Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 75. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen und heiße Sie herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich 18 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 12. November 2007 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem oben genannten aktuellen Thema der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Priggen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In der vergangenen Woche gab es zu dem in Rede stehenden Thema zwei bemerkenswerte Berichterstattungen:
Der „Spiegel“ hat am Montag, dem 5. November, einen großen Artikel unter der Überschrift „Kartell der Abkassierer“ veröffentlicht. Er hat darin berichtet, dass das Bundeskartellamt ein 30-seitiges Papier zu dem Gebaren der Stromwirtschaft vorgelegt hat. Die Liste der dort aufgeführten Vorwürfe liest sich wie das Lehrbuch für Marktmissbrauch: Preisabsprachen, Preismanipulationen an der Leipziger Strombörse und Ähnliches.
Die Monopolkommission hat am 6. November ein Sondergutachten vorgestellt. Darin stellt die Monopolkommission fest, dass auf den Märkten der leitungsgebundenen Energieversorgung kein funktionsfähiger Wettbewerb existiert. Ich möchte zwei Zitate aus der Pressemitteilung der Monopolkommission vorlesen. Das erste Zitat lautet:
„Als kritisch stuft die Monopolkommission insbesondere die vielen Beteiligungen der vier Verbundunternehmen an Stadtwerken und anderen Weiterverteilern ein. Diese Verflechtungen hat die Monopolkommission intensiv analysiert. Ferner sieht die Monopolkommission bei der Schaffung eines einheitlichen, nichtdiskriminierenden und marktorientierten Regelenergiemarktes erhebliche Umsetzungsdefizite.“
Meine Damen und Herren, es ist sicherlich unstrittig, dass es sich in der Stromwirtschaft um ein Oligopol handelt, dass vier große Unternehmen, nämlich RWE, E.ON, Energie Baden-Württemberg und Vattenfall, existieren und dass die Konzentration in diesem Bereich stärker wird. Sie nimmt zu und nicht ab. Die großen Unternehmen sind intensiv dabei, Stadtwerke aufzukaufen. Das hat zwei Gründe: Die Stadtwerke können ihre Netze nicht mehr vernünftig betreiben. Und das, was die großen Unternehmen immer gemacht haben, wird durch § 107 der Gemeindeordnung noch verstärkt. So kommen die großen Unternehmen zunehmend auf einen 51-%-Anteil, um ihre Politik besser zu betreiben, und die Stadtwerke machen es dort, wo sie sich praktisch ergeben müssen, mit.
Es gibt zwei unterschiedliche Lösungsansätze, um mit dieser Marktkonzentration klarzukommen: ein struktureller Ansatz und die Preisaufsicht. Am gestrigen Tage ist im Deutschen Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels verabschiedet worden. Bemerkenswert ist auch die Mehrheit: Es ist von den Fraktionen der CDU, der SPD und der Linken beschlossen worden; FDP und Grüne haben bei dem Gesetz nicht zugestimmt. Der wichtigste Punkt bei diesem Gesetz ist der § 29: eine Preisaufsicht, die neu festgesetzt wird. Ich möchte vier Zitate aus der Sachverständigenanhörung anbringen, die unisono ablehnend waren:
„Zusammenfassung: Der Gesetzentwurf nutzt niemandem, er schadet aber der Glaubwürdigkeit der Wettbewerbspolitik: … § 29 GWB n. F. lässt sich als Abwehrgesetzgebung gegenüber unerwünschten, weitergehenden strukturellen Maßnahmen in der Energiewirtschaft begreifen.“
Zweitens. Diese Stellungnahme kommt von der Monopolkommission. Prof. Dr. Justus Haucap hat vorgetragen:
„Anders ausgedrückt ist die vorgesehene Missbrauchsaufsicht nicht geeignet, den Wettbewerb im Energiesektor zu beleben. Im Gegenteil ist sogar zu befürchten, dass die Einführung des geplanten Energieparagrafen den Wettbewerb signifikant schwächen wird und einer Entwicklung hin zu strukturell gesichertem Wettbewerb im Weg steht.“
Drittens. Das Bundeskartellamt selbst, das durch das Gesetz gestärkt werden soll, sagt in seiner Stellungnahme:
„Dabei wird nicht verkannt, dass langfristig Verbesserungen im Rahmen der Preismissbrauchsaufsicht strukturelle Maßnahmen zur Belebung des Wettbewerbs auf den Energiemärkten nicht zu ersetzen vermögen.“
Also auch da eine eindeutige Aussage. Selbst diejenigen, die durch das neue Recht begünstigt werden, sagen, dass es strukturelle Änderungen braucht.
