Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

Diese Sanktionen haben den Zweck, eine Verhaltensänderung herbeizuführen, um sich an getroffene Vereinbarungen zu halten. Des Weiteren ist auch klar, dass es bei diesen Sanktionen niemals um Schikane gehen darf. Alles muss im Ergebnis darauf ausgerichtet sein, die Hilfebedürftigkeit zu durchbrechen oder, um es salopp zu sagen, dafür zu sorgen, dass

dieser Leistungsempfänger wieder in Arbeit bzw. an die Schippe kommt.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Passiert halt nur nicht!)

Das Thema „Sanktionen“ – es spiegelt sich auch in Gesprächen mit Arbeitsagenturen, Optionskommunen und Jobcentern vor Ort wider – ist ein absolutes Randthema, das übrigens auch in seiner Dimension überschätzt wird. Nur 2,7 % der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in NRW werden mit einer Sanktion belegt. In den meisten Fällen gibt es keinen Grund, eine Sanktion zu veranlassen. Darüber hinaus sind meistens Meldeversäumnisse die Grundlage für Sanktionen.

Deshalb ist es richtig, das Thema „Sanktionen“ nicht zu überhöhen. Ich will gleichwohl sagen, dass wir natürlich nicht wissen, wie die Lage und das Verhalten wären, wenn nicht die Sanktionen irgendwo auch als Möglichkeit im Raum stehen würden.

Außerdem muss man festhalten, dass eine Sanktion grundsätzlich auch kein Schicksal ist, das vom Himmel fällt, sondern dass jeder Leistungsempfänger durch richtiges Handeln in der Lage ist, diese Situation zu vermeiden.

Ich und sicherlich auch die überragende Mehrheit der Steuer- und Beitragszahler haben, glaube ich, berechtigterweise auch die Erwartung, dass sich alle, die im SGB-II-System sind, an die getroffenen Vereinbarungen halten, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall von der CDU und von Holger Eller- brock [FDP])

Denn dann gibt es auch keine Probleme mit Sanktionen.

Außerdem sollten wir bei den Debatten über Betroffenheiten auch einmal diejenigen in den Blick nehmen, die durch ihre tägliche Arbeit das Geld verdienen, das andere letztendlich bekommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kerkhoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist ein ganz blöder Spruch gewesen, Herr Kerkhoff! Ein ganz blöder Spruch!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, Sie treten hier im Hohen Hause gerne als Moralisten auf.

Ihre Vorwürfe an alle Fraktionen, es würden Scheinanträge gestellt, sind zahlreich. Na ja, wenn Sie das meinen, sage ich: Willkommen im Klub!

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Von mir?)

Sehen Sie, wir können uns hier gerne über die HartzIV-Bundesgesetzgebung unterhalten, und selbstverständlich steht es Ihnen frei, hier im Landtag einen Antrag nach dem anderen zu diesem Thema zu stellen. Aber es wäre schon nett, wenn Sie sich wenigstens so viel Mühe geben würden, diese sachlich und fachlich fundiert zu formulieren. Ihren heutigen Antrag unterschreiben Sie nämlich mit „Sanktionsverschärfungen im SGB II verhindern!“, meinen damit aber offenbar Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten.

Herr Sommer, Sie haben das eben erklärt, und ich habe gehört, dass das für Sie gleichbedeutend ist. Aber im Gesetz wird es nun einmal unterschieden, und es gibt auch unterschiedliche Situationen, in denen entweder das eine oder das andere angewandt wird.

Es handelt sich hierbei also um zwei unterschiedliche Sachverhalte. Zugegebenermaßen sind sie oft gleichzeitig erfüllt. Wer sich weigert, sich auf eine Arbeitsstelle zu bewerben, muss mit einer Sanktion wegen Pflichtverletzung rechnen. Da aber wohl nicht nachweisbar sein wird, dass derjenige den Job auch wirklich bekommen hätte, ist hier Kausalität für die Schadensersatzforderung eher nicht gegeben.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Ja!)

Darin sind wir uns also einig.

Sozialwidriges Verhalten und gleichzeitig sanktionsbewehrt wäre zum Beispiel die Trunkenheitsfahrt eines Berufskraftfahrers mit der Folge, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen wird und er den Arbeitsplatz verliert.

Sie haben dieses Beispiel gerade auf den alkoholkranken Kraftfahrer erweitert. Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass das in der Tat zu differenzieren ist, wobei ich in dem Fall glaube, dass es besser wäre, die Fahrerlaubnis zumindest so lange zu entziehen, bis die Krankheit überwunden ist. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Auch der Kraftfahrer, der nach einer Feier betrunken in sein Auto oder in seinen Lkw steigt, handelt in mehrfacher Hinsicht schlichtweg fahrlässig.

Tatsächlich kann die Ersatzpflicht – und darin sind wir uns sicherlich auch einig – den Leistungsempfänger oder die Leistungsempfängerin wirklich empfindlich und hart treffen, und oft wohl auch härter als die Sanktion, insbesondere dann, wenn beides nebeneinander verhängt wird. Denn neben der Kürzung der Bezüge durch die Sanktionen müssen die Leistungen aufgrund der verhängten Ersatzpflicht zurückgezahlt werden. Unabhängig vom Fehlverhalten und

davon, wie man die Folgewirkung jetzt nennt, ist zu konstatieren, dass es sich immer um eine Kürzung existenzsichernder Leistungen handelt.

