Protokoll der Sitzung vom 23.05.2007

dass dann in sieben Jahren Rot-Grün keine einzige Branche ins Entsendegesetz aufgenommen worden ist

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das stimmt nicht!)

und dass erst, seitdem die Union wieder an der Regierung in Berlin beteiligt ist, die Gebäudereiniger dazugekommen sind.

(Beifall von der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Auch das stimmt nicht!)

Das ist die Wahrheit! Und insofern sitzen Sie da doch ein Stück weit, finde ich, im Glashaus.

Aus diesen Gründen sollten wir als Staat nicht in die Lohnfindung eingreifen, sondern es in allererster Linie den Branchen, den Tarifvertragsparteien überlassen.

Jetzt möchte ich einen zweiten Grund nennen, warum ich persönlich meine, dass ein bundeseinheitlicher Mindestlohn in Deutschland etwas anderes ist als in Frankreich oder in England.

Wir haben in Deutschland nun einmal eine große gemeinsame Grenze mit Westeuropa. Darunter sind auch die nordrhein-westfälischen Außengrenzen mit Holland und Belgien. Da gibt es so

gut wie keinen Lohnunterschied. Aber die Wahrheit ist doch – und das hat kein anderes europäisches Land –, dass wir in Deutschland auch eine gemeinsame Grenze mit Osteuropa haben und dass das Lohngefälle zwischen Deutschland und Polen das größte in ganz Europa ist.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann heben Sie doch Ihre Blockade zum Entsendegesetz auf!)

Wir haben gar keine Blockade zum Entsendegesetz! Wir haben doch gerade die Gebäudereiniger hineingenommen. Wo ist denn da eine Blockade?

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie erkennen die noch nicht einmal!)

Glauben Sie doch bitte nicht, was Ihnen all die Leute aus den Gewerkschaften den ganzen Tag erzählen; die nehmen die Realität ja manchmal gar nicht mehr wahr.

(Beifall von CDU und FDP)

Die Gebäudereiniger sind von der Großen Koalition gerade ins Entsendegesetz aufgenommen worden. Reden Sie doch nicht von Blockade!

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann nehmen Sie die anderen Branchen doch auch mit auf!)

Wir müssen uns die eben einzeln anschauen, ob da überhaupt eine Entsendeproblematik besteht.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ach, dann schau- en Sie aber mal genau hin! – Günter Garbrecht [SPD]: Dann sollten Sie einmal mit den Fleischern reden!)

Folgende Sache ist doch ganz klar: Ein Mindestlohn, der eine Höhe hätte, mit der er uns auf den Arbeitsmärkten zum Beispiel in unserer Landeshauptstadt Düsseldorf helfen würde, ist in anderen Gebieten Deutschlands leider Gottes schon ein Spitzenlohn. Wir haben nun einmal nicht nur in Europa insgesamt riesige Lohn- und Sozialgefälle, sondern auch innerhalb Deutschlands.

Deswegen ist die Frage nach einem einheitlichen Mindestlohn bei vielen Menschen zwar sehr beliebt, weil jeder das Gespür für eine gerechte Entlohnung hat, aber ich habe erhebliche Bedenken, ob das am Ende auch eine kluge Antwort ist.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Seit über einem Jahr!)

Auch in den Gewerkschaften gibt es dazu sehr unterschiedliche Stimmen. Herr Schmoldt zum Beispiel ist der Meinung, dass ein gesetzlicher

Mindestlohn eher eine Tarifspirale nach unten bedeuten wird als in die Richtung, die er sich wünscht. Auch das sollte man einmal zur Kenntnis nehmen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Gehen Sie doch einmal zu anderen Gewerkschaften! Aber da fällt Ihnen keine ein!)

Aber die Tatsache, dass jemand gegen einheitliche Mindestlöhne in Deutschland ist, heißt noch lange nicht, dass er für Lohndumping und für sittenwidrige Löhne ist. Das sollten wir uns in dieser Debatte einmal gegenseitig zugestehen.

(Beifall von der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Tun Sie etwas dagegen!)

Vor allen Dingen ich, Herr Kollege Schmeltzer, muss mir dies nicht vorwerfen lassen. Ich habe mein Lebtag für eine gerechte Lohnfindung eingestanden und muss mich von keinem belehren lassen.

