Jahr zu Jahr größer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn hier nicht wirklich durchgreifende Maßnahmen auf den Weg gebracht werden – dazu gehört auch die ordnungspolitische Maßnahme einer Ausbildungsplatzumlage –, dann wird das duale System mit der wachsenden Zahl der schulischen und universitären Berufsausbildungen bald nicht mehr konkurrieren können. Ich bin mir sicher, dass wir schon bald an diesem Punkt angekommen sind, denn seit Jahren drängt die OECD zum Ausgleich des weiter steigenden Fachkräftemangels auf eine Differenzierung der Ausbildungsangebote und eine höhere Ausbildungsquote an den Fachhochschulen und Universitäten. Sie weist im Übrigen darauf hin, dass außer Österreich und der Schweiz andere Staaten der OECD das duale System der beruflichen Ausbildung nicht kennen und dass die Quote der Hochschulabsolvent/inn/en dort weit höher ist als bei uns.

Wer das duale System stärken will, meine Damen und Herren, der muss auch etwas dafür tun. Vor diesem Hintergrund halten wir die Forderung der SPD-Fraktion für richtig, die Hochschulen als Träger der beruflichen Ausbildung zu stärken. Dies ist sicherlich – das muss man zugeben – nur ein kleiner Baustein im Gesamtkonzept einer notwendigen Ausbildungskampagne im Land, die sich in allererster Linie an die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen richten muss. Aber natürlich muss auch die öffentliche Hand alle ihre Möglichkeiten ausschöpfen, um weitere Ausbildungsstellen zu schaffen und der aktuellen Ausbildungsmisere entgegenzuwirken. Da gilt eben nicht „Privat vor Staat“, Herr Dr. Berger.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit 712 Ausbildungsplätzen nimmt die RWTH Aachen im Rahmen der Ausbildung an technischen Universitäten den absoluten Spitzenrang in der Bundesrepublik ein. Sie liegt aber auch in Nordrhein-Westfalen vorn. Von diesen 712 Ausbildungsstellen sind 211 im Verbund. 110 beteiligte Hochschuleinrichtungen bilden in 26 verschiede

nen Ausbildungsberufen aus. Damit ist die Hochschule der größte Ausbilder in der Region überhaupt.

Aber dies ist eben eine Besonderheit der RWTH Aachen. Die übrigen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen können nicht annähernd mit den Ausbildungszahlen dieser technischen Universität konkurrieren.

Wenn wir aber als Gesetzgeber auch auf die anderen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen Einfluss nehmen wollen, gilt es zuallererst sicherzustellen, dass sich die finanzielle Situation der Hochschulen durch das Hochschulfreiheitsgesetz und die Entwicklung der Globalbudgets nicht verschlechtert; denn das ist es, was uns die Hochschulen derzeit massiv vorhalten: dass sich mit dem HFG die finanzielle Ausgangssituation zulasten der Hochschulen verschlechtert.

Bei enger werdendem Finanzrahmen wird man nicht erwarten können, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich eine Hochschule außerhalb ihrer Kernkompetenzen engagiert. Das ist also der erste notwendige Schritt als Voraussetzung, dass Sie Ihr Versprechen, gleichbleibende Haushalte bis 2010 zu gewährleisten, nicht nur aufs Papier bringen, sondern auch faktisch umsetzen.

Der zweite Schritt wäre dann in der Tat, ein strategisches Landesziel zu formulieren, das in die Zielvereinbarungsgespräche mit den Hochschulen einfließen müsste. Wir haben in der letzten Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung lange darüber debattiert, wie man strategische Ziele im Sinne einer übergreifenden Landesplanung implementieren kann.

Die Förderung der Ausbildungsbereitschaft der Hochschulen könnte ein solches fest definiertes Ziel sein. Den Vorschlag, mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung Modellversuche zur Modularisierung von Ausbildungsberufen zu vereinbaren, die besonders wissens- und technologiebasierte Anteile beinhalten, halten wir ebenfalls für richtig.

Wir favorisieren eine klare und deutliche Stufenausbildung mit Durchlässigkeit und Akzeptanz und wollen dabei die Möglichkeiten des novellierten Berufsbildungsgesetzes voll ausgeschöpft sehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was ich allerdings deutlich anders einschätzen würde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, ist die Wirksamkeit einer Landesinitiative „Verbundausbildung Gründer und Hochschulen“, wie er jetzt im Antrag der SPD vorgeschlagen wird. Die Unternehmen von Gründerin

nen und Gründern dürften weder in der Gründungs- noch in der Nachgründungsphase in der Lage sein, qualifizierte und auf die Dauer von drei Jahren angelegte Ausbildungsplätze bereitzustellen. Insofern ist ein Verbund von Hochschulen mit Gründern nicht unbedingt geeignet, die Ausbildungskapazitäten an Hochschulen zu erhalten oder gar zu erweitern.

