Protokoll der Sitzung vom 08.03.2007

In der Tat ist es nach meinem Eindruck so: Der Vorwurf, den Sie gegenüber der CDU-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode erhoben haben, dass unser System der Wiedervorlage stimmen würde, trifft Sie seit Langem selber.

Richtig bleibt: Deutschland und somit NordrheinWestfalen leben auch von kultureller Vielfalt und Internationalität, aber nicht von multikulturellen Sozialhilfeempfängern. Und zutreffend ist auch: Als Antworten auf die schwierigen Fragen der Ausländer- und Integrationspolitik gibt es keine einfachen Formeln.

Wir haben als erste Landesregierung ein Integrationsministerium eingerichtet,

(Monika Düker [GRÜNE]: Dann geben Sie diesem auch die Zuständigkeit! – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

unter anderem auch deswegen, weil Sie von RotGrün die Entwicklungen seit vielen Jahren schlicht und ergreifend haben treiben lassen. Deswegen waren wir mit der neuen Landesregierung der Auffassung, dass wir uns um diesen Politikbereich erheblich intensiver kümmern müssen, als dies in den vergangenen beiden Wahlperioden der Fall war.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Dafür werden sich die Menschen bedanken! – Monika Düker [GRÜNE]: Sagen Sie das denen, die abge- schoben werden!)

Ich plädiere in diesem sensiblen Politikfeld für deutlich mehr Gelassenheit und Vernunft, aber eben auch für klare ausländerrechtliche bzw. gesetzliche Vorgaben und Vorgehensweisen.

Ja, es ist richtig: Geduldete und faktisch integrierte Ausländer benötigen in Deutschland bzw. in Nordrhein-Westfalen eine Perspektive. Sie müssen allerdings über einen langjährigen Aufenthalt, über ausreichende Sprachkenntnisse und Wohnraum verfügen und eine existenzsichernde Beschäftigung nachweisen. Sofern sie keine haben, müssen sie diese finden. Über all diese Punkte und viele weitere Einzelheiten kann man sich natürlich trefflich auseinandersetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU-Fraktion ist sowohl in Einbürgerungs- als auch in Bleiberechtsfragen und/oder bei Altfallregelungen immer für eine bundeseinheitliche Vorgehensweise gewesen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Von daher haben wir es begrüßt, dass die Innenminister der Länder und somit dankenswerterweise auch der Innenminister unseres Landes – herzlichen Dank für Ihre Initiative und Ihr Engagement, Herr Minister Wolf! – im November des vergangenen Jahres eine Bleiberechtsregelung auf der Grundlage des derzeit geltenden Aufenthaltsgesetzes vereinbart haben, sozusagen im Vorgriff auf eine bundesgesetzliche Regelung.

Mit dem IMK-Beschluss vom 17. November 2006 ist vermieden worden, Anreize für einen dauerhaften Bezug von Sozialleistungen zu schaffen. Allerdings wurden für bestimmte Personengruppen Ausnahmen vom Erfordernis der vollständigen eigenen Lebensunterhaltung vorgesehen, sozusagen zur Vermeidung besonderer Härten.

Nun sind neue Vorstellungen des Bundes im Gespräch. Am vergangenen Montag hat sich die Ko

alition in Berlin darauf verständigt, dass bis Ende März ein Gesetzentwurf vorliegen soll. NordrheinWestfalen, die Landesregierung, die sie tragenden Fraktionen – wir blockieren nichts. Im Gegenteil: Wir unterstützen alle Bemühungen des Bundes, integrierten ausreisepflichtigen Ausländern eine verlässliche Perspektive zu geben. Wir brauchen vernünftige Lösungen, die sowohl den Belangen der Betroffenen Rechnung trägt als auch einen dauerhaften Verbleib in den Sozialkassen vermeidet.

