Protokoll der Sitzung vom 29.03.2007

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Forderung nach einer warmen Mahlzeit für jedes Schulkind ist natürlich auch für meine Fraktion ein wichtiges Thema, nicht allein schon deshalb, weil, wie die Fraktion der Grünen zu Recht betont, die Schulzeitverkürzung an unseren Gymnasien eine Unterrichtsverdichtung in der Sekundarstufe I nach sich zieht und die Schülerinnen und Schüler gleich an mehreren Tagen bis in den Nachmittag hinein in der Schule sind.

Viel schwerer wiegt für uns aber auch, dass wir leider zunehmend feststellen müssen, dass Kinder von zu Hause aus nicht mehr ordentlich versorgt werden. Längst ist Kinderarmut in unserem Land zum Thema geworden. Wir wissen, dass aus Armut heraus oftmals geringe Bildungschancen folgen und Benachteiligungen erwachsen, die so gut wie gar nicht mehr ausgeglichen werden können. Wir wissen: Arme Eltern haben arme Kinder, die wiederum zu armen Eltern werden. Armut wird in unserem Land vererbt.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat im Dezember des letzten Jahres festgestellt, dass fast jedes zweite Kind aus Familien mit geringem Einkommen ohne Frühstück in die Schule geht. Die Erhebung des Instituts ergab auch, dass diese Kinder merklich unkonzentrierter sind und die Schulleistungen dadurch auch schlechter werden. Wir wissen – Frau Löhrmann, Herr Recker, Sie

haben darauf hingewiesen –, dass Eltern ihre Kinder zunehmend von den Ganztagsschulen abmelden müssen, weil sie das Essensgeld nicht mehr aufbringen können.

Auch dem Ministerpräsidenten ist dieses wachsende gesellschaftliche Problem nicht verborgen geblieben. So äußerte er sich in der „Rheinischen Post“ vom 22. März nach einem Besuch in der Einrichtung „Immersatt“, eine Einrichtung, die von einem ehrenamtlichen Verein geführt wird und täglich rund 800 Kinder mit einem Mittagessen versorgt, folgendermaßen:

„Es sei erschreckend, so Rüttgers, dass bis zu 40 % der Schulkinder ohne Frühstück in die Schule gingen. … Wer einen guten Schulabschluss anstrebe, muss auch regelmäßige Mahlzeiten bekommen.“

Es ist zwar löblich, dass der Ministerpräsident die Initiative „Immersatt“ mit einer Spende bedachte. Aber angesichts der Dimension des Problems ist es nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Problem wird damit in keiner Weise gelöst. Der Verweis des Ministerpräsidenten am Ende seines Besuches lautet:

„Denn auch staatliche Unterstützung habe irgendwo ihre Grenzen. ‚Das kann der Staat nicht allein regeln.’“

So etwas ist wenig hilfreich,

(Beifall von den GRÜNEN)

denn der Ministerpräsident zeigt in keiner Weise auf, wie er gedenkt, mit dem Problem umzugehen.

Vor dem Hintergrund der Problemlage an unseren Schulen müssen wir aber dringend Antworten geben, doch lässt das Schulministerium bislang in dieser Fragestellung leider weder ein Problembewusstsein erkennen, noch zeigt es Lösungen auf.

(Zuruf von der CDU: Was haben Sie denn gemacht?)

In der Beantwortung einer Kleinen Anfrage meiner Kollegin Schäfer vom Dezember des letzten Jahres auf die Fragestellung, welche Unterstützung die Landesregierung den Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen für ein adäquates Angebot über Mittag – damit ist auch die Frage nach einem Mittagessen in der Schule gemeint – anbietet, wird lapidar geantwortet:

„Die Sicherstellung eines adäquaten Mittagsangebotes ist entsprechend den §§ 92 ff. SchulG Aufgabe des Schulträgers. Hierfür gibt es – zum Teil auch unter Einbeziehung der El

ternschaft – bereits jetzt in vielen Städten und Gemeinden des Landes gute Lösungen.“

So weit das Schulministerium. Der Sprecher des Schulministeriums, Herr Priboschek, ergänzte diese Haltung durch eine Äußerung in der „TAZ“ vom 8. Februar dieses Jahres:

