Protokoll der Sitzung vom 24.05.2007

Deshalb ist es Zeit, weg vom Defizitmodell, hin zum Potenzialmodell des Alters zu kommen. So weit sind wir uns, denke ich, einig. Das Ziel ist klar.

Aber ich möchte bei allem Einverständnis auf Differenzen, auf Gefahren hinweisen. Wir sollten jetzt nicht in die gegenteilige Tendenz verfallen und das Alter sozusagen glorifizieren. Denn das ist auch kein realistisches Bild vom Alter. Es sind nicht die alten Menschen in der Mehrzahl, die fit, gesund und aktiv sind; es gibt auch noch die andere Seite. Altern heißt in unserer Gesellschaft auch ganz real, von Altersarmut betroffen zu sein, ohne eigene Rechte zu sein, nicht selbstbestimmt leben zu können, in Betreuungsverhältnissen entmündigt zu werden und oftmals isoliert und einsam in der eigenen Wohnung zu leben, weil zum Beispiel nicht das Geld vorhanden ist, um kulturelle Angebote zu nutzen.

Altern heißt für viele Menschen, keine Privatsphäre zu besitzen, keine eigene Häuslichkeit zu besitzen und oft gegen den eigenen Willen in Alten- und Pflegeheimen untergebracht zu werden. Das ist das andere Bild des Alterns, das nicht sehr positiv beschrieben werden kann. Genau an dieser Stelle müssen wir ansetzen. Genau für diese Menschen müssen wir Politik machen.

Nur wieder die Aktiven und Gesunden hervorzuheben, bedeutet auch, den Jugendlichkeitswahn ins Alter hinein zu verlängern. Diejenigen, die krank sind, eine Behinderung haben oder dement sind, werden dadurch doppelt diskriminiert.

Im Kern geht es im Grunde darum, die Vielfalt des Alters wahrzunehmen und daraus politische und gesellschaftliche Lösungen zu entwickeln. Warum sage ich das? Wir sollten uns darüber im Klaren sein, es kann nicht darum gehen, lediglich Bilder zu verändern, wie Sie es in Ihrem Antrag schreiben. Wir müssen vielmehr die Realität verändern, die zu solchen Bildern führt. Das sind zweierlei Dinge. Ich warne nachdrücklich davor, nur den Schein verändern zu wollen. Das ist uns als Grüne schlichtweg zu wenig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen die realen Lebensbedingungen für alte Menschen verbessern. Darüber werden sich auch die Bilder des Alters verändern und positiver werden.

Ihr Antrag enthält mir in dieser Hinsicht einfach zu wenig Substanz. Frau Koschorreck hat es eben für die SPD-Fraktion schon genannt. Der Antrag ist mir zu kurz gesprungen und geht zu wenig in

die Tiefe. Wir als Grüne wollen konkrete Maßnahmen, die alle gesellschaftlichen Bereiche umfassen. Beispielhaft möchte ich einige nennen:

Es geht darum, die Partizipationsmöglichkeiten von alten Menschen zu erweitern und so ihre Selbstbestimmungsrechte zu stärken, ihnen Mitwirkungsmöglichkeiten zu geben, wie sie leben und ihr Lebensumfeld gestalten wollen. Es geht darum, die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu eröffnen und zu erweitern.

Wir müssen die Potenziale von alten Menschen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements fördern und ausbauen. Wir müssen auch die Gruppe der jetzt alt werdenden Migrantinnen und Migranten bedenken. Das ist keine kleine Gruppe. Wir müssen sie erreichen und Angebote für sie entwickeln. Das haben Sie in Ihrem Antrag allerdings schon gesagt.

Dringend notwendig sind Strategien am Arbeitsmarkt, die die Vorurteile gegenüber Älteren abbauen und die Beschäftigungsquote von älteren Menschen auch erhöhen. Wir brauchen darüber hinaus eine konkrete und aktive Antidiskriminierungspolitik.

