Protokoll der Sitzung vom 28.09.2006

Es ist das Kennzeichen eines Agenda-Prozesses, eines Prozesses, der im Rahmen der Nachhaltigkeit stattfindet, dass man die Zivilgesellschaft -die ehrenamtlich Tätigen, die Umweltverbände und die Gewerkschaften – einbezieht. Sie gehören dazu; sonst funktioniert so etwas nicht. Sie kehren

zu einer Politik zurück, die vielleicht irgendwann in den 50er-Jahren in konservativen Kreisen opportun war, die aber nicht in die heutige Zeit, zu einer Debatte über Nachhaltigkeit und ökologische Zukunft passt.

Man kann über die Instrumente diskutieren. Leider werden in Ihrem Papier viel zu wenige Ziele genannt – außer der wirtschaftlichen Prosperität eigentlich gar keine. Die Debatte über Instrumente gibt es aber auch schon sehr lange. Es besteht kein Gegensatz zwischen freiwilligen Kooperationen und staatlichem Behördenhandeln. Es gibt diesen Gegensatz eigentlich nicht.

Es wäre auch gut gewesen, hier eine gewisse wissenschaftliche Fundierung auszubreiten. Es gibt umfangreiche Untersuchungen dazu. Professor Jänicke hat die bekannteste Untersuchung durchgeführt. Es ist in der Tat so, dass in verschiedenen europäischen Ländern mit unterschiedlichen Instrumenten, also auf der einen Seite mit freiwilligen verbindlichen Vereinbarungen, auf der anderen Seite mit staatlichem Handeln, ähnliche Umweltziele erreicht werden. Wir brauchen dort also keinen Gegensatz zu konstruieren.

Aber eines wird aus all diesen Untersuchungen sonnenklar – das taucht in Ihrem Bereich einfach nicht auf –: Freiwillige Instrumente funktionieren nur, wenn sie eine Verbindlichkeit erhalten

(Minister Eckhard Uhlenberg: Staatsüberwa- chung!)

nein, nein, wenn sie eine Verbindlichkeit erhalten –, und zwar eine Verbindlichkeit für alle Beteiligten.

(Minister Eckhard Uhlenberg: Sowieso!)

Sprechen Sie doch einmal mit den Vertretern der Wirtschaft, wenn es darum geht, in Ihren Verbänden Verbindlichkeiten herzustellen. Sie sprechen wohlweislich nur von „freiwilligen Selbstverpflichtungen“. Diese Verbindlichkeiten werden Sie nur an wenigen Punkten erreichen können. Das ist die Erfahrung aus der Vergangenheit. Wenn Sie solche Verbindlichkeiten erreicht haben – ich nenne als Stichworte „AAV“ und „Altlastenbeseitigung“ –, dann setzt der Prozess ein, den Staat sukzessive am langen Arm verhungern zu lassen.

Es ist doch tendenziell feststellbar, dass die Beteiligung der Wirtschaft in diesem Bereich erheblich zurückgegangen ist. Immer wieder gibt es die erpresserische Situation: Wenn ihr nicht wollt, beteiligen wir uns an dem Prozess überhaupt nicht mehr. Ihr müsst also akzeptieren, dass wir sehr viel weniger Geld in diesen Bereich hineingeben.

Die zentrale Frage lautet: Wie stellen Sie innerhalb einer Kooperation, innerhalb eines freiwilligen Zusammenschlusses, Verbindlichkeit her? Dazu gibt das, was Sie heute vorgelegt haben, das, was uns bekannt ist, nichts her.

Ich würde auch gerne noch auf Deregulierung, Standardabbau und Bürokratie eingehen. Welchen Stellenwert nimmt die Umweltverwaltung, das staatliche Handeln auf der Umweltseite, überhaupt ein? Hierzu gibt es Untersuchungen. Es wäre zur Auffrischung und zur Untermauerung unserer Debatte sinnvoll gewesen, solche Fakten einmal zu präsentieren. Wenn man anderer Meinung ist, muss man andere Fakten präsentieren.

Also: Die Umweltverwaltung – wenn Sie so wollen: die Umweltbürokratie – kommt erst an elfter Stelle aller bürokratischen Hemmnisse, die die Wirtschaft betreffen könnten. Nur 4 % des Bürokratieaufwands sind dem Umweltbereich zuzuschreiben. Dass das in Ihren Papieren – Koalitionsverträgen, Parteitagsbeschlüssen – und auch heute in der Landtagsdebatte einen solchen Stellenwert einnimmt, scheint einer politischen Logik geschuldet zu sein, aber nicht dem Faktischen.

In Nordrhein-Westfalen – das habe ich gestern schon erwähnt – werden Genehmigungen im bundesweiten Vergleich mit am schnellsten erteilt. Das sagen auch die Unternehmen, wenn Sie sie fragen. Im Großen und Ganzen ist die Umweltbürokratie für die Unternehmen nicht das Problem. Sprechen Sie mit den Unternehmerinnen und Unternehmern, wenn Sie wissen wollen, was sie im Umweltbereich erwarten!