„’Dass dieses Problem in den Kommunen existiert, ist bekannt.’ Doch seien dies eher ‚eher Einzelfälle’.“

Dann ist ja alles in Ordnung, oder? – Mir scheint, hier macht es sich die Landesregierung mal wieder sehr einfach. Was machen denn die Schulen, die keine Unterstützung durch die Elternschaft haben? Was machen denn die Schulträger, wenn sie in der Haushaltssicherung sind? – Die Landesregierung lässt die Kommunen mit diesem Problem allein.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Landesregierung mutet zum wiederholten Male den Kommunen neue Aufgaben zu, die in keiner Weise gegenfinanziert sind. Fehlanzeige auf der gesamten Linie! Die Leidtragenden sind wieder einmal die Kinder. Aber das ist ja leider nichts Neues.

Während die rot-grüne Bundesregierung seinerzeit ein Investitionsprogramm in Höhe von 4 Milliarden € aufgelegt hatte – NordrheinWestfalen profitierte mit über 900 Millionen € –, um den Ausbau von Ganztagsschulen nachhaltig zu forcieren, was in den vergangenen Jahren in Nordrhein-Westfalen auch gut geklappt hat, benötigen die Schulträger nun, nach Auslaufen des Investitionsprogramms, dringend weitere finanzielle Unterstützung, um diejenigen baulichen und räumlichen Voraussetzungen auch schaffen zu können, die sie für den Ganztagsbetrieb dringend brauchen. Das können die Schulträger nicht alleine schultern. Durch die Föderalismusreform wird es zudem künftig kaum mehr möglich sein, Finanzmittel für Investitionen für die Ganztagsschulen direkt aus Berlin zu erhalten.

Die Landesregierung scheint hierfür wenig sensibel zu sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie keinerlei Anstrengungen erkennen lässt, wie den Schulen vor Ort geholfen werden kann? Allerdings, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Grünen, mit Verlaub: Ihr Antrag scheint mir etwas schnell aus der Hüfte geschossen. Sie heben auf die Unterrichtsverdichtung ab, erwähnen kurz die Hauptschulen, machen keinerlei Aussagen zu den Realschulen und fordern in jedem Fall schon mal einen Rechtsanspruch. Die Landesregierung beschränkt sich ih

rerseits darauf, lediglich einen Teil der Hauptschulen in Ganztagsschulen umzuwandeln – dies wohl in dem Glauben, damit den Sinkflug dieser Schulform stoppen zu können. Die an den Gymnasien durch die Unterrichtsverdichtung entstehenden Probleme und damit auch die Frage nach einer gesunden Verpflegung ignoriert sie schlicht. Und die Grünen fordern schön öffentlichkeitswirksam für jedes Kind ein Essen.

Natürlich brauchen wir eine landeseinheitliche Regelung. Das darf nicht dem Zufall überlassen werden. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, Herr Recker, dass Sie dafür durchaus offen sind. Wir meinen aber, dass es uns hier im Haus gelingen müsste, die Halbtagsschulform generell zu überwinden und dahin zu kommen, dass unsere Schulen, und zwar alle Schulformen, bedarfsgerecht und solide im Ganztagsbetrieb organisiert werden.

(Beifall von der SPD)

Es ist erfreulich, was die aktuelle Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen aufzeigt. Insgesamt wird festgehalten, dass die Befragung von rund 30.000 Schülerinnen und Schülern und Eltern eine durchweg positive Bewertung erbracht hat. Die Ganztagsschule wird schon heute von Experten als große Bereicherung für die Lernkultur bezeichnet. Aber bei aller Freude über die guten Noten der Ganztagsschule darf eben nicht vergessen werden, dass wir in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen insgesamt, was den Ganztag angeht, noch sehr am Anfang stehen und noch vieles weiterentwickelt werden muss.

Es geht also nicht nur um den Rechtsanspruch auf eine warme Mahlzeit oder um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern es geht darum, unsere Schulen nach und nach zu Häusern des Lebens und des Lernens zu entwickeln.

