Protokoll der Sitzung vom 16.04.2008

Sie scheuen das, was sich für das Jahr 2009 anbieten würde. Ausschließlich das Jahr 2009 haben Sie im Auge, Herr Kollege Lux; das ergibt sich aus der Vorgeschichte, die ich gleich noch einmal erwähnen werde. Das, was sich für 2009 anbietet und was wir im Übrigen schon gehabt haben, zum Beispiel 1994, nämlich die Zusammenlegung von Bundestags- und Kommunalwahlen, scheuen Sie – und zwar aus ganz egoistischen Gründen, die mit dem, was Sie hier ausgeführt haben, nun überhaupt nichts zu tun haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Lachen von der CDU)

Das ist der bewusste Versuch, bei einer Kommunalwahl die Wahlbeteiligung eben gerade nicht zu steigern. Ansonsten hätten Sie sich über die Zusammenlegung mit der Bundestagswahl Gedanken gemacht.

Ich gebe Ihnen auch recht, Herr Kollege: Wir hätten langfristig jeden Versuch, den Bürgerinnen

und Bürgern Wahltermine zu ersparen, gerne ernsthaft mit Ihnen diskutiert.

Bei dem, was Sie hier machen, handelt es sich im Prinzip aber um eine Verhohnepipelung der Menschen. Sie koppeln die Oberbürgermeisterwahlen von den allgemeinen Kommunalwahlen ab und erzählen hier etwas vom Einsparen von Wahlterminen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist an Dreistigkeit wirklich kaum zu überbieten.

Lassen Sie mich nun einen Satz auf Ihre Bemerkung bezüglich einer Verwechslungsgefahr zwischen Bundestagswahlen und Kommunalwahlen verwenden. Für wie naiv halten Sie die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande, dass Sie ihnen nicht zutrauen, die Regelungsgehalte von Bundestagswahlen und von Kommunalwahlen zu unterscheiden?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Auch das ist eine Zumutung. Diese Behauptung in Bezug auf unsere Wählerinnen und Wähler kann man nicht stehen lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es sich bei Ihrem zweifelhaften Manöver um parteipolitische Trickserei handelt, ergibt sich auch aus dem sagenumwobenen Gespräch, das die Generalsekretäre von FDP und CDU Mitte des Jahres 2007 beim Innenminister geführt haben. Dabei haben die Herren Wüst und Lindner die Katze aus dem Sack gelassen – dort ging es nämlich nicht um eine Bündelung –: Sie würden sich aus politischen Erwägungen nur äußerst ungern für eine Zusammenlegung der Kommunal- und Bundestagswahl aussprechen.

Das haben die Herren dort nicht nur gesagt; sie waren auch so geschickt, dass sie sich einen Protokollvermerk haben schicken lassen – von dem wir aber leider eine Durchschrift bekommen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht Ihnen da doch nicht um die Bündelung.

Man muss auch nicht lange fragen, warum Sie das machen. Ich empfehle all denjenigen, die sich für Ihre Motive interessieren, einen Blick auf die Wahlbeteiligungen und die Wahlergebnisse aus dem Jahr 1994. Damals hat es nämlich – wie gesagt: ich kann die Freude des Kollegen Engel darüber verstehen, dass Sie sich von ihm so über den Tisch ziehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU – infolge der Zusammenlegung von Kommunalwahl und Bundestagswahl an einem Tag eine erhebliche Verbesserung nicht

nur der Wahlbeteiligung, sondern auch der Stimmergebnisse für die beiden großen Volksparteien gegeben. Genau das möchte Ihr Koalitionspartner für das Jahr 2009 vermeiden. Deshalb scheuen Sie die gemeinsame Bundestags- und Kommunalwahl wie der Teufel das Weihwasser.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es gibt durchaus Bedenken. Diese sind sogar bei dem Gespräch mit Staatssekretär Brendel geäußert worden. In Ihren Wortbeiträgen spielen sie natürlich keine Rolle. In dem Vermerk über dieses Gespräch sind sie aber deutlich genannt. Herr Kollege Wüst von der CDU – Chapeau!; er hat es richtig gesehen – hat auf Probleme hingewiesen, die sich dadurch ergeben, dass alte Vertretungen noch im Amt sind, die neuen aber bereits gewählt wurden und ihr Mandat nicht ausüben können. Das hat Ihr Generalsekretär bei dem Gespräch beim Innenminister schon genau gewusst. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie haben es heute offensichtlich vergessen oder wollen es aus naheliegenden Gründen nicht mehr wahrhaben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Es ist ein Stück aus dem Kapitel „Absurdistan in NordrheinWestfalen“, wenn Sie tatsächlich über viereinhalb Monate das Nebeneinander von schon gewählten und noch im Amt befindlichen Gemeindeorganen bewusst in Kauf nehmen. Eine solche Sache hat es bei uns in Nordrhein-Westfalen noch nicht gegeben. Ich stelle mir jetzt einmal vor, wie die Wählerinnen und Wähler, die sich bewusst für eine andere Zusammensetzung des Rates oder für andere Hauptverwaltungsbeamte entschieden haben, es finden werden, wenn mit ihrem Wählervotum schon abgewählte Landräte, Bürgermeister, Oberbürgermeister und Ratsmehrheiten dann noch die Geschicke in ihrer Gemeinde bestimmen. Meine Damen und Herren, das ist absurd.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Nun komme ich zu dem von Ihnen hier immer angeführten Argument, das gebe es ja anderswo auch. Haben Sie sich angeschaut, mit welchen Verfahren dies in den anderen Bundesländern umgesetzt worden ist? Ich empfehle Ihnen – auch das bedeutet Wahrung des politischen Anstands und der politischen Kultur –, sich bei den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen in den anderen Landtagen einmal darüber zu informieren, wie diese Vorgänge abgelaufen sind.

