Protokoll der Sitzung vom 17.03.2016

(Beifall von der FDP)

Das muss ganz sauber mit Maß und Mitte austariert werden, und das gilt natürlich auch für den Einsatz der Bodycams, das ist doch klar.

Sie aber, werte Piraten, malen nur schwarz und weiß. Wir hingegen wägen die Verhältnismäßigkeit ab. Uns geht es immer um die größtmögliche Abwägung von Freiheit und Sicherheit. Schulterkameras kommen für uns deswegen anlassbezogen und situationsangemessen – das ist wichtig – innerhalb geeigneter Rahmenbedingungen und innerhalb der engen Grenzen des Datenschutzes infrage. Erst kürzlich haben wir das hier im Haus noch mit einem Entschließungsantrag sehr differenziert dargestellt.

Sie wollen heute aber etwas anderes. Sie wollen über den Einsatz von Körperkameras bei der Bundespolizei sprechen. Dann machen wir das doch. Werfen wir doch mal einen Blick auf die Rechtslage. Allein am Kölner Hauptbahnhof befinden sich 49 Kameras, auf dem Vorplatz sechs Kameras und weitere 32 Kameras auf den Bahnsteigen. In anderen Bahnhöfen im Land sieht das ähnlich aus. Hier wird im Rahmen des Hausrechts und des Bundesdatenschutzgesetzes die eigene Liegenschaft überwacht.

Eine ähnliche Situation haben wir an vielen anderen Stellen im Land: bei Bus und Bahn, in Einkaufszentrenten. Solange nur der eigene Bereich erfasst wird, ist das im Rahmen des geltenden Bundesrechts auch zulässig. Das geschieht anlasslos, oft übrigens auch verdachtsunabhängig, innerhalb der Räumlichkeiten häufig sogar nahezu flächendeckend – das ist jahrelange Praxis.

Nun sollen Beamte der Bundespolizei, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit nur in genau diesem bereits videoüberwachten Bereich tätig sind, mit Bodycams ausgestattet werden, also mit Körperkameras, die in bestimmten brenzligen Situationen angeschaltet werden können – dies dann übrigens anlassabhängig und situationsbezogen –, und die punktuell gezielt auf bestimmte Personen, die Adressat einer polizeilichen Maßnahme sind, gerichtet werden.

Hier setzen nun die Piraten an und monieren, Tausende Pendler in Nordrhein-Westfalen dürften nicht tagtäglich mit noch mehr Videokameras überwacht werden. Ich muss es wiederholen: Thema verfehlt; diesen Umstand nicht verstanden.

(Beifall von der FDP)

Dazu drei Dinge: Erstens. Ich sehe nicht, wo Tausende Pendler durch Bodycams tatsächlich erfasst würden; das wäre übrigens rechtlich unzulässig. Herr Stotko hatte das ebenfalls bereits angesprochen; wir hatten dazu auch eine Anhörung im Innenausschuss. Dort wurde dezidiert dargestellt, dass ein flächendeckender Einsatz von Bodycams mit Daueraufzeichnung bereits aus datenschutzrechtlichen Gründen schon gar nicht möglich ist.

(Zuruf von Thomas Stotko [SPD])

Sie waren doch dabei und wissen, wie klar und eng die Voraussetzungen sind. Die Kameras werden dann auch nur im Bedarfsfall ausgelöst.

Zweitens. Es handelt sich um Bundesrecht, dessen Einhaltung die LDI hier in Nordrhein-Westfalen zu überwachen hat. Wir als Parlament können uns dazu eine Meinung bilden, klar, aber entschieden wird das an anderer Stelle.

Drittens. Über diesen Punkt sollten wir hauptsächlich sprechen: Aktuell legt die Landesregierung einen Nachtragshaushalt vor, der unter anderem einen Schwerpunkt auf Videobeobachtungen nach § 15a Polizeigesetz legt – Beobachtung von Kriminalitätsbrennpunkten –, und nötigt so den Polizeibehörden vor Ort im Prinzip mehr Videoüberwachung auf. Darüber hinaus verweigert sie dem Parlament übrigens bis heute weitergehende Informationen hierzu.

Genau das ist doch der Punkt; darüber sollten wir sprechen. Warum werden hier in Nordrhein-Westfalen quasi über Nacht plötzlich zig Kriminalitätsschwerpunkte definiert, bei denen nun Videoüberwachung statt mehr Präsenz das Allheilmittel sein soll?

Um es klar zu sagen: Wir als FDP wünschen uns an solchen Brennpunkten eher mehr polizeiliche Präsenz statt Kameras. Mir ist es lieber, wenn ein Polizeibeamter an einem solchen Kriminalitätsbrennpunkt physisch anwesend ist, der dann per Bodycam filmt, wenn er etwas Brenzliges wahrnimmt, als wenn irgendwo ein Beamter hinter einem Bildschirm sitzt, der alles per Video erfasst, dann aber Kräfte erst zuführen muss.

Wir wollen also die Präsenz vor Ort – auch mit Bodycams – an Kriminalitätsbrennpunkten. Ich möchte aber noch einmal unterstreichen, denn das ist uns besonders wichtig, was wir im Entschließungsantrag dargestellt haben: Das Ganze geht nur anlassbezogen; es muss situationsangemessen und rechtlich, vor allen Dingen verfassungsrechtlich sauber sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Lukas Lamla [PIRATEN]: Das macht doch keinen Sinn!)

Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute nicht das erste Mal über das Thema „Bodycams“. Man müsste eigentlich erwarten, dass durch die häufige Wiederholung dieser Debatten in den Ausschüssen und Plenarsitzungen ein gewisser Kenntnisstand erreicht wird. Das scheint jedoch nicht durchgängig der Fall zu sein.

Ich darf daran erinnern, wie diese Diskussion um die sogenannten Bodycams in Deutschland begonnen hat, was eigentlich Sinn und Zweck dieses Einsatzmittels sein soll und was man damit bewirken will. In diesem Zusammenhang möchte ich die ersten Trageversuche – und bislang sind es nur Trageversuche, weil kein Bundesland dieses Einsatzmittel bisher komplett eingeführt hat – in einigen Bundesländern erläutern.

Anhand von Tragversuchen sollte der Einsatz empirisch mit Vergleichsgruppen ohne Bodycams untersucht werden, und zwar unter der Fragestellung, ob denn tatsächliche Übergriffe gegen Polizeibeamtinnen und -beamte – und das stellt ein Riesenproblem dar – durch die Videoaufnahmen erstens dokumentiert werden und ob zweitens die Videoaufnahme als solche deeskalierend wirkt und damit die Zahl der Angriffe gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten reduziert werden kann.

Die Position der Landesregierung dazu wurde bereits mehrfach vorgetragen, und zwar in allen Details. Klar ist: Bodycams sind keine Daueraufzeichnungsge

räte; so sind sie nicht angelegt. Sie sind an Brust oder Schulter der Polizeibeamtin oder des Polizeibeamten angebracht. Damit kann bei Bedarf – und nicht ständig – eine Einsatzsituation aufgezeichnet werden. So weit, so gut.

Es gibt in der Tat Trageversuche, allerdings ganz unterschiedlichster Art. In Hessen ist der Trageversuch im Wesentlichen so aufgebaut, dass nicht mehr nur zwei Beamtinnen und Beamte Streife gehen, sondern vier Beamtinnen und Beamte, von denen einer eine feste Kamera trägt. Wen wundert es, dass in Hessen angesichts dieser Streifen die Zahl der gewalttätigen Übergriffe zurückgeht. Klar, man verdoppelt das eingesetzte Personal und stattet es mit einer Videokamera aus.

Es gibt weniger Übergriffe gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten, beispielsweise in Sachsenhausen, und zwar in einer einstelligen Größenordnung, was letztlich nicht wirklich ein wissenschaftlich evaluierter Beleg ist. Wen wundert es, dass hier die Verdoppelung der Einsatzkräfte der wichtigste Faktor ist. Anders formuliert: Die Gefahr eines Übergriffes minimiert sich, wenn vier statt zwei Einsatzkräfte vor Ort anwesend sind.

Ich will damit nur sagen, dass Teile dieser Trageversuche – das haben wir übrigens bereits im Innenausschuss und im Plenum diskutiert – in ihren Ergebnissen gar nicht auf Nordrhein-Westfalen übertragbar sind.

Interessant ist das rheinland-pfälzische Modell, wo diese Bodycams tatsächlich an der Brust angebracht sind und dem polizeilichen Gegenüber in bestimmten Situationen angezeigt wird, wann eine Aufnahme beginnt. Dass diese Aufnahme stattfindet, wird durch einen zusätzlichen Bildschirm und ein zusätzliches Licht visualisiert. Das polizeiliche Gegenüber weiß also genau: Mein Handeln wird jetzt aufgezeichnet.

Diese sachliche Unterscheidung sollte man erst einmal vornehmen, statt alles immer zusammenzurühren und zu behaupten, es gebe jetzt schon positive Erkenntnisse.

(Beifall von der SPD)

Mit dieser Technik ist auch keine Rundumsicht möglich. Es ist auch keine Vogelperspektive möglich, es sei denn, ein Beamter klettert dem anderen auf die Schulter. Situationen wie die in der Silvesternacht in Köln oder andere Tumultdelikte in größeren Gruppen sind mit dieser Bodycam nicht aufzuzeichnen. Die Bodycam nimmt vielmehr nur das auf, was der Beamte oder die Beamtin selbst in diesem Augenblick wahrnimmt. Mehr ist technisch gar nicht möglich.

Bei den Polizeien der Länder, aber auch denen des Bundes – und das gehört auch zur Wahrheit, Herr Golland; statt immer nur einzelne Passagen zu zitieren, sollten Sie die Diskussion innerhalb der Polizei lieber vollständig wiedergeben – gibt es übrigens

eine durchaus kritische Diskussion zu diesem Thema.

Wenn es zu Übergriffen oder Straftaten kommt, denen sich eine Aussage des Polizeibeamten oder der Polizeibeamtin vor Gericht anschließt, verliert der Personenbeweis an Bedeutung, weil man mit den Bodycams einen zusätzlichen Sachbeweis einführt. Das heißt, faktisch nimmt der Druck bei den Polizeibeamtinnen und -beamten zu, in bestimmten Situationen videodokumentieren zu müssen, weil der Personenbeweis gegenüber dem Sachbeweis nachrangig wird. Diese Diskussion, Herr Golland, gibt es innerhalb der Polizei, und die kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Man muss zumindest versuchen, die Gesamtheit dieser Diskussion zu erfassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Herbstkonferenz der Innenminister Anfang Dezember dieses Jahres wird sich – übrigens auf meine Initiative hin – mit der Frage beschäftigen, welche Erkenntnisse aus diesen Trageversuchen erwachsen sind.

Meine Kolleginnen und Kollegen schildern mir Folgendes: Ja, es gibt positive Hinweise, die allerdings nicht unbedingt wissenschaftlich evaluiert sind, sondern eher das Ergebnis einer subjektiven Wahrnehmung darstellen. Und ja, man ist bereit, diese Trageversuche in einzelnen Ländern möglicherweise fortzusetzen und in Teilen sogar behutsam auszubauen.

Ich finde, wenn wir uns in Nordrhein-Westfalen einer solchen Debatte stellen, dann nur unter einer Kautel: Die Ergebnisse aus anderen Ländern sind im Wesentlichen nicht brauchbar, weil sie nicht eins zu eins auf Nordrhein-Westfalen übertragbar sind. Wenn wir uns mit dieser Situation auseinandersetzen, dann muss das Ziel sein, die Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte zu reduzieren, und zwar tatsächlich, nicht gefühlt, sondern wissenschaftlich belegt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Man kann auch dem Gedanken beitreten, nicht nur die Trageversuche in den anderen Bundesländern zu beobachten, sondern einen nordrhein-westfälischen Versuch zu starten. Dabei möchte ich eines deutlich machen: Das bedeutet automatisch – selbst dann, wenn nur eine Kamera zum Einsatz kommt – die Änderung des Polizeigesetzes. Das heißt, schnell und unbürokratisch einfach mal Tausende von Kameras zu beschaffen, wird nicht funktionieren.

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

Vielmehr ist ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren unter den engen Kautelen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes durchzuführen.

(Dietmar Bell [SPD]: Rechtsstaatlichkeit, Herr Golland!)

Zum Schluss möchte ich gerne noch auf einen Aspekt hinweisen und komme dafür auf den Ursprung

der Debatte zurück. Wenn man die steigende Gewalt gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten bekämpfen will, muss man Folgendes berücksichtigen: Wenn überhaupt – schließlich wissen wir das noch nicht –, könnte der Einsatz von Bodycams nur ein kleiner Baustein in einer Gesamtstrategie sein, um die Gewalt gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten zu reduzieren.

Viel wichtiger als eine Bodycam ist nämlich die Erkenntnis, dass solche gewalttätigen Übergriffe weniger bei Fußballspielen oder Demonstrationen stattfinden als vielmehr in Alltagssituationen, in denen die Streifenbeamten beispielsweise zu einem Familienstreit gerufen werden und wo sich streitende Parteien plötzlich gegen die Polizei verbünden.

Viel wichtiger ist die Frage, was überhaupt dokumentiert wird, und die Notwendigkeit, Beamtinnen und Beamte so fortzubilden und auszustatten, dass sie risikoreiche Situationen erkennen können.

(Marcel Hafke [FDP]: Einfach mal machen!)

Ihre Redezeit!

Deeskalierend reagieren zu können, ist viel wichtiger als der mögliche Einsatz einer Bodycam. Deren Trageversuche laufen, wir werden sie analysieren und – wenn es bei uns überhaupt dazu kommt – das Ganze mit einer eigenen guten wissenschaftlichen Evaluierung begleiten. Wer jedoch schon heute ein Fazit zieht und behauptet, die Bodycams seien erfolgreich eingesetzt worden, hat einen Blick in die Kristallkugel gewagt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Der Minister hat seine Redezeit um 1 Minute 14 Sekunden überzogen. Wir werden natürlich entsprechend in der zweiten Runde großzügig mit möglichen Überziehungen umgehen.

Herr Kollege Hegemann von der CDU-Fraktion hat jetzt das Wort.