Protokoll der Sitzung vom 25.10.2006

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat deutlich gemacht, dass sich ein Bundesland nicht aufgrund einer gefühlten Haushaltsnotlage aus seiner finanzpolitischen Verantwortung stehlen und dann Bundesmittel zur Sanierung heranziehen kann.

Meine Damen und Herren, ein Bundesland kann und darf nur dann auf Hilfe hoffen, wenn seine Haushaltsnotlage so extrem ist, dass es seine verfassungsgemäßen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. An die Adresse Berlins und damit auch an die rot-rote Regierung in Berlin hat das Bundesverfassungsgericht ganz klar festgestellt – der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Hassemar, hat es sehr nett formuliert; ich will ihn deshalb zitieren –:

„Der Berliner Slogan ‚Arm, aber sexy’ ist in seinem Kontext von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Berlin ist vielleicht deshalb so sexy, weil es so arm gar nicht ist.“

Man muss in der Tat sehen, dass sich Berlin bislang viele Sachen leistet, die sich viele andere Bundesländer sicherlich auch gerne leisten würden, das aber aus Gründen einer vernünftigen wirtschafts- und finanzpolitischen Handlungsweise, aus Verantwortung für nachfolgende Generationen nicht tun, weswegen sie auch nicht ernsthaft für die Konsequenzen des verschwenderischen und wohlfeilen Ausgabeverhaltens des Landes Berlin herangezogen werden können und dürfen.

Meine Damen und Herren, es geht in dem Karlsruher Urteil zwar konkret um das Land Berlin, aber lassen Sie mich begründen, warum auch wir uns parallel zu den laufenden Haushaltsberatungen für das Jahr 2007 mit diesem Verfassungsgerichtsurteil etwas intensiver auseinandersetzen müssen. Es zeigt nämlich auf und beschreibt,

dass wir etwas mehr tun müssen als bisher, dass der Konsolidierungskurs, den die neue Landesregierung eingeschlagen hat, ohne Alternative ist und dass wir als Land Nordrhein-Westfalen selber für die Haushaltskonsolidierung verantwortlich sind.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unterstützt das Ziel der Koalition, eine strikte Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Genau aus diesem Grunde dürfen wir auch nicht darüber nachdenken, für welche Wohltaten wir Steuermehreinnahmen ausgeben wollen – so verlockend das auch ist –, sondern müssen die Steuermehreinnahmen in die Absenkung der Nettokreditaufnahme und den Schuldenabbau stecken.

Das Bundesland Berlin – das hat das Bundesverfassungsgericht klar festgestellt – hat den Hinweis bekommen, dass es seine eigenen Mittel, seine verfügbaren Aktiva einsetzen muss, um seine Schulden abzutragen und Haushaltsdefizite auszugleichen. Das heißt für Nordrhein-Westfalen, dass die Entscheidung der Landesregierung, die LEG-Wohnungsbestände zu veräußern, dass die Entscheidungen, die die Koalition im Koalitionsvertrag festgelegt hat, sich vom Landesanteil an der West-LB zu trennen, ihn zu privatisieren und aus dem subventionierten Steinkohlebergbau auszusteigen, richtig sind. Alles, was wir selber mitgestalten können, muss zur Konsolidierung unseres eigenen Haushaltes beitragen.

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, ich könnte noch lange darauf eingehen, dass wir trotzdem in die Bildung und Ausbildung unserer jungen Leute investieren, aber darüber werden wir sicherlich an anderer Stelle hinreichend beraten.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat ganz klar die Anforderungen an die weitere Gestaltung des Föderalismusreformprozesses aufgezeigt. Es ist aus meiner Sicht und aus Sicht der FDP-Fraktion unausweichlich, dass wir an die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Kreditaufnahme und zum Schuldenabbau herangehen müssen. Die Kriterien, die wir diesbezüglich im Augenblick in der Verfassung verankert haben, sind nicht hinreichend und entsprechen nicht dem Ziel der Generationengerechtigkeit.

