Protokoll der Sitzung vom 12.05.2016

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Die andere Seite ist die, dass viele der regulatorischen Bedürfnisse im Zusammenspiel der Unternehmen und dem Welthandel keines Freihandelsabkommens bedürfen.

Ansonsten – der Herr Minister hat es selber gesagt – ist nicht mehr von den völlig freien Schiedsgerichten die Rede, sondern man diskutiert mittlerweile auch Gerichtshöfe oder was auch immer, um die Entscheidungen über Streitfälle in nationalstaatliche Souveränität zurückzuverlegen.

Aber allein die Tatsache des Versuchs, außerstaatliche Regulierungen angedacht zu haben, …

Die Redezeit.

… spricht doch für einen Schariageist im Neoliberalismus. – Das musste ich noch loswerden.

(Beifall von den PIRATEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Ja!)

Danke schön, Herr Dr. Paul. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also dem Antrag Drucksache 16/11888 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Möchte sich jemand der Stimme enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag der Piraten Drucksache 16/11888 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

6 Master und Meister – NRW benötigt weiter

hin duale Ausbildung und Studium als gleichwertige Ausbildungsalternativen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/11890

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/11984

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/11986

Ich eröffne die Aussprache, und für die antragstellenden Fraktionen hat zuerst Herr Kollege Bell das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Selten hat eine Veröffentlichung die Bildungsdebatte in der Bundesrepublik derart schnell für sich eingenommen wie der Titel „Der Akademisierungswahn: Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung“ im Oktober 2014 von Nida-Rümelin. Man kann, glaube ich, von einer Nida-Rümelinisierung in der deutschen Bildungsdebattenkultur reden.

Auf fast jedem Neujahrempfang einer Kammer konnte jeder von uns die ungeprüfte Übernahme dieser Bilder erleben. Das ist ein Teil der Mode, die wir erleben. Einfache Bilder sind in. Sie scheinen aber meiner Einschätzung nach einer Stimmung zu entsprechen, die eher ein pessimistisches Zukunftsbild entwirft.

Zwei Bilder dominieren diese Veröffentlichung:

Zum einen wird die Universitas als elitäres Bildungsinstitut infrage gestellt und entwertet, wenn immer mehr junge Menschen, denen in diesem Fall von einem Mann die Qualität abgesprochen wird, akademische Qualifikationen zu erwerben, an die Hochschulen streben.

Das zweite Bild, das entworfen wird, ist das Bild, dass Bildung sich nicht mehr uneingeschränkt lohnt.

Das ist auch der Kernsatz des Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, den Sie noch einmal vorgelegt haben, indem Sie schreiben: „Studieren ist kein Garant für den Aufstieg durch Bildung.“

Dahinter steht die Frage, die wir als Politiker zu beantworten hätten, ob wir den Zugang zu bestimmten Bildungswesen strenger regeln oder auch schließen müssen. Offensichtlich glauben das in dieser Debatte einige.

Ich glaube, dass dies mit der Bildungsrealität in unserem Land nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Wenn Sie sich die Zahlen, die wir in unseren Antrag aufgenommen haben, etwas intensiver anschauen, werden Sie erkennen, dass neben einer Steigerung der Anzahl von Studierenden auch die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber mit Fachhochschulreife auf duale Ausbildungsgänge im letzten Jahr um 5,5 % gestiegen ist. Wir haben eine hochattraktive

duale Ausbildung, die auch für Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen attraktiv ist und intensiv nachgefragt wird.

Wenn man wie ich Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik macht und auch in Betrieben unterwegs ist, kann man erkennen, dass mittlerweile ein offensives Verständnis der Verkoppelung von dualer Ausbildung und Hochschulausbildung gelebt wird.

Wenn Sie zum Beispiel Beckhoff Automation in Verl besuchen, die bei 1.300 Beschäftigten am Standort über 30 % Ingenieure in ihrem Unternehmen haben, in einer Kooperation mit der Fachhochschule in Bielefeld duale Studiengänge nutzen und daneben, parallel, attraktive duale Ausbildungsplätze schaffen, können Sie erkennen, dass hier kein Widerspruch entsteht, sondern dass wir über ein modernes Bildungsverständnis sprechen, in dem sich berufliche Ausbildung und Hochschulausbildung ergänzen und komplementäre Elemente des gleichen Systems sind.

Wir setzen dabei auf ein hohes Maß an wechselseitiger Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit der erreichten Bildungsabschlüsse. Wir wollen bei der Entscheidung zwischen beruflicher oder akademischer Ausbildung die Stärken und Bedürfnisse der jungen Menschen in den Mittelpunkt stellen, weil wir der Auffassung sind, dass das Potenzial der jungen Menschen, so gut das möglich ist, passgenau genutzt werden muss. Das stärkt unser Land und unsere Wirtschaft.

Diese Bemühungen, die in den letzten Jahren auch von der Landesregierung vorangetrieben worden sind, werden von uns ausdrücklich unterstützt. Unser Antrag probiert, hier ein modernes Bildungsverständnis zu zeichnen, das den Anforderungen an die Veränderungen im Land gerecht wird.

Ihren Entschließungsanträgen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, werden wir nicht folgen.

Die FDP schreibt:

„Trotz der zentralen Bedeutung des beruflichen Ausbildungssystems liegt der politische und öffentliche Fokus zunehmend stärker auf der akademischen (Aus-)Bildung.“

Dieser Einschätzung können wir ausdrücklich nicht folgen. In Ihrem Forderungsteil beziehen Sie sich fast ausschließlich auf den beruflichen schulischen Bereich.

Die CDU versucht, uns einen schon einmal diskutieren Antrag als alten Wein in neuen Flaschen zu verkaufen. Das werden wir aber auch diesmal nicht durchgehen lassen.