Dass es nunmehr über die Vorstellungen der Bundesebene eine erneute Auseinandersetzung gibt – das kann keiner leugnen –, hängt natürlich mit der föderalen Struktur und mit den berechtigten unterschiedlichen Interessen der Länder in unserer Republik zusammen und natürlich mit der Antwort auf die Frage: Wer trägt die Lasten, bzw. wie kann man eine Zuwanderung in die Sozialsysteme langfristig verhindern?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Kollegin Beer. Ich habe für jeden Verständnis, der sich in seinem Wahlkreis bzw. in ihm bekannten Einzelfällen eine Bleiberechtsregelung für die jeweils Betroffenen wünscht. Gleichwohl brauchen wir nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Deutschland insgesamt eine über alle Einzelfälle hinausgehende Regelung für die Gesamtgesellschaft, die verträglich und die rechtsstaatlich ist und die letztendlich auch für das Land Nordrhein-Westfalen finanzierbar bleibt.

Dieser Entwicklung stimmen wir zu. Von daher sind wir auch für die Überweisung und die weitere Beratung des Antrags im entsprechenden Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kruse. – Für die Fraktion der SPD hat jetzt Herr Dr. Rudolph das Wort.

(Peter Biesenbach [CDU]: Aber jetzt nichts Sizilianisches!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kruse, ich danke Ihnen ausdrücklich für diese gemäßigte Rede. Ich glaube nicht, dass es nur die Mittagszeit ist und die allgemeine Erschöpfung, die bei Menschen bei so einem Wetter um eine solche Uhrzeit einsetzt, sondern ich glaube, die Fortschritte, die die Große Koalition in Berlin, also SPD und CDU, miteinander erzielt, schlagen sich durchaus auch positiv nieder in der Politik der CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Sie sagten allerdings gerade: Es gibt natürlich auch einen Föderalismus, den man berücksichtigen muss. Wenn man sich allerdings das Spektakel – da hat die Kollegin Düker, glaube ich, Recht – anschaut, das einige Innenminister auf diesen Konferenzen in den letzten nicht nur Monaten, sondern fast schon Jahren veranstaltet haben, dann schaden diese Länder dem Föderalismus.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das betrifft insbesondere die Rolle Bayerns. Denn das hat streckenweise leider nichts mehr mit Föderalismus und mit Landesinteressen zu tun. Das hat separatistische Tendenzen. Die Innenministerkonferenz und die gesamte Debatte werden von der CSU ständig instrumentalisiert für den Nachfolgekampf um den Ministerpräsidenten Stoiber.

(Zuruf von der CDU: Quatsch!)

Das Schlimme an der Debatte ist natürlich, dass es eben nicht nur um die CSU und darum geht, wer da Vorsitzender wird und wer da am lautesten schreit und am stärksten draußen die vorgeblichen Interessen Bayerns vertritt. Es geht vielmehr, wenn man sich die Zahlen anschaut, allein in Nordrhein-Westfalen um – das sagt jedenfalls unser Innenministerium Ende des Jahres 2006, also zum Stichtag 30. Juni 2006 – 60.068 Personen, die hier geduldet sind. Zum selben Stichtag haben sich in NRW 12.992 Personen aufgehalten, die im Asylverfahren standen. Ich finde, dass es nicht in Ordnung ist, dass auf dem Rücken auch Zehntausender von Menschen in NordrheinWestfalen eine Politik von Bayern her gemacht wird, die eine vernünftige parteiübergreifende Regelung dieses Problems ständig verbaut.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Theo Kru- se [CDU]: Das ist falsch!)

Nein, das ist so. Das würde Ihnen selbst Herr Schäuble in einer ruhigen, stillen Minute sagen. Glauben Sie mir, Herr Kruse! Fragen Sie ihn! Auch Herr Bosbach wird Ihnen das sagen.

Von diesen 60.000 bzw. knapp 13.000 Personen sind in Nordrhein-Westfalen 35.443 Geduldete und 3.500 Asylbewerber seit mindestens sechs Jahren hier. 24.900 Geduldete und über 2.200 Asylbewerber sind seit mindestens acht Jahren hier, im Bundesgebiet, in Nordrhein-Westfalen.

Das heißt, wir reden erst einmal über eine Bleiberechtslösung für eine Gruppe von Personen, die sich überwiegend seit sehr vielen Jahren hier in Nordrhein-Westfalen oder im Bundesgebiet auf

hält. Die halten sich hier auf, weil wir sie hereingelassen haben.

(Theo Kruse [CDU]: Wer?)