Für uns Grüne ist die Haltung da ganz klar: Das lehnen wir ab.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Gerade bei den Ersatzansprüchen wird es oft schwer sein, aus dieser Schuldenfalle herauszukommen.

Was nun Ihre Einlassungen zu psychischen Beeinträchtigungen und physischen Auseinandersetzungen angeht, so halte ich auch nichts davon, dies einseitig den Beschäftigten in den Jobcentern anzulasten. Hier agieren immer zwei Parteien, denen es mit den vielen Anweisungen sicherlich nicht leichtgemacht wird, aber mit Ihrem Antrag ändern Sie daran gar nichts. Denn wir reden über ein bestehendes Gesetz, das nach den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit in den Jobcentern umgesetzt wird. Also, der Zug, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, ist leider bereits abgefahren,

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wir hatten dazu schon einen Antrag!)

und Ihr Antrag ist nicht geeignet, hieran etwas zu ändern.

Um das zu ändern, bräuchten wir neue Gesetzesinitiativen, die mit der aktuellen Bundesregierung leider nicht durchzusetzen sind; das ist bedauerlich. Mit mehr Grün in Land und Bund sähe ich natürlich eine Chance.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Mit mehr Orange übrigens auch!)

Ihren Antrag müssen wir leider ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP spricht jetzt Herr Kollege Alda.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Piraten gegen Sanktionen im Sozialgesetzbuch II – das ist eigentlich keine Schlagzeile mehr wert. Wir alle wissen, dass Sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen ohne Sanktionen eintreten und dafür auch vier Jahre hier gekämpft haben.

Insofern verstehe ich den Zusammenhang hiermit überhaupt nicht, auch wenn Sie vielleicht nach den Erfahrungen in Finnland etwas ernüchtert sein sollten, was diese Vorstellungen angeht. Denn das dort geplante Experiment zielt eben gerade nicht auf eine bequeme Sicherung des Lebensunterhaltes auch für Arbeitsverweigerer, sondern vielmehr auf eine Beseitigung von Schwellen zur Arbeitsaufnahme. Eine

Pauschalierung und Zusammenfassung von Leistungen und eine Verzahnungen von Steuer- und Transfersystemen sollen dazu führen, dass eigene Anstrengungen sich auch lohnen und nicht durch den Wegfall von diversen zu beantragenden Sozialleistungen das verfügbare Einkommen verringern.

Das finnische Modell ist damit einem liberalen Bürgergeld näher als den Träumen der Piraten. Das liberale Bürgergeld will gerade über Freibeträge und Anrechnungssätze für eigenes Einkommen erreichen, dass die Aufnahme einer Beschäftigung sowie eigene Altersvorsorge attraktiver werden sollen. Vom selbst verdienten Geld soll so viel verbleiben, dass sich der Einsatz lohnt, Schritt für Schritt wieder auf eigenen Beinen zu stehen.

(Beifall von der FDP)

Eine sanktionsfreie Grundsicherung ist für uns hingegen nicht der richtige Weg. Wenn die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abgelehnt wird und die Zusammenarbeit verweigert wird, dann muss das auch Konsequenzen haben.

Wir erwarten eigene Anstrengungen, damit Menschen ihre Chancen ergreifen und so den Weg aus der Erwerbslosigkeit finden. Wir stehen zu dem Grundsatz, den Einstieg in den Arbeitsmarkt durch intensive Förderung zu unterstützen, aber eben auch die Mitwirkung der betroffenen Menschen einzufordern.

(Beifall von der FDP)

Nun zum vorliegenden Antrag. Dieser scheint einiges zu vermischen. Da wird allgemein Kritik an Sanktionen geübt, und dann werden vor allem im ersten Abschnitt konkrete Beispiele genannt, die gar nicht unter die Sanktionen fallen. Es geht vielmehr um die Anwendung von § 34 SGB II, also um die Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten; das hat Kollege Kerkhoff gerade sehr sauber herausgearbeitet. Das betrifft Personen, die den Leistungsbezug vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Beispiele sind die Aufgabe des Arbeitsplatzes ohne wichtigen Grund sowie die Verschwendung einmaliger Einnahmen wie Abfindung oder Erbschaft. Ein Urteil vom Bundessozialgericht vom 2. November 2012 hat den Ersatzanspruch auf nur sehr eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzt; das sollte man dabei festhalten.

Es mag sein, dass Jobcenter versuchen, die rechtlichen Grenzen dieser Regelung verstärkt auszureizen. Das mag sogar eine Vorgabe von oben sein, aber letztendlich sitzen dort auch nur Menschen, die versuchen, ihre Grenzen zu ziehen. Dazu sagen wir: Ein Verhalten, das zulasten der Allgemeinheit eine Hilfebedürftigkeit bewusst erst eintreten lässt, kann nicht beliebig hingenommen werden.

Eher zu diskutieren wäre über die Erweiterung der Regelung zu sozialwidrigem Verhalten durch das

Gesetz zur SGB-II-Rechtsvereinfachung. Demnach ist auch die Aufrechterhaltung bzw. fehlende Verringerung der Hilfebedürftigkeit dazuzuzählen.

In diesem Zusammenhang wurde die Verpflichtung kritisiert, möglichst frühzeitig einen Rentenantrag stellen zu müssen. Darauf geht aber Ihr Antrag, liebe Piraten, überhaupt nicht ein. Ihr Antrag zielt also in die falsche Richtung