Meine Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 98. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Wir haben ein Geburtstagskind unter uns. Ich darf im Namen aller recht herzlich unserem Vizepräsidenten Edgar Moron gratulieren, der heute Geburtstag feiert.
Lieber Edgar, ich glaube, das ganze Parlament dankt dir neben deiner Arbeit, die du im Land als Vizepräsident leistest, vor allen Dingen dafür, dass du an Plenartagen fast immer in der Lage bist, das Sitzungsende etwas schneller herbeizuführen als andere. Wir haben dir deshalb einen schönen, großen Blumenstrauß mitgebracht, den ich dir überreichen möchte.
(Präsidentin Regina van Dinther überreicht Vizepräsident Edgar Moron einen Blumen- strauß. – Allgemeiner Beifall)
Mit Schreiben vom 18. August 2008 hat der Chef der Staatskanzlei mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in der heutigen Plenarsitzung über das obengenannte Thema zu unterrichten. – Ich erteile Herrn Minister Laschet das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nordrhein-Westfalen hat in der Integrationspolitik seit dem Regierungswechsel 2005 Neuland betreten. Dass es sich dabei nicht nur um eine Behauptung, sondern auch um eine Tatsache handelt, belegt der Integrationsbericht, den die Landesregierung dem Landtag heute vorlegt.
Lassen Sie mich vorab sagen, dass ich dankbar bin für den breiten Konsens zwischen allen Fraktionen des Landtags in Bezug auf die Integrationspolitik in Nordrhein-Westfalen. Das ist eine gute Basis, um bei einer Aufgabe voranzukommen, die über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheidet.
Der zweite Teil des Integrationsberichts ist der Bericht des Integrationsbeauftragten der Landesregierung. An dieser Stelle möchte ich Thomas Kufen für seine Arbeit ganz ausdrücklich danken.
Zentrale Inhalte des Integrationsberichts sind im Beirat für Integration der Landesregierung vorgestellt und mit der Wissenschaft sowie den Vertretern der gesellschaftlichen Gruppen erörtert worden. Auch bei den Expertinnen und Experten im Integrationsbeirat möchte ich mich für die anregenden, anspornenden und bisweilen auch kritischen Diskussionen sehr herzlich bedanken.
Nun zum Bericht selbst, mit dem die Landesregierung drei Jahre nach dem Regierungswechsel eine erste umfassende integrationspolitische Bilanz ihrer Arbeit vorlegt. Kern dieser Bilanz ist die Umsetzung des „Aktionsplans Integration“, der zugleich den Anspruch des Landes auf eine bundesweite Vorreiterrolle bei der Integration untermauert, indem er mit einem neuen methodischen Ansatz erstmals umfassende Erkenntnisse zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte vorlegt. Darum ist es auch wichtig und berechtigt, den Bericht als „1. Integrationsbericht“ zu bezeichnen.
Thematischer Kern ist die Umsetzung des „Aktionsplans Integration“, den die Landesregierung am 27. Juni 2006 beschlossen und der bundesweit hohe Anerkennung erfahren hat. Das war noch vor dem ersten Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin und lange vor dem Nationalen Integrationsplan, der erst im Jahr 2007 beschlossen worden ist.
Lassen Sie mich vier Bereiche herausgreifen, in denen wir das im Juni 2006 Beschlossene konsequent umgesetzt haben:
Da ist zum einen die für jedes Kind verpflichtende und verbindliche Sprachförderung – auch für das Kind, das keinen Kindergarten besucht. Sie wird mit dem Schulgesetz durchgesetzt und durch die Erhöhung der Mittel von 7 Millionen € im Jahr 2005 auf 28 Millionen € im Jahr 2008 verankert und untermauert.
Das Zweite sind die Familienzentren, von denen es inzwischen 1.500 gibt. In ihnen finden Familienbildung und -beratung statt. Was hat das mit Integrationspolitik zu tun? Zum einen erreicht man plötzlich in der Familienbildung Menschen, die man vorher nie erreicht hat und die nie in unsere normale Beratungsinfrastruktur gegangen wären, zum anderen haben wir in Hiddenhausen gesehen, als die Bundeskanzlerin das dortige Familienzentrum besucht hat, dass die Mütter der Kinder dort ebenfalls Deutsch lernen. Man erreicht also in diesem Familienzentrum auch die Mütter.
Das ist nicht neu. Aber die meisten Familienzentren haben nun systematische Elternarbeit als eine ihrer Aufgaben verankert. Ich glaube, das hat deshalb auch besondere integrationspolitische Bedeutung.
