Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisung des Antrages der Fraktion der FDP Drucksache 16/12851. Auch hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung des Antrages an den Sportausschuss. Dann das gleiche Abstimmungsverfahren und -prozedere wie im vorgenannten Antrag. Möchte hier jemand dagegen stimmen, sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall.

Somit sind beide Anträge in den Sportausschuss zur weiteren Beratung überwiesen.

Ich rufe auf

8 Sanktionsverschärfungen im SGB II verhin

dern!

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/12838

Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der Piraten Herr Kollege Sommer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne – ein paar sind noch da, das ist schön – und im Livestream. Das Repressionsgesetz Hartz IV muss weg. Das erst einmal grundsätzlich vorweg. Es erfüllt seinen Zweck nicht. Menschen werden durch dieses System nicht in Arbeit gebracht, und es wird ihnen auch nicht geholfen. Im Gegenteil: Dieses System übt einen unmenschlichen Druck sowohl auf die Menschen vor als auch hinter dem Schreibtisch auf – das ist mir sehr wichtig, zu betonen.

Wie bekannte Studien zeigen, führt eine Verstärkung von Sanktionen nicht mehr Menschen in dauerhafte Arbeitsverhältnisse. Im Gegenteil: Gemäß einer Schätzung des IAB-Forschungsberichts aus dem Jahr 2013 liegt die Zahl der Bezieher von Alg II mit psychischen Beeinträchtigungen zwischen 30 % und 50 %.

Diese Sanktionen helfen nicht, Menschen in Arbeit zu bringen, sondern sie machen viele Menschen krank. Viele sind schon vorerkrankt, allerdings werden viele auch erst durch diese Sanktionsgesetze krankgemacht – Menschen, die Hilfe aus der Gesellschaft erwarten und nicht die Zunahme von Druck und Repression. Eigentlich ist das allen Menschen, die sich mit diesem System beschäftigen müssen, bekannt.

Was macht die Bundesregierung, aber auch die Agentur für Arbeit? Sie verschärft noch Sanktionen. In dieser Sommerpause hat sich die Agentur für Arbeit nicht nehmen lassen, Hilfsbedürftige noch mehr zu kriminalisieren und in einer fachlichen Weisung darauf hinzuweisen, dass vermehrt Ersatzansprüche geltend zu machen seien. Diese Ersatzansprüche werden von den Betroffenen als Sanktionen hoch zwei empfunden; dementsprechend schreiben wir in unserem Antrag auch konsequent von Sanktionen und nicht von diesen Ersatzansprüchen.

Diese Ersatzansprüche bzw. Sanktionen stehen im offensichtlichen Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung. Auch die Neufassung des § 34 Abs. 1 SGB II: „Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde“ wird daran nicht grundlegend etwas ändern. Denn – wie die BA übrigens in derselben Weisung schreibt, in der sie jetzt mehr Ersatzansprüche fordert –, die Ersatzpflicht nach § 34 ist auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle zu begrenzen.

Genau darauf beziehen sich die Bundessozialgerichtsentscheidungen der Vergangenheit.

Es gibt also wieder einmal mehr Rechtsunsicherheit. Und wieder einmal muss mehr beim Bundessozialgericht geklagt werden. Ähnlich argumentiert übrigens das Bundesverfassungsgericht.

Bei den bisherigen Fällen ging das Bundessozialgericht immer davon aus: Nur dann, wenn jemand absichtlich herbeiführt, dass er anschließend Sozialleistungen beziehen darf – durch den Wegfall einer Tätigkeit, durch eine kriminelle Handlung –, darf ich von sozialwidrigem Verhalten ausgehen.

Sollte jemand aber aus Krankheitsgründen seine Arbeit verlieren – ich habe das eben schon genannt; er ist zum Beispiel Kraftfahrer, der alkoholkrank ist; das ist übrigens ein Beispiel, das in der Fachlichen Weisung genannt wird –, dann ist das kein sozialwidriges Verhalten. Das ist einfach krankheitsbedingt, weil er damit einer Krankheit folgt. Der Mann – es kann auch eine Frau sein – braucht Hilfe. Er braucht keine zusätzlichen Sanktionen.

Hier macht es keinen Sinn, zu versuchen, noch mehr Sanktionsdruck auszuüben und diese Ersatzansprüche geltend zu machen. Denn bei diesem Menschen ging es gar nicht darum, dass er sich Leistungen erschleichen wollte, sondern es ist ein Verhalten, das der Mensch eventuell gar nicht steuern kann. Entsprechend wird den Menschen noch weniger geholfen. Es werden noch mehr Sanktionen und noch mehr Repression aufgebaut werden.

