Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

Bis jetzt ist das, was die Landesregierung dazu gesagt hat, jedenfalls nicht überzeugend. Obwohl die Große Koalition an vielen Stellen nicht besonders lobenswert ist, ist die Bundesregierung da deutlich weiter. Sie hat Ziele vorgegeben, die man durchaus als ambitioniert bezeichnen kann. Ich bin sehr skeptisch, ob sie es auch schafft, die Ziele umzusetzen. Da werden wir genau hinsehen müssen.

Die Landesregierung dagegen hat uns keine Zielmarken und keine Umsetzung genannt, und wir wissen nicht, wie sie in den relevanten Berei

chen dahin kommen will. Dass das fehlt, ist im Prinzip das größte Versäumnis, gerade vor dem Hintergrund der darin liegenden Chancen für das Land. Ich bin skeptisch, dass das in absehbarer Zeit kommt. Aber man darf ja noch hoffen. Und ich bin gespannt auf den Beitrag der Landesregierung. – Danke schön.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Kollege Weisbrich das Wort. Bitte schön.

(Horst Becker [GRÜNE]: Das ist der lebende Beweis für das, was Priggen gesagt hat!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich einmal mit einem Kompliment beginnen. Die Große Anfrage der Grünen steht fachlich-inhaltlich und systematisch auf einem hohen Niveau, und auch die Antwort der Landesregierung ist ein wahres Kompendium zur Information über viele treibhausgasrelevante Fragestellungen.

Dennoch bin ich etwas skeptisch, was die Intention der Anfrage und die weitere Bearbeitung des Themas anbelangt. Die Zukunft wird zeigen, was die Antragsteller aus dieser Antwort machen, und die Zukunft wird auch zeigen, ob die Einschätzung von Franz-Josef Strauß richtig ist: Die Grünen stellen die richtigen Fragen, aber sie geben die falschen Antworten.

Meine Damen und Herren, diese Anfrage ist nicht nur eine intelligente Fleißarbeit, sie ist auch ein Beschäftigungsprogramm für die Landesregierung, ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Statistiker, und sie kann sich – da liegt meine Sorge – im Ergebnis sehr leicht zu einem bürokratischen Monster und zu einem Folterinstrument für Bürger und Wirtschaft entwickeln.

Das sage ich vor dem Hintergrund, dass die Landesvorsitzende der Grünen, Frau Schneckenburger, Ende letzten Jahres angekündigt hat, dass ihre Partei einen Energiegroßkonflikt plant. Kurzformel in NRW und in Deutschland: keine Kernenergie, keine Braunkohle, Steinkohle nur sehr eingeschränkt, dafür aber eine Vorreiterrolle bei der Minderung von Treibhausgasen.

Herr Priggen, Ihr ehemaliger Koalitionspartner Wolfgang Clement hat sich bisher nicht zu dieser Ankündigung geäußert. Seine Meinung zu Frau Schneckenburger kann aber nicht anders ausfal

len als sein Urteil über Frau Ypsilanti in Hessen. Da kann ich nur sagen: Der Mann hat recht.

(Beifall von der FDP)

In Verbindung mit dem Auftritt von Frau Schneckenburger ist bei mir der Eindruck entstanden, die Grünen wollten mit ihrer Anfrage zum Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen einen Ökosozialismus pur vorbereiten. Ich hoffe, dass ich mich irre, aber der Verdacht liegt nahe. Am Anfang war die Zahl, der Rest ist dann Planification, Reglementierung und – am allerschönsten – Ordnungsrecht. Das wäre nicht unsere Politik.

Kollege Priggen, Sie haben in der Einleitung Ihrer Anfrage dargestellt, dass der Klimawandel bereits heute irreversibel ist und dass es darauf ankommt, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Wenn wir die Prämissen des Einflusses von Treibhausgasen auf die Erderwärmung mal als richtig unterstellen – darüber kann man immer noch streiten –, dann ist es notwendig – das haben wir bereits mehrfach ausdiskutiert –, den CO2-Verbrauch jedes einzelnen Bewohners der Erde bis zum Jahr 2050 auf etwa 2,2 t zu drücken. Sie sagten selbst, das ist eine ziemlich utopische Zahl.

