Protokoll der Sitzung vom 24.05.2007

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Asch das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Jugendgewalt zu begegnen und einzudämmen, erfordert massive Anstrengungen von Politik und Gesellschaft. Deshalb ist es gut und richtig, wenn wir uns diesem Problem hier im Landtag von verschiedenen Seiten nähern.

In der letzten Plenarwoche hat meine Kollegin Monika Düker hier einen Gesetzentwurf zum Jugendstrafvollzug vorgelegt. Darin wurde der Bereich der strafmündigen Jugendlichen angesprochen.

Mit unseren heute eingebrachten Antrag zeigen wir Lösungen für wiederholt aggressive, sehr gewalttätige Kinder und Jugendliche auf, die in der Zuständigkeit der Jugendhilfe liegen.

Eines ist für meine Fraktion ganz klar – da befinden wir uns auch auf einer Linie mit vielen Fachleuten wie Polizisten, Richtern, Staatsanwälten und Pädagogen –: Einfache Lösungen, meine Damen und Herren, gibt es bei dieser Problematik nicht. Alles, was da populistisch herkommt mit Null-Toleranz-Strategie, Wegsperren in geschlossenen Heimen und Erziehungscamps, mag zwar bei den Stammtischen gut ankommen, verlängert aber das Problem, statt es wirklich einzudämmen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Alle Fachleute sind sich einig: Eine Strategie, die wirklich eine nachhaltige Wirkung erzielen soll – das wollen wir ja alle –, setzt bei einer Prävention an. Prävention muss in diesem Zusammenhang bereits im frühen Kindesalter beginnen. Unterstützungssysteme für Eltern sind gefragt. Der bedarfsgerechte Ausbau an Betreuungsplätzen – das haben wir heute Morgen intensiv diskutiert –, eine fördernde, nicht entwertende und selektierende Schulstruktur gehören genauso dazu wie natürlich ausreichende Mittel für die Jugendarbeit.

Der Deutsche Richterbund hat ein Konzept vorgelegt – das nennt sich Modellregion Erziehung –, in

dem diese umfassenden Präventionsaspekte sehr genau beschrieben sind.

Die Präventionsarbeit ist aber von dieser Landesregierung bisher systematisch unterlaufen worden. Gelder für die Erziehungsberatungsstellen, für die Betreuung in den Kindertageseinrichtungen, vor allem für die Jugendarbeit wurden gestrichen. Statt hier aufzustocken, wurden dieser Arbeit die finanziellen Ressourcen entzogen. In diesem Zusammenhang verweisen die Landesregierung und die CDU-Fraktion immer reflexhaft darauf, dass sie stattdessen die Familienzentren aufgebaut hätten. Aber die Familienzentren, so wie sie finanziell ausgestattet sind, können diese Fehlentwicklungen nicht kompensieren. Im Gegenteil: Aus den Kompetenzteams und den Gesprächen mit den Erzieherinnen hören wir, dass der Aufbau, die Konzeptionsarbeit, die Koordination der Familienzentren auf Kosten der Betreuungszeit für die Kinder gehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und das, meine Damen und Herren, ist genau der falsche Weg. Damit wird den Kindern Betreuungszeit, Förderung und Zuwendung entzogen. Das aber der Effekt, wenn man an sich sinnvolle Projekte mit zu wenig Geld ausstattet.

Dann passiert das, was der Ministerpräsident vor dem CDU-Parteitag mit starken Sprüchen der Öffentlichkeit präsentiert hat, als er versucht hat, die Lufthoheit über den Stammtischen zu erobern, nämlich: Erziehungscamps a là USA hat er gefordert, geschlossene Heime für Kinder und Zwangsberatung von Eltern.

Gerade diese letzte Forderung entlarvt, wie weit sich der Ministerpräsident offenbar vom Alltag der Familien und der Menschen hier im Lande entfernt hat. Meilenweit! Wenn er etwas näher dran wäre, dann wüsste er, dass wir jetzt schon lange Wartelisten bei den Erziehungsberatungsstellen haben, dass nämlich schon die Eltern, die sich freiwillig beraten lassen wollen, überhaupt keinen Platz finden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn er jetzt Zwangsberatung einführt, dann müsste er einen vielfachen Bedarf abdecken.

Was die geschlossenen Heime angeht, meine Damen und Herren, gab es einen großen, über alle Parteigrenzen hinweg bestehenden Konsens, diese Heime zu schließen. Das haben alle in den 70er-Jahren befürwortet, weil klar war: In diesen Heimen gab es zuhauf Menschenrechtsverletzungen. Man hat erkannt, dass diese Form der Un

terbringung keine positive Entwicklung der Kinder befördert, sondern genau das Gegenteil bewirkt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das heißt, man ist zu Recht abgekehrt von dieser schwarzen Pädagogik der 50er-Jahre.

Jetzt tauchen diese Gedanken wieder auf, und zwar im Sinne der populistischen Forderungen, Schnellschüsse, schnelle Lösungen. Herr Schill übrigens hat in Hamburg so ein geschlossenes Heim vor einigen Jahren errichtet. Das fliegt den Hamburgern buchstäblich um die Ohren: Es gibt dort Gewalt, es gibt Gewalt vonseiten der Bewacher – diese Personen sind nichts anderes als Bewacher –, Gewalt vonseiten der Jugendlichen; es gibt zuhauf Ausbruchsversuche, Entweichungen. Mittlerweile müssen sich zwei Untersuchungsausschüsse mit diesem Problem beschäftigen.

Wir Grünen – ich sage das ganz deutlich – lehnen diese Form der Kinderknäste ab, weil sie kontraproduktiv ist, weil sie keinem Kind helfen und weil sie unserer Gesellschaft nicht helfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Stattdessen fördern wir Konzepte – das legen wir Ihnen hier in unserem Antrag vor –, die sehr wohl Lösungen für die sehr aggressiven, entgrenzten, gewalttätigen Kinder und Jugendlichen anbieten. Man darf natürlich nicht die Augen davor verschließen, dass es diese Gruppe gibt.

Aber es zeigt sich: Wenn die Kinder und Jugendlichen nicht in einer geschlossenen Gruppe geführt werden, sondern wenn man mit pädagogisch eingebetteten Konzepten von Freiheitsentzug, und zwar immer partiellem und zeitlich begrenztem Freiheitsentzug, agiert, dann sind die Rückfallquoten geringer, die Ausbruchversuche aus den Heimen sind geringer, die Zahl der Entweichungen ist geringer, und es sind insgesamt positive Entwicklungsverläufe zu verzeichnen.

Wir haben dieses Konzept in NordrheinWestfalen. Das Landesjugendamt in Köln hat es entwickelt, das sogenannte Rheinische Modell. Viele Einrichtungen arbeiten seit Jahren mit diesem Konzept. Es ist zeitlich begrenzter Freiheitsentzug, aber eng pädagogisch begleitet und immer individuell auf das jeweilige Kind, auf den jeweiligen Jugendlichen abgestimmt.

Frau Asch, Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss? – Danke schön.

Ja, ich komme jetzt zum Schluss.

Wir beantragen, dieses erfolgreiche Konzept auf das ganze Land zu übertragen, weil es nicht sein kann, dass wir in Westfalen anders agieren als im Rheinland. Es ist ein erfolgreiches Konzept. Auch die Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns gebietet dieses Vorgehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie einladen, dass wir im Ausschuss die Frage der Jugendkriminalität differenziert diskutieren und gemeinsam zu differenzierten Konzepten in dieser schwierigen Frage kommen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die CDU spricht jetzt Herr Kollege Hollstein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herrn! Prävention, liebe Kollegin Asch, hat etwas mit vorbeugen, bewahren zu tun. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten uns vor diesem Antrag und auch vor dieser Rede gerade bewahrt. Es ist ein Sammelsurium von Behauptungen und Unterstellungen, teilweise unzusammenhängend nebeneinandergestellt. Die Richtigkeit und der Wahrheitsgehalt stehen im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Quantität Ihrer Behauptungen. Mit anderen Worten: Die Wirklichkeit in Nordrhein-Westfalen sieht anders aus.

Fakt ist: Glücklicherweise gibt es kein signifikanten Anstieg der Jugendgewalt in NordrheinWestfalen im Jahre 2006.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Richtig ist allerdings, dass sich zwischen 1995 und 2005 die Zahl der wegen Gewalttaten verurteilten Jugendlichen nahezu verdoppelt hat.

Es gibt allerdings auch eine deutlich höhere Sensibilität gegenüber Gewalttätern. Die gefühlte Gewaltbelastung ist deutlich höher als die tatsächliche. Fakt ist aber auch: Es gibt eine zunehmend brutalisierte Tätergruppe von Jungen und jungen Männern. Die bereiten uns einen Großteil der Probleme. Das ist eine der Zielgruppen, die in den Beschlüssen des Parteitags von Siegburg angesprochen worden ist.

Wir wollen und werden Jugend schützen, Gewalt bekämpfen und deswegen härter durchgreifen. Dazu stehen wir, auch wenn Ihnen das nicht gefällt. Eine der Grundsätze dabei ist null Toleranz.

Das hat nichts mit einfachen Lösungen zu tun, Frau Asch.

In dem Ihnen sicherlich vorliegenden Beschluss werden ganz viele Facetten durchdekliniert. Die Grünen greifen sich einen einzigen Teilaspekt heraus. Das ist die Unterbringung in geschlossenen Heimen für Intensivstraftäter. Diese Möglichkeit muss es nach unserer Auffassung als Ultima Ratio geben. Sie muss in ein erzieherisches und therapeutisches Gesamtkonzept eingebettet sein. Sie muss auch zeitlich befristet sein. Prävention hat dabei Priorität. Das ist genau der im Antrag enthaltene Wortlaut.

(Beifall von der CDU)

Der Antrag besteht im Übrigen aus 16 Seiten. Genau 13 Zeilen beschäftigen sich mit der Unterbringung in geschlossenen Heimen. In Ihrem aus drei Seiten bestehenden Antrag der Grünen wälzen Sie dieses Thema über eine Seite aus.

Das ist aber nicht einmal alles: Kinder- und Jugendschutz vor Vernachlässigung, Verwahrlosung, Drogen und Gewalt. Die Zusammenarbeit von Schule, Jugendhilfe, Polizei und Strafverfolgungsbehörden muss verbessert werden. Eine Präventionsinitiative ist deutlich differenzierter und qualifizierter dargelegt, als es in Ihrem Antrag der Fall ist.

Der Parteitagsbeschluss von Siegburg war aber nicht einmal der erste Ansatz in dieser Richtung. Die Landesregierung verfolgt seit dem Sommer 2005 mit zahlreichen Initiativen genau das, was wir in der Prävention als wichtig erkannt haben. Ob es die Justizministerin, der Familienminister, die Schulministerin oder der Innenminister ist: Ein Grundgedanke lässt sich seit Sommer 2005 verfolgen. Er findet sich im Schulgesetz, in den Gesetzesinitiativen zum Jugendarrest, zum Jugendstrafvollzug wieder. Sogar im KiBiz können Sie solche Sachen wiederfinden.

Im November 2006 gab es eine Offensive zur Prävention von Kinder- und Jugendkriminalität, die von den Ministern Laschet und MüllerPiepenkötter hier vorgestellt worden ist. Ein 20Punkte-Programm – wesentlich differenzierter, detaillierter und konkreter als dieser Antrag der Grünen – mit vielen guten Ansätzen wurde vorgestellt. Prävention ist bei der Koalition der Erneuerung bestens aufgehoben.

Lassen Sie mich einen Aspekt herausgreifen, nämlich das immer wieder zitierte Haus des Jugendrechts. In Stuttgart wird dies seit 1999 mit großem Erfolg praktiziert. Verfahrenszeiten reduzieren sich auf die Hälfte, indem alle Beteiligten

im Verfahren – nicht nur die offiziellen Behörden, sondern auch Jugendhilfe und viele andere Träger – eng miteinander kooperieren. Das Projekt kann großen Erfolg verbuchen.

Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Vergehen und – ich sage bewusst nicht: Sanktion – seinen Folgen muss deutlich gemacht werden. Anders ausgedrückt: „Es gibt ein Recht auf unmittelbare Bestrafung.“ – Dieser Satz stammt übrigens nicht von mir. Ich zitiere damit einen katholischen Priester aus Köln, der in den Augen vieler möglicherweise etwas unkonventionell agiert, aber immerhin von einer Gruppe um Heinrich Pachl und Günter Wallraff zum Alternativen Kölner Ehrenbürgern gemacht worden ist. Ich habe große Hoffnung, dass auch in Köln ein solches Haus des Jugendrechts zustande kommen wird.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Asch?

Ich spreche den letzten Satz zu Ende. Dann sind wir angesichts der späten Zeit hoffentlich auch bald fertig.

Möchten Sie keine Zwischenfrage zulassen?