Protokoll der Sitzung vom 28.09.2006

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich fasse zusammen: Es gibt eine Reihe spannender und wichtiger Fragen, mit denen sich der Landtag befassen sollte, zu denen uns Informationen der Landesregierung nicht vorliegen. Sie geben gleich eine Regierungserklärung zu dem sehr allgemeinen Thema ab. Ich finde, Sie sollten die Karten, gerade was diese Frage angeht, hier offen auf den Tisch legen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Priggen. – Für die CDU spricht nun Herr Lienenkämper.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Priggen hat es gesagt: Wir führen hier eine historische Diskussion. Kern dieser Aktuellen Stunde ist so etwas wie eine Zwischenverständigung, die im Spitzengespräch in Berlin erzielt worden ist und die vor einem Jahr noch niemand ernsthaft so erwartet hätte.

Noch vor einigen Monaten hat sich der Vorstandsvorsitzende der DSK, Herr Tönjes, im Wirtschaftsausschuss geweigert, notwendige Zahlen zu liefern. Das ist jedenfalls von drei Fraktionen in diesem Haus übereinstimmend scharf kritisiert worden und angesichts der öffentlichen Subventionen auch in höchstem Maße inakzeptabel gewesen.

Inzwischen haben sich alle Beteiligten bewegt. Man muss konstatieren: Wir sind ein ganzes Stück weitergekommen. Der eigentliche Durchbruch des Spitzengespräches in Berlin vom vergangenen Donnerstag besteht darin, dass sich alle Beteiligten einschließlich der RAG-Vertreter und auch der IG BCE an einen Tisch gesetzt und gemeinsam einen Fahrplan verabredet haben.

Vier Punkte sind im Kern zu klären: erstens das Auslaufen des subventionierten Steinkohlenbergbaus, die Frage einer Revisionsklausel, die Sozialverträglichkeit und die strukturpolitische Abfederung; zweitens muss die Altlastenproblematik aufgearbeitet werden, insbesondere auch zwischen Bund und Ländern; drittens muss die Zukunftsfähigkeit des weißen Bereiches gesichert werden; und viertens müssen Modalitäten und Voraussetzungen einer Stiftungslösung geklärt werden. All das ist im Konsens vereinbart worden.

Was wir als Koalition der Erneuerung wollen, das ist bekannt – ich sagte eben: historische Diskussion – und steht auch im Koalitionsvertrag. Wir wollen mit allen Beteiligten, einschließlich den Anteilseignern, über die Rahmenbedingungen für den sozialverträglichen Auslauf des subventionierten Bergbaus verhandeln und entscheiden. Das passiert gerade.

Gleichzeitig sollen Kostenrisiken für den Steuerzahler ausgeschlossen werden. Unsere zentrale Position ist die: Die Lösung soll keine zusätzlichen Belastungen für den Landeshaushalt und damit für die Bürger in Nordrhein-Westfalen mit sich bringen.

Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir auch weiterhin engagiert nachfragen, ob die Stiftung nach dem geplanten Börsengang wirklich die Ewigkeitskosten abzüglich der einsetzbaren gebildeten Rückstellungen tragen kann. Das ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen notwendig. Wir werden es fortsetzen, diese Fragen zu stellen. Die Verständigung vom Donnerstag zeigt, dass wir dabei auf einem guten Weg sind.

Herr Priggen, Sie haben die Diskussionen in der Presse über die Möglichkeit des Erwerbs von RAG-Aktien angesprochen. Deswegen will ich gerne ein paar Worte dazu sagen. Wir sind der Auffassung, dass angesichts von rund 128 Milliarden € öffentlichen Subventionen in den vergangenen Jahren, davon allein 25 Milliarden € durch das Land Nordrhein-Westfalen, der RAG-Konzern moralisch gesehen bereits jetzt dem Steuerzahler gehört. Wer sorgfältig nachliest, wird feststellen, dass Frau Ministerin Thoben genau das in ihrem „WZ“-Interview gesagt hat. Deswegen besteht bei dieser Sachlage überhaupt kein Anlass, Aktien des RAG-Konzerns zu erwerben.

Es besteht allerdings Anlass, zu vermeiden, dass die RAG im Falle eines Komplettbörsenganges zwei Jahre später zerschlagen wird. Dann nämlich wären die Steuerzahler und auch die Beschäftigen die Dummen. Das wollen wir in gar keinem Fall.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich jetzt noch zwei Bemerkungen zur vereinbarten Revisionsklausel machen. Danach ist ein Ausstieg aus dem Ausstieg bei steigenden Weltmarktpreisen denkbar. Nun kann sich die Welt immer ändern, und manchmal sieht sie zehn Jahre später ganz anders aus. Aber ganz ernsthaft: Vom jetzigen Standpunkt aus muss man deutlich sagen, dass die Steinkohleförderung in Deutschland auch bei steigenden Weltmarktpreisen keinerlei Perspektive haben wird. Das ist einfach so. Mit Blick auf die um fast zwei Drittel niedrigeren Förderkosten in Ländern wie Russland, Polen oder auch Australien sind die deutschen Kostenstrukturen nun einmal völlig konkurrenzunfähig.