Auf der anderen Seite kann und darf dies allerdings nicht heißen, dass ein Gründer, wenn er sich bemüht, Ausbildungsplätze zu schaffen, nicht seitens einer Hochschule unterstützt werden könnte und sollte. Aber hierzu eine Landesinitiative und damit eine organisatorische Struktur zu schaffen, das erscheint mir überhöht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten es für richtig, die Hochschulen im Land als Träger der beruflichen Ausbildung zu stärken und im Rahmen der Zielvereinbarungen ein abgestimmtes Konzept mit den Hochschulen vorzubereiten. Hierzu bedarf es aber sicher noch einiger origineller Ideen mehr, sodass ich auf den Verlauf der Debatte im Ausschuss gespannt bin. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Lindner.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Was mich eingangs dieser Debatte einmal mehr erstaunt, ist, dass Sie nicht müde werden, auch schon widerlegte Argumente zu wiederholen. Ich meine das mit Blick auf die Diskussion über den angeblich enger werdenden Finanzrahmen der Hochschulen.

Wir haben Ihnen an vielen Stellen inzwischen dargelegt, dass wir mit dem Zukunftspakt, dem Studienbeitragsgesetz, im Übrigen auch mit der in Nordrhein-Westfalen im Bundesvergleich einmaligen Erstattung der gestiegenen Energiekosten an die Hochschulen dafür Sorge tragen, dass die Hochschulen auskömmlich finanziert sind. Dass mehr wünschenswert wäre, ist klar. Aber wenn man das Machbare berücksichtigt, glaube ich, dass wir in Nordrhein-Westfalen in nahezu einmaliger Weise den tertiären Bereich finanzieren – besser übrigens als die Vorgängerregierung es getan hat, meine Damen und Herren.

Die SPD hat ausweislich ihres Antrags Angst, dass die Hochschulen mit dem Inkrafttreten des Hochschulfreiheitsgesetzes und der Einführung

von Studienbeiträgen überfordert sind, und will nun den Hochschulen zeitgleich mit diesen angeblichen Zumutungen auch noch abverlangen, sich weiter verstärkt um die berufliche Ausbildung zu kümmern. Das passt nicht zusammen.

Sie blenden damit im Übrigen aus, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die Situation am Arbeitsmarkt zu verbessern, bei der das Land einen Beitrag leisten muss. Und das Land leistet seinen Beitrag: Es geht mit gutem Beispiel voran und stellt 4.450 Lehrstellen zur Verfügung; das sind 100 Stellen mehr in diesem Jahr als unter der Vorgängerregierung.

(Zuruf von der SPD)

Auch die Hochschulen sind dabei gefragt; das ist richtig. Aber sie nehmen auch ihre Ausbildungsverantwortung in vorbildlicher Weise wahr. Die Hälfte der Ausbildungsstellen des Landes wird von Hochschulen gestellt. Mit über 2.200 Ausbildungsplätzen bilden die Hochschulen 95 % über ihren eigenen Bedarf hinaus aus. Ich sehe keinen Bereich, Herr Kollege Schmeltzer, in dem das in dieser Weise gewährleistet wäre. Insbesondere bei den Gewerkschaften würden wir uns freuen, wenn es in diesem Maße eine Ausbildung über Bedarf geben würde.

(Beifall von der CDU)

Ohne das Land aus seiner Pflicht zu entlassen, müssen wir dort für Ausbildungsplätze werben, wo der Schwerpunkt der dualen Ausbildung liegen sollte, nämlich in der Wirtschaft, insbesondere in den kleinen und mittelständischen Betrieben.

Sozialdemokraten und Grüne haben es mit ihrer mittelstandsfeindlichen Politik geschafft, dass in den vergangenen zehn Jahren jede vierte Ausbildungsstelle weggefallen ist. Von den Betrieben in Nordrhein-Westfalen, die ausbilden könnten,

(Zuruf von der SPD)

tut es nur die Hälfte. Insbesondere haben wir viele kleine und mittelständische Existenzen in diesem Land verloren, die in die Insolvenz gegangen sind; auch diese stehen als Ausbildungsbetriebe nicht mehr zur Verfügung. Statt also die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu erhöhen, sie anzuregen, auszubilden, hat die Vorgängerregierung lieber Bilanzen geschönt

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Was machen Sie denn?)

und unversorgte Jugendliche – ich komme gleich darauf zurück, was wir machen – an Berufskollegs in Warteschleifen geparkt. Offiziell gab es auf diese Weise Ende 2005 ca. 1.000 Jugendliche ohne

Lehrstelle. Richtig aber ist: Mindestens 60.000 junge Menschen in Nordrhein-Westfalen haben keinen Ausbildungsplatz bzw. keine adäquate berufliche Perspektive erhalten.