Nicht die Höhe der Standards ist für die Unternehmen, für die Wirtschaft das Entscheidende, sondern die Frage: Wie sicher sind diese Festsetzungen? Sehr oft hören Sie: Setzt doch ruhig hohe Standards! Jawohl, die können wir im internationalen Wettbewerb gebrauchen. Lasst sie aber fünf oder zehn Jahre gelten, und ändert sie nicht alle paar Jahre! -Das ist der entscheidende Punkt, den wir miteinander verabreden müssen: hohe Standards setzen, aber eine Verbindlichkeit einführen, die zu einer Investitionssicherheit über einen längeren Zeitraum beiträgt.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Wenn wir zusammenfassen, was zu tun ist, müssen wir feststellen, dass in dem, was Sie uns vorgelegt haben, die eigentlich notwendigen Themenbereiche überhaupt nicht angesprochen worden sind. Was ist in Nordrhein-Westfalen zu tun? Ich nenne fünf Bereiche.

Klima und Energie: Wir brauchen in NordrheinWestfalen einen Dialog, eine Auseinandersetzung darüber, welche Strategie in dem Land in der Bundesrepublik, das am meisten CO2 produziert, in den nächsten 30 bis 40 Jahren im Kraftwerksbereich erfolgen soll. Soll in große Kraftwerke investiert werden, oder gibt es eine andere Strategie, dezentraler, mit weniger CO2-Ausstoß? Das ist eine Frage, die innerhalb eines solchen Dialoges besprochen werden sollte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Energieeinsparung wird in all ihren Papieren überhaupt nicht erwähnt. Wir haben gestern die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen dazu bekommen. NordrheinWestfalen ist, was das Abgreifen von Bundesmitteln für die Sanierung von Wohnungen und Häusern angeht, hinter Bayern und BadenWürttemberg zurückgefallen. Es müsste doch unser Ehrgeiz sein, nicht nur bei den großen Wohnungsunternehmen für Initiativen zu sorgen, sondern auch beim Handwerk. Ich sage das unter dem Stichwort „Hütten und Paläste“. Das betrifft sowohl die großen Bürogebäude, die Energiefresser hoch drei sind, als auch die vielen Eigentumswohnungen und Häuser im Privatbereich. Wir müssen dafür sorgen, dass der Transmissionsriemen zwischen den vorhandenen Programmen und ihrer Umsetzung, dass also tatsächlich Aufträge an das Handwerk erteilt werden, funktioniert. Das klappt erkennbar noch nicht. Darüber, wie wir das verbessern könnten, könnten wir einen Dialog führen.

Bei der Technologieförderung kein einziges Wort dazu, dass es in den nächsten Jahren eine Debatte darüber geben wird, wie wir integrierte Produktpolitik in die Unternehmen in NordrheinWestfalen einführen!

Kein einziges Wort dazu, wie die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die mittlerweile gefordert wird, in die Unternehmen implementiert werden kann!

Kein einziges Wort dazu, dass die europäische Strategie der Material- und Ressourceneffizienz in Nordrhein-Westfalen eine Plattform bekommen muss!

Meine Damen und Herren, Sie haben technologische Bereiche, die wir dringend im Dialog mit der Wirtschaft erörtern müssen, ausgespart: Netzwerke, Nanotechnologie. Wie kommen wir bei der Bionik in die Puschen? Wie fangen wir eine Debatte über eine neue Chemiepolitik in NordrheinWestfalen – weg vom Öl – an? Wie können wir den Standort Nordrhein-Westfalen bei der Wasser- und Abwassertechnologie weltweit stärken?

Auch das geht nur in einer Kooperation, in einem Dialog mit der Wirtschaft. Wie stoßen wir an, dass wir die in Nordrhein-Westfalen breit vorhandene Fahrzeugtechnologie so vernetzen, dass wir unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit und der Ressourceneffizienz eine Chance haben?

Herr Abgeordneter.

All diese Fragen wären innerhalb eines solchen Dialogs zu thematisieren. Gerne würde ich noch vieles andere vortragen; leider reicht die Zeit dafür nicht.

Also: Das, was Sie vorgelegt haben – ein dünnes Papier –, wird den Ansprüchen nicht gerecht. Wir werden es im Ausschuss, im Parlament anfetten müssen. Sonst wird diese Initiative in keinem Fall tragen. – Vielen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank. – Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Ellerbrock – wie immer mit Fliege –

(Holger Ellerbrock [FDP]: Ja!)

das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die bisherige Diskussion vorbeiziehen lasse, muss ich sagen: Ich verstehe es einfach nicht. Es ist richtig, dass wir mit dem Dialog Wirtschaft und Umwelt NRW einen grundlegenden Mentalitätswechsel einleiten und auch deutlich machen wollen. Zehn Jahre Rot-Grün haben in der Wirtschaft zu einer Menge Verärgerung, zu vielen Problemen, zu einem Investitionsstau und allem Möglichen geführt. Hier muss nachgearbeitet werden; das ist doch wohl logisch.