Wir müssen die Verschuldungsgrenze im Grundgesetz restriktiver fassen. Wir als Koalition haben uns in der vergangenen Plenarsitzung für die Streichung des Sondertatbestandes „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ ausgesprochen. Ich sage ausdrücklich und komme damit zum Schluss meiner Rede: Wir müssen uns

auch mit der Thematik auseinandersetzen, ob es nicht grundsätzlich richtig ist, ein Verschuldensverbot in der Verfassung zu verankern.

Wir müssen den Länderfinanzausgleich im Volumen deutlich reduzieren und auch im Wettbewerb der Bundesländer Anreize schaffen, dass wirtschafts- und finanzpolitisch vernünftiges Verhalten nicht weiter bestraft, dass es eben nicht wegnivelliert, sondern dass es belohnt wird.

Daneben müssen wir an das Thema „Finanzbeziehungen und Steuerautonomie“ der Bundesländer herangehen und das Konnexitätsprinzip durchsetzen und die Maastrichtkriterien beachten und durchsetzen. Wir haben viel zu tun.

Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir als Nordrhein-Westfalen zu einer gemeinsamen Position finden könnten, quer über die parteipolitischen Grenzen hinweg, weil wir die Interessen Nordrhein-Westfalens und unserer Bürger vertreten müssen. Das, was in unserem Land steckt, was in den Menschen in unserem Land an Leistungspotenzial, an Leistungswillen steckt, müssen wir in den Bundeswettbewerb einbringen können. Damit können wir gewinnen.

Wir müssen weiter denken, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Ich freue mich auf die Debatte. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Frau Freimuth. – Für die SPD spricht nun Herr Schartau.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit allem hätten wir heute als Anlass für eine Aktuelle Stunde gerechnet, zum Beispiel mit Siemens in Kamp-Lintfort und in Bocholt oder

(Beifall von der SPD)

mit Allianz in Köln und in Dortmund. Es wäre sicherlich auch ziemlich aktuell gewesen, zu hören, was bei Bayer in Leverkusen und in Dormagen los ist.

(Dietmar Brockes [FDP]: Hätten Sie doch beantragen können! – Gegenruf von Edgar Moron [SPD]: Das ist unglaublich!)

Die Geschäftsführer sollten sich darüber noch einmal Gedanken machen. Meines Wissens gab es ja Verabredungen.

(Beifall von der SPD)

Oder wir hätten uns heute Morgen damit befassen können, was denn eigentlich den 100.000 Mietern in LEG-Wohnungen im Augenblick durch den Kopf geht,

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Sie hätten es doch beantragen können!)

wenn Sie der Bevölkerung klarmachen wollen, dass Sie einen internationalen Investor suchen, der die Form von Sankt Martin hat, der nämlich nach dem Kauf den Mantel mit den Mietern teilen will.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP: Blödsinn!)

Aber es geht hier um das Bundesverfassungsgerichtsurteil und um einen bekannten Beitrag aus Ihrer Serie „Am schönsten ist das Eigenlob“.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Oh!)

Zunächst zum Bundesverfassungsgerichtsurteil: Das Urteil hat in mehrfacher Hinsicht in der Tat positive Elemente – insbesondere auch für die landespolitische Autonomie, für die Verantwortung des Landes für seine Politik und für die daraus resultierenden Folgen für den Landeshaushalt. Es ermutigt die Länder auch, im Rahmen der Föderalismusreform II von dieser Position ausgehend vernünftige Lösungen zu finden.

(Beifall von der SPD)

Auch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Situation in Berlin keine extreme Haushaltslage in dem Sinne darstellt, dass eine Bundesergänzungszuweisung notwendig wäre, ist sicherlich markant und bemerkenswert.

Aber ich glaube, wir sollten uns näher anschauen, was für Folgen aus diesem Urteil resultieren – sicherlich nicht die, dass Empfehlungen insbesondere von Nordrhein-Westfalen und gerade auch von Ihnen nach Berlin gesandt werden. Wenn die Länder untereinander mit dem Bund ein neues Finanzgeflecht hinbekommen wollen, ist es meines Erachtens keine vertrauensbildende Maßnahme zwischen den Ländern, wenn wir uns mit erhobener Nase hinstellen und den Berlinern sagen, was sie zu machen und was sie zu lassen haben.