Das kann das Land nicht dadurch lösen, dass es selbst weitere Ausbildungsstellen schafft – noch mehr als die, die jetzt schon ausgebracht worden sind. Schon gar nicht können das die Hochschulen auffangen.

Wir brauchen deshalb erstens eine Erholung der Wirtschaft insgesamt. Nur so wird sich auch der Ausbildungsmarkt wieder erholen. Da sind alle politischen Kräfte gefragt, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. An die Grünen gewandt: Zu solchen Rahmenbedingungen gehören eben keine Vorschläge wie die Ausbildungsplatzabgabe, die Frau Sager seinerzeit bezeichnenderweise im Bundestag als „Folterinstrument“ bezeichnet hat, das man der Wirtschaft zeigen müsse, um sie zur Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen anzuhalten. Auf diesem Konfrontationskurs wird es mit Sicherheit nicht gelingen, Ausbildungsplätze zu schaffen.

Zweitens müssen wir Auszubildende wieder ausbildungsfähig und damit attraktiv für die Betriebe machen. Das heißt, junge Menschen müssen, wenn sie das Schulwesen verlassen, über eine hinreichende Qualifikation verfügen. Hier setzt die neue Landesregierung an. Das begrüßen wir. Von der Qualitätsoffensive Hauptschule über die 3.230 zusätzlichen Lehrerstellen und Weiteres mehr sind viele Maßnahmen bereits ergriffen worden.

Dazu gehört auch, dass Auszubildende den Betrieben zur Verfügung stehen, sodass sich dadurch die wirtschaftliche Würdigung von Ausbildung für die Betriebe positiver darstellt. Durch die sukzessive Abschaffung des zweiten Berufsschultags in bestimmten Bereichen hat die Koalition dazu Voraussetzungen geschaffen.

Drittens. Den jungen Leuten, die den Anforderungen der dualen Ausbildung nicht oder zumindest noch nicht gewachsen sind, müssen wir Perspektiven eröffnen. Es ist nicht damit getan, sie in vollzeitschulischen Ausbildungsgängen zu parken. Deshalb ist es richtig, dass theoriegeminderte Kurzausbildungsgänge vorbereitet werden – Stichwort Servicemechaniker –, die auch solchen Jugendlichen einen ersten Einstieg in eine vom Markt nachgefragte Ausbildung ermöglichen.

Viertens. Guten Ideen, wo zusätzliche Ausbildungsstellen geschaffen werden könnten, stehen wir aufgeschlossen gegenüber. Aber gerade die Gründerunternehmen in die Pflicht zu nehmen,

die in der Regel weder personelle noch zeitliche und räumliche Ressourcen haben, um eine qualitativ hochwertige Ausbildung sicherzustellen, halten wir, gelinde gesagt, für abenteuerlich. Diese sind mit sich selbst beschäftigt, müssen sich am Markt etablieren, müssen improvisieren und schauen, wo sie bleiben. Das ist keine triviale Aufgabe, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann. Sie können sich nicht verantwortungsvoll um die zeitintensive Ausbildung junger Menschen kümmern.

Die SPD-Landtagsfraktion beispielsweise ist wesentlich etablierter als solche Gründerunternehmen. Ich frage Sie deshalb: Wie viele Auszubildende beschäftigen Sie denn in Ihrer Fraktion, lieber Herr Schultheis?

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Nennen Sie uns einmal die Zahl! Die Fraktion der Freien Demokraten beschäftigt drei Auszubildende, die SPD-Landtagsfraktion hat im vergangenen Ausbildungsjahr nicht einen einzigen Ausbildungsplatz angeboten.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Bleiben Sie bei der Gegenwart!)

In der Gegenwart haben wir immer noch einen mehr als Sie, obwohl wir etwas weniger als halb so groß sind wie Sie. Herr Schmeltzer, Sie reden also viel über Dinge, die Sie selbst nicht tun. Sie appellieren gerne an andere. Sie sollten sich häufiger an die eigene Nase fassen! Dann wird das mit der Regierungsfähigkeit auf absehbarer Zeit im nächsten Jahrzehnt wieder etwas werden.

(Zurufe von der SPD)