Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 110. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir dürfen auch heute einem Kollegen ganz herzlich zu seinem Geburtstag gratulieren. Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg aus der Fraktion der CDU feiert heute gemeinsam mit uns hier seinen Geburtstag. Alles Gute! Herzliche Glückwünsche und Gottes Segen, Herr Kollege!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Sie gerne darüber informieren, dass alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen sich zwischenzeitlich darauf verständigt haben …

(Zurufe)

Entschuldigung! – Herr Kollege Hegemann, ich bedaure unser gemeinsames Versehen sehr, Ihren Geburtstag nicht registriert zu haben. Deshalb unsere gemeinsamen Glückwünsche mit einer dicken Entschuldigung umso herzlicher: Auch Ihnen einen wunderschönen Geburtstag im Kreis der Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Für beide Kollegen gilt natürlich, dass wir Ihnen alles Gute wünschen, Glück, Gesundheit und vielleicht heute Abend einen schönen gemeinsamen Parlamentarischen Abend.

Vor Eintritt in die Tagesordnung – damit hatte ich eben fälschlicherweise schon begonnen – will ich Sie gerne darüber informieren, dass alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen sich zwischenzeitlich darauf verständigt haben, mit dem heutigen Tagesordnungspunkt 12 „Gesetz zur Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes“ Drucksache 16/9887 – Neudruck –, ein Gesetzentwurf der Landesregierung, auch den Antrag der Piraten „Lehrkräfte für die Potentiale von Open Educational Resources und den verantwortungsvollen Einsatz von freien Lernmaterialien sensibilisieren“ Drucksache 16/10298 zu beraten.

Mit dieser Vorbemerkung treten wir in die Abarbeitung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Konsequenzen aus den sog. Panama Papers –

Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit

Unterrichtung durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Steuerflucht international wirksam bekämpfen – Druck auf Staaten mit „Steueroasen“ weiter erhöhen

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/11698

Und:

Rechtslücken schließen und Transparenz schaffen – notwendige Konsequenzen aus den Panama Papers ziehen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/11706

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 11. April dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu dem genannten Thema zu unterrichten. Die Unterrichtung erfolgt durch Herrn Minister Dr. Walter-Borjans, dem ich hiermit das Wort erteile.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden oft von Parallelgesellschaften. Die Panama Papers geben allen Anlass dazu, das auch zu tun. Sie haben wieder einmal den Scheinwerfer auf die Parallelgesellschaft derer gerichtet, die gern jede Gelegenheit zum Geldverdienen nutzen, die dieses Land bietet, sich dann aber beim Bezahlen aus dem Staub machen; das darf dann die große Masse derer tun, die ihrer Arbeit nachgehen und die anständig ihre Steuern bezahlen.

Das, was wir mit den Panama Papers erleben, ist deshalb mit Sicherheit nicht das erste Panama, es wird auch nicht das letzte Panama sein. Ich nenne nur die Erfolge unserer Steuerfahndung in Nordrhein-Westfalen, aber auch das, was die Lux-Leaks im vergangenen Jahr zutage gebracht haben. Es wird immer wieder solche Beweise geben, und die sind enorm wichtig.

Man darf bei den Panama Papers, wie in allen anderen Fällen auch, davon ausgehen, dass ein großer Teil der sorgsam gehüteten Geheimnisse Auskunft

über Gesetzesverstöße und trickreiche Gesetzesauslegungen gibt, die die Urheber aus gutem Grund der Öffentlichkeit vorenthalten haben.

Nicht jede Briefkastenfirma ist illegal oder auf Aushöhlung der jeweiligen heimischen Finanzbasis ausgelegt. Man muss aber genauso deutlich sagen: Viele Alternativen zu dieser Art gibt es nicht. Es gibt Staaten, die die wirtschaftliche Betätigung eines Unternehmens daran knüpfen, dass es vor Ort eine Adresse hat. Wenn ihnen das reicht, dass da ein Briefkasten vorhanden ist, ist es ihre Sache; dann besteht allerdings auch kein Anlass für Geheimniskrämerei vor den deutschen Steuerbehörden. Wenn der Briefkasten zur Umgehung der Steuerpflicht bei uns genutzt wird, dann wird es auch unsere Angelegenheit.

Eine wichtige Botschaft, die mit den Panama Papers wieder einmal an die „Taxophoben“ – so, wie es der „Economist“ nennt – und an ihre Helfer ausgeht, lautet: Es gibt keine Gewissheit mehr, dass euer Treiben im Dunkeln bleibt. – Zumindest bei solchen Geheimniskrämern, die immer wieder großen Wert darauf legen, anständige Vorbilder in der Gesellschaft zu sein, aber dann im Dunkeln von den Möglichkeiten, die sich bieten, Gebrauch machen, zeigen solche Botschaften, wie wir wissen, regelmäßig große Wirkung.

Die Landesregierung ist dem Netzwerk investigativer Journalisten außerordentlich dankbar. Ihr Beitrag ist ein weiteres Glied in der mittlerweile respektablen Kette, zu der auch Nordrhein-Westfalen entscheidend beigetragen hat und weiter beitragen wird. Unser Kurs ist schnurgerade; das wissen die Menschen nicht nur in Nordrhein-Westfalen zu schätzen. Aber man muss auch sagen: Das kann man vom Bundesfinanzministerium in den letzten sechs Jahren bei näherem Hinsehen nicht unbedingt behaupten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nur rigorose Offenlegung, konsequente strafrechtliche Verfolgung führen wirklich zu Reaktionen. Ohne den Erwerb von Datenträgern hätten wir auch in den nächsten Jahren nur hilflos zusehen können – wenn denn überhaupt etwas zu sehen gewesen wäre.

Die mittlerweile elf Datenträger, die Nordrhein-Westfalen für 17,9 Millionen € erworben hat – übrigens zu 90 % mitfinanziert vom Bund und den anderen Ländern, auch wenn die das manchmal etwas anders bewerten und darstellen –, haben dem deutschen Staat und damit der Allgemeinheit über 6 Milliarden € von dem zurückgegeben, was Steuerhinterzieher und Banken zuvor zu ihren Gunsten unterschlagen hatten.

Die auf den Datenträgern unmittelbar ertappten Kontoinhaber haben mit bundesweit hochgerechnet etwa 1 bis 1,5 Milliarden € einen noch vergleichsweise bescheidenen Beitrag geleistet. Der größte Anteil kam von denen, die insgesamt 120.000 Selbstanzeigen

gestellt haben, weil sie die Diskretion nicht mehr gewährleistet sahen und reinen Tisch gemacht haben. Und es kamen rund 700 Millionen € von den Banken, die sich über Bußgelder mit der Staatsanwaltschaft geeinigt haben.

Mindestens ebenso wichtig war aber, dass die erworbenen Daten und die Masse der Selbstanzeigen Licht in die Arbeitsweise derer gebracht haben, die bislang nicht zu überführen waren – Finanzdienstleister, die aus Betrug, trickreicher Ausnutzung von Gesetzeslücken und internationalen Unstimmigkeiten gewinnträchtige Geschäftsmodelle entwickeln.

Mit EOKS, der Einsatzgruppe Organisierte Kriminalität und Steuerhinterziehung, haben wir in NordrheinWestfalen eine schlagkräftige Einheit aus Steuerfahndern und Beamten des LKA gebildet. Diese Einheit hat mit der systematischen Auswertung Tausender Einzelfälle Neuland betreten, und vor allen Dingen hat sie belegt, dass hunderttausendfacher Steuerbetrug keine Ansammlung unverbundener Individualdelikte ist, sondern auf ausgeklügelten Dienstleistungsangeboten von Banken fußt. Wir sind stolz auf die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen dieser Einheit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nordrhein-Westfalen hat auf diese Weise entscheidend dazu beigetragen, etwa Cum-Ex-Geschäfte ans Licht zu befördern, mit denen Milliarden an Steuern vom Fiskus zurückgefordert wurden, die vorher gar nicht bezahlt worden waren. Keine Steuern zu bezahlen, Steuern zu hinterziehen, ist schon verwerflich – aber sich auch noch aus den Taschen der ehrlichen Steuerzahler zu bedienen, das ist wirklich asozial.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von den PIRATEN)

Damit beschäftigt sich jetzt bekanntlich ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Und ich kann Ihnen sagen: Wir werden jede Aufklärung dieses Ausschusses unterstützen – im Übrigen ohne Ansehen möglicher Täter und Mittäter.

Die nordrhein-westfälische Steuerfahndung und EOKS werten seit eineinhalb Jahren auch einen Datenträger mit Informationen über Briefkastenfirmen in Panama aus. So viel kann gesagt werden: Darin sind auch Hinweise zu der Kanzlei Mossack Fonseca enthalten, die mittlerweile Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ist. Umso wichtiger wäre es – das sage ich an die Adresse des Recherche-Netzwerks –, wenn das Netzwerk den Behörden seine Erkenntnisse übergeben würde, damit wir hier zu einem Abgleich kommen, der dann auch zu einer Strafverfolgung führen kann.

Dass Briefkastenfirmen in großem Umfang für dubiose Zwecke eingerichtet und genutzt wurden, ist keine große Überraschung. Die Größenordnung und

den Kreis der Beteiligten finde ich allerdings erschreckend. Es wird immer deutlicher, dass selbst 6 Milliarden € Nachversteuerung und Schadenersatz nur ein Tentakel eines Riesenkraken sind.

Vor allem müssen uns die Befunde der Panama Papers aufrütteln, weil sich der Eindruck aufdrängt und verfestigt, dass aus der Welt der Banken, der Wirtschaft, der Sportverbände, der Wohlhabenden und der Politik wohl jeder in diesem Sumpf verstrickt ist. Wenn wir nicht hinnehmen wollen, dass die Haltung „Die sind doch alle gleich“ um sich greift und sich Menschen obskuren politischen Alternativen mit ihren Patentrezepten zuwenden und den Vorzug geben, müssen wir als Demokraten entschlossen und vor allen Dingen auch geschlossen handeln. Das schließt im Übrigen auch die verantwortungsbewussten Vertreter der Finanzwelt ein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im Reden und Ankündigen zeigt sich mittlerweile große Übereinstimmung. Diejenigen, die noch vor nicht allzu langer Zeit versuchten, Steuerhinterziehung quasi als eine Art zivilen Ungehorsam darzustellen und zu verharmlosen, sind ziemlich still geworden – genauso wie die politischen Vertreter von Staaten, die ihr Land lautstark und ohne Skrupel als Fluchtburg angepriesen haben. Die Rhetorik ist mittlerweile verblüffend übereinstimmend. Wenn das auch vom Tatendrang behauptet werden könnte, wären wir um einiges weiter.

Der Bundesfinanzminister hat jetzt zehn Punkte vorgestellt und kündigt an, international Druck zu machen. Wenn sich fünf Staaten zusammen mit Deutschland aufmachen, als Schrittmacher voranzugehen, dann kann man nur sagen: Das ist gut so. Es mahnt aber auch zum genauen Hinsehen. Ankündigungen hatten wir vorher auch schon. Leider haben wir erkennbare Verzögerungen und Verwässerungen: auf der internationalen Bühne erst recht, aber auch – wir dürfen uns nichts vormachen – bei uns in Deutschland.

Sehen wir uns die zehn Punkte des Bundesfinanzministers etwas genauer an. Wir finden Vorschläge, die wir schon vor dreieinhalb Jahren gemacht haben.

Zum Beispiel Punkt 9: Anlaufhemmung für Verjährung. Diesen Vorschlag habe ich im November 2012 aus den USA mitgebracht, nachdem ich mit der USSteuerbehörde gesprochen habe, weil sich in den USA Versteckspiel nicht lohnt. Solange ein Tatbestand vertuscht wird, läuft auch keine Verjährungsfrist. 2016 steht das jetzt in der scheinbaren Spontanreaktion des Bundesfinanzministers auf die Panama Papers. Das erweckt eher den Eindruck: Da ist mit heißer Nadel gestrickt worden, um in der Debatte nicht ins Hintertreffen zu gelangen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es gibt andere mindestens genauso wichtige Schritte, die in den zehn Punkten überhaupt nicht vorhanden sind und die es auch schon seit einiger Zeit gibt. Dazu zählt etwa die Änderung des Kreditwesengesetzes mit dem Ziel, nicht nur einzelne Bankmitarbeiter wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung belangen zu können, sondern die Banken selber, und zwar in letzter Konsequenz sogar mit dem Entzug der Lizenz.