Wir sollten einmal genau darüber nachdenken, was wir in Deutschland, was wir in NordrheinWestfalen sinnvollerweise vor dem Hintergrund, dass Luft keine Grenzen kennt, tun können. Wir sind nicht das Zentrum der Emissionen, wir haben auf den Einwohner bezogen starke Emissionen. Wir teilen die Bewertung, dass wir die Emissionen deutlich senken müssen. Wir teilen auch die Bewertung, dass es uns gut ansteht – schließlich haben wir das technologische Potenzial und das Potenzial an Know-how bei den Menschen im Land –, hier eine gewisse Vorreiterrolle zu übernehmen. Umwelttechnologie aus NordrheinWestfalen könnte dann wiederum für den Export gut sein. Dennoch sollten wir uns über die Dimensionen, die wir tatsächlich erreichen können, und über die Kosten/Nutzen-Relation auch aus der Sicht der Menschen in unserem Land einmal tiefergehende Gedanken machen.

Wir hatten unlängst mal so im Vorbeigehen darüber gesprochen, was es für Auswirkungen hätte, wenn die Automobilisierung der Welt aufgrund des neuen Billigautos der Firma Tata in Indien so voranschreiten würde, wie man das unterstellen müsste. Dieses Billigprodukt würde dazu führen, dass der Kraftfahrzeugbestand weltweit in relativ kurzer Zeit, innerhalb von 20 Jahren, auf 2,3 Milliarden Fahrzeuge anstiege. Was aber das

Entscheidende ist: Wenn diese Fahrzeugtechnologie, über die Tata jetzt verfügt, angewandt würde, würde das den CO2-Ausstoß für den Verkehrssektor von derzeit 3 Milliarden t CO2 auf 10 Milliarden t weltweit jährlich steigern. Wir kloppen uns hier um einige Tausend, von mir aus auch zig Tausend Tonnen, aber da ginge es um 10 Milliarden t, die plötzlich zusätzlich in die Atmosphäre gepustet würden.

Ehe wir über ganz weitreichende und ganz kostenträchtige Maßnahmen reden, die den Strompreis in uferlose Höhen treiben und unsere Industrie – beispielsweise die Stahlindustrie, die Zementindustrie, die Aluminiumindustrie – scharenweise aus dem Land Nordrhein-Westfalen vertreiben würden, sollten wir uns einmal überlegen, was wir tatsächlich erreichen können.

(Beifall von der FDP)

Da, muss ich sagen, bin ich noch sehr skeptisch.

Bei der Diskussion über die Kosten des Klimaschutzes können wir nicht einfach davon ausgehen, die Leute hätten das Geld. Für mich ist hochinteressant, dass der verehrte Bundesumweltminister zuerst die Strompreise nach oben jagt, dann über die bösen Konzerne schimpft und am Ende einen Sozialtarif für einkommensschwächere Menschen im Land fordert. So kann man das sicherlich nicht machen.

(Beifall von der FDP)

Wir müssen also schon prüfen, ob die Proportionen zusammenpassen und was wir als Land wirklich leisten können.

In Ihrer Fragestellung, welche Technologien wir hier denn einsetzen können, vermisse ich etwas; ich habe es Ihnen neulich schon einmal gesagt. Ich sehe diese wirklich furchterregende Entwicklung im Verkehrssektor, und ich sehe, dass wir die größten Schwierigkeiten haben werden, die Chinesen, die Inder, die Indonesier, die Brasilianer auf einen Kurs zu bekommen, wie die Bundeskanzlerin ihn gerne möchte – der muss aber noch verhandelt werden –, dass wir uns auf eine ganz deutliche CO2-Minderung konzentrieren mit dem Ziel: kein Einwohner weltweit mehr als zwei Tonnen. Wenn wir das wirklich erreichen wollen, dann müssen wir technologische Innovationen zum Einsatz bringen. Das geht nicht mit mechanischen Sachen. Dann müssen wir einen Mobilitätssektor haben, der CO2-frei ist. Wir bräuchten beispielsweise die Wasserstofftechnologie. Wir müssten uns Gedanken darüber machen, wie wir die Wasserstofftechnologie in Nordrhein-Westfalen entwickeln können.

