Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 89. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich elf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Energie- und Klimaschutzstrategie der Landesregierung ohne wirksame Maßnahmen und ohne ausreichende Finanzierung
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 13. Mai 2008 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zum oben genannten Thema eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion Herrn Priggen das Wort.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Frau Präsidentin! Liebe Zuhörer! Die Landesregierung hat endlich ihre Energie- und Klimaschutzstrategie vorgelegt, nachdem wir darüber in den letzten zwei Jahren intensiv diskutiert und uns darauf gefreut haben. Mit dieser Klimaschutzstrategie verfolgt sie das Ziel, ausgehend von der Ausgangsbasis 1990 die CO2Emissionen in Nordrhein-Westfalen bis 2020 um 33 % zu reduzieren. Wenige Tage zuvor hat die CDU-Fraktion ebenfalls eine Konzeptskizze vorgelegt mit dem Ziel, im gleichen Zeitraum 30 % der CO2-Emissionen zu reduzieren.
Beide sind vor dem realen Hintergrund NordrheinWestfalens sehr ambitionierte Ziele. Auch wenn die Bundesregierung vorgibt, was auch notwendig ist, die CO2-Emissionen um 40 % zu reduzieren, wissen wir doch, dass wir in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 1990 bis 2005 gerade einmal eine Reduktion von 5 % hinbekommen haben. Das heißt, der Löwenanteil der Reduktionen, die not
wendig sind, liegt noch vor uns. Und dieser Schritt ist ja nicht 2020 abgeschlossen. Bundeskanzlerin Merkel hat als EU-Ratspräsidentin 2007 in den Dokumenten festgehalten, dass wir es schaffen müssen, bis 2050 die CO2-Emissionen um 60 bis 80 % zu reduzieren. Das ist die Dimension.
Die Landesregierung hat die Reduktionspotenziale in drei großen Positionen beziffert: 36 Millionen t sollen sich aus den Meseberg-Beschlüssen, 30 Millionen t aus dem Kraftwerkserneuerungsprogramm und 15 Millionen t aus sonstigen Maßnahmen ergeben. Die Reduktion um 30 Millionen t aus dem Kraftwerkserneuerungsprogramm ist aus meiner Sicht ein rein theoretisches Rechenspiel, das in der Sache überhaupt nicht nachzuvollziehen ist. In Anhang 2 des Strategiekonzepts der Landesregierung ist eine Liste von Kraftwerksblöcken enthalten, die alle stillgelegt werden sollen, um dadurch angeblich eine Reduzierung der CO2Emissionen um 30 Millionen t zu erreichen. Folgende Erdgaskraftwerke sind in der Liste aufgeführt: Bocholt mit Advanced Power AG, HammUentrop mit der Trianel, Hürth mit der Statkraft und Herdecke mit Statkraft und Mark-E. Alleine in diesen vier Erdgaskraftwerken sollen durch Abschaltung alter Anlagen die CO2-Emissionen um 3 Millionen t reduziert werden. Wir alle wissen, dass das neue Marktteilnehmer sind, die überhaupt keine Altanlagen haben, die sie abschalten könnten. Insofern ist der Appell der Landesregierung, dass die Unternehmen alte Anlagen abschaffen, bei den dreien nicht tragfähig.
Hinzu kommen die Anlagen in Hamm-Uentrop, Datteln und Lünen, die alle von dieser Landesregierung genehmigt, also im Bau oder in Bauvorbereitung sind. Insgesamt ist hier die Rede von einer Reduzierung der CO2-Emissionen um 4 Millionen t. Auch hier wissen wir, dass dafür bei den Unternehmen überhaupt keine Vereinbarungen und Absichten über entsprechende Stilllegungen existieren.
Darüber hinaus sind Block 5 in Herne, der gebaut werden könnte, zu dem das Unternehmen aber selber sagt, dass nicht beabsichtigt sei, ihn zu bauen, und Köln-Niehl aufgeführt, der nach meinem Wissen auch nicht gebaut werden soll. Insgesamt komme ich also auf 9 Millionen t Einsparziel, dem null Stilllegungen gegenüberstehen.