Meine Damen und Herren, nur aufzuklären und zu sensibilisieren ist mir als Anspruch an die Landespolitik zu wenig. Ich hoffe, wenn wir im Ausschuss intensiver über diesen Antrag beraten, kommen wir dazu, konkrete Maßnahmen zu diskutieren, die dann auch konkrete Wirkungen haben werden. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Laschet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktionen von CDU und FDP lenkt den Blick auf die Chancen und Potenziale älterer Menschen.

Ich nehme diese Anliegen und Vorschläge gerne auf und sehe darin auch wichtige Anregungen für die Weiterentwicklung dessen, was wir nach der Regierungsübernahme begonnen und fortgesetzt haben. Es gab eine gute Vorarbeit im Bereich der Seniorenwirtschaft, im Bereich der Seniorenpolitik. Das heißt aber nicht: Wir bleiben auf dem Stand 2005 stehen und entwickeln es nicht weiter. Dieser Antrag bringt wichtige Anregungen, wie man es angesichts einer neuen Situation weiterentwickeln kann.

Allein die Einrichtung eines Generationenministeriums hat schon deutlich gemacht, es ist keine Unterfrage der Sozialpolitik. Es ist keine kleine Gruppe oder Abteilung in einem großen Sozialministerium, sondern es ist eine eigenständige Politikfrage, die nebenbei auch Lebensbilder vom Alter verändert.

Wenn man alte Menschen nur beim Pflege- und Gesundheitsminister wahrnimmt, unterstellt das in der Tat ein spezielles Altenbild, das heute nicht mehr der Realität sehr vieler älterer Menschen entspricht. Insofern brauchen wir neue Impulse.

Diese Kernpunkte, die die Fraktionen am Ende beschrieben haben, können in zweieinhalb Jahren in sehr gute und konkrete Politik umgesetzt werden. Ich weiß nicht, ob Sie früher 20 Jahre dafür benötigt hätten. Ich glaube, dass wir das in zweieinhalb Jahren sehr gut schaffen können, was die Fraktionen an weiteren Anregungen gebracht haben.

Wir gehen davon aus, dass wir eine Politik für ältere Menschen im Kontext einer Generationenpolitik sehen müssen, in der die Interessen und Potenziale aller Lebensalter berücksichtigt werden. Eine solche Politik funktioniert nicht nach dem Motto „Jugend gestaltet Zukunft – Alter gestaltet Lebensabend“, sondern man muss die Generationen zusammenhalten.

Innerhalb der nächsten Jahre kommen wir ohnehin in die Situation, dass Wahlentscheidungen eher von den Älteren getroffen werden. Wenn ich selbst in 20 Jahren einmal 66 bin, sind wir eine riesige Mehrheitsgruppe. Junge Leute werden dann marginalisiert sein. Wir werden darauf achten müssen, dass die Interessen von Kindern und Jugendlichen in einer solchen Gesellschaft nicht verloren gehen und die Älteren trotzdem ganz aktive Gestalter gesellschaftlicher Prozesse sind.

Der Fünfte Altenbericht der Bundesregierung hat betont, dass unsere Gesellschaft auf die Potentiale Älterer, die damit auch einen bedeutenden Beitrag zur Solidarität zwischen den Generationen leisten, nicht verzichten kann: weder in der Arbeitswelt noch in der Wirtschaft noch im Bereich des bürgerlichen Engagements.

Jede Untersuchung des bürgerschaftlichen Engagements zeigt, ohne die Erfahrung der Älteren würde das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland zusammenbrechen. Deshalb ist das ein ganz wichtiger Bereich.

Wir müssen auch zu einer neuen Phase des Hineinwachsens in diese Altersphase kommen. Der Kollege Lindner hat das eben gesagt. Nach der

heutigen Konstruktion arbeitet man und wird dann Rentner. Es geht von 100 auf null. Es gibt keine fließenden Übergänge, die es möglich machen, in eine bürgerschaftlich ehrenamtliche Aufgabe hineinzuwachsen und bürgerschaftliches Engagement durch Erwerbsarbeit zu ersetzen.