Die Gesetze, die wir gemeinsam gemacht haben. Wir haben Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen, weil es Menschen sehr dreckig ging. Da hat die Bundesregierung eine richtige humanitäre Politik gemacht, die auch von der damaligen Opposition überhaupt nicht kritisiert worden ist. Deswegen sind die hier.

Ich gebe Ihnen Recht, Herr Kruse: Kein Mensch hat von sich aus das Recht zu sagen: Ich gehe in das Land, in das ich möchte, halte mich dort auf und wohne dort. Denn ich habe auch kein Recht, zu meinem Nachbarn ins Haus zu gehen und zu sagen, jetzt wohne ich in seinem Zimmer. Das ist okay.

Aber wenn man die Leute hereinlässt – aus gut nachvollziehbaren Gründen –, wenn man Asylverfahren macht, die so lang sind, dass das Ende nicht absehbar ist, und die durchaus gestrafft werden könnten, wenn sie rechtsstaatlichen Kriterien entsprechen, dann muss man sich um die Menschen kümmern und sollte nicht auf ihrem Rücken Politik machen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Deswegen hat der Vizekanzler durchaus Recht, wenn er in einem „Spiegel“-Interview sagt – ich zitiere ihn –:

„Es ist eine Schande für unser Land, dass wir Jugendliche, die sechs oder acht Jahre hier gelebt haben, keine Ausbildung machen lassen, sondern ihnen sagen: Geht zurück in ein Land, das ihr nicht kennt und dessen Sprache ihr nicht sprecht.“

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Darauf, dass wir das jetzt ändern, sollten wir gemeinsam stolz sein.

Ich finde es auch richtig, dass die Große Koalition dieses Problem jetzt anpackt, weil seit ungefähr einem Jahr die Koalitionsfraktionen über ein Gesamtpaket ausländerrechtlicher Neuregelungen verhandelt haben. Die elf EU-Richtlinien sind bereits genannt worden. In diesem Paket, das insgesamt auf den Tisch gekommen ist, spielt eben eine Bleiberechtsregelung für uns eine große Rolle.

Herr Kollege Rudolph, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kruse?

Ja, gerne.

Bitte, Herr Kollege Kruse.

Herr Kollege Rudolph, Sie haben die Dauer der Asylverfahren angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass die Asylverfahren in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von 1995 bis 2005 – das ist der Zeitraum, den ich am ehesten überblicke – mindestens drei Mal so lange gedauert haben wie in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und anderen Ländern? Von daher müssen Sie die Verantwortlichkeit für die Dauer der Asylverfahren schon mit ansprechen. Ist Ihnen diese Entwicklung bekannt gewesen?

Ich habe das doch gerade gesagt, Herr Kruse.

(Theo Kruse [CDU]: Nee!)

Es geht doch nur darum, dass wir nicht diejenigen, die sich in diesen langen Asylverfahren bewegen, dafür verantwortlich machen, dass sie so lange brauchen, nur weil wir sie so lange im Verfahren aufhalten. Verstehen Sie das? Das ist doch der Punkt.

Es geht jetzt darum, dass der Bund im Grunde genommen etwas an sich gezogen hat, was eigentlich Aufgabe der Innenministerkonferenz gewesen ist. Ich habe es gerade beschrieben. Unter anderem das Verhalten Bayerns, aber auch anderer Länder hat dazu geführt, dass es im Grunde genommen die Innenministerkonferenz zwar geschafft hat – darauf ist hingewiesen worden –, eine kleine Bleiberechtsregelung, eine Bleiberechtsregelung 1, zu schaffen, aber über alles weitere mal wieder im Streit auseinanderging.

Wenn man sich sozusagen das Gesamtterrain in dieser Innenministerkonferenz anguckt, fallen die bekannten Neigungen Bayerns schon auf. Da können Sie dem Innenminister fünf Mal Dank erstatten für Dinge, die für mich nicht nachvollziehbar sind. Es gibt in dieser ganzen innenpolitischen Debatte keinen wirklich liberalen Innenminister in Deutschland, weil der Innenminister NordrheinWestfalens, Herr Wolf, gleichsam der Herr Beckstein der FDP ist.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU: Oh!)