Der größte Brocken an der Stelle ist das, was RWE zugerechnet wird. Die Reduktion aus der Braunkohle soll 18 Millionen t umfassen. Gleichzeitig – das möchte ich vorlesen – sagt uns Herr
Zilius in einem Interview mit dem „WDR“ am 25. Februar 2007 auf die Frage der Moderatorin, ob RWE-Power vorhabe, in den nächsten Jahren weniger Braunkohle zu fördern und zu verstromen: „Nein, wir wollen nur mit der gleichen Menge Braunkohle, die wir fördern und verstromen, immer effizienter werden.“ – Das heißt, keine Reduktion im Braunkohlebereich an der Stelle. Wie man dann auf 18 Millionen t kommen kann und will, ist mir schleierhaft.
„Die Kraftwerksbetreiber müssen ihrer Verantwortung zur Abschaltung ineffizienter Kraftwerke nachkommen, damit dieses beachtliche CO2-Minderungspotenzial schnell und nachhaltig erschlossen wird.“
Das ist aus meiner Sicht ein hilfloser Wunsch und Appell, der mit der Realität nichts zu tun hat; denn keiner der Kraftwerksbetreiber wird sagen, dass er ineffiziente Kraftwerke hat. Sie werden den Teufel tun und sie abschalten. Sie werden sie vielmehr so lange, wie es halbwegs wirtschaftlich ist, weiterbetreiben.
Das ist der erste Punkt unserer deutlichen Kritik. Es gibt viele weitere Kritiken. Ich möchte in der ersten Runde auf einen zweiten Kritikpunkt eingehen.
Richtig am Konzept der Landesregierung sind einige Teilziele wie, die Gebäudesanierung auf mehr als 3 % zu erhöhen. Das ist ein Ziel, das absolut richtig ist. Die Realität liegt bei 1 %.
Richtig ist eigentlich auch das Ziel, 20 % Einsparung zu schaffen. Ich glaube, dass das Ziel sehr ambitioniert und praktisch nicht zu schaffen ist. Was allerdings fehlt, ist irgendein Ansatz, wie wir das finanzieren wollen.
Wenn wir mehr als 3 % Gebäudesanierung schaffen wollen, dann müssen wir Geldmittel bewegen. Vor dem Hintergrund dessen, was bisher in Berlin mit den Meseberger Beschlüssen angekündigt ist, wissen wir jedoch, dass das nicht ausreichen kann.
„Nur eine kostenfreie Zuteilung auf der Basis eines brennstoffbezogenen Benchmarksystems für die Energieerzeugung kann einen breiten Energiemix mit modernster, hocheffizienter und Klima schonender Technik gewährleisten.“
Das heißt, die Landesregierung will wiederum für eine kostenlose Zuteilung der Emissionszertifikate an die Kraftwerksbetreiber eintreten, obwohl wir lernen mussten, dass sie das eingepreist und als Windfall Profits eingesteckt haben. Anstatt sich in Richtung Berlin aufzustellen und zu sagen: „Das Geld, das aus Emissionszertifikaten aus NRW kommt, wird auch in Nordrhein-Westfalen eingesetzt, um die notwendigen Mittel für die Gebäudesanierung, für Energieeinsparungen, für den Ausbau der Fern- und Nahwärme, für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung hierhin zu holen“, wird die einzige Finanzierungsmöglichkeit, die es gibt, zugunsten einer kostenlosen Zuteilung für die Unternehmen aufgegeben.
Wir hätten diese Chance. Bei 180 Millionen t CO2Emissionen aus Kraftwerken in NordrheinWestfalen müssten uns bei 10 €/t jährlich 1,8 Milliarden € an Investitionsmitteln zur Verfügung stehen. Außerdem wird erwartet, dass der Emissionshandel weiter zunimmt. Dieses Geld brauchten wir dringend, um die ambitionierten Ziele, die Sie selber aufstellen, zu erreichen. Das nur mit Energieberatung – bei aller Hochachtung vor der EnergieAgentur.NRW – zu schaffen, ist aus meiner Sicht völlig aussichtslos. Da braucht es auch finanziell unterlegte Maßnahmen.
Ich frage mich auch, wie das zusammenpassen soll: auf der einen Seite ein wirklich ambitioniertes Ziel, auf der anderen Seite keine Möglichkeiten, um an das notwendige Geld für die Investitionen – wir wollen ja die Investitionen – heranzukommen. Das muss noch erklärt werden. Insofern macht die weitere Debatte wirklich Sinn; schließlich müssen wir in dem Punkt vorankommen. Ich glaube allerdings, dass wir das mit dem Konzept der Landesregierung nicht schaffen werden. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Johannes Rau pflegte gelegentlich Matthäus Kapitel 7 Vers 16 zu zitieren. Dort heißt es: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“
Unter den rot-grünen Vorgängerregierungen wurden innerhalb von 15 Jahren im Zeitraum zwischen 1990 und 2005 die Kohlendioxidemissionen in Nordrhein-Westfalen um 5,5 % bzw. 16,5 Millionen t reduziert. – Großer Jubel, besonders unter den Grünen!
Jetzt hat die Koalition aus CDU und FDP eine Energie- und Klimaschutzstrategie vorgestellt, mit deren Hilfe die CO2-Emissionen ebenfalls innerhalb von 15 Jahren von 2005 bis 2020 um 81 Millionen t gesenkt werden sollen. – Laute Schmährufe, besonders von den Grünen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eigentlich fast zum Schämen. Wer Garzweiler II genehmigt hat und jetzt gegen die Umsetzung des Programms zur Erneuerung der Kraftwerke polemisiert, der verspielt seine Glaubwürdigkeit.
Auch für diese Art von Kritik hätte Johannes Rau eine passende Bewertung gehabt: Draufschlagen, tiefschlagen, unterschlagen.
Ihre Vorwürfe zeigen, dass Sie nicht einmal versucht haben, die Strategie der Landesregierung wirklich zu verstehen. Dabei ist es doch ganz einfach.
Erste Säule der Umsetzungsstrategie sind die Meseberger Beschlüsse des Bundeskabinetts. Die Landesregierung geht davon aus – ich denke, zu Recht –, dass sie auch in Nordrhein-Westfalen ihre Wirkung entfalten und im Jahr 2020 zu einer Senkung der CO2-Emissionen um etwa 36 Millionen t gegenüber 2005 führen werden. Dieses Programm, meine Damen und Herren, ist nicht zuletzt aus der Vergabe von Verschmutzungszertifikaten durchaus ausreichend finanziert.
Eine zweite Säule der Umsetzungsstrategie ist das Kraftwerkserneuerungsprogramm der Energieversorger. Es enthält – Kollege Priggen hat es zutreffend geschildert – 21 konkrete Projekte, deren Umsetzung die CO2-Emissionen gegenüber dem Stand von heute um 30 Millionen t vermindern wird. Selbstverständlich gelingt das nur dann, wenn im Umfang des Zubaus tatsächlich Altkapazitäten vom Netz genommen werden.
Über eine solche Gesamtstrategie, Kollege Priggen, verhandelt die Landesregierung mit der Kraftwerkswirtschaft. Da sich alle Beteiligten mindestens zweimal im Leben begegnen, bin ich davon überzeugt, dass diese Verhandlungen unabhängig von konkreten Einzelprojekten ein gutes Ende finden werden. Auf das Gesamtpaket kommt es an.
Zur abschließenden Bewertung dieses Vorgangs gilt wiederum Matthäus 7,16. Auch dieses Programm ist ausreichend finanziert aus Mitteln der Energieversorger, die ihr Geschäft weiter betreiben wollen.
Die dritte Säule der Umsetzungsstrategie bildet schließlich ein landesspezifisches Maßnahmenpaket, das eine weitere Reduzierung der CO2Emissionen um 15 Millionen t jährlich ab 2020 bewirken soll. Es besteht aus 43 konkreten Projekten, Förderprogrammen sowie Beratung, Information und Wissenstransfer in den Bereichen Energiesparen, regenerative Energien, Kraft-Wärme- bzw. -Kälte-Kopplung, fossile Energien, Brennstoffzellen und Wasserstoff, Export, Joint Implementation und Clean Development Mechanism, Verkehr und Kernenergie. Die dafür anteilig benötigten öffentlichen Mittel sind im Rahmen der Ausgabenplafonds der beteiligten Ressorts finanziert.