Dieses Sanktions- und Repressionssystem hilft niemandem. Es muss weg. Jedwede Verschärfung muss unterbleiben, egal, ob es sich um Sanktionen im engeren Sinne oder um Ersatzansprüche handelt.

Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag hier direkt zuzustimmen, weil es eine eindeutige Angelegenheit ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Warden.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, würde ich sagen, aber es sind nur noch wenige vertreten. Lieber Torsten Sommer, ich bin zunächst einmal sehr dankbar, dass in der Argumentation zum Antrag doch noch ein bisschen mehr Input kam.

Als ich den Antrag gelesen habe, war ich schon ein bisschen überrascht. Wir kennen uns aus verschiedener Ausschussarbeit. Da habe ich, ehrlich gesagt, schon gründlicher recherchierte und begründete Anträge aus eurer Fraktion gesehen.

(Zuruf von den PIRATEN: Vielen Dank!)

Ich habe mich gefragt, wie man ein so wichtiges Thema wie Sanktionen im SGB II in aus meiner Sicht spärliche 31 Zeilen, einschließlich Beschlussvorschlag packen kann. Aber, wie gesagt, es kam gerade noch ein bisschen – in Anführungszeichen – „Butter bei die Fische“.

In dem ersten Antrag, den ich hier hatte, hattet ihr auf Medienberichte Bezug genommen und Medienberichte zitiert. Ich habe mich gefragt: Ist jetzt der Medienbericht der Auslöser für einen Antrag? Denn das wäre eine Annahme. Ich hätte jetzt erwartet, dass zumindest kommt: Das ist der Erlass der BA vom, und der hat den und den Inhalt, genau das, was jetzt gerade gekommen ist. Denn es ist der Erlass vom 20.07.2016, der von der Bundesagentur für Arbeit an die Jobcenter gegangen ist.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Genau!)

Nun habe ich mir die Frage gestellt, was wir als Landtag Nordrhein-Westfalen jetzt tun könnten. Denn die Frage der Rechtmäßigkeit eines Erlasses der Bundesagentur unterliegt nicht unserer rechtlichen Bewertung. Das könnte, wenn überhaupt, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Aufsicht beispielsweise machen. Wir sind hier der Landesgesetzgeber und wir haben hier die bundesgesetzlichen Regelungen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wir könnten uns dafür im Bundesrat einsetzen!)

Ich sehe auch nicht, wie wir da in einem Verfahren des Bundesrates tätig werden könnten, weil das eine Frage der Aufsicht zwischen Bund und Bundesbehörde ist. Aus meiner Sicht könnte, wenn überhaupt, nur das Bundesministerium Einfluss auf diese Weisung nehmen, sofern das Bundesministerium der Auffassung wäre, die Weisung sei rechtlich nicht haltbar. Das kann ich aber im Moment nicht einschätzen.

Ich möchte aber gern meine eigene inhaltliche Einschätzung hier vortragen. In dem Antrag werden einige Grundsätze aus dem Sozialleistungsbereich erwähnt. Nach meiner Einschätzung fehlt aber der Gesamtkontext zum Grundgesetz, nämlich zu den Artikeln 20 und 28, in denen unser Sozialstaatsprinzip verankert ist.

Zum Sozialstaatsprinzip gehört ein dreistufiges Sozialpflichtigkeitsprinzip, das genau abstuft, wer wann in welcher Form hilfeleistungspflichtig ist. So definiert beispielsweise § 9 SGB I im Allgemeinen Teil, aber auch die §§ 1 und 2 im SGB II Aufgabe und Ziel der Sozialhilfe beziehungsweise der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Damit verbunden ist aber auch die Verpflichtung der Leistungsbeziehenden, nach ihren Kräften mitzuwirken, bevor die Solidargemeinschaft eintritt.

Diese wesentlichen, dem Subsidiaritätsprinzip folgenden Grundsätze lassen Sie aus meiner Sicht un

beachtet. Aber genau diese Mitwirkungspflichten einzufordern, ist oft mühsamer Alltag in den Jobcentern und Sozialämtern. Deren Alltag kenne ich aus eigener Anschauung mit langjähriger beruflicher Erfahrung in diesem Bereich nur zu Genüge. Ich weiß, wie belastend diese Situationen auf beiden Seiten des Schreibtisches – da stimmen wir wieder überein – empfunden werden. Das beruht aber häufig darauf, dass die Sanktionsmöglichkeiten, die in den Gesetzen vorhanden sind, nicht geeignet sind für die Anwendung vor Ort.

Das war auch der Grund, warum wir als SPD gesagt haben: Wir möchten gern bei den Sanktionen im 9. SGB II-Änderungsgesetz zum Beispiel die Gleichbehandlung jüngerer und älterer Arbeitssuchender verankert sehen. Wir möchten auf die Sanktionierung bei den Kosten der Unterkunft verzichten. Leider haben wir uns bis dahin nicht durchsetzen können, aber wir werden an diesen Dingen weiterhin festhalten.