Zum Dritten gibt es die regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien. Diese Stellen gab es immer schon; sie machen seit vielen Jahren sehr gute Arbeit. Das haben wir zu einem Netzwerk „Integration durch Bildung“ weiterentwickelt, das vor wenigen Tagen, am 1. August, gestartet ist. Dort werden auch die Orte, die keine RAA haben, von den Erkenntnissen der RAA profitieren können.
Das vierte erfolgreiche Programm ist das KOMMIN-Programm. Da wird das, was die Kanzlerin auf oberster Ebene in Berlin macht, auf der Ebene der einzelnen Kommunen umgesetzt. Es lädt der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin ein, es sitzen alle mit am Tisch, und man erfüllt exakt die Aufgaben, die sich der Integrationsgipfel in Berlin zum Ziel gesetzt hat. Was da passiert ist, können Sie im Detail nachlesen. In den letzten drei Jahren konnte viel bewegt werden, was auch mit Haushaltsmitteln unterlegt ist.
Neu an dem Bericht ist ein methodischer Wechsel. Wir haben zum ersten Mal umfangreiches Datenmaterial zur Lebenslage der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, das nicht mehr allein nach dem Kriterium Deutsche oder Ausländer differenziert. Das Problem ist, dass die Erfolge verschwinden, wenn man nur Deutsche und Ausländer misst; denn jeder, der sich einbürgern lässt, zählt als Deutscher, sodass bei den Ausländern am Ende immer die schlechten Werte bleiben, die dann auch Quelle für Diskussionen sind. Deshalb haben wir den Mikrozensus, eine jährliche repräsentative Befragung von 1 % der Bevölkerung, zur Grundlage gemacht.
Mit diesem Mirkozensus wollen wir zusammen mit dem Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik in Zukunft regelmäßig jährlich ein Integrationsmonitoring durchführen, um festzustellen, ob unsere Integration eigentlich erfolgreich ist oder ob Politik dazu neigt, die Dinge schönzureden, obwohl sich in Wirklichkeit nichts verändert hat. Das ist ein harter Maßstab, an dem man sich messen lassen muss. Wir wünschen uns, dass der Nationale Integrationsplan des Bundes dies ebenfalls tut; denn Erfolg oder Misserfolg der Integration kann man nicht länger anhand von Anekdoten oder persönlichen Erlebnissen interpretieren – jeder hat da seine Erlebnisse und erzählt davon, ob es eine Parallelgesellschaft gibt, weil irgendwo noch ein türkisches Geschäft zu sehen ist –, nein, Integrationserfolge muss man an objektiven Daten messen, die dieser Mikrozensus liefert. Insofern ist dies ein neuer Weg.
Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel, wie absurd solche Zahlen werden, wenn man nur Ausländer zählt: 1997 lag der Anteil der ausländischen Kinder, die in Nordrhein-Westfalen zur Welt kamen, bei 17,1 % aller Geburten, im Jahr 2006 nur noch bei 5,2 %. Die Zahl der deutschen Geburten hat nicht zugenommen; vielmehr haben die Kinder mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Insofern ist ihr Anteil niedriger. Aber dies zeigt, dass das Messkriterium, nur die Zahl der ausländischen Kinder zu zählen, gar kein Maßstab ist, um wirklich erfolgreich Integration zu messen.
Wir haben uns auf 13 Gruppen konzentriert: eingebürgerte Ausländerinnen und Ausländer, türkische Bevölkerung, eingebürgerte ehemalige Türkinnen und Türken, Bevölkerung mit Zuwanderungsgeschichte, unter 25 Jahre alte in Deutschland Geborene und Menschen, die im Ausland geboren wurden. Das sind die Faktoren, an denen der Bericht arbeitet.
Die erste wichtige Erkenntnis ist: NordrheinWestfalen ist nicht nur das Bundesland mit den meisten ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, es ist darüber hinaus mit weitem Abstand das Bundesland mit der größten Zahl von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Laut Mikrozensus lebten 2006 knapp 1,9 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein-Westfalen. Mit 4,1 Millionen war allerdings die Zahl der Menschen, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, mehr als doppelt so groß.
Das Zweite: Zu denen, die im Ausland geboren sind, zählt auch der Aussiedler, der zwar qua Definition Deutscher ist, aber oft auch 3.000 km Migrationsweg nach Nordrhein-Westfalen hinter sich hat, wenn er aus Kasachstan oder anderen
Regionen der früheren Sowjetunion kommt. Wenn Sie messen, wer im Ausland geboren ist, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass dies jeder siebte Bürger Nordrhein-Westfalens ist. Er gehört damit zur ersten Einwanderergeneration, die 14,9 % der Bevölkerung ausmacht. Das ist mehr, als die Vereinigten Staaten als klassisches Einwanderungsland heute haben; dort sind nämlich nur 12 % der Menschen im Ausland geboren. Diese Dimension zeigt, wie unser Land längst von Einwanderung geprägt ist.