(Beifall von der CDU)

Ich werde auch als Arbeitsminister weiterhin für eine gerechte Lohnfindung eintreten und mich nicht scheuen, mich für die Allgemeinverbindlichkeit da, wo sie im öffentlichen Interesse liegt, einzusetzen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist eure Pflicht!)

Herr Minister, Sie haben noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schartau zugelassen. Wollen wir diese Frage jetzt dazwischenschieben?

Ja, der Kollege Schartau kann gerne eine Zwischenfrage stellen.

Wunderbar, dann machen wir das jetzt. – Bitte schön, Herr Schartau.

Die Rede ist jetzt schon ein bisschen weitergegangen. Ich hatte eigentlich nur eine Frage bezogen auf die Amtszeit Ihres Vorgängers. Gab es während der Amtszeit Ihres Vorgängers Anträge von Tarifvertragsparteien auf Erklärung von Allgemeinverbindlichkeit, die Ihr Vorgänger abgelehnt oder nicht aufgegriffen hat?

Herr Kollege, ich habe noch dieselbe Fachabteilung, wie Sie sie hatten. Die Leute haben mir gesagt, ich könne hier heute

erklären: In der Amtszeit von Herrn Schartau ist kein einziger Entgelttarifvertrag in neuen Branchen für allgemein verbindlich erklärt worden. – Jetzt sagen Sie, es habe auch keine Anträge gegeben. Wenn ich das so gemacht hätte, wie Sie es gemacht haben, hätte ich auch keine Anträge gehabt. Die muss man aktiv befördern.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie haben die Frage überhaupt nicht aufgenommen!)

Doch, die Frage habe ich schon verstanden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Aber nicht beant- wortet!)

Er hat gesagt, er habe keine Anträge gehabt und deswegen auch keinem zugestimmt. Wenn ich auf die Anträge gewartet und mich nicht mit bestimmten Leuten unterhalten hätte, hätte ich auch keine Anträge bekommen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie haben doch die Listen! Lesen Sie sie doch!)

Jetzt wollen wir uns auch das nicht gegenseitig vorwerfen.

Ich glaube, dass die Allgemeinverbindlichkeiten, die wir in den letzten drei Wochen in NordrheinWestfalen hingekriegt haben, ein schönes Beispiel dafür sind, dass bei uns die soziale Partnerschaft in schwierigen Branchen noch funktioniert.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Herr Schartau auch schon hatte!)

Ich finde, dafür sollten wir den Tarifvertragsparteien in diesen schwierigen Branchen ein Stück weit dankbar sein.

Das ist genau der Weg, den ich gehen will. Ich will nicht dadurch, dass ich durch staatliche Maßnahmen Löhne festlege, zu einer Entmündigung der Tarifvertragsparteien und zu einem Ersetzen der Tarifvertragsparteien durch den Staat kommen. Das will ich eben nicht.

(Beifall von der CDU)

Ich glaube, dass es auch für Gewerkschaftler richtig ist, es so zu sehen; denn in dem gesamten Bereich, in dem Niedriglöhne gezahlt werden, müsste kein Mensch mehr Mitglied einer Gewerkschaft sein, um zu einer Lohnfindung zu kommen, wenn dies dort durch den Staat erledigt würde. Der Staat wird es, bezogen auf die Branchen, nie so hinkriegen, wie die in den Branchen Zuständigen das schaffen.

Dann wollen wir jetzt einen bestimmten Zeitraum nutzen und gucken: Wie weit kommen wir denn mit den Instrumenten Tarifvertrag und Allgemein

verbindlichkeit? Ich glaube, dass es am Ende den einen oder anderen Bereich geben wird, in dem wir das nicht so hinkriegen. Wenn es dort sittenwidrige Löhne gibt, müssen wir die klar bekämpfen.

Deswegen denke ich, dass das Instrumentarium, das uns heute zur Verfügung steht, uns, wenn es gut angewandt wird, vor Lohnverwerfungen, die Sie alle befürchten, schützt: im Normalfall der Tarifvertrag; da, wo in Ausnahmefällen ein öffentliches Interesse vorliegt, die Allgemeinverbindlichkeit; da, wo es eine Entsendeproblematik gibt, zum Beispiel auf dem Bau und bei den Gebäudereinigern, und auch zum Schutz der ausländischen Arbeitnehmer das Anwenden des Entsendegesetzes; und für die Bereiche, in denen wir keine Tarifverträge hinkriegen, auch die Schärfung des Instruments zur Bekämpfung der Sittenwidrigkeit.