Protokoll der Sitzung vom 17.03.2016

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann gibt es noch das Zerrbild des Kollegen Golland, der uns von einem Land erzählt hat, in dem man sich nicht mehr auf die Straße traut. Da ist das einzige Mittel, das Ihnen einfällt, eine Politik nach dem Motto: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten, und die einzig wahre Reaktion ist leichte Artillerie für jeden Streifenpolizisten.

Herr Golland, so können wir doch nicht für die innere Sicherheit in diesem Land arbeiten. Ich will Ihnen gerne noch mitgeben: Wer Koalitionsverträge lesen kann, Herr Golland, ist klar im Vorteil. Denn die Kennzeichnungspflicht – die individualisierte Kennzeichnung für alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in geschlossenen Einheiten – steht im Koalitionsvertrag, den Bündnis 90/Die Grünen und die SPD im Jahr 2012 miteinander geschlossen haben. Das ist so, und das wird so umgesetzt.

(Zurufe von der CDU)

Diese Koalition arbeitet ruhig und gelassen ihren Koalitionsvertrag ab. Entsprechend wird es eine Initiative für die Einführung der Kennzeichnungspflicht geben.

Zu Ihrer populistischen Forderung nach Strafverschärfung – das habe ich Ihnen immer wieder in unseren Debatten über Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gesagt – muss ich Ihnen entgegnen: Da helfen uns auch Scheinlösungen wie solche populistischen Strafrechtsverschärfungen nicht weiter. Wir wissen aus der kriminologischen Forschung – auch Sie sind möglicherweise in der Lage, sachliche Erkenntnisse zur Kenntnis zu nehmen – …

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Nein, ist er nicht! – Torsten Sommer [PIRATEN]: Er kann ja noch nicht einmal zuhören! – Weitere Zurufe)

Da werden richtigerweise Zweifel angemeldet. Aber potenziell wären Sie vielleicht in der Lage, Erkenntnisse aus der kriminologischen Forschung zur Kenntnis zu nehmen und in diesem Zusammenhang zu registrieren, dass die meisten Straftaten, über die wir sprechen, nach wie vor im Affekt geschehen, und dass es deswegen Unsinn ist, über Strafrechtsverschärfungen zu schwadronieren.

(Beifall von den GRÜNEN – Torsten Sommer [PIRATEN]: Ganz genauso Unsinn wie die Bo- dycams!)

Wir als regierungstragende Fraktionen haben in diesem Haus immer eine klare Haltung artikuliert. Diese Haltung lautet, dass es erstens derzeit keine gesetzliche Grundlage für die Einführung Bodycams in Nordrhein-Westfalen gibt, dass wir uns aber zweitens die bisherigen Modellversuche in den anderen Ländern durchaus anschauen. Das tun wir sehr genau. Auf dieser Basis kann man dann entscheiden, ob ein eigener Versuch in Nordrhein-Westfalen – der eben eine eigene gesetzliche Grundlage bräuchte – Sinn ergäbe.

Entscheidend bei dieser Prüfung ist für uns, lieber Kollege Golland, dass ein tatsächlicher Sicherheitsgewinn für die eingesetzten Beamten und eine Deeskalation in den kritischen Einsatzsituationen nachweisbar sind. Das ist der Unterschied zu dem hessischen Modellversuch, den Sie, Herr Golland, schon wieder zitiert haben. Und es ist schon wieder falsch.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE] und Hans- Willi Körfges [SPD] – Sigrid Beer [GRÜNE]: Schon wieder falsch, jau!)

Jeder, der sich einen Modellversuch anschaut, wird sich doch fragen: Wie haben sich die Bedingungen in dem Modellversuch verändert, während er durchgeführt wurde? Beim Modellversuch in Hessen war es nicht so, dass man gleiche Bedingungen beibehalten hat, während sich nur durch den Einsatz der Bodycams etwas änderte, sondern es sind außerdem mehr Kräfte eingesetzt worden. Es gab mithin ein anderes Einsatzkonzept.

Deswegen sind zwar die Zahlen aus Hessen erfreulich, weil wir es gut finden, wenn weniger Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten angewandt wird; aber diese Zahlen sind nicht instruktiv für die Frage, ob man bei uns Bodycams einführen sollte oder nicht. Insofern ist es Unsinn, was Sie da immer bezüglich des hessischen Modellversuchs erzählen.

(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körf- ges [SPD])

Man darf durchaus zur Kenntnis nehmen, dass es aus den Modellversuchen auch Rückmeldungen von eingesetzten Beamtinnen und Beamten gibt. Danach fühlen sie sich einerseits sicherer, wenn sie eingesetzt sind; andererseits sprechen einige Erfahrungsberichte davon, dass es weniger Solidarisierungseffekte gibt. Das heißt also, dass sich weniger Unbeteiligte einmischen, wenn Beamtinnen und Beamte in eine Lage hineingehen, um sie klären. Diese Erfahrungsberichte nehmen wir durchaus zur Kenntnis; man muss sie nicht ignorieren, wenn man die Diskussion sachlich führen will.

In dieser Debatte gibt es auch – die habe ich hier immer vorgetragen – gewichtige Kontraargumente.

Denn eines muss klar sein: Wenn solche Kameras eingesetzt werden, darf das nicht zu einem Vertrauensverlust in die Polizei führen. Vielleicht haben wir da einfach eine unterschiedliche Sichtweise auf Polizei.

(Lothar Hegemann [CDU]: Das ist das Prob- lem! – Gregor Golland [CDU]: Das ist ein Miss- trauen gegenüber der Polizei! – Weitere Zu- rufe)

Lieber Kollege Golland, das ist sehr gut so, dass wir diese unterschiedliche Sichtweise haben.

(Gregor Golland [CDU]: Sie haben Misstrauen gegenüber der Polizei!)

Für uns Grüne ist völlig klar, dass sich die Polizei den Bürgerinnen und Bürgern nicht zuerst mit Misstrauen nähern sollte, sondern mit Offenheit. Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger unbefangen und offen auf Polizistinnen und Polizisten zugehen können. Wir wollen, dass dieses Vertrauensverhältnis nicht gefährdet wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein weiterer Punkt. Bodycams müssen tatsächlich einen Beitrag zur Eigensicherung der Beamtinnen und Beamten sowie zur Gefahrenabwehr leisten. Das habe ich Ihnen auch schon erklärt, Herr Golland. Hören Sie einmal zu, Herr Golland, vielleicht lernen Sie dann etwas.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh! – Zuruf von Minister Ralf Jäger)

Verfassungsrechtlich gibt es eine eindeutig geklärte höchstrichterliche Rechtsprechung, die besagt: Strafverfolgungsvorsorge ist nicht Ländersache. – So einfach ist das. Und darauf bezog sich meine Einlassung in der letzten Runde, als Sie die Einführung von Bodycams beantragt haben: Wir dürfen Bodycams nicht zur Strafverfolgungsvorsorge einführen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein weiterer Aspekt, weshalb ich mich eben bei Ihrem Wortbeitrag gemeldet habe: Es ist völliger Quatsch, dass Bodycams an den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht irgendetwas geändert hätten.

(Lothar Hegemann [CDU]: Das wissen Sie doch gar nicht!)

Sie haben eben erzählt, mit Bodycams hätte man einen besseren Überblick über die Lage bekommen.

(Lothar Hegemann [CDU]: Natürlich! – Gregor Golland [CDU]: Und mit 60 Polizeibeamten mehr hätte man auch einen besseren Über- blick!)

Herrgott noch mal – wie groß soll den ein Polizist sein, der eine Kamera auf der Schulter hat und dadurch Übersichtsaufnahmen anfertigt? Wollen Sie

Giraffen mit Bodycams ausstatten, oder was soll dieser Quatsch?

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Die Redezeit.

Um es abschließend klarzustellen: Jede Polizistin und jeder Polizist, die oder der im Einsatz verletzt wird, ist eine oder einer zu viel. Darauf sollten wir nicht mit Scheinsicherheit reagieren, sondern mit echten und wirksamen Konzepten. Darüber sind wir als regierungstragende Fraktionen jederzeit bereit, zu sprechen. Das tun wir. Dann sollten wir diese Debatte endlich einmal versachlichen. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- rufe von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Lürbke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bolte, die Sachlichkeit, die Sie anmahnen, würde ich mir heute Morgen bei manchen Redebeiträgen tatsächlich vermehrt wünschen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Herrmann, man kann sicher geteilter Meinung sein über die Aktualität dieser Aktuellen Stunde. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Zuständigkeit. Wenn wir über Videobeobachtungen rund um die Bahnhöfe in Nordrhein-Westfalen sprechen, sehe ich die Zuständigkeit schon bei der Bundespolizei, beim Bund.

Was mich beim Lesen Ihres Antragstextes gestört hat: Da schreiben Sie – ich zitiere das mal –: Die andauernde Verunsicherung der Bevölkerung durch immer neue Sicherheitsmaßnahmen nach den Ereignissen von Silvester macht es notwendig, dass sich der Landtag in dieser Woche mit dem Thema befasst.

Vorweg: Ich glaube, große Teile der Bevölkerung sind nicht durch irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen verunsichert, sondern dadurch, dass dieser Landesregierung die Sicherheit in vielen Teilen einfach entgleitet,

(Beifall von der FDP –Zuruf von den PIRATEN)

und das ist doch der Punkt. Die Menschen im Land sind verunsichert, weil der Rechtsstaat Hunderte von Frauen mitten in der weltoffenen Stadt Köln nicht schützen konnte. Das bereitet den Menschen Sorge.

Sie wollen über die Bahnhöfe sprechen; also bleiben wir auch bei den Bahnhöfen. Die dramatisch hohen Zahlen von Taschendiebstählen rund um die Bahnhöfe bereiten den Menschen Sorge. Seit 2010 verzeichnen wir in diesem Bereich in Nordrhein-Westfalen eine Zunahme um 34 %; wir haben darüber gestern schon diskutiert.

Die Bevölkerung ist auch verunsichert, weil diese Landesregierung, Herr Innenminister, der Öffentlichkeit und dem Parlament ihre längst vorliegenden Erkenntnisse rund um die Bahnhöfe – ich nenne einmal die Analyse- und Auswerteprojekte „NAFRI“ und „Casablanca“ mit über 4.000 Personen einschlägiger Tätergruppierungen, zum Beispiel aus den Maghrebstaaten – einfach verschwiegen hat und, schlimmer noch, offenbar auch keine Gegenkonzepte auf den Weg gebracht hat. Das macht den Menschen Angst.

Deswegen gilt, um es klar zu sagen: Die Gründe für die Verunsicherung müssen wir eher in diesen Bereichen suchen und nicht beim Einsatz von Bodycams der Bundespolizei an den Bahnhöfen. Liebe Fraktion der Piraten, da haben Sie heute das Thema ein wenig verfehlt.

(Beifall von der FDP)

Für uns freie Demokaraten ist klar – das will ich betonen –, dass der Schutz der Bevölkerung und der Schutz unserer Polizeibeamten immer mit der Verteidigung der Privatsphäre unbescholtener Bürgerinnen und Bürger Hand in Hand gehen muss.

(Beifall von der FDP)