Wenn man dann noch die Aussage des VIK hinzunimmt, dass „dem Bundeskartellamt für wettbewerbliche Fragen weniger als 10 Personen zur Verfügung“ stehen – damit sollen die großen Energieversorger kontrolliert werden –, dann wird klar, was auch in den ersten beiden Zitaten deutlich wurde: Diese Regelung dient nicht wirklich der Herstellung von Wettbewerb, sondern sie wird eher Wettbewerb verhindern.
Dann stellt sich die Frage, wie wir den Wettbewerb auf der Erzeugungsebene hinkriegen. Dazu gibt es zwei neue, aktuelle Vorschläge. Den ersten Vorschlag hat der Wirtschaftsminister Rhiel aus Hessen gemacht. Er fordert, gesetzliche Regelungen zu schaffen, damit das Bundeskartellamt Verkäufe anordnen kann. Das ist aus meiner Sicht eine vernünftige Regelung. Der Gesetzentwurf aus Hessen liegt vor. Wir werden ihn prüfen und überlegen, ob wir ihn nicht auch in NordrheinWestfalen einbringen, weil er aus meiner Sicht ein vernünftiges Vorgehen beinhaltet. Das heißt ja nicht, dass man es sofort anordnet, aber man schafft das Instrumentarium zumindest als eine Lösungsmöglichkeit.
Den zweiten Vorschlag hat interessanterweise die Monopolkommission letzte Woche eingebracht. Darin heißt es:
„So spricht sie sich für die zusätzliche Einführung eines zeitlich befristeten Moratoriums für die Erweiterung von Erzeugungskapazitäten durch die marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen aus, damit Wettbewerber die Gelegenheit erhalten, eigene Kraftwerkskapazitäten zu schaffen.“
Das heißt, die Monopolkommission vertritt die Auffassung, dass das, was jetzt passiert, dass nämlich neue Kapazitäten gebaut werden, und zwar überwiegend von den alten Eigentümern, zeitlich befristet über Jahre unterbunden werden müsste.
Ich möchte einen weiteren strukturellen Ansatz einbringen, der aus meiner Sicht am allerwenigsten umstritten sein müsste. Das ist die Transparenz an der Strombörse in Leipzig. Das Bundeskartellamt hat in seiner Veröffentlichung deutlich gemacht, dass es Hinweise dafür gibt, dass Preismanipulationen an der Börse stattfinden. Der Vorsitzende der Monopolkommission, Herr Basedow, sprach etwas vornehmer von „Indizien für Parallelverhalten“ der Versorger an der Börse.
Tatsächlich haben die skandinavische Börse und andere eine deutlich höhere Transparenz. Dort werden in Realtime Informationen sekundengenau über Verkäufe bzw. Aktionen an alle Marktteilnehmer weitergegeben – bei uns zwei bis drei Tage hinterher, und es ist klar, wem das nützt. Dort gibt es in Realtime Informationen über die Grenzkoppelstellen. Auch das gibt es bei uns nicht. Und – das ist einer der wichtigsten Sachen – bei Kraftwerksausfällen bzw. bei Revisionen müssen die Betreiber Informationen zeitgleich an alle anderen Markteilnehmer geben und können das nicht als Informationsvorsprung oder auch dazu nutzen, um darüber Manipulationen an der Börse herzustellen.
Alle diese Möglichkeiten gibt es. Das müssten wir als Allererstes an der Strombörse in Leipzig ebenfalls herstellen.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Ich habe von der Landesregierung – darum bin ich auf den Beitrag der Ministerin gleich gespannt – nichts zu allen strukturellen Vorschlägen gehört, wie das Land Nordrhein-Westfalen dafür sorgen möchte, dass tatsächlich mehr Wettbewerb durch mehr Marktteilnehmer eintritt, damit nicht, so wie es real läuft, die Großen immer größer werden. Frau Ministerin, das ist der reale Prozess. Wir können uns im Detail darüber unterhalten. Aber im Moment ist es so, dass die Großen Stadtwerkbeteiligungen aufkaufen und dass sich der Konzentrationsgrad
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! In der von der Fraktion der Grünen beantragten Aktuellen Stunde geht es um die bekannt gewordenen möglichen Manipulationen der großen Stromkonzerne. Herr Kollege Priggen, Sie fragen, wann die Landesregierung endlich handelt.
