Protokoll der Sitzung vom 14.11.2007

Das ist die Wahrheit, und diese Perspektive haben Sie zu bieten!

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zurufe von CDU und FDP)

Dazu passt, dass Sie bei den Hauptschulen jetzt schon 2.344 Stellen für Lehrerinnen und Lehrer abgebaut haben. Sie lassen die Hauptschülerinnen und die Hauptschüler, die Eltern und die Lehrerinnen und Lehrer im Stich. Das ist Ihre wahre Perspektive!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Überdies fehlt ein Konzept für den doppelten Abiturjahrgang, wenn das Abi in zwölf Jahren zusammen mit dem letzten Jahrgang der alten Abiturienten demnächst Wirklichkeit wird.

Bei den Universitäten hatten Sie Zaubertricks und Zahlenspielereien vorgeführt. Herr Pinkwart stellt sich ans Rednerpult und sagt: 10 % plus und Studiengebühreneinnahmen.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Fakt ist: 3,4 % sind im Haushalt ausgewiesen. Fakt ist, dass der Innovationsfonds bislang mit Privatisierungserlösen in Höhe von einmalig 40 Millionen € rechnen kann. Sie sind schneller verfrühstückt, als die Universitäten überhaupt Konzepte auf den Tisch legen.

(Zuruf von der CDU: Was hätten Sie ge- macht? Bei Ihnen wäre es auch schon ver- frühstückt!)

Der Punkt ist: Es gibt offensichtlich einen Innovationsbericht, der eigentlich schon längst hätte vorgelegt werden müssen. Er wird aber als geheime Verschlusssache gehandelt, weil er für diese Landesregierung zu peinlich ist.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dass gerade auf dem Feld der Wissenschafts- und Universitätspolitik vieles im Argen liegt, ist uns eindrucksvoll bestätigt worden: nicht durch Gutachter, die durch uns ideologisch eingefärbt sein könnten, sondern durch den Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags Nordrhein-Westfalen. Der Bericht zur Hochschulfinanzierung der Bundesländer im Vergleich ist in seiner Nüchternheit der Offenbarungseid für diesen Wissenschafts- und Innovationsminister. Er kann gern Einsicht nehmen. Wir werden auf diese Ergebnisse im Ländervergleich liebend gern zurückkommen, um zu entlarven, wie weit auch dabei Wort und Tat auseinanderklaffen.

An einem Punkt bedauern wir allerdings sehr, dass der Geistesblitz von Herrn Pinkwart auf die Blitzableiter der FDP-Fraktion gestoßen ist. Herr Pinkwart hat sich nämlich einmal aufgeschwungen zu sagen, wohin die Reise aus seiner Sicht

der Überwindung des dreigliedrigen Schulsystems gehen muss,

(Zurufe von der FDP)

nämlich hin zu einer zu einer regionalen Mittelschule. Er geht also von einem Zweisäulenmodell aus. Ich gehe, lieber Kollege Recker, jede Wette ein, dass der nächste Landtagswahlkampf bildungspolitisch durch unser Modell der Gemeinschaftsschule bestimmt wird. Dabei kann man sagen, dass es um unser oder – mit Nuancen – um ein rot-grünes Modell sowie um den schwarzgelben Gegenentwurf, das Zweisäulenmodell, gehen wird.

Die FDP macht sich im Frühjahr auf dem Weg und wird auf Ihrem Landesparteitag genau das beschließen. Die CDU muss nur in die Schublade der Petersberger Beschlüsse greifen. Denn Sie haben längst vor der Landtagswahl 2005 das Zweisäulenmodell beschlossen. Sie haben nur Schiss in der Buxe, Ihre eigenen Anträge beim Wort zu nehmen und als bildungspolitischen Kompass zu präsentieren.

(Beifall von der SPD)

Eines der Highlights in dieser Debatte war der Versuch von Jürgen Rüttgers zu sagen: Schönes Land, schöne Städte, schöner Ministerpräsident, schöne Landesregierung – alles wird gut.