Wir haben das Know-how, wir haben das Potenzial. Wir müssen es nur tun. Das ist alles ein bisschen in Verruf geraten vor dem Hintergrund: Über Kernkraft redet niemand. – Die einzige Technologie, die möglich ist, um kostengünstig Wasserstoff zu erzeugen und die dann in Brennstoffzellen in dezentralen Energieerzeugungsanlagen oder auch in Kraftfahrzeugen einzusetzen, ist ein Hochtemperaturreaktor. Der muss nicht so groß sein, der muss nicht als Kraftwerk ausgebildet sein, aber er muss einen Wärmetauscher haben, mit dem das möglich ist. Wenn wir uns solcher Technologien verweigern, wenn wir nicht alle Forschungskapazitäten nutzen, dann kann ich nur sagen:

„Leicht bei einander wohnen die Gedanken, Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen; Wo Eines Platz nimmt, muß das Andre rücken …“

Das ist nicht von mir, sondern von Schillers Wallenstein zu Piccolomini. Aber das passt an dieser Stelle wunderbar.

Herr Kollege Weisbrich.

Von daher meine ich, diese Anfrage hat eine Menge Antworten gebracht, die man als Rohmaterial nutzen kann. Was werden wir aber am Ende tun, auch vor dem Hintergrund – darauf wird die Ministerin sicherlich noch eingehen –, was die EU uns jetzt vorschlägt? Was das für Kostenschübe auslöst, was das für den einzelnen Haushalt bedeutet! Die Leute stöhnen doch jetzt schon darüber. Was werden Sie denn sagen, wenn hinterher ein Vierpersonenhaushalt nicht mehr 100 € pro Monat für Strom bezahlt, sondern 600 €? Das kann doch kein Mensch aufbringen.

Herr Kollege Weisbrich.

Also müssen wir da ein bisschen vorsichtig sein. – Bitte sehr.

Der Kollege Priggen würde Ihnen gern seit geraumer Zeit eine Zwischenfrage stellen.

Dann soll er das tun.

Bitte sehr, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Schönen Dank, Herr Weisbrich. Sie haben die Entwicklung bei TataMotors richtig geschildert. Eine ähnliche Stückzahl an Autos wird es auch in China geben; das sagt ja auch die chinesische Regierung. Dann müssten wir aber doch zusammen zu folgendem Ergebnis kommen – und das ist meine Frage –: Wenn wir das halbwegs gerecht vertreten wollen, kann die gemeinsame Perspektive doch nur sein, dass wir das Einliterfahrzeug brauchen – egal, mit welchem Treibstoff. Wir müssen runter von den hohen Verbräuchen. Ich kann von den Indern doch nicht verlangen, auf Mobilität zu verzichten, wenn wir nicht gleichzeitig sagen, wir müssen ein gerechtes Level finden, und die technische Perspektive für uns alle muss in etwa das Einliterfahrzeug sein.

Kollege Priggen, ich hatte unsere technische Perspektive schon aufgezeigt. Mir ist der Verbrauch eines Einliterautos immer noch zu hoch. Ich möchte ein CO2-freies Antriebssystem haben. Darüber müssen wir nachdenken. Denn wenn wir CO2-Ausstoß nicht massiv vermeiden, indem wir eine Technologie, die CO2-frei ist, einsetzen, dann werden wir diese Ziele nicht schaffen.

Ich sage Ihnen auch noch einmal ganz deutlich: Wir werden mit der Strategie des Ausstiegs aus der Kernenergie unsere klimapolitischen Ziele in Europa und in Deutschland nicht erreichen. Es ist in der Kürze der Zeit völlig ausgeschlossen, mit erneuerbaren Energien das zu ersetzen, was wir eigentlich haben wollen.

