Protokoll der Sitzung vom 16.11.2007

der Fraktion der CDU,

der Fraktion der SPD,

der Fraktion der FDP und

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 14/5354 – Neudruck

Die Fraktionen haben sich entgegen dem Ausdruck in der Tagesordnung auf direkte Abstimmung verständigt. Ich eröffne die Beratung und erteile der Kollegin von der SPD-Fraktion, Frau Koschorreck, das Wort.

Schönen Dank, Herr Präsident. Es gibt noch einige Abstimmungsgespräche zu dem vorliegenden Antrag. Daher gucke ich gerade zur FDP.

Vom Präsidium aus, Frau Kollegin, ist nicht zu erkennen, über was sich im Saal im Einzelnen abgestimmt wird. Aber Sie wissen das offenbar. Wenn das so ist, dann würde ich Sie trotzdem bitten, mit Ihrem Redebeitrag fortzufahren, während die Abstimmung still und interfraktionell hinter den Kulissen erfolgt.

Recht herzlichen Dank.

Bitte schön, Frau Kollegin.

Wer die Rede des Ministerpräsidenten am Mittwoch gehört hat, der konnte feststellen, dass darin ein klares Bekenntnis zur Errichtung des Demenzzentrums in NRW abgegeben worden ist. Das hat mich hoffen lassen, dass wir heute einen gemeinsamen Antrag stellen. Das ist auch der Fall. Ich freue mich sehr darüber, dass wir in dieser wichtigen Frage zu einem gemeinsamen Antrag gekommen sind. Es gibt noch einige Änderungen, die aber nachher protokollarisch festgelegt werden, die ich nicht näher auszuführen brauche.

Nur ganz kurz, weil es einen gemeinsamen Antrag gibt: Wir sind der Auffassung, dass NRW eine Reihe von Standortvorteilen bietet und somit eine gute Ausgangsposition besitzt. NRW ist für die Ansiedlung eines solchen Zentrums ein geeigneter Kandidat. Man könnte viele Beispiele nennen, das lasse ich an dieser Stelle.

Wir alle sind dazu aufgerufen, gemeinsam für den Standort NRW zu kämpfen und ein klares Signal nach Berlin zu geben, damit das Kernzentrum zu uns nach NRW kommt. – Recht herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Koschorreck. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Henke.

Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demenzerkrankungen gehören zu den häufigsten und folgenreichsten psychiatrischen Erkrankungen im höheren Alter. In Deutschland leiden derzeit mehr als eine Million Menschen im Alter von 65 oder mehr Jahren an Demenz. Jedes Jahr kommen rund 200.000 Neuerkrankungen hinzu.

Während zwischen 65 und 69 Jahren von einer Häufigkeit von 2 % ausgegangen wird, sollen bei

den über 90-Jährigen rund 30 % unter Demenz leiden. Mehr als zwei Drittel der Erkrankten sind Frauen. Von den Pflegebedürftigen in privaten Haushalten hat fast jeder zweite eine Demenz. Je höher die Pflegestufe, desto häufiger die Beeinträchtigung.

Zugleich ist Demenz mit weitem Abstand der wichtigste Grund für eine Heimaufnahme. Der Anteil demenzkranker Heimbewohner hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Bundesweit sind über 60 % der Heimbewohner davon betroffen. In den Alten- und Pflegeheimen leben etwa 400.000 demenziell erkrankte Menschen.

Wenn kein Durchbruch in Therapie und Prävention gelingt, dann kann unter Status-quo-Bedingungen bis zum Jahre 2020 die Anzahl der Demenzerkrankten auf 1,4 Millionen und bis 2050 auf über zwei Millionen Menschen ansteigen.

Schon in den leichten bzw. frühen Erkrankungsstadien weisen die Patienten infolge kognitiver Einbußen Einschränkungen in der selbstständigen Lebensführung auf, sie sind aber noch nicht vollständig von der Hilfe Dritter abhängig. Je weiter die Erkrankung fortschreitet, desto umfassender sind die Störungen von Gedächtnis, Denken, Orientierung, Lernfähigkeit, Sprache, Urteilsvermögen und Antrieb, und die Pflegebedürftigkeit und der Bedarf zur Aufsicht rund um die Uhr nehmen immer mehr zu. Nach und nach sind Wahrnehmung, Affekte und Persönlichkeitsmerkmale in das Geschehen einbezogen. Nicht selten kommt es zu Depressionen, Schlafstörungen, Unruhe, Angst, Wahnwahrnehmungen, Halluzinationen, nicht ganz selten auch zu Aggressionen.