Wenn man schöne Städte will, also Lebensqualität mit Schönheit übersetzt, dann hätte man Gelegenheit zur Zeichensetzung. Die muss dann aber anders aussehen – das gilt auch für altersgerechtes Wohnen – als den Ausverkauf zu betreiben. Wer die LEG meistbietend verhökert, der schafft kein altersgerechtes Wohnen, der schafft keine schönen Städte, sondern der schafft Markt statt Mensch. Das ist ein Maßstab, den wir in unseren Städten eben nicht wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Wenn es dann um ganz praktische Politik geht, kann man sagen, dass Sie an einem Punkt heute Recht gehabt haben. Das Zentrum für Demenzforschung gehört nach Nordrhein-Westfalen. Deshalb lassen Sie uns doch hier ein Zeichen setzen. Am Freitag hat der Landtag Gelegenheit, einem SPD-Antrag zuzustimmen. Demenzforschung gehört nach NRW. Das ist richtig. Dabei haben Sie uns an Ihrer Seite.

(Beifall von der SPD)

Ich komme aus dem Ruhrgebiet und habe da eine Menge kommunalpolitische Erfahrung. Deshalb

liegt mir das ganz besonders am Herzen. Deshalb möchte ich dem Ministerpräsidenten mit auf den Weg geben, sich doch so ehrgeizig zu zeigen, dass er sich messen lässt an einer sehr alten Persönlichkeit. Der alte Beitz hat in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren mit einem Wink mehr für das Ruhrgebiet getan, als Sie komplett in den zweieinhalb Jahren. Mit einem Federstrich von Beitz kam nämlich die Ansiedlung von ThyssenKrupp zustande und ein neues Folkwangmuseum. Wären Sie nur halb so erfolgreich, würden wir vor Ihnen den Hut ziehen. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD – Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Groschek. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Witzel.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf in aller Freundschaft Michael Groschek sagen: Wenn Sie sich gegen Ende Ihres Wortbeitrages so herzerfrischend emotional für das Thema Demenzforschung einsetzen, wirft das wirklich in der Bildungspolitik, zu der Sie auch viel gesprochen haben, die Frage auf, ob Sie mit all dem, was in den letzten vierzig Jahren in diesem Land passiert ist, nichts zu tun haben.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Es waren 39! – Heiterkeit von der SPD)

Herr Eumann, Sie haben mathematisch Recht. Es war nicht ganz so schlimm, es waren nur 39 Jahre. Ich beantworte Ihnen aber gerne die Fragen zur Mathematik, die Sie gestellt haben.

(Zuruf von der SPD: Endlich!)

Die Koalition der Erneuerung hat in Ihrer Koalitionsvereinbarung wegweisende Aussagen getroffen, sowohl welche, die die Struktur des Bildungswesens betreffen, als auch welche, die die Finanzierung des Unterrichts betreffen. Deshalb haben wir als Koalition der Erneuerung

(Zurufe von SPD und GRÜNEN: Hui, hui!)

transparent bekannt gegeben, 6.400 Stellen zu schaffen, wovon 4.000 Stellen auf eine Verbesserung der Unterrichtsversorgung entfallen und auf die Ermöglichung von individueller Förderung und 2.400 Stellen auf Ganztagsangebote, dort auch optional als Stellenäquivalente zu nutzen.

(Beifall von Christof Rasche [FDP])

Wir werden Ihnen, Herr Jäger, in zweieinhalb Jahren Stelle für Stelle anführen, wie wir, ausgehend

von dem Haushalt, den Sie hinterlassen haben, durch zusätzliche Investitionen des Landes in Köpfe 6.400 zusätzliche Stellen netto geschaffen haben. Die Rechnung bekommen Sie von uns am Ende dieser Legislaturperiode vor der Fortsetzung, wie wir hoffen, unserer weiteren Arbeit.

Herr Recker hat Ihnen einen Zwischenstand gegeben. Die Haushaltsberatungen für das Jahr 2008 sind ja in vollem Gange. Ich bin guter Dinge, dass wir Sie auch bei diesem Haushalt für Zwecke der Unterrichtsversorgung noch mit guten Nachrichten versorgen können.