Dafür brauchen wir ein vernünftiges und auf die neuen Herausforderungen ausgerichtetes Finanzierungskonzept, das den Kommunen die Entwicklung passgenauer Angebote sichert und das insbesondere den Kindern hilft, die von zu Hause aus nicht mehr die Unterstützung und Förderung bekommen, die sie für ein gesundes und gelingendes Aufwachsen benötigen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Stotz. – Für die FDP-Fraktion erhält das Wort Frau Pieper-von Heiden.

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Löhrmann, von Ihnen wird hier in der Tat ein sehr wichtiges Thema aufgegriffen. Das hat zum einen mit Grundschulkindern zu tun, die sich in einer Situation befinden, in der sie zum Teil kein Mittagessen mehr bekommen, weil die Eltern ihre Kinder von der Ganztagsgrundschule abmelden, und das darf nicht passieren. Da sind wir uns völlig einig. Aber dazu komme ich gleich.

Zum anderen eröffnen Sie ihren Antrag damit, dass Sie auf einen kahlen Ganztag hinweisen und auf die Gymnasien abheben. Zur Erinnerung: Überall dort, wo ein tatsächlicher Ganztag in diesem Land Nordrhein-Westfalen stattfindet – an gebundenen Ganztagshauptschulen, an den Ganztagsgesamtschulen –, gibt es überall Mensen und die Mittagsversorgung.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Sie kennen das Land nicht!)

Ich möchte Sie doch bitten, diesen Punkt auszuklammern. Für die weiterführenden Schulen hat die Landesregierung ein umfassendes Programm auf den Weg gebracht. Wo der Ganztag stattfindet, wird er auch ordentlich versorgt und umsorgt.

Sie sprechen aber den Punkt des zunehmenden Nachmittagsunterrichts in den weiterführenden Schulen und in den Gymnasien an. Auch uns ist natürlich dieser Punkt zu Ohren gekommen. Ich bin dem nachgegangen, beispielsweise an Gymnasien. Wenn Sie die sogenannte Unterrichtsverdichtung in der Sekundarstufe I nehmen, dann macht das – schon unter Berücksichtigung der verkürzten Sekundarstufe an Gymnasien über fünf Jahrgänge ab 2009 – fünf Stunden über alle Jahrgänge aus. Das heißt rechnerisch: eine Wochenstunde pro Jahrgang.

Es ist ja richtig, dass die Schüler nachmittags verstärkt in der Schule sind. Aber diese eine Wochenstunde pro Jahrgang kann anders organisiert werden. Ich habe bei den Schulleitungen nachgefragt und dort angerufen. Es hat in der Tat weniger mit aktueller tatsächlicher Verdichtung des Stundenplans zu tun, sondern vielmehr damit, dass die Aufstellung der Stundenpläne nicht optimal ist, dass Rücksicht genommen wird auf individuelle Wünsche von Lehrern: Einige Lehrer haben montags frei, andere freitags, die dritte Gruppe unterrichtet nicht so gern in der ersten Stunde und die vierte nicht unbedingt in der letzten Wochenstunde.

(Ute Schäfer [SPD]: Das ist ja unglaublich!)

An dieser Stelle bitte ich sehr herzlich darum, unsere Schulpflegschaften zu sensibilisieren und darauf zu achten, dass Stundenpläne zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler und mit Rücksicht auf eine vernünftige Rhythmisierung unserer weiterführenden Schülerinnen und Schüler im Schulalltag aufgestellt werden

(Ute Schäfer [SPD]: Das ist eine Frechheit!)

anstatt mit Rücksicht auf ganz individuelle Wünsche und Bedürfnisse der Lehrerinnen und Lehrer.

Dennoch: Eine vernünftige Rhythmisierung des Schulalltages von Essen und Bewegung ist wichtig und unverzichtbar. Ich würde das zwar eher in umgekehrter Reihenfolge sehen: Bewegung und Essen. Aber sei’s drum.

Es ist richtig, dass wir zunächst den Ganztagsausbau an Grund- und Hauptschulen und in Erweiterung des Investitionsprogramms auch an Förderschulen aus gutem Grund den Vorzug gegeben haben, weil wir nämlich dafür sorgen müssen, dass unsere Schüler auch tatsächlich überhaupt erst einmal zu Schulabschlüssen kommen.