Nicht nur die Lebensqualität des Kranken verschlechtert sich, sondern auch für die Betreuenden sind die Belastungen erheblich, und man kann sich gut vorstellen, dass es ohne Fachwissen schwierig ist, die aus der Begleitung Demenzkranker herrührenden Belastungen zu bewältigen.

Vor diesem Hintergrund ist es ausgesprochen vernünftig und entspricht einem starken gesellschaftlichen Bedarf, dass die Bundesregierung ein nationales Forschungszentrum zur Bekämpfung von Demenzerkrankungen einrichten will.

Am 21. September hat Bundesforschungsministerin Dr. Annette Schavan angekündigt, dass der Bund eine solche Einrichtung mit bis zu 60 Millionen € im Jahr fördern will. Um den Standort könnten sich Regionen mit geeigneten klinischen und universitären Kapazitäten bewerben. Es geht um die Erforschung von Krankheitsursachen, die

Möglichkeiten der Prävention und Früherkennung, die Entwicklung wirksamer Therapien und die Untersuchung psycho-sozialer Folgen von Demenzen. Es geht auch um die besten Formen der Pflege und Versorgung, und die Forschung für den Menschen steht im Mittelpunkt.

In der CDU-Fraktion sind wir sehr zufrieden, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung sofort damit begonnen hat, ein nordrhein-westfälisches Konzept für das geplante Kernzentrum zu entwickeln, und dabei das Kerninstitut im Raum Aachen/Jülich/Bonn/Köln und ein konkretes Modell zur engen Einbindung der stärksten Kompetenzen im Lande in Erwägung zieht.

Die CDU-Fraktion begrüßt, dass die Landesregierung bereit ist, den im Erfolgsfall erforderlichen Landesanteil zusätzlich bereitzustellen, wenn wir dies als Haushaltsgesetzgeber mittragen.

Die CDU-Fraktion ist sehr dafür, dass wir alles tun, um den Forschungsstandort Nordrhein-Westfalen durch die Ansiedlung des Kernzentrums für Demenzforschung zu stärken. Wichtiger noch als diese Zielsetzung ist es allerdings, dass das nationale Zentrum erfolgreich wird und mit möglichst vielen wissenschaftlichen Ergebnissen den Kampf gegen die Ursachen und Folgen der Demenzerkrankung vorantreibt.

Die heutige Realität der Versorgung Demenzkranker zeigt, dass es mit der wissenschaftlichen Seite allein nicht sein Bewenden hat, sondern wir brauchen auch stets die notwendigen Mittel, damit der Fortschritt den Menschen in der Krankenversorgung und in der Pflege wirklich zugute kommt. Das ist aber vielleicht eine andere Debatte, die sehr stark mit dem Pflegeversicherungsgesetz und der Berücksichtung von Demenz im Pflegeversicherungsgesetz sowie mit der Nachhaltigkeit in der sozialen Architektur der gesetzlichen Krankenkasse zusammenhängt.

Ich glaube, dass wir sehr gut daran tun, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu verabschieden. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der SPDFraktion für ihren Aufschlag. Wir haben eben gemeinsam erwogen, dass es vielleicht klug ist, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bewerbung ausgearbeitet ist – Jülich ist in federführender Weise beauftragt, das zu tun –, in dem vorletzten Absatz des Antrags die letzten fünf Zeilen entfallen zu lassen. Denn wir wollen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, dass der Antrag, den dann – ausgearbeitet mit der Jülicher Kompetenz – das Land Nordrhein-Westfalen entwickelt, schon zum jetzigen Zeitpunkt eine Vorfestlegung in Richtung einer bestimmten Lokalisation bekommt. Das ist

wohl eine Überlegung, die alle Fraktionen nachvollziehen können.

Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, dem Antrag in der etwas geänderten Form gemeinsam zuzustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Henke. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Lindner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitens der FDP-Fraktion begrüßen wir, dass die Landesregierung sich bereits seit einiger Zeit dafür einsetzt, dass das Kernzentrum zur Demenzforschung in Nordrhein-Westfalen angesiedelt wird.

Wir begrüßen dieses Engagement nicht nur aus standortpolitischen Erwägungen, sondern weil wir tief davon überzeugt sind, dass in NordrheinWestfalen bereits Kompetenzen in diesem Bereich vorhanden sind und ein mögliches Kernzentrum Demenzforschung gerade in NordrheinWestfalen in Kooperation mit anderen hier vorhandenen Akteuren für das Anliegen insgesamt deutschlandweit einen Beitrag leisten kann.