Wir werben insoweit für unseren Antrag für ein modernes Bildungsverständnis und hoffen auf eine Zustimmung Ihrerseits.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Bell. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Dr. Seidl.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit zehn Jahren verzeichnen die Hochschulen Rekordzahlen bei der Aufnahme von Studierenden. Warum ist das so? – Ein Studium ist attraktiv, weil Akademikerinnen und Akademiker oft höhere Einkommen erhalten und auch seltener arbeitslos sind.

Keine Frage, gut verdienen kann man auch ohne Studium, wie uns eine kürzlich erschienene aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln belegt. Auch Absolventinnen und Absolventen beruflicher Bildung haben hervorragende Perspektiven, denn ihr großes Plus ist die berufliche Praxis. Sie sind eine Stütze des Mittelstands, begehrte Fachkräfte und ein Erfolgsfaktor für unsere Wirtschaft. Die Frage, ob der Studierendenboom das duale System bedrohe, ist deshalb eine Frage, die sich eigentlich gar nicht stellt.

Wer wie die CDU behauptet, alle jungen Menschen würden studieren wollen – so suggerieren Sie es auch in Ihrem Antrag –, sollte sich die Zahlen genauer ansehen. Das Interesse an einer beruflichen Ausbildung ist nach wie vor ungebrochen. Seit Jahren will jede oder jeder fünfte Studienberechtigte eine Berufsausbildung machen, und unter den Kindern nicht akademisch gebildeter Eltern ist das sogar jede oder jeder Vierte.

Wer bei Bachelorstudierenden eine Abbruchquote von 28 % kritisiert, muss auch erwähnen, dass es bei der beruflichen Ausbildung 25 % sind. Im Übrigen wurden in beide Prozentzahlen auch diejenigen eingerechnet, die in andere Ausbildungstypen oder an andere Einrichtungen, Betriebe und Hochschulen wechseln.

Wer schließlich die hohe Zahl an Studienanfängerinnen und Studienanfängern als Maßstab für eine vermeintliche Überakademisierung nimmt, muss die ebenso hohe Zahl an Ausbildungssuchenden sowie diejenigen, die sich in der schulischen Berufsausbildung und im Übergangssystem befinden, daneben halten. 103.000 Studierende haben sich im Wintersemester an einer Hochschule in Nordrhein-Westfalen eingeschrieben, 102.730 haben sich in diesem Zeitraum um einen Ausbildungsplatz bemüht, und etwa 60.000 junge Menschen belegen Plätze in der schulischen Berufsausbildung sowie im Übergangssystem.

Die akademische und die berufliche Ausbildung sind insofern keine konkurrierenden Systeme. Sie ergänzen sich und bauen aufeinander auf. Der vorliegende

Entschließungsantrag der CDU qualifiziert hingegen die akademische Bildung ohne Not ab und spielt sie gegen die berufliche Ausbildung aus. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das, finde ich, anachronistisch.

Es gibt wohl kaum ein anderes Bundesland, in dem die Durchlässigkeit von dualer Ausbildung und Hochschulausbildung so hoch ist, wie in Nordrhein-Westfalen. Das müssten auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, einmal zur Kenntnis nehmen, wenn Sie eine mangelnde Gleichwertigkeit der verschiedenen Systeme beklagen.

Das Land hat eine ganze Reihe von gezielten Unterstützungsangeboten aufgelegt, die wir im Ausschuss auch diskutiert haben und die vorgestellt wurden, wie das Projekt Talentscouting, das Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss“, der bundesweit einmalige StudiFinder oder die Initiative „Zukunft durch Innovation“, zdi. Alle diese Initiativen bieten jungen Menschen Orientierungshilfen und Anregungen sowohl für berufliche als auch für akademische Bildungswege.

Zu nennen sind auch das duale und das sogenannte triale Studium, bei dem akademische und berufliche Ausbildung zusammengeführt werden. Bei Letzterem kann neben dem Bachelorabschluss auch der Meistertitel erworben werden. Zudem hat die Verordnung über den Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte den Zugang zum Studium ohne Abitur deutlich erleichtert.

Während das Land in der schulischen Berufsausbildung und mit dem Hochschulpakt zahlreiche zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen hat, liegt das Angebot der Unternehmen hingegen deutlich unter der Zahl derjenigen, die eine betriebliche Ausbildung suchen. Hinzu kommt – was noch schlimmer ist –, dass nur noch 7 % der Betriebe Hauptschülerinnen und Hauptschüler ausbilden. Die Betriebe haben sich offensichtlich an eine Bestenauslese gewöhnt, und der Appell der Partner im Ausbildungskonsens lautet deshalb auch, Hauptschülerinnen und Hauptschülern eine gleichwertige Chance zu geben und sich dabei nicht alleine an Zeugnisnoten zu orientieren, da diese nur wenig über die praktischen, personalen und sozialen Fähigkeiten aussagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Deutschland sehr viele junge Menschen, die die Fachkräfte von morgen sein könnten. Ihnen müssen wir durch Beratung und weitergehende Maßnahmen dazu verhelfen, ihr Potenzial zu entfalten – egal ob in einer akademischen oder in einer beruflichen Ausbildung.

Die Redezeit!

Wenn alle zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze mit Interessierten besetzt würden, hätten wir kein Fachkräfteproblem. Die Wirtschaft verlangt hingegen nach noch mehr akademisch ausgebildeten Fachkräften. Es darf sich kein Widerspruch auftun, was nur möglich ist, wenn das gesamte Potenzial derjenigen genutzt wird, die ausbildungswillig und ausbildungsfähig sind.