Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion – da steht sie schon – Frau Kollegin Pieper das Wort. Bitte.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Es geht nahtlos weiter zum Thema „Inklusion“. Ich stelle das gleich an den Anfang meiner Rede: Ja, wir haben die 300 Stellen für Sonderpädagogen zur Kenntnis genommen. Für mich ist zum einen die Frage: Wie sieht der Markt aus? Sind sie da? Gäbe es mehr? Was kann man möglicherweise über die Abschlüsse sagen?
Zum Zweiten möchte ich fragen: Rechnet man das um, um zu erfahren, wie viel das eigentlich ist? Sind das 0,75 Kollegen für jede Kommune?
Drittens. Ich bin der Meinung, dass diese 300 Stellen auch kein „Nice to have“ und „Obendrauf“ sind. Wenn man die Schülerzahlen unter der Situation von Zuwanderung betrachtet, ist es einfach eine logische Folge, dass wir mehr Lehrer und somit natürlich auch prozentual mehr Sonderpädagogen einstellen wollen. Das sind hier also keine Weihnachtsgeschenke für die Schulen oder so etwas.
Zum Thema des Antrags: Am 25. Mai 2016 unterzeichneten die nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden des Verbandes Bildung und Erziehung, des Verbandes Sonderpädagogik, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und des PhilologenVerbandes die sogenannte Mülheimer Erklärung.
Da wir hier häufig über Verbände und darüber sprechen, wie ernst man Verbände nehmen muss oder – wenn es gerade passt – eben nicht: Das sind vier Verbände und Gewerkschaften, die schon eine beträchtliche Anzahl an Mitgliedern in unserem Land vertreten. Das muss man auch zur Kenntnis nehmen.
Die Mülheimer Erklärung greift noch einmal einige Aspekte der Inklusionsdebatte auf, die wir auch hier schon mehrfach geführt haben. Wie emotional diese Debatte ist und wie wichtig sie den Leuten hier im Land ist, hat die Diskussion heute Morgen noch einmal gezeigt, in der es um die Grundschulen ging. Immer wieder reden wir über Inklusion. Das ist wirklich die nachhaltigste Herausforderung, die wir im Moment im Bildungssystem haben.
Fakt ist: Die Zahl der an allgemeinen Schulen unterrichteten Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf steigt. Das ist aber keine Aussage über gelingende Inklusion.
Tatsache ist: Die Zahlen der an den Förderschulen unterrichteten Schülerinnen und Schüler sinkt im Gegenzug nicht. Die Zahl der AO-SF-Verfahren steigt auch. Das sollte man eigentlich nicht erwarten, weil man für die ersten drei Jahre die Einleitung eines AOSF-Verfahrens erschwert hat. Trotzdem steigt die Anzahl der Verfahren. Die Zahl der Schüler an Förderschulen nimmt nicht ab. Das Gegenteil ist der Fall, wie man feststellt, wenn man einmal in den Kommunen nachfragt.
Ich habe lange an einer Förderschule gearbeitet und habe einmal an meiner alten Arbeitsstätte nachgefragt. Ein Trend ist ganz deutlich: Die Anzahl der Wechsel von der allgemeinen Schule zur Förderschule nimmt zu. Das lässt sich kommunal auch statistisch nachweisen. Außerdem gibt es Reihe von Eltern, die tatsächlich einen Umzug in Kauf nehmen, um in erreichbarer Nähe eine Förderschule für ihr Kind zu haben, weil sie nicht in der Lage sind, ihr Kind zu fahren, sondern auf den ÖPNV angewiesen sind. Das ist der Hintergrund, vor dem wir diese Debatte führen müssen.
Ich finde es gut und richtig, dass wir mehr Sonderpädagogen einstellen. Das allein reicht aber nicht. Wenn wir über Nachsteuerung reden, geht es nicht allein darum, mehr Sonderpädagogen in die Schulen zu bringen – das bringt auch die Mülheimer Erklärung zum Ausdruck –, sondern zusätzlich noch um ganz andere Dinge. Zum einen geht es um die ausreichende räumliche und sachliche Ausstattung an Schulen. Zum anderen geht es um ausreichende Zeitressourcen für die gemeinsame Planung.
Das wird immer wieder gerade von Grundschulen gesagt. Es fehlt einfach die Zeit, um sich gemeinsam zu besprechen, sich zu beraten und gemeinsam Unterricht zu planen. Man muss unbedingt darüber nachdenken, ob man möglicherweise die Unterrichtsverpflichtung in den inklusiven Klassen senken kann, um eine bessere Arbeit zu ermöglichen.
Die Mülheimer Erklärung fasst noch ein paar andere Punkte an. Es geht um die begleitende Lerndiagnostik und um curriculare Konzepte. Das scheint mir auch ein großes Thema zu sein. Im Moment wissen viele Schulen überhaupt nicht, wie gerade Schüler in der Sekundarstufe I zieldifferent unterrichtet werden können. Sie bekommen dann Gesamtschulunterricht light. Dass das möglicherweise ein komplett anderer Unterricht mit völlig anderen Lernzielen sein kann, ist an vielen Schulen noch nicht angekommen, was zu großen Schwierigkeiten in den Schulen führt. In diesem Zusammenhang steht natürlich auch die strukturierte Fortbildung für die Kolleginnen und Kollegen. Alles das ist Inhalt der Mülheimer Erklärung.
