Protokoll der Sitzung vom 19.06.2008

(Zurufe von der SPD)

Die Noten zum Arbeits- und Sozialverhalten sind eine gute Möglichkeit, um Qualitäten zu dokumentieren, die für die Zukunft unentbehrlich sind. Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche auf ihre Fähigkeit, miteinander umzugehen, und auf ihre Leistungsbereitschaft stolz sein können. Deswegen bleiben wir dabei: Rückmeldungen zum Arbeits- und Sozialverhalten gehören wesentlich zum Erziehungsauftrag der Schule.

Diesen Erziehungsauftrag haben Lehrerinnen und Lehrer schon immer wahrgenommen. Dafür sind sie ausgebildet. Die Noten zum Arbeits- und Sozialverhalten machen das Verfahren lediglich transparenter und verlässlicher.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Hendricks?

Nein, das möchte ich nicht.

(Ute Schäfer [SPD]: Das wäre auch das ers- te Mal!)

Die Anhörung der Sachverständigen vor drei Wochen hat deutlich gemacht, was ich Ihnen immer wieder gesagt habe: Schulen sind mit der Notenvergabe zum Arbeits- und Sozialverhalten keineswegs überfordert. Sowohl die Eltern als auch die Ausbildungsbetriebe wollen diese klare Form der Rückmeldung.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: 10.000 Unterschriften!)

Noch im vergangenen Monat hat die Kreishandwerkerschaft Düsseldorf geschrieben und für die Wiedereinführung der Noten für das Arbeits- und Sozialverhalten gedankt.

(Ute Schäfer [SPD]: Sagen Sie auch noch etwas zu den Kirchen?)

Ich zitiere aus dem Schreiben des Vorstands:

„Gerade in Handwerksbetrieben werden diese Tugenden, die durch die Kopfnoten bewertet werden, als besonders wichtig angesehen.“

Wer einen Auszubildenden anstellt, muss wissen, ob er sich auf ihn oder sie verlassen kann. Auch davon hängt der Ruf und im Ernstfall sogar die Existenz des Betriebes ab. Es ist legitim, dass Betriebe darüber eine Einschätzung der Schule erwarten. Für sie ist das genauso wichtig wie die Kompetenz im fachlichen Bereich.

Genau darin besteht die Chance für die Schülerinnen und Schüler, die ein „Sehr gut“ in Deutsch, Mathematik oder Englisch nicht erreichen. Die Fachnote sagt nichts darüber aus, ob sie sich im Beruf oder im Studium überdurchschnittlich engagieren, ob sie zuverlässig und teamfähig sind.

Der Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will, dass diese wesentlichen Qualitäten nicht mehr auf Zeugnissen dokumentiert werden. Dabei sind es doch auch diese Qualitäten, die mit darüber entscheiden, ob jemand eine Lehrstelle bzw. einen Arbeitsplatz bekommt.

Die Sachverständigen der Ausbildungsbetriebe haben sehr deutlich gemacht, dass Schulzeugnisse nach der Berufswahl eine kurze Lebensdauer haben. Beurteilungen der laufenden Arbeit und Fortbildung werden schnell viel wichtiger. Von lebenslanger Stigmatisierung zu sprechen ist blanker Unsinn.

(Ute Schäfer [SPD]: Sprechen Sie mal mit den Kirchen, Frau Ministerin!)

Die Betriebe wollen eine erste klare und eindeutige Einschätzung über jemanden, den sie nicht kennen, die sie durch die Noten zum Arbeits- und Sozialverhalten und durch die Angabe von unentschuldigten Fehlzeiten auf den Abschlusszeugnissen bekommen. Ausbildungsbetriebe wollen wissen, wer sich einsetzt und wer mitgearbeitet hat. Wer das verweigert, will nicht, dass mehr Jugendliche in Ausbildung kommen.

(Lebhafter Widerspruch von der SPD)

Meine Damen und Herren, uns ist die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen wichtig. Wir verbauen ihnen keine Möglichkeit, ihre fachlichen und persönlichen Qualitäten nachweisbar zu zeigen. Wir ermutigen sie im Arbeits- und Sozialverhalten ebenso wie in den einzelnen Unterrichtsfächern, ihr Bestes zu geben.

In diesen Tagen werden die Noten zum Arbeits- und Sozialverhalten zum zweiten Mal vergeben. Schon nach dem ersten Durchgang will es die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen per Gesetz ab

schaffen. Das ist anscheinend ihre Vorstellung von zukunftsfähiger Schulentwicklung. Aber wir machen das nicht. Natürlich muss geprüft werden, ob sich das bestehende Vergabeverfahren für alle Schulformen bewährt.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Vergabeverfah- ren für Kopfnoten?)

Genau das werden wir, wie seit Langem angekündigt, nach dem Ende des Schuljahres tun. Wir beziehen selbstverständlich auch die kritischen Stimmen in unsere Überlegungen ein. Eine Abschaffung der Noten zum Arbeits- und Sozialverhalten steht aber im Interesse unserer Schülerinnen und Schüler nicht zur Debatte.

Erlauben Sie mir am Schluss noch einige Worte: Liebe Frau Beer, liebe protestantische Schwester,

(Sigrid Beer [GRÜNE] winkt der Rednerin zu.)

wären Sie heute Morgen in der Andacht gewesen und hätten Sie das Vorgespräch dazu gehört, hätten Sie vernommen, wie vorsichtig auch die evangelische Kirche gerade mit der von Ihnen angeschnittenen Thematik umgeht.

(Beifall von CDU und FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Wir haben Fakten in diesem Land!)