Es ist tatsächlich so, dass das Kartellamt schwere Anschuldigungen gegen die vier großen deutschen Energieversorger erhoben hat. Sie haben die Presseberichterstattung dazu eben zitiert. Da ist die Rede davon, sie hätten sich in Geheimzirkeln zu Preismanipulationen und Absprachen verabredet. Nach Informationen des „Spiegel“, die Sie ebenfalls zitiert haben, hat das Kartellamt auch Indizien dafür, dass der Strompreis durch gezielte Käufe und Verkäufe von großen Strommengen sowie Stilllegungen von Kraftwerken manipuliert worden sein könnte. Das ist zunächst einmal die Ausgangslage.
Wenn das tatsächlich zutreffend sein sollte, dann handelt es sich dabei um völlig inakzeptable Vorgänge, die dringend aufgeklärt werden müssen. Sollte es tatsächlich zu solchen Manipulationen an der Leipziger Strombörse gekommen sein, dann wäre das eine neue Dimension im Zusammenhang mit den angekündigten Strompreiserhöhungen, die wir bereits im letzten Plenum in einer Aktuellen Stunde gemeinsam besprochen haben. Auch wir sind für mehr Transparenz, auch wir setzen uns für die rückhaltlose Aufklärung des Sachverhaltes ein.
In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich die kritischen Anmerkungen, die das Bundeskartellamt gemacht hat, und bin vor dem Hintergrund sicher, dass es eine intensive, kritische Prüfung geben wird.
Allerdings kann man an dieser Stelle der Landesregierung keinen Vorwurf machen. Die Wirtschaftsministerin hat sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass die Preisgenehmigungsaufsicht nach der Bundestarifordnung Elektrizität über den 30. Juni 2007 hinaus verlängert wird. Es war damals schon erkennbar, dass das Instrument der Strompreisaufsicht zum Schutz der Haushaltskunden weiterhin dringend erforderlich sein wür
de. 105 von 132 Stromversorgern hatten in diesem Zeitraum in Nordrhein-Westfalen Preiserhöhungen beantragt. Diese Initiative ist leider im Bundesrat gescheitert.
Die letzte verbliebene Möglichkeit im Lande, was die Preisüberwachung angeht, ist eine Missbrauchsaufsicht für die kleinen Stadtwerke. Die Zuständigkeit für länderübergreifende Preisstrategien der Konzerne liegt beim Bundeskartellamt, wo die Prüfung im vorliegenden Fall auch stattfindet.
Die Überlegungen auf Bundesebene zur Verschärfung des Kartellrechts haben wir in der letzten Aktuellen Stunde zu diesem Thema schon angesprochen. Diese reichen bei Strompreiserhöhungen bis zur Umkehr der Beweislast. Wäre es nicht zu zeitlichen Verzögerungen gekommen und wäre das Auslaufen der Strompreisaufsicht direkt mit der Kartellrechtsnovelle zusammengefallen, wäre es möglicherweise nicht zu den Erhöhungen der Vergangenheit gekommen. Diese Lücke existiert aber jetzt, und davon wird bedauerlicherweise auch kräftig Gebrauch gemacht.
Herr Kollege Priggen, ich freue mich schon auf die Diskussion im Wirtschaftsausschuss zu Ihrem Antrag „Transparenz im Strommarkt“.
Sie haben die Regelungen in Skandinavien auch hier noch einmal zitiert: Realtime-Informationen, Grenzkoppelstellen, Kraftwerksausfälle usw. Ich nenne aus Zeitgründen jetzt nur Stichworte.
Ich bin gespannt auf den Bericht der Bundesregierung zur Transparenz im Strommarkt, der noch aussteht. Ich denke, wenn dieser Bericht vorliegt, dann werden wir zum Thema Transparenz im Strommarkt im Wirtschaftsausschuss spannende Diskussionen haben, auf die ich mich freue. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.