So sieht das die Internationale Energieagentur. Ich zitiere nur einen Satz:

„Die Bundesregierung sollte die Kohlesubventionen mit dem Ziel ihrer völligen Abschaffung weiter reduzieren und eine klare Frist für die endgültige Abschaffung der Subventionen setzen; …“

Wer internationalen Agenturen nicht glauben will oder sagt, diese seien zu weit weg, der glaubt vielleicht dem unabhängigen Sachverständigenrat. Er schreibt in seinem Jahresgutachten 2003/2004 – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Durch die Einstellung der Steinkohleförderung in Deutschland würde die Sicherheit der Energieversorgung nicht gefährdet. Denn der Beitrag der Steinkohle ist bereits jetzt schon sehr gering … Die Zuschüsse zum Absatz der deutschen Steinkohle sollten daher auch über das Jahr 2005 hinaus zügig zurückgeführt werden.“

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der langen Zeitabläufe ist es zu verstehen, dass sich jetzt alle Beteiligten darüber einig geworden sind, dass neben dem Zeitpunkt des Auslaufens des subventionierten Bergbaus auch die Frage einer Revisionsklausel zu klären sein wird. Das und alles Weitere wird bis zum Frühjahr nächsten Jahres geklärt werden. Ich bin mir bei dieser Landesregierung sicher: Das geschieht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger des Landes NordrheinWestfalen.

(Beifall von der CDU)

Danke schön, Herr Lienenkämper. – Für die SPD spricht nun der Kollege Römer.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die unterschiedlichen Positionen, die wir in den einzelnen Fraktionen zu diesem Thema haben, schon öfter ausgetauscht. Da aber sowohl Herr Priggen als auch Herr Lienenkämper darauf hingewiesen haben, dass diese Diskussion eine historische Bedeutung habe, will ich gleich die Gelegenheit nutzen, noch einmal sehr deutlich auf die unterschiedlichen Auffassungen zu diesem Themenkomplex zu sprechen zu kommen.

Ich will vor diesem Hintergrund auch darauf hinweisen, dass das, was in der Runde in Berlin am Donnerstag verabredet worden ist – das ist hier mehrmals zur Sprache gekommen –, darauf hinausläuft, dass im Frühjahr nächsten Jahres in einem dann vorzulegenden Gesamtpaket die Entscheidungen im Zusammenhang mit der Zukunft der RAG-Aktiengesellschaft, mit dem, was sich mit dem Vorschlag der Einrichtung einer Stiftung verbindet, und selbstverständlich auch im Zusammenhang mit der Zukunft des deutschen Steinkohlenbergbaus getroffen werden sollen und getroffen werden müssen.

Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, ich will für meine Fraktion auf drei Kernpunkte hinweisen, die für uns bei dieser Vorgehensweise nach wie vor die entscheidenden sind. Der erste Kernpunkt hat mit dem Zugang zur Lagerstätte und den damit verbundenen Einschätzungen für die Zukunft zu tun. Der zweite Punkt hat zu tun mit der Basis des heimischen Bergbaus für die Bergbau- und die Kraftwerkstechnologie, für Zukunftstechnologien in unserem Land. Der dritte Punkt hat mit der Zukunft der Bergleute und ihrer Familien zu tun.

Ich will mit dem ersten Punkt beginnen, weil ich glaube, dass da ein ganz elementarer Unterschied zwischen uns besteht. Niemand – weder hier im Haus noch in Wissenschaft und Wirtschaft – kann zuverlässig voraussagen, wie die Situation auf den Energiemärkten in der Welt in 20, in 30 oder gar in 50 Jahren sein wird. Niemand kann zuverlässig voraussagen, welche Energieträger dann in welchen Mengen und zu welchen Preisen zur Verfügung stehen werden.

Wir bleiben bei unserer Position, dass wir in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland dafür sorgen müssen, dass der Zugang zur Lagerstätte im Steinkohlenbergbau nicht verschüttet wird, damit nachfolgende Generationen nicht darunter leiden müssen.

(Beifall von der SPD)

Die Weltenergievorräte sind begrenzt, sie sind nicht unerschöpflich. Die Weltbevölkerung wächst in einem rasanten Tempo. Auch der Hunger nach Energie in der Welt wächst rasant. Alle, sowohl Verbraucherländer wie rohstofffördernde Länder, sichern sich Zugänge. Es wäre sträflich, gefährlich und grob fahrlässig, würden wir wichtige Energiequellen – davon gibt es in der Welt nicht so viele – wie unsere Braunkohle, wie die Steinkohle verschütten.

(Beifall von der SPD)

Ein Wort zur Braunkohle, weil das ein wichtiger Punkt ist, der von den Regierungsfraktionen, die jetzt Verantwortung tragen, des Öfteren öffentlich aufgegriffen wird: Wenn wir Ihnen, Herr Weisbrich, und vielen Ihrer politischen Freunde in der Auseinandersetzung um Garzweiler II gefolgt wären, gäbe es diesen wichtigen Tagebau mit all seinen Zukunftschancen heute nicht.