Bevor ich jetzt ende – es wundert nicht, wenn wir nicht zustimmen werden; ich hätte gern noch ein bisschen im Ausschuss diskutiert, aber diese Möglichkeit ist nicht vorhanden –, möchte ich sagen: Dieser Begriff der „Repressionsmaschinerie Hartz IV“ ist mir schon ein bisschen unangenehm aufgestoßen. Ich mag den Begriff Hartz IV für die Leistungsbezieher schon einmal überhaupt nicht. Denn über Peter Hartz kann man denken, was man will, aber er hat nicht gerade den besten Leumund.

(Zuruf von den PIRATEN: Darin sind wir uns einig!)

Für mich ist es eine Sozialleistung, die in diesem Gesetz verankert ist.

Es ist für mich aber auch, selbst wenn dieses Gesetz vielleicht nicht immer jedem gefallen mag, ein wesentlicher Bestandteil unserer Sozialgesetzgebung. Auf unsere Sozialgesetzgebung können wir ruhig ein bisschen stolz sein. Es gibt eine Menge Menschen, die uns darum beneiden. Das muss ich auch einmal gesagt haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Warden. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kerkhoff.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Da werde ich jetzt begeisterte Zustimmung ernten!)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns hier mit diesem Thema der Sanktionen beschäftigen. Die Piratenfraktion hat in dem Antrag eine aktuelle Berichterstattung aufgegriffen, ohne sie näher zu klassifizieren.

Ich habe dann einfach mal bei der Regionaldirektion nachgefragt, und dort hat man mir gesagt, dass die in den Zeitungsberichten Anfang September – ich denke, darauf bezieht sich das – angesprochenen Veränderungen keine Verschärfung irgendeiner Praxis bedeuten, sondern dass das letztendlich nur noch einmal wiedergibt, was ohnehin schon vollzogen wurde. Denn in der Praxis wurde es in den Jobcentern schon immer genau so gehandhabt.

Bis zum 01.08.2016 hatten die Jobcenter die Ersatzansprüche aus § 34 SGB II in den Durchführungsanweisungen genau so ausgelegt, wie es nun seit dem 1. August dieses Jahres im Gesetz steht. Es handelt sich somit nicht um eine Neuerung, keine Verschärfung und auch kein knallhartes Durchgreifen, sondern um eine seit Jahren gelebte Praxis, die der Gesetzgeber aktuell in einen gesetzlichen Rahmen gegossen hat.

Zur Vollständigkeit gehört auch noch der Hinweis, dass es sich gar nicht um Sanktionen handelt, sondern um Ersatzansprüche aufgrund von sozialwidrigem Verhalten, und das ist nicht gleich Sanktion. – So weit erst einmal zum Technischen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Das hatte ich schon erklärt!)

Des Weiteren gibt es zu dieser Fallgestaltung nach meiner Erkenntnis keine statistischen Daten. Aber ebenfalls auf Nachfrage wurde mir gesagt, dass von ganz geringen Fallzahlen ausgegangen wird, da in diesen Fällen der Nachweis eines solchen Verhaltens unglaublich schwierig bzw. kaum zu erbringen ist. Das heißt, wir haben es, wenn überhaupt, mit einer sehr überschaubaren Zahl zu tun.

Eben ist auch zum Ausdruck gekommen, dass es Ihnen weniger um das spezielle Thema geht als vielmehr darum, zum Ausdruck zu bringen, dass das ganze System ganz furchtbar und schlimm ist.

Was unsere Sicht der Dinge betrifft, so kann ich festhalten, dass wir es für richtig erachten, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern zahlreiche und vielfältige Förderinstrumente zur Verfügung stehen, die mit Blick auf die individuelle Lage einsetzbar sind. Das ist auch richtig, weil es den Arbeitslosen eben nicht gibt. Unterschiedliche Fallkonstellationen bedürfen auch unterschiedlicher Möglichkeiten. Insofern ist es richtig, dass es auch möglich ist, Sanktionen zu verhängen, wenn Leistungsempfänger Verpflichtungen nicht einhalten.

Diese Sanktionen haben den Zweck, eine Verhaltensänderung herbeizuführen, um sich an getroffene Vereinbarungen zu halten. Des Weiteren ist auch klar, dass es bei diesen Sanktionen niemals um Schikane gehen darf. Alles muss im Ergebnis darauf ausgerichtet sein, die Hilfebedürftigkeit zu durchbrechen oder, um es salopp zu sagen, dafür zu sorgen, dass