Sie versuchen hier – das ergibt sich auch schon aus der Art und Weise des Einbringens des Ge

setzentwurfes und dem von Ihnen beabsichtigten Zeitplan – eine handstreichartige Korrektur von Wahlterminen, die lange vorher bekannt waren. So etwas tut man einfach nicht.

Wir sind gerne dazu bereit, uns konstruktiv mit der Änderung von Wahlterminen unter dem Aspekt von Bündelung und Zusammenfassung auseinanderzusetzen. Aber Sie setzen sich über alle vernünftigen Bedenken bezogen auf das Vorgehen, das Sie im Augenblick wählen, eindeutig hinweg.

Auch da ist der schon genannte Vermerk hilfreich. Ich glaube, es ist sehr kurz gegriffen, wenn man sagt, Kommunalwahl und Europawahl ließen sich – auch wenn heutzutage die Öffnungszeiten der Wahllokale identisch sind – ohne Weiteres organisatorisch miteinander verknüpfen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da gibt es eine Menge Dinge zu bedenken, die zum Beispiel das passive Wahlrecht betreffen, die auch die Anzahl der Wählerinnen und Wähler angehen. Das ist kein ganz einfaches Unterfangen.

Ich bin einmal gespannt, ob Sie es tatsächlich geschafft haben, wirklich alle Änderungen in den Blick zu nehmen, die damit verbunden sind. Sie vermuten es, aber Ihren Vermutungen, lieber Kollege Lux, kann man nicht immer folgen. Manchmal liegen Sie nämlich ganz tüchtig daneben; das gilt für Ihren Innenminister im Übrigen auch.

Meine Damen und Herren, so wird zum Beispiel die Modernisierung der Landesplanung ausgesetzt. Schade, dass Frau Ministerin Thoben nicht da ist. Sie hat nämlich kürzlich mitgeteilt, dass es wegen der Vorverlegung der Kommunalwahl nicht vertretbar sei, wenn die „alten Kommunalparlamente“ einen Landesentwicklungsplan für die nächsten fünfzehn Jahre beschließen würden. Das Ergebnis dieser tollen Operation: Sie wollen den neuen Landesentwicklungsplan, also die Modernisierung unseres Landes, bis zum Jahre 2010 aussetzen. Absurdistan in NRW, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Ralf Jäger [SPD]: Grandios! Denn Sie wis- sen nicht, was sie tun!)

Ja, in dem Film spielen die Herrschaften ja immer mit. Aber ein James Dean wird es immer noch nicht, Herr Kollege.

Meine Damen und Herren, sind Sie wirklich sicher, dass Sie alle Vorschriften, alle gesetzlichen Haken und Ösen, die sich mit dieser Blitzoperation verbinden lassen, berücksichtigt haben? Wie halten Sie es zum Beispiel mit der Wahl von Migrantinnen- und Migrantenvertretern? Dazu wird sich der Innenminister ja sicherlich auch noch

etwas einfallen lassen müssen. Oder wie werden Sie reagieren, wenn sich entgegen Ihren Prognosen alte, abgewählte Gemeindeorgane in ihren Kommunen noch ausleben, und zwar auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger?

(Zuruf von Rainer Lux [CDU])

Kein Wort darüber! Streng genommen erlischt mit dem vorgezogenen Wählervotum doch ein Stück der demokratischen Legitimation der noch im Amt Befindlichen. Da machen Sie einen bedeutsamen Unterschied nicht. Sie unterscheiden – da nützt auch alles Kopfschütteln nichts; vielleicht hilft Zuhören, Herr Kollege Lux – an einer Stelle ganz offensichtlich nicht legislative Kompetenzen eines Parlaments und die Stellung und Funktion unserer Räte als Verwaltung im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung.

Meine Damen und Herren, was Sie hier machen, ist keine sinnvolle Zusammenlegung von Wahlen. Es schließt sich nahtlos an die Abschaffung der Stichwahl an – ein einmaliger Vorgang in Deutschland –, an die Entkopplung der Wahlzeiten von Oberbürgermeistern und Räten. Sie rücken den Wahltermin aus rein parteipolitischen Machtinteressen nach vorne, nach dem Motto: „Egoismus um jeden Preis“.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir werden uns hiergegen – das kann ich für die SPD-Landtagsfraktion versprechen – mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zur Wehr setzen. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Körfges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Kollege Becker.

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist spannend und interessant nachzuvollziehen, wie sich Begründungen unterwegs ändern, wenn man etwas anderes beschließt und vorhat, als man zunächst geplant hatte. Das kann man hier wieder sehr eindrucksvoll sehen, Herr Lux und Herr Engel.

Denn im Sommer letzten Jahres, als Ihre Generalsekretäre beim Innenminister waren, und im Herbst letzten Jahres, als es die öffentliche Debatte darüber gab, ging es eben nicht um die Frage, ob die Europawahl und die Kommunalwahl zusammengelegt werden, sondern es ging um die Frage, ob die Bundestagswahl und die Kommunalwahl zusammen stattfinden sollen. Letzteres

lag und liegt eigentlich nahe, denn für beide gilt, dass im September nächsten Jahres gewählt werden sollte, weil die Wahlperioden entsprechend auslaufen. Das ist zunächst einmal wichtig, weil es draußen nicht jedem so klar ist: Die Wahlperioden für den Bundestag und für die Kommunalparlamente laufen zu diesem Zeitpunkt aus.

Sie verkürzen mit Ihrem Vorhaben nicht etwa die Wahlperiode der kommunalen Parlamente, der Räte. Das können Sie überhaupt nicht. Es ist verfassungstechnisch nicht möglich, mitten in der Wahlperiode diese zu verkürzen. Deswegen wählen Sie den Weg, das Ende der Wahlperiode von dem Wahltermin zu entkoppeln mit der Folge – und das will ich zunächst einmal ganz sachlich dazu sagen –, dass Sie mit viereinhalb Monaten Entkopplungszeit und siebeneinhalb Prozent, die das bezogen auf 60 Monate ausmacht, eine Rekordfrist einlegen, und zwar unter dem Aspekt, dass andere, die längere oder größere Verkürzungen vorgenommen haben, tatsächlich die Wahlperioden vor dem Beginn einer Wahlperiode verkürzt haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie wissen natürlich sehr wohl, dass das etwas völlig anderes ist, weil es nicht zu den Komplikationen führt, von denen ich Ihnen jetzt einige aufzählen möchte.

Zunächst: Es ist keine theoretische Komplikation, wenn wir am 7. Juni nächsten Jahres neue Stadt- und Gemeinderäte, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wählen und dann teilweise abgewählte Mehrheiten und Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bis Mitte Oktober weiter regieren. Dass das keine theoretische Komplikation ist, kann ich Ihnen an Beispielen deutlich machen.

Von Räten und Oberbürgermeistern, die noch nicht einmal davor zurückschrecken, kurz vor einer Abstimmung, kurz vor einem Bürgerentscheid, nach einem Bürgerbegehren, Fakten gegen das zu schaffen, was Bürgerinnen und Bürger dann mit einer Abstimmung beschließen, können Sie mir nicht erzählen, dass es eine rein theoretische Fiktion ist, dass solche abgewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und solche abgewählten Mehrheiten auch dann, nachdem sie abgewählt worden sind und ihnen eigentlich nichts mehr passieren kann – es sei denn, sie machen juristisch einen großen Fehler –, politisch etwas durchziehen, von dem die Bevölkerung bereits gesagt hat: Dafür wählen wir die ab! – Das können die dann.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sehen Sie, das ist ein Problem. Das verursachen Sie durch die Entkopplung von Wahltermin und Wahlperiode.

Ich will Ihnen ein zweites Problem nennen, das klarmacht, dass es etwas anderes ist, als wenn Sie ordnungsgemäß vor dem Beginn einer Wahlperiode diese verkürzen. Hier geht die Wahlperiode bis Mitte Oktober. Diejenigen, die zwischen dem 8. Juni 2009 und Ende September 2009 16 Jahre alt werden und dann kommunal wählen dürfen, werden durch Ihre überlange Entfristung genau dieser beiden Zeitpunkte – Ende der Wahlperiode und Kommunalwahl – um ihr Kommunalwahlrecht gebracht, das ihnen eigentlich zusteht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich habe dazu vor vier Wochen eine Anfrage gestellt. Die hätte spätestens heute beantwortet werden müssen. Ich höre aus der Staatskanzlei: Die Antwort lag vor, aber sie war nicht zufriedenstellend. – Sie ist nicht beantwortet. Ich kann Ihnen auch sagen, warum: Nach meiner Schätzung werden es nämlich mehrere zigtausend Jugendliche sein, die dadurch um ihr Wahlrecht gebracht werden.