Sinnigerweise sieht die EU europaweit einen Kernkraftanteil von 30 % in der Stromerzeugung vor. Nur wir machen uns Gedanken darüber, dass wir aussteigen sollten, während die Finnen, die Schweden, die Niederländer und die Engländer jetzt plötzlich anfangen, über neue Kernkraftwerke nachzudenken. Ich sage ja nicht, dass das dieselben sein müssen, die wir jetzt haben. Wir brauchen neue Technologien, wir brauchen inhärent sichere Systeme. Wir müssen die Entsorgungsfrage endlich einmal klären. Aber wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen und wenn wir den Menschen im Lande sagen: „Das ist unser zentrales Problem“, dann, meine ich, müssen wir auch ergebnisoffen darüber nachdenken und einen Diskurs darüber führen, wie wir das gemeinsam schaffen können. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Weisbrich. – Als nächster Redner

hat für die Fraktion der SPD der Kollege Römer das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Monaten – das ist ja schon zur Sprache gekommen – immer wieder über Klimaschutz debattiert. Die Anlässe dafür waren unterschiedlich. Ich hatte gehofft, dass auch bei den Regierungsfraktionen angekommen wäre, wie wichtig dieses Thema ist, wie wichtig es vor allen Dingen ist, nach vorne zu diskutieren. Herr Weisbrich, es macht keinen Sinn, immer wieder die gleiche Platte aufzulegen und sich nur auf Kernenergie zu konzentrieren. Damit kommen wir überhaupt nicht weiter.

Die SPD-Fraktion hat zum Klimaschutz verschiedene Anträge eingebracht, die folgende zentrale Aussagen enthielten:

Klimaveränderungen wirken in den verschiedensten Lebensbereichen. Klimaschutzpolitik ist deshalb ein Querschnittsthema. Weil dies so ist, haben SPD-geführte Landesregierungen sehr früh damit begonnen, Klimaschutz als Querschnittsthema aufzunehmen und zu behandeln.

Ich erinnere daran: Nordrhein-Westfalen war das erste Land, das in Klimaschutzberichten die Beiträge der verschiedenen Politikbereiche dargestellt und die Handlungsoptionen bewertet hat. Die letzte Fortschreibung des Klimaberichts Nordrhein-Westfalen stammt vom März 2005.

Die schwarz-gelbe Landesregierung hat bisher die bis 2005 erfolgreiche Klimaschutzpolitik nicht fortgesetzt. Klimaschutz findet im Regierungshandeln nicht statt. Gerade die Regierung des Energielandes Nordrhein-Westfalen ist aber in der Pflicht, das Thema Energie und Klimapolitik mit einem geschlossenen Konzept nach vorne zu bringen. Eine Große Anfrage bietet dabei eine Chance, eine Chance, die man sich als Regierung üblicherweise nicht nehmen lässt, denn jede gute Landesregierung kann mit ihrer Antwort zwei politische Ziele erreichen: Erstens. Sie kann dokumentieren, dass sie die Datenlage im Land kennt. Zweitens. Sie kann bei der Antwort die eigenen politischen Ziele in den Vordergrund stellen.

Ich muss hinzufügen: Auch wenn sich Kollege Priggen gerade aus Höflichkeit für die Antwort bedankt hat, muss ich sagen: Die Antwort der Landesregierung ist in diesen Punkten enttäuschend.

(Beifall von der SPD)

Erstens. Sozialdemokratische Landesregierungen hatten die tatsächlichen Treibhausgasemissionen

in Nordrhein-Westfalen im Fünfjahresrhythmus – 1990, 1995 und 2000 – erhoben. Die schwarzgelbe Landesregierung hat diese wichtige Datenerfassung seit 2005 nicht fortgesetzt. Auch 2008 liegen zur Entwicklung aller Treibhausgasemissionen die letzten Daten aus dem Jahre 2000 vor. Die schwarz-gelbe Landesregierung kennt die CO2-Emissionen Nordrhein-Westfalens nicht. Die Landesregierung befindet sich damit im klimapolitischen Blindflug.