Drittens. Wir haben eine fast ausgeglichene Wanderungsbilanz. Während wir in den 80er- und 90er-Jahren hohe Zahlen von Asylbewerbern hatten – 300.000 bis 400.000 –, bevor das Asylrecht 1993 geändert wurde, seit dem Fall der Mauer 1989 1 Million Spätaussiedler allein nach Nordrhein-Westfalen kamen und 1991, nachdem der Krieg auf dem Balkan begann, mehrere 100.000 Bürgerkriegsflüchtlinge in unser Land kamen, haben wir heute eine, wie Migrationsforscher es ausdrücken, ruhige Migrationsphase. Von 1995 bis 2007 ging die Zahl der Asylbewerber von fast 30.000 in Nordrhein-Westfalen auf nur 5.000 zurück.
Die Zahl der Spätaussiedler sank von 44.000 auf jetzt noch 1.266 im Jahr 2007. Verfolgen Sie die Monate von Januar 2008 bis heute, sehen Sie, dass nur noch wenige hundert in Unna-Massen und damit in Nordrhein-Westfalen ankommen.
Auch der Zuzug von Kindern und anderen Familienangehörigen ist zurückgegangen, so dass wir bei Ein- und Auswanderungen fast eine ausgeglichene Bilanz haben. Wir haben kein quantitatives Zuwanderungsproblem mehr.
Wir sind aber auch nicht so attraktiv – vierter Punkt –, wie wir dachten, als das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft trat. Der Integrationsbericht zeigt, dass wir kein attraktives Zuwanderungsland für Hochqualifizierte in der Welt sind. Trotz der guten Konjunktur und des oft beklagten Mangels an Fachkräften haben 2007 lediglich 111 Hochqualifizierte in Nordrhein-Westfalen eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Davon sind nur 24 tatsächlich aus dem Ausland zugewandert. Die anderen 87 waren bereits im Lande und hatten hier an den Universitäten ihren Abschluss gemacht.
Es heißt – in Kurzform – Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Das Ziel jedenfalls, die Hochqualifizierten aus diesem Land herauszuhalten, hat man mit diesem Gesetz erreicht.
(Britta Altenkamp [SPD]: Damit hat die CDU aber nichts zu tun?! – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sprechen Sie doch einmal über die Rolle von Herrn Koch!)
Frau Löhrmann, wir machen hier keinen hessischen Wahlkampf, sondern wir sprechen über schlichte Zahlen. Ich freue mich darüber, dass die Große Koalition gestern beschlossen hat, nun die Schwelle, die für Hochqualifizierte sehr, sehr hoch war …
Wir haben bei der Zuwanderung eine zu hohe Schwelle gehabt. Das Bundeskabinett hat gestern für die Hochqualifizierten den Wert noch einmal gesenkt.
Ich denke – das ist jedenfalls die Position unserer Landesregierung –, dass auch die nicht gewährte Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union inzwischen zum Nachteil für uns gereicht. Denn die wirklichen Experten – hochqualifizierte Ingenieure, Ärzte und IT-Spezialisten – sind längst in Großbritannien, Schweden und anderen Ländern, aber nicht in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Bericht belegt fünftens, dass auch die Zahl der Einbürgerungen rückläufig ist. Wir haben 2006 zwar einen leichten Anstieg gehabt, 2007 aber wieder einen Rückgang. Deshalb haben wir uns vorgenommen, eine Einbürgerungskampagne zu starten, um alle die, die die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen, die die deutsche Sprache sprechen, die einen Arbeitsplatz haben – alles das sind die Bedingungen für Einbürgerung –, dazu zu ermutigen, den Antrag auf Einbürgerung zu stellen, sich einbürgern zu lassen und am Fortschritt in diesem Lande teilzunehmen.
Meine Damen und Herren, es gibt aber auch Probleme. Dieser Bericht ist kein Bericht, der schönredet. Armutsprobleme sind ganz unmittelbar mit Migration verbunden. Wir haben weiterhin
hohe Arbeitslosigkeit bei denen, die keine Bildungsabschlüsse haben. Wir haben nicht nur erfolgreiche Eingebürgerte, sondern wir haben auch Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Und es gibt nach wie vor auch Integrationsverweigerer, Menschen, die Gewalt anwenden, die die Werte und Normen unserer Gesellschaft ablehnen. Ursächlich hierfür sind zum Teil Gewalterfahrungen in den Familien, patriarchalisches Rollenverständnis, unverarbeitete Migrationserfahrung. Auch denen sagen wir: Wer gegen geltendes Recht verstößt, muss die Sanktionen des Rechtsstaats spüren.