(Beifall von der FDP)

Da, wo die Versäumnisse der alten Regierung offensichtlich wurden, wo die Wirtschaft ausgegrenzt wurde, muss man in besonderem Maße zuerst auf eine Kooperation setzen.

Meine Damen und Herren, Tatsache ist doch, dass wir feststellen müssen – ich als Umweltpolitiker bedauere das in besonderem Maße –, dass Umweltschutz draußen im Land negativ besetzt ist. Statt Notwendigkeiten, Chancen und Zukunftsfähigkeit zu betonen, reagiert Rot-Grün auf die ökologischen Belange kleinkariert, mit Dirigismus,

mit Gängelungen und mit einer einseitigen Betonung des Nachhaltigkeitsprinzips.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Wo kommt denn der Begriff der Nachhaltigkeit her?)

Die einseitige Bevorzugung von Umweltschutzverbänden, von Naturschützern usw. hat dazu geführt, dass dieses Land in Rückstand geraten ist. Und diesen gilt es aufzuarbeiten. Das muss man einmal so deutlich sagen.

(Beifall von FDP und CDU)

Diese Landesregierung hat sofort angefangen, deutlich zu machen, dass wir etwas anderes wollen, dass wir hier nacharbeiten müssen.

In Nordrhein-Westfalen haben wir mit dem begonnenen Dialog die Chance, Scherbenhaufen wegzuräumen und zu einer neuen Politik zu kommen. In den vergangenen Jahren haben wir uns unter Rot-Grün über alle möglichen Detailregulierungen unterhalten, statt einfach über Instrumente des Miteinander-Umgehens nachzudenken.

Herr Kollege Remmel, Sie beklagen, dass der Agendaprozess nicht in dem Maße fortgeführt wird, wie Rot-Grün ihn dargestellt hat. Aber er wird zu Recht nicht fortgeführt, denn nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Arbeitnehmervertreter haben sich aus diesem ideologieorientierten Kränzchen verabschiedet. Es gibt in Einzelbereichen Agendaprozesse, die hervorragend laufen; völlig klar. Im Kreis Steinfurt zum Beispiel läuft das hervorragend. Es gibt aber andere Bereiche, wo solche Agendaprozesse weggebrochen sind. Es geht keiner mehr hin, denn die Leute sind es leid, nur über theoretische Ansätze statt über praktisches Handeln zu reden. Und das soll sich – Herr Minister, das habe ich Ihren Worten entnommen – ändern. Wie ich Sie kenne, Herr Minister, bedeutet das: weniger reden und mehr handeln. Wir wollen nicht die besten Absichten, wir wollen die besten Ergebnisse. Deswegen ist das ein richtiger Weg.

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, Bürger und Wirtschaft haben doch längst akzeptiert, dass Umweltschutz nicht zum Nulltarif zu haben ist. Wir müssen uns von einer kurzfristigen Politik nach dem Motto „heute hü, morgen hott“ verabschieden. Ich habe schon bei der Diskussion um den Dieselrußpartikelfilter ausgeführt, dass solche kurzfristigen und kurzatmigen symbolträchtigen, allerdings wenig effektiven Aktionen nichts bringen, sondern nur verunsichern.

Ich teile Ihre Auffassung, Herr Remmel, Standards zu setzen. Diese müssen wettbewerbsneutral sein und 1:1 zu den Standards auf EU-Ebene umgesetzt werden. Sie müssen jedoch langfristig kalkuliert sein, damit sich jedermann verlässlich darauf einrichten kann. So schaffen wir Vertrauen, und so ist auch dieser Dialog angelegt.

Jetzt beklagen Sie, dass in diesem Papier der Begriff Nachhaltigkeit nicht hinreichend genug aufgegriffen wird.

(Minister Eckhard Uhlenberg: Das stimmt doch gar nicht!)

Herr Minister, das mag vielleicht sein. Das zeigt aber wieder die unterschiedliche Denke: Für den Kollegen Remmel kommt es darauf an, dass es im Papier verankert ist. Wir handeln, weil es integraler Bestandteil unseres Denkens ist. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied.

Meine Damen und Herren, wir haben den Produktkreislauf angesprochen. Der Produktintegrierte Umweltschutz ist ein zentraler Punkt auch dieses Dialogs. Aber auch hier müssen wir erkennen, dass der Staat nicht alles kann, dass wir als Staat uns auf die Rolle der Kontrolleure beschränken müssen. Es muss eigenverantwortliche Zertifizierungssysteme geben. Wir als Staat haben diese Systeme zu zertifizieren und zu kontrollieren.

Und – da will ich das Ordnungsrecht gar nicht ausnehmen – wir müssen ein starkes Ordnungsrecht im Hintergrund haben. Das, was Sie einfordern, Herr Remmel, dass dies auch verbindlich umgesetzt werden muss, ist doch selbstverständlich. Dies ist für uns so etwas von selbstverständlich, so etwas von allgemeingültig, dass ich es nicht für richtig gehalten hätte, dafür Papier zu beschmutzen.