(Beifall von der SPD)

Die Empfehlungen aus Nordrhein-Westfalen lauteten: Dann sollen die Berliner doch Studiengebühren erheben! Dann sollen die Berliner doch ihre Wohnungen verkaufen! Wie können die Berliner dazu kommen, Kindergartengebühren zu übernehmen? – Vielleicht würde ein genaueres Be

trachten der Berliner Situation dazu führen, dass man weiß, warum die eine oder andere politische Initiative in Berlin notwendig ist.

Hier im Haus ist niemand, der beim Finanzausgleich die Haltung hat: Die anderen sollen bestellen und wir bezahlen. – Eine solche Position gibt es hier nicht. Aber: Wir in Nordrhein-Westfalen würden uns auch verwahren, wenn uns irgendein anderes Bundesland für inhaltliche Entscheidungen, die wir in Nordrhein-Westfalen für richtig halten, Noten erteilen wollte. Das ist auch richtig so.

(Beifall von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Föderalismusreform II – sicherlich ganz gewichtig für die Zukunft des Föderalismus – wird eine Reihe von Fragen zu klären haben: Wie wird in Zukunft mit Neuverschuldung umgegangen? Wie wird in Zukunft mit den bestehenden Schulden der Länder umgegangen? Wie wird für den Aufbau von Verschuldung ein Frühwarnsystem zu installieren sein? Wollen wir zukünftig zu Sanktionen schreiten, wenn sich Länder daran nicht halten? Und wer soll sie durchsetzen? Wie können Hilfestellungen für Länder aussehen, die in extreme oder in schwierige Notlagen kommen? In welchem institutionellen Rahmen wollen wir ein solches System implantieren? Wie wird die politische Autonomie der Länder, auf die wir größten Wert legen, am Schluss realisiert werden? – Das sind Fragen, die ich für außerordentlich wichtig halte.

In diesem Zusammenhang wäre für uns heute Morgen interessant gewesen, wenn Sie Ihre Initiative zu Art. 115 und Art. 109, die einige Wochen zurückliegt, konkret präsentiert hätten oder wenn der Ministerpräsident seine Initiative für einen nationalen Stabilitätspakt nach Maastrichtkriterien dem Parlament zumindest grob erläutert hätte, damit man darüber hätte diskutieren können, mit welcher Position Nordrhein-Westfalen in diese Verhandlungen hineingeht. Das bleiben Sie heute Morgen schuldig. Umso mehr fragt sich jeder, was dann diese Aktuelle Stunde soll.

Herr Rüttgers hat dann im „Focus“ erneut die ganze Diskussion wiederum auf Keynes reduziert und gesagt:

„Die Theorien von Keynes sind passé – einer Politik des ‚deficit spending’ … wird ein Riegel vorgeschoben.“

Da lobe ich mir die Differenziertheit des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das mit solchen Themen wesentlich sensibler umgeht. Dieses Urteil hat Martin Walser in seinem Roman „Angstblüte“ sicher nicht gemeint, als er schrieb – ich zitiere –:

„… zum Beispiel Keynes, …, von dem hierzulande im Populistengewäsch nur noch das Schlagwort „defizit spending“ übriggeblieben ist.“

Auf dieser Basis sollten wir hier nicht diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Schartau. – Für die CDU spricht nun Herr Kollege Lienenkämper.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Keine Dummheit ist so groß, als dass sie nicht durch Beharrlichkeit noch größer gemacht werden könnte. – So etwa kann man die Reaktion von Klaus Wowereit auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beschreiben, das wir heute im Rahmen der Aktuellen Stunde diskutieren.

Man kann sich angesichts dieser Reaktion ernsthaft fragen: Ist das Dummheit? Oder ist es das, was die Kollegin Freimuth schon zitiert hat: Dreistigkeit? Oder ist es möglicherweise eine unheilvolle Kombination aus beidem, die den Regierenden Bürgermeister als Reaktion auf das sehr kluge Urteil verkünden lässt: