Protokoll der Sitzung vom 22.08.2007

damit die Bildung endlich das Niveau erreicht, was wir in anderen Bundesländern schon haben und was in den anderen Bundesländern eben auch dazu beiträgt, dass sich Forschung, Technologie und Innovation dort auf einem anderen Stand befinden, als dieses leider in NordrheinWestfalen der Fall ist.

Deswegen müssen wir über Bildung reden, und zwar – das ist zu Recht von den Sprechern der Regierungsfraktionen angemahnt worden – eben nicht nur – mit Verlaub – über die 3 oder 4 Punkte, die angesprochen worden sind, sondern über die ganze Bildungskette.

Dann reden wir einmal über die UnterDreijährigen-Betreuung und darüber, dass Nordrhein-Westfalen in ganz Deutschland Schlusslicht war.

(Beifall von CDU und FDP)

Dann reden wir einmal über die PISA-Studien, dann reden wir von mir aus auch über den Bildungsmonitor, der jetzt erschienen ist, und nichts anderes bedeutet als die Bilanz rot-grüner Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen: fatale Ergebnisse Ihrer Politik.

(Beifall von CDU und FDP – Karl Schultheis [SPD]: Nein, nein, nein!)

Jetzt steuern wir um und versuchen, die Rahmenbedingungen zu verbessern, versuchen, den Leuten vor Ort, den Lehrerinnen und Lehrern, den Hochschullehrerinnen und -lehrern mehr Kompetenzen, aber auch mehr Ressourcen zu geben, damit sie die Aufgaben besser bewältigen können.

Wir führen Sprachtests für Vierjährige ein, damit jeder, unabhängig von seiner Herkunft, unabhängig davon, ob es einen Migrationshintergrund gibt oder nicht, unabgängig von der Einkommenssituation, der Familiensituation eine faire Startchance von der ersten Unterrichtsstunde an hat, damit je

der in diesem Land überhaupt erst die Voraussetzungen mitbringt, einen Schulabschluss erzielen zu können. Denn dieses ist die Grundlage für eine spätere Berufsausbildung, für die Aufnahme eines Studiums,

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

für eine Karriereentwicklung, wie wir sie für jedes Kind in diesem Land wollen. Sie haben eine im Ergebnis unsoziale Politik zu verantworten. Wir steuern erstmalig in Nordrhein-Westfalen um.

Das Gleiche gilt für die Hochschulen, die im engeren Sinne Gegenstand dieses Antrages sind, allerdings ebenfalls wieder in einer – wenn ich es so formulieren darf – bemerkenswerten Schlichtheit. Denn wenn Sie fordern, die Studienbeiträge zu streichen, dann erwarte ich zumindest, dass Sie im Gegenzug in Ihrem Antrag darstellen, wie Sie für die Gegenfinanzierung sorgen wollen. Das heißt: Wollen Sie den Hochschulen anstelle der Studienbeitragseinnahmen zusätzliche andere Mittel zukommen lassen, damit die Qualität von Studium und Lehre verbessert wird? Oder machen Sie weiter so, zumindest in Ihren Antragsinitiativen, wie Sie es seinerzeit im Regierungshandeln getan haben?

Denn Sie haben damals Langzeitstudienkontengebühren eingeführt und das Geld nicht etwa den Hochschulen überlassen, damit das Studium kalkulierbarer wird, damit sich die Studienzeiten verkürzen, damit sich die Erfolgsquoten erhöhen, sondern im Gegenteil: Sie haben das Geld beim Finanzminister abgeliefert und die Qualität von Studium und Lehre an den Hochschulen weiterhin auf einem zu niedrigen Niveau belassen. – Deswegen müssen Sie schon erklären, wie Sie den Zusammenhängen gerecht werden wollen.

Eine Hauptvoraussetzung – davon bin ich zutiefst überzeugt – für eine höhere Übergangsquote junger Menschen aus bildungsfernen und einkommensschwächeren Haushalten hin zur Hochschule ist neben der systematischen Verbesserung der Bildungskette Vorschule und Schule, dass wir das Studium wieder berechenbarer machen. Wir müssen uns mit den Kennzahlen in NordrheinWestfalen auseinandersetzen.

Bislang studierten junge Menschen in NordrheinWestfalen im Durchschnitt über alle Hochschulformen und Studiengänge hinweg 1,3 Semester länger als etwa in Baden-Württemberg. Das heißt: Das Studium war schon was die Lebenshaltungskosten anbetrifft in Nordrhein-Westfalen viel teurer als in anderen Bundesländern, weil das System nicht hinreichend daraufhin ausgerichtet war, in

einer vernünftigen Zeit einen Abschluss zu erreichen.

(Beifall von CDU und FDP)

In nur 28 % der Fälle

(Dr. Ruth Seidl [GRÜNE] meldet sich zu ei- ner Zwischenfrage.)

Frau Dr. Seidl, Ihre Wortmeldung können wir gleich behandeln, ich möchte aber den Gedankengang gerne noch zu Ende führen, weil das im Zusammenhang ganz wichtig ist – haben Studierende in Nordrhein-Westfalen im Jahre 2004 innerhalb der Regelstudienzeit ihren Abschluss gemacht. Die beste Hochschule schaffte es gerade in nicht einmal 50 % der Fälle. Es gibt empirische Studien von HIS und anderen, die eindeutig belegen, dass das das Hauptabschreckungsargument ist.

Jetzt frage ich Sie: Wie soll sich ein junger Mensch aus einem bildungsfernen, einkommensschwachen Haushalt entscheiden, wenn er einen Berufsausbildungsplatz bekommt, verbunden mit der klaren Perspektive, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nach zwei, drei Jahren zu einem Abschluss zu gelangen? Lässt sich dieser junge Mensch auf ein Studium ein, zu dem er aus der Familie heraus keine weitere Orientierung, keine weiteren Erfahrungshintergründe bekommt, von dem er aber eines ganz sicher weiß: Man wird innerhalb der acht oder zehn Semester im Regelfall nicht fertig; vielleicht braucht man 14 oder 15 Semester – Wer soll das finanzieren? –, wobei zudem die Erfolgsquote auch nicht gerade überwältigend ist? Die Abbrecherquote beträgt ein Drittel. Man erlangt also in vielen Fällen gar keinen Abschluss.

Dann frage ich Sie: Warum sollten sich junge Menschen auf ein solchermaßen für sie unbekanntes und unkalkulierbares Abenteuer Hochschule einlassen?

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Deshalb ist die Übergangsquote bei den bildungsfernen und einkommensschwächeren Haushalten so niedrig. Die Startchancen und die Bedingungen an den Hochschulen stimmen nicht. Beides verändern wir!

(Beifall von FDP und Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU])

Dann wollen wir doch einmal sehen, wie wir in den nächsten Jahren im Vergleich zu Ihrer Bilanz weiterkommen.

Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass wir eine Politik einleiten, die gerade unter sozialen Gesichtspunkten zu einer nachhaltigen Verbesserung führen wird.

Herr Minister, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage der Kollegin Dr. Seidl?

Bitte.

Bitte schön, Frau Dr. Seidl. Sie haben das Wort.

Herr Minister Pinkwart, Sie haben die Studienstrukturen angesprochen, die in der Vergangenheit der Grund dafür gewesen seien, dass die Studierenden so lange studiert hätten und dass ein Studium so unattraktiv gewesen sei.

Meine Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, dass wir die Bachelor-/Master-Struktur bereits 2004/2005 eingeführt haben und dass sich seitdem eine wesentliche Verbesserung der Struktur ergeben hat? Ist Ihnen weiterhin bekannt, dass im Übrigen die Studienkonten dazu geführt haben, dass es zu einem anderen Studierverhalten kam?

Ich kann Ihnen gern bestätigen, Frau Seidl, dass das, was Sie mit Bachelor-/Master-Struktur bezeichnen, im sogenannten Bologna-Prozess vom damaligen Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers unter einer schwarz-gelben Koalition in Deutschland erstmalig konzeptionell angelegt und dann weiter umgesetzt worden ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir arbeiten nach Kräften daran, dass es in Nordrhein-Westfalen auch ein Erfolg wird.

Wenn Sie die Bachelor-/Master-Struktur umsetzen wollen, wissen Sie auch, dass man an der Hochschule andere Betreuungsnotwendigkeiten hat. Deshalb wundert mich gerade bei Ihrer Frage, dass Sie das in den zeitlichen Kontext des Jahres 2003/2004 stellen. Denn in diesem Zeitraum haben Sie den Hochschulen mit dem sogenannten Qualitätspakt erst einmal 2.000 Stellen kw gestellt.

Wenn Sie also wirklich den Bologna-Prozess, wie er seinerzeit von der damaligen Bundesregierung konzeptionell angelegt war, inhaltlich qualitätvoll

mit dem Ziel unterlegen wollten, dass man erfolgreicher studieren kann, hätten sie damals nicht Stellen abbauen dürfen, sondern Sie hätten die Zahl der Stellen mindestens aufrechterhalten müssen.

(Beifall von FDP und Jürgen Hollstein [CDU])

Deswegen haben wir den Hochschulen jetzt beispielsweise mit den Globalbudgets und mit einer klaren Finanzierungszusage bis 2010 durch den Zukunftspakt Möglichkeiten eingeräumt, ihre Effizienzgewinne, die sie wie alle anderen Behörden des Landes insbesondere in der Verwaltung verzeichnen, gezielt zu verwenden, um die Betreuungsrelationen zu verbessern und um zusätzliches Personal in der Lehre einsetzen zu können. Und wir stellen ihnen zusätzlich die Studienbeiträge zur Verfügung. Und wir stellen mit Blick auf steigende Studierendenzahlen unseren Hochschulen mit dem Hochschulpakt zusätzliche Ressourcen in einem beispielhaften Umfang zur Verfügung.

Ich nehme Ihren Hinweis gern auf, Frau Seidl. Sie haben recht: Ich habe mich maßgeblich für den Hochschulpakt eingesetzt. Ich war der erste, der dazu im Deutschen Bundestag das Wort ergriffen hat. Wir gehören mit Baden-Württemberg zu den ersten Bundesländern, die nicht nur die Bundesmittel, die wir jetzt aushandeln konnten, gern nach Nordrhein-Westfalen bzw. nach BadenWürttemberg holen, sondern wir halten auch Wort, indem wir sie 1:1 aus Landesmitteln gegenfinanzieren. Allein bis 2010 sind das 450 Millionen € zusätzlich für 26.000 neue Studienplätze. Das ist mehr als Worte; das sind konkrete Taten.

(Karl Schultheis [SPD]: Das schauen wir uns im Haushalt an!)

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Seidl?

Ich möchte das gern zu Ende führen.

Neben dem Hochschulpakt möchte ich das Thema BAföG ansprechen. Mich wundert am meisten, dass solche Anträge im Landtag von einer Partei gestellt werden, die selbst an der Bundesregierung beteiligt ist.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Ich hatte erst schon den Eindruck, die SPD sei in der Opposition. Man ist sich ohnehin nicht ganz sicher, was die SPD im Bund macht: Ist sie noch

in der Regierung oder zum Teil schon in der Opposition?

Wenn man den Antrag liest, muss man den Eindruck gewinnen, sie wäre dort in der Opposition. Denn es ist – das wissen Sie aus Ihren früheren Regierungsjahren – nun wahrlich Tradition – an der wir gern festhalten; das habe ich dem Hohen Haus vor der Sommerpause schon einmal dargelegt –, dass in Anbetracht des Finanzierungsschlüssels, nach dem zwei Drittel des BAföG der Bund und ein Drittel das Land trägt, der Bund natürlich die Vorreiterrolle einnimmt. Er muss sich dazu äußern. Er hat auch den dafür fachzuständigen Beirat eingesetzt. Die Bundesregierung muss jetzt entscheiden, wie sie und wie die Mehrheit im Deutschen Bundestag beim BAföG verfahren will.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung wird aus guter Tradition die Vorgaben des Bundes natürlich mit ihrem Finanzierungsanteil kofinanzieren. Wenn Sie dabei mehr erreichen wollen, wenden Sie sich an die entsprechenden Verantwortlichen.

Ich hatte jedenfalls in den letzten Wochen den Eindruck, dass die Bundesbildungsministerin, Frau Schavan, gerne etwas Konkretes machen würde, dass aber der Bundesfinanzminister in dieser Frage täglich auf der Bremse stand.