Ich beende Ihre Geschichte von Asterix und Obelix damit: Im Rheinland gibt es sechs kleine Asterixe, in Westfalen keine! Also machen wir kein großes Geschrei darum. – Danke.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Große Brömer das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich habe vorab eine Mitteilung zu machen. Es wäre schön, wenn sie nicht auf meine Redezeit angerechnet würde. Ich möchte als Berichterstatter zur Beschlussempfehlung und zum Bericht, der Ihnen vorliegt und der gleich Grundlage unserer Beschlussfassung werden wird, etwas anmerken.

Es hat sich ein Fehler eingeschlichen. Dieser Fehler ist mir leider erst vor einer halben Stunde aufgefallen. Bei dem Punkt C – Beratung des Antrags – ist in der Beschlussempfehlung eine falsche Auflistung der Expertinnen und Experten enthalten, nämlich die Liste der Sachverständigen

zu einer Anhörung, die später stattgefunden hat. Der Bezug auf das Ausschussprotokoll 14/672 ist falsch. Richtigerweise muss es das Ausschussprotokoll 14/665 sein.

Ich glaube – darüber haben wir heute Morgen gesprochen –, dass man durchaus Fehler machen darf. Ich entschuldige mich ausdrücklich bei Ihnen dafür, dass Ihnen nicht rechtzeitig ein Neudruck zur Verfügung gestellt werden kann. Aber ich denke, dass die Sachverständigenliste für unsere Beschlussfassung im Anschluss an die nun folgende Debatte nicht ausschlaggebend sein wird.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Präsidenten für das Anhalten der Redezeit.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Meine Damen und Herren, wir haben in der durchgeführten Anhörung, auf die sich einige Rednerinnen und Redner im Vorfeld schon bezogen haben, die ganze Bandbreite der Kritik erfahren. Ich möchte einige Kritikpunkte kurz in Erinnerung rufen.

Die Experten haben das Chaos bei der Durchführung der Notengebung kritisiert. Damit ist nicht nur der zeitliche Aspekt gemeint, der schon angesprochen worden ist. In einer Art Nothandlung wurde par ordre du mufti den Schulen die Mitteilung gemacht: Ihr dürft Unterrichtszeit für diese Konferenzen zur Verfügung stellen. Das hat nach den Verbandsmitteilungen zu einem Verlust von über einer Million Unterrichtsstunden geführt.

Es gab auch ein Chaos bei der Durchführung, nämlich bei der Einschätzung der Wertigkeit. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass grundsätzlich in Dortmund die Note Zwei und in Köln die Note Eins gegeben wurde. Das zeigt die Aussagekraft dieser Benotung, die landesweit stattfindet.

An dieser Anhörung hat – ich beziehe mich noch einmal darauf – die evangelische Kirche nicht teilgenommen. Trotz der Benennung als Expertin hat sie mit dem Hinweis abgesagt, sie habe ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Die Tatsache, dass eine Kirche ein Rechtsgutachten zu den Kopfnoten in Auftrag gegeben hat, macht schon deutlich, welche rechtlichen Bedenken mit dem vorliegenden Schulgesetz verknüpft sind.

Ich rufe die rechtlichen Bedenken in Erinnerung: Das Verhalten volljähriger Schülerinnen und Schüler soll mit Ziffernoten bewertet werden. Bei der dualen Ausbildung bekommen Schülerinnen und Schüler auf der einen Seite ein Zeugnis mit Ziffernoten, die ihr Verhalten beschreiben sollen.

Auf der anderen Seite sind solche Formulierungen im arbeitsrechtlichen Bereich rechtlich gar nicht zulässig. Dort sind nur allgemeine Formulierungen möglich. Sie müssen sich aber trotzdem mit dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungszeugnis weiterhin bewerben.

Die Unrevidierbarkeit der Noten auf Abschlusszeugnissen ist ein zweiter Punkt, der rechtlich bedenklich ist. Ich rufe in Erinnerung, dass im Bundesland Bayern solche möglichen Negativbenotungen in Abschlusszeugnissen ausdrücklich nicht erlaubt sind.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist eine richtige Entscheidung. Sie nehmen sich ja häufiger ein Beispiel am Bundesland Bayern. Vielleicht sollten Sie dem auch folgen.

Die pädagogischen Bedenken sind ebenfalls angesprochen worden, nämlich insbesondere die Frage, welchen Stellenwert beispielsweise die Beurteilung der Sorgfalt bei den Kopfnoten hat, wenn diese Befähigung zur sorgfältigen Arbeit zwangsläufig an anderer Stelle schon in die Fachnote eingeflossen ist. Das heißt: Die Trennung der Bewertung bei Fachnoten und Kopfnoten ist völlig ungeklärt, insbesondere wenn man sie auf das Kriterienraster bezieht, das Sie den Schulen in Ihren Handreichungen zur Verfügung gestellt haben. Es bedarf dringend der Überarbeitung, wenn es überhaupt noch weiter verwendet werden sollte.

Außerdem ist die Schlussfolgerung völlig fehlgeschlagen, wie die Ursachen von Fehlverhalten bekämpft werden. Die Schüler bekommen die Note. Sie gehen mit der Note nach Hause. Die Zeugnisse werden bei den Eltern gezeigt. Dann gibt es noch irgendwann einen Elternsprechtag. Aber die Ursachenbekämpfung hat im Unterricht überhaupt keine Relevanz bezogen auf die Kopfnoten.

Die Einzigen, die sich positiv zu den Kopfnoten geäußert haben, waren die Arbeitgeberverbände wie die Handwerkskammern. Der Kollege Ellinghaus hat eben aus Arbeitgebersicht deutlich gemacht, wie wichtig diese Kopfnoten aus seiner Perspektive sind.

Es muss ganz deutlich gemacht werden, mit welch naivem Anspruch dabei eigentlich vorgegangen und die Relevanz der Kopfnoten für ein Einstellungsverfahren zugrunde gelegt wird.