Ja, ich komme zum Schluss. – Ich freue mich darauf, dass wir noch einmal darüber sprechen und den Verfassern dieser Erklärung möglicherweise noch einmal die Gelegenheit geben, das näher zu erläutern. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Darstellung des Sachverhalts im Antrag der Piratenfraktion ist nahezu identisch mit dem Text der Mülheimer Erklärung, die von den von Frau Pieper zitierten Lehrerverbänden unterzeichnet wurde. Interessant ist die Frage – das ist eine Seitenbemerkung für die Kenner der Szene –, warum sich lehrer nrw eigentlich nicht an dieser Unterzeichnung beteiligt hat. Aber das können wir vielleicht an anderer Stelle klären.
In der Mülheimer Erklärung werden die sächlichen und personellen Bedingungen für die Umsetzung der Inklusion beklagt. Zugegeben: Es läuft vielleicht noch nicht in allen Schulen des Landes rund. Aber wir alle kennen das Sprichwort: Aller Anfang ist schwer, doch ohne ihn kein Ende wär’.
Darum ist es wichtig, die Inklusion anzugehen. Die UN-Behindertenrechtskonvention stammt aus dem Jahr 2009. Die Landesregierung ist dabei, Maßnahmen zu ergreifen – sie hat welche ergriffen und in
Im neuen Lehrerausbildungsgesetz sind Inklusionsmodule sowohl im Studium als auch im Vorbereitungsdienst verpflichtend für angehende Lehrkräfte in allen Schulformen und Schulstufen.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich hätte das lieber im Ausschuss diskutiert. Aber wenn Sie jetzt sagen, an manchen Schulen laufe noch nicht alles rund, hört sich das so an, als ob es kleine Probleme seien. Haben Sie sich einmal bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion umgehört, die mit mir auf Podiumsdiskussionen vor Ort gewesen sind? Dort sieht man, wie groß die Wut und die Verzweiflung der Eltern sind. Sie tun hier aber so, als sei das ein kleines Problem. Ist das tatsächlich Ihre Einschätzung der Situation vor Ort?
Natürlich sprechen wir auch bei uns in der Fraktion über diese Thematik. Aber die Erfahrungen sind wirklich sehr, sehr unterschiedlich. Jeder hat Beispiele, bei denen es wirklich gut läuft, und Beispiele, bei denen es vielleicht nicht ganz so gut läuft. Dafür gibt es sehr vielfältige Ursachen. Das kann an mangelnden sächlichen Voraussetzungen liegen. Das kann aber auch an der Einstellung bestimmter Personen in Bezug auf diese Thematik liegen. Aber wir werden dazu im Ausschuss noch differenzierter sprechen können.
Ich möchte auf eine zweite Sache hinweisen. Vom Ministerium ist der Fachkongress „Gemeinsames Lernen in der Sekundarstufe I“ geplant, der am 21. September 2016 in Wuppertal stattfindet. Das ist auch für Schulpolitikerinnen und Schulpolitiker eine interessante Veranstaltung, denke ich. Man kann sich auf der Homepage des Ministeriums dazu anmelden.
Ich habe das bereits getan und denke, dass die eine Kollegin oder der andere Kollege auch dorthin kommen wird.
Wie Frau Pieper gesagt hat, sind natürlich auch die Abgeordneten der Regierungsfraktionen in den Wahlkreisen unterwegs, um sich in Bezug auf die Situation vor Ort in Schulen und bei der Schulaufsicht, aber auch in Gesprächen mit Eltern sowie Schülerinnen und Schülern über diese Thematik zu informieren.
Zu diesem Ersten Gesetz zur Umsetzung der VNBehindertenrechtskonvention ist Ende 2018 auch eine Gesamtevaluation geplant. Wenn man von einem Ersten Gesetz spricht, heißt das ja, dass es noch nicht der Stein der Weisen ist, sondern dass daran gearbeitet wird und sicherlich auch noch Veränderungen erfolgen werden.
Zum Thema Inklusion gibt es viele Vorurteile. Jeder hat auch seine eigenen Erfahrungen. Die interessante Internetseite www.inklusionsfakten.de bietet unter der Überschrift „Tschüss Vorurteile – Hallo Inklusion“ Argumente zu 38 allgemeinen Aussagen über Inklusion in der Schule an.
„Alle Studien zum Lernerfolg zeigen, dass die Mehrheit der behinderten Kinder in der Regelschule größere Fortschritte macht als in der Förderschule und öfter einen Schulabschluss erreicht, der berufliche Perspektiven eröffnet.“
„Nein, aber es ist meistens sinnvoll. Wenn ein Kind mit einer Fußprothese im inklusiven Unterricht lernt, gut zurechtkommt und keinen Unterstützungsbedarf hat, braucht es keine weitere Unterstützungsperson. Meistens ist es aber sinnvoll, wenn zwei Erwachsene im Raum sind. Es muss aber nicht immer ein zweiter Lehrer oder eine zweite Lehrerin sein.“
Ich schließe mit dem bekannten Zitat des Lüner CDU-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen Hubert Hüppe.
Das steht aber so bei Wikipedia. Ich nehme die Korrektur unseres Ministers natürlich gerne entgegen und streiche „Lüner“. Ist er Brambauer, oder was?
Lassen Sie uns gemeinsam Wege suchen. Ich freue mich auf eine hoffentlich konstruktive Diskussion im Ausschuss.
Vielen Dank, Herr Kollege Feuß. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Dr. Bunse das Wort.