Deshalb ist es richtig, dass auch der Landtag noch ein unterstützendes Signal sendet, damit die Landesregierung in ihren Gesprächen schon mit dem dokumentierten Willen des Haushaltsgesetzgebers argumentieren kann, dass mithin hier die Bereitschaft besteht, eine mögliche Ansiedlung finanziell zu hinterlegen.

Dass wir uns um dieses Kernzentrum Demenzforschung bemühen, will ich auch in einen Zusammenhang mit der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten von dieser Woche rücken. Der Herr Ministerpräsident hat deutlich gemacht, dass er sich in den nächsten Jahren in einer Arbeitsgruppe mit dem demografischen Wandel, mit dem Altern in Nordrhein-Westfalen befassen will. Zu diesem Schwerpunkt der Regierungsarbeit der nächsten Jahre passt eine Begleitung von wissenschaftlicher Seite auf Ebene der Grundlagenforschung gut. Das kann Nordrhein-Westfalen mit Blick auf den demografischen Wandel nur zum Vorteil gereichen, übrigens auch mit Blick auf das Gesundheitsland Nordrhein-Westfalen.

Wir freuen uns, dass die positiven Vorarbeiten der Landesregierung durch diese gemeinsame Initiative im Parlament unterstrichen werden. Deshalb

stimmen wir gerne der Initiative zu. – Schönen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Dr. Seidl das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir Grüne begrüßen selbstverständlich, dass die Bundesregierung – ich möchte hinzufügen: endlich! – die Notwendigkeit erkannt hat, zukünftig mehr für die Demenzforschung zu tun.

Das Thema Demenz beschäftigt uns auch in unserer Fraktion in den verschiedensten fachpolitischen Zusammenhängen. Das gilt insbesondere für den Bereich der Gesundheits- und Pflegepolitik, bei der wir uns seit Jahren für eine Veränderung des Pflegebegriffs einsetzen. Denn eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Pflege verlangt mehr als körperorientierte Maßnahmen.

Das gilt aber auch für andere Politikbereiche, bei denen Bezüge zur Demenz erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind. Ich nenne neben der Sozialpolitik nur die Städte- und Wohnungsbaupolitik, wenn es beispielsweise um neue Wohnformen im Alter geht. Natürlich ist auch die kommunale Pflegeplanung von großer Bedeutung, wenn es vor Ort um die Schaffung von Hausgemeinschaften für Menschen mit Demenz geht.

Deshalb begrüßen wir selbstverständlich auch die Initiative des Bundes, für ein Demenzforschungszentrum 50 bis 60 Millionen € zur Verfügung zu stellen, und unterstützen das Vorhaben, dieses Demenzforschungszentrum nach NordrheinWestfalen zu holen.

Auch darin bin ich mit meinen Vorrednern einig: Nordrhein-Westfalen hat sehr gute Voraussetzungen für die Ansiedlung und Anbindung eines solchen Zentrums, insbesondere in der ABCDRegion. Nicht außer Acht bleiben sollte aber, dass auch in anderen Regionen Nordrhein-Westfalens im Rahmen der Pflegewissenschaft bereits eine fortschrittliche Demenzforschung betrieben wird, die es mit einzubeziehen gilt.

Deshalb freue ich mich, dass wir heute zu einer gemeinsamen parlamentarischen Initiative kommen; denn von diesem Haus sollte ein möglichst einmütiges positives Signal ausgehen, wenn wir das neue Forschungszentrum erfolgreich nach NRW holen wollen.

Darüber hinaus hoffe ich aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns alle zusammen nicht schon zufrieden geben, wenn wir eine solche Institution in Nordrhein-Westfalen haben; denn die eigentliche Arbeit für die Politik beginnt erst dann, wenn dieses Forschungszentrum die Ergebnisse liefert.

Ich hoffe, dass wir uns genauso einig sind, wenn es um die Umsetzung dieser Ergebnisse geht – um die Finanzierung neuer Behandlungsmethoden und neuer Formen von Pflege, die in diesem Forschungszentrum und anderswo entwickelt werden, um die Förderung und Weiterentwicklung von neuen und anderen Wohnformen, deren Möglichkeiten dort erforscht werden, und um die Stärkung der häuslichen Pflege und die Finanzierung des zusätzlichen Betreuungsbedarfes für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns deshalb gemeinsam dafür kämpfen, dass das neue nationale Demenzforschungszentrum nach Nordrhein-Westfalen kommt. – Herzlichen Dank.