Jetzt möchte ich die dramatische Darstellung der Entwicklung aus Ihrem Antrag aufgreifen und für die FDP-Fraktion betonen, dass wir die Bundesratsinitiative für Mittagessen unterstützen.

Die zunehmende Abkehr von der Teilnahme mancher Ganztagsgrundschulkinder an der Mittagsversorgung gibt wirklich Anlass zu großer Sorge. Es fällt manchen Eltern in der Tat schwer, aus welchen Gründen auch immer, den Mittagskostenbeitrag für ihre Kinder an der offenen Ganztagsgrundschule aufzubringen. Es gibt Eltern, die sich nicht kümmern können; es gibt auch leider Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen. Dennoch steht das Kind im Mittelpunkt, und um dieses einzelne Kind müssen wir uns kümmern. Es ist beschämend für betroffene Kinder, beim Mittagessen außen vor zu stehen und keine Versorgung zu erhalten. Dieser Umstand muss uns allen ein ganz wichtiges Anliegen sein. Selbstverständlich liegt die Pflicht zur Fürsorge in erster Linie bei den Eltern, aber manche können das einfach nicht leisten, und deswegen müssen wir uns kümmern.

Nur: Wir müssen uns auch schnell kümmern. Der Ruf nach dem Staat, nach einer Bundesratsinitiative ist die eine Sache, die wir selbstverständlich unterstützen. Die ganz andere Sache ist, dass wir zu schnellen und auch zu kreativen Lösungen vor Ort kommen müssen.

Da denke ich an die Entwicklung von Mittagspatenschaften. Die gibt es zum Teil schon. Wir müs

sen dazu kommen, dass es in unmittelbarem Umfeld der Ganztagsgrundschulen, in deren Nachbarschaft zu Kooperationen auf freiwilliger Basis kommt. Und das ist bereits im Entstehen. Es gibt Grundschulen, die in der Nähe von Unternehmen liegen. Diese Wirtschaftsunternehmen sind sehr gerne bereit, für einzelne Schüler, vielleicht sogar für ganze Jahrgänge sogar Patenschaften zu übernehmen. Es sind Wirtschaftsunternehmen, die über eigene Kantinen verfügen, die gerne auch bereit sind, eine Schule gleich mitzuversorgen. Wenn man entsprechende Gespräche führt, dann hört man, dass es eine Bereitschaft dafür gibt. Das sollten wir unbedingt propagieren: die direkte Zuständigkeit, die Hilfe vor Ort, Mittagspatenschaften zu entwickeln.

Die sind nicht nur mit Wirtschaftsunternehmen, sondern beispielsweise auch mit Altenheimen denkbar. Es gibt Altenheime auch in der Nähe von Grundschulen, die ebenso in der Lage sind, diese Versorgung mit zu übernehmen, und sie tun es auch gerne. Die älteren Menschen, die Seniorinnen und Senioren, freuen sich riesig darüber, wenn ab und zu einmal die Kindergruppen aus den Ganztagsschulen in die Altenheime kommen und dort vorsingen, wenn ein Geburtstag der alten Menschen gefeiert wird, oder andere Dinge tun, etwa Spiele aufführen. Das führt auch die Generationen zusammen. Kinder haben große Freude daran, ältere Menschen auch.

Es ist in diesem Zusammenhang vieles denkbar, was wir zusätzlich auf den Weg bringen müssen. Wir dürfen nicht einfach nur den Weg gehen zu sagen: Nun machen wir mal eine Initiative und bringen alle an einen Tisch und schauen, was dabei herauskommt. – Das muss auf der einen Seite passieren.

Auf der anderen Seite rufe ich alle hier Anwesenden herzlich dazu auf, selbst vor Ort tätig zu werden, damit wir dieses Problem in den Griff bekommen und Kindern, die zwar eine Ganztagsgrundschule besuchen, aber außen vor stehen und kein Mittagessen bekommen, durch privates Engagement möglichst schnell helfen können.