(Beifall von der SPD)

Deshalb müssen wir auch in der Steinkohlepolitik standhaft bleiben und die Argumente in die Öffentlichkeit tragen.

Zweitens. Welche Basis stellt der heimische Bergbau über das hinaus, was an Beschäftigung und Arbeitsplätzen im Steinkohlebergbau selbst eine Rolle spielt, für diejenigen dar, die von und mit ihm leben, die Bergbaumaschinen, die Zukunftstechnologien herstellen und diese in alle Welt exportieren? Wir wissen genau, dass im Steinkohlebergbau heute viele Besucher aus aller Welt an der Tagesordnung sind. Sie schauen sich an, wie die Bergbaumaschinen, die in Deutschland hergestellt werden, unter Tage funktionieren und arbeiten.

(Beifall von der SPD)

Das ist Hightech, das ist Produktion auf hohem technischen Niveau, und das kann man sich nur dort ansehen, wo es lebenden Bergbau gibt. Wir dürfen die Basis für solche Zukunftstechnologien nicht verschütten. Davon hängen in NordrheinWestfalen in vielen mittelständischen Unternehmen viele Tausende Arbeitsplätze ab: 15.000 allein – das sagt der Verband der Maschinenhersteller – bei Bergbaumaschinenherstellern hier in Nordrhein-Westfalen.

Drittens. Wir haben festzustellen, wie wir mit den Bergleuten umgehen. Ich habe gerade von Herrn Priggen gehört, dass er für seine Fraktion ein Auslaufdatum festgelegt wissen wolle: 2015. Eines, Herr Priggen, ist bei all den Berechnungen, die angestellt worden sind, klar herausgekommen: Wenn das Auslaufen des Bergbaus sozialverträglich sein soll, könnten die Bergwerke nicht vor 2018 geschlossen werden. Meine Fraktion versteht unter Sozialverträglichkeit, weil so viele das Wort Sozialverträglichkeit in den Mund nehmen – das ist im Bergbau eine gängige Formel –: Keiner fällt ins Bergfreie; es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen.

(Beifall von der SPD)

Vor dem Hintergrund müssen die Bergleute auch Sicherheit haben, wenn es darum geht, den Blick in die Zukunft zu wagen.

Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen, der damit zusammenhängt. Wenn jemand auf die Idee kommen sollte – Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP –, den Bergbau wirklich auslaufen lassen zu wollen, müsste dort sofort die Ausbildungstätigkeit eingestellt werden. Ich kann mich daran erinnern, dass gerade die DSK auf Bitten der Landesregierung, auf Bitten des Landesarbeitsministers, zusätzlich 100 Ausbildungsplätze im Bergbau bereitgestellt hat, um mitzuhelfen, die Ausbildungsnot in Nordrhein-Westfalen zu mindern. Ich verstehe überhaupt nicht, wie es gehen soll, den Bergbau auf der einen Seite zu drängen

und zu ermuntern, noch mehr auszubilden, und ihm auf der anderen Seite das Wasser abzugraben.

(Beifall von der SPD)

Auf die Fragen, die mit der Eiertänzerei der Wirtschaftsministerin zu tun haben, werde ich gleich noch einmal zu sprechen kommen. Dabei geht es um den Börsengang und die Stiftung, die vonseiten der Landesregierung verwirrend in die Diskussion gebracht worden sind. Ich will in diesem ersten Teil für meine Fraktion abschließend sagen: Wir müssen in Nordrhein-Westfalen dafür sorgen, dass in diesem wichtigen Prozess, der industriepolitisch große Bedeutung hat, vor allem diejenigen, die dafür die Grundlage geschaffen haben, die Bergleute und ihre Familien, nicht den Bach runtergehen. Sie haben allemal unsere Aufmerksamkeit verdient, und darum geht es.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Römer. – Für die FDP spricht Herr Brockes.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Spitzengespräch in Berlin am vergangenen Donnerstag zeichnet sich endgültig ab, dass in Kürze ein Schlussstrich unter den subventionierten Steinkohlebergbau in Deutschland gezogen wird.

(Hannelore Kraft [SPD]: Das ist Ihre Auffas- sung, unsere nicht!)

Es geht nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie des Ausstiegs. Lieber Herr Kollege Römer, ich finde es nicht fair – Sie haben das heute wieder verdeutlicht, und wir haben am Montag gemeinsam mit Berufsschülern der RAG hier im Hause eine Diskussion durchgeführt –, wenn Sie versuchen, den Betroffenen zu erklären, dass es doch noch weitergeht. Machen Sie endlich deutlich, dass das vorbei ist und wir nur noch darüber reden, wie der Ausstieg durchgeführt wird!

(Sören Link [SPD]: Das ist nicht vereinbart worden, Herr Brockes!)

Um die Tragweite der sich abzeichnenden Entscheidung zu verdeutlichen, möchte ich Frank Seidlitz zitieren. In der „Welt“ vom 24. August 2006 heißt es:

„Der Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau ist die wichtigste industriepolitische Entscheidung der letzten 100 Jahre.“