Weil sich natürlich jede Debatte, die aktuell zur Bildungspolitik stattfindet, auch aus den Voraussetzungen und Grundlagen ableitet, die zu Beginn dieser Legislaturperiode die Ausgangslage waren, lohnt sich sehr wohl ein Blick zurück.

Frau Löhrmann, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie das Bild der Lebenslüge im Zusammenhang mit der Bildungspolitik bemüht. Ich bitte Sie sehr herzlich, hier nicht die Lebenslüge zu verbreiten, rot-grüne Bildungspolitik hätte irgendetwas mit sozialer Verantwortung zu tun. Ich sage deshalb ganz bewusst, dass das von uns schnell eingeführte zentrale Verfahren zur Sprachstandsfeststellung mit grundlegender Sprachförderung in der Zeit danach aus unserer Sicht die größte soziale Wohltat ist, die dieser Landtag in der jetzigen Legislaturperiode bislang beschlossen hat. Und das haben Sie ja bekämpft.

Frau Löhrmann, zu Ihrer Regierungszeit sind jedes Jahr Zehntausende junger Menschen in der Schule gescheitert, verbunden mit allen Demotivationsprozessen. Sie hatten Probleme – angefangen vom Schulabschluss über den Einstieg in eine qualifizierte Ausbildung bis hin zu allen Lebensperspektiven, die mit daran hängen.

Nach meinem Gerechtigkeitsgefühl empfinde ich es absolut als Schande,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das müssen Sie gerade sagen! Projekt 18!)

wenn Menschen mit ihrer Intelligenz nicht zum Zuge kommen und auf der Strecke bleiben, und zwar nicht deshalb, weil sie eingeschränkte Möglichkeiten hätten, sondern weil sie an Sprachbarrieren im Schulsystem scheitern.

Mir sagen Lehrer, sie wüssten um Schüler, die intellektuell in der Lage wären, eine Mathematikaufgabe zu lösen, aber vom Verständnis der Textaufgabe her dies nicht gelingt. Und vom ersten Schultag an geht die Schere weiter auseinander.

Wir alle im Landtag sollten deshalb das Ziel haben – wissend, dass wir Einwanderungsland sind und wir gerade in Nordrhein-Westfalen mehr als in anderen Teilen des Landes Migrationsbevölkerung haben –, dafür zu sorgen, dass jeder Schüler am allerersten Schultag mindestens über eine solche sprachliche Kompetenz verfügen muss, dass er am Unterricht teilnehmen und mit Erfolg das Wissen aufnehmen kann, was er für sein weiteres Leben benötigt. Es liegt in unserer Verantwortung, dafür auch in den Familien zu sorgen, in denen diese Erkenntnis nicht automatisch vorhanden ist.

Wir haben auf diesem Gebiet einen Rückstand und müssen nach vorne kommen. Wir bringen ein neues Verfahren auf den Weg, welches landesweit zentral läuft. Das ist natürlich mit Anpassungsprozessen direkt in der Startphase verbunden. Das sagt jeder. Da muss man für Evaluation offen sein und Verbesserungsvorschläge für zukünftige Optimierungen aufgreifen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ach, Herr Wit- zel!)

Das ist vollkommen selbstverständlich. Wie verantwortungslos wäre es aber gewesen, dies zu unterlassen vor dem Hintergrund der Resultate, die Sie uns hinterlassen haben!

Ich sage deshalb ausdrücklich: Wir halten es nicht für ungerecht, wenn Menschen, die unterschiedlich fleißig sind, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Wir halten es auch für nicht ungerecht, wenn Schüler, die sich unterschiedlich anstrengen, die unterschiedlich leistungsfähig sind, auch Differenzierungen in ihren beruflichen Werdegängen und Abschlüssen haben.

Die Variable, die in Bildungsprozessen über Erfolg und Misserfolg entscheidet, muss aus Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit, also aus dem Potential bestehen, was ein Schüler mitbringt. Sie darf auf keinen Fall aus seiner sozialen Herkunft bestehen. Das ist die Variable, die diese Frage am allerwenigsten entscheiden darf.