Mehrere Redner haben daran erinnert, dass es nicht das Alter gibt. Mich ärgern jedes Mal Umfragen, in denen zwischen der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen, der Gruppe der 25- bis 35Jährigen und der Gruppe der 35- bis 60-Jährigen unterschieden wird und es dann nur noch heißt: 60 Jahre und älter – als sei dies eine einzige homogene Gruppe.

Es gibt sehr unterschiedliche Phasen des Alters. Goldmann hat das mit folgendem schönen Satz beschrieben:

„Dabei ist jedoch der ehrwürdige 95-Jährige vom soeben mit 65 in den Ruhestand Gegangenen chronologisch genauso weit entfernt wie das fünfjährige Vorschulkind vom auf Karriere bedachten Mittdreißiger.“

Das sind 30 Jahre Lebenszeit. Beim Alter gehen wir davon aus, es liegt alles ganz eng beisammen. Bei den jungen Leuten wissen wir, dass es differenzierte Lebensstufen gibt. Insofern glaube ich, dass wir unser Altenbild ändern müssen.

Ältere Menschen sind länger fit. So hat der Alterssurvey gezeigt, dass Menschen, die 2002 zwischen 58 und 63 Jahre alt waren, weniger Erkrankungen aufwiesen als die gleiche Altersgruppe sechs Jahre zuvor. Dieser Trend wurde übrigens auch für die anderen Altersklassen der bis 81Jährigen festgestellt.

Die neuen Alten sind auch selbstbewusster, sie sind informierter als die Vergleichsgruppe vor 30 Jahren. Das bedeutet, sie können sich in die Gestaltung ihres Wohnumfeldes, ihrer Gemeinde oder auch ihrer Stadt einbringen.

Ältere werden als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, als Großeltern, als Ehrenamtliche, aber auch als Kunden verschiedener Dienstleistungen immer bedeutender in unserer Gesellschaft.

Sehen wir als Politik einmal selbstkritisch unsere Schwerpunkte der letzten zehn Jahre an! Vor zehn Jahren war das Ziel der Politik, die Älteren möglichst früh in den Ruhestand zu schicken, damit es Platz für die Jüngeren Platz gibt. Das Frühverrentungsprogramm war ein großer Konsens. Gewerkschaften, Wirtschaft, Bundesregierung – alle haben das vor zehn Jahren gepredigt. Zehn Jahre später machen wir jetzt das exakte Gegenteil und sagen wie Minister Müntefering im

Bund: Wir brauchen Programme wie „50 plus“, wir müssen Ältere ins Berufsleben zurückbringen.

Das zeigt, wie schwer wir uns mit dem Thema „Demografischer Wandel und ältere Gesellschaft“ tun. Insofern halte ich es für wichtig, dass man hier versucht, über die Parteigrenzen hinweg einen Konsens zu finden, wie man gemeinsam eine solche Gesellschaft gestaltet.

Das Thema Altersdiskriminierung ist im Antrag der Fraktionen ausdrücklich angesprochen. Wir erleben immer noch Altersdiskriminierung. Es ist mir bis heute nicht erklärlich, warum man zwar mit 85 Jahren Präsident der amerikanischen Zentralbank sein und Notenbankverantwortung für den Dollar weltweit haben kann, einem aber mit 60 Jahren die Kreditkarte verweigert wird, wie es bei manchen Kreditinstituten immer noch Praxis ist. Das kann man konkret ansprechen. Wir sind in Gesprächen mit Banken und Sparkassen in Nordrhein-Westfalen, um gerade für ältere Konsumenten solche Formen der Diskriminierung abzubauen.

Wir haben zwei Veranstaltungen durchgeführt, eine im Dezember 2005 und eine im Februar 2007, mit vielen aktiven Älteren, mit den Seniorenvertretungen im Landespräventionsrat, dem Kuratorium Deutsche Altershilfe sowie vielen Interessierten, die an diesen Themen mitwirken.

Auch die europäischen Erfahrungen wollen wir ganz bewusst einbeziehen. Hier hilft ein Blick über den Tellerrand. In allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt es ähnliche Herausforderungen. Das zusammen zu machen ist eine Aufgabe, der wir uns stellen.

Wir haben mit dem Projekt „Junge Bilder vom Alter“ einen Schwerpunkt zur Entwicklung neuer Altersbilder gesetzt. Gemeinsam mit der Forschungsgesellschaft für Gerontologie in Dortmund werden wir im Rahmen dieses Projekts eine Befragung in Kindertageseinrichtungen und – in Kooperation mit dem Schulministerium – in allgemeinbildenden Schulen durchführen und daraus neue Handlungsansätze entwickeln.

Das Altersbild wird gerade in sehr frühem Alter geprägt. Wie nehmen Kinder, wie nehmen Schülerinnen und Schüler ältere Menschen wahr? Das kann man nicht irgendwann mit 50 verordnen, sondern da muss man schon sehr früh auch bei Kindern ansetzen. Das ist einer der Punkte aus diesem Konzept.

Ältere wollen nicht nur ihr Erfahrungswissen und ihre in verschiedenen Lebensbereichen erworbenen Kompetenzen einsetzen, sondern sich auch

weiterbilden. Hierzu haben wir im Rahmen von „Forum Seniorenarbeit“ eine internetgestützte Plattform mit angebundenen Weiterbildungsmaßnahmen geschaffen. In Zusammenarbeit mit der freien Wohlfahrtspflege und Bildungsanbietern werden wir attraktive Bildungsangebote für Ältere weiterentwickeln.

Wir fördern die Landesseniorenvertretung, das Dach für 133 örtliche Seniorenvertretungen, die vor Ort genau das umsetzen, was wir hier in unserer Generaldebatte erörtern.

Kollege Lindner hat auf das Thema Seniorenwirtschaft hingewiesen. Das ist noch nicht ganz das befriedigende Wort; ein besseres ist mir bisher aber noch nicht eingefallen. Ein Senior wird natürlich nicht gerne als Senior angesprochen. Die Wirtschaftsbereiche, die da entstehen, sind eher generationengerechte Bereiche.

Wir haben in Westfalen viele Unternehmen, die in diesem Bereich besonders aktiv sind. Das bringt ein riesiges Investitionsvolumen mit sich. Denn wenn man ein Produkt schafft, das das Leben im Alter angenehmer macht, das beispielsweise ein Bad barrierefreier macht, dann ist das meistens auch für junge Familien, für Menschen mit Kindern interessant, die davon genauso profitieren wie ältere Menschen. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir das nicht nur unter dem Gesichtspunkt Seniorenwirtschaft verkaufen, obwohl die Senioren natürlich die Kaufgruppe sind, die am ehesten darauf zugreifen wird.

Das hängt auch mit der erfreulichen Entwicklung unserer Lebenserwartung zusammen. Wenn Sie wissen, Sie gehen mit 65 Jahren in den Ruhestand und haben potenziell noch eine Lebenserwartung von 20, 25 Jahren vor sich, treffen Sie Kaufentscheidungen anders als frühere Generationen. Frühere Generationen haben ab einem gewissen Alter nicht mehr in ein neues Auto oder in eine neue Küche investiert, weil man gesagt hat: Das erlebe ich eh nicht mehr. – Heute entscheiden Senioren in dieser Phase ganz bewusst.

Ich glaube, auch daran liegt es, dass die Werbung heute anders reagiert. Früher haben die Werbeanalysen gezeigt: Interessant ist eigentlich nur die Zielgruppe von 18 bis 25, ab dann sind alle Entscheidungen gefallen. Wenn man einmal ein Auto fährt, fährt man es für den Rest des Lebens. Wenn man einmal für ein Produkt kauft, wird man das nicht mehr ändern.

Die Senioren heute entscheiden ganz bewusst, welche Qualität sie wählen. Sie sind bestens informiert und wissen genau, wie sie ihr Geld einsetzen. Mit dieser neuen Mentalität umzugehen ist

eine Aufgabe, der sich noch nicht alle Unternehmen in erforderlichem Maß gestellt haben.

Deshalb muss man solche Diskussionen anregen. Politik kann keine Förderprogramme für die Wirtschaft machen, wie sie das Potenzial erkennt. Aber sie kann Best-Practice-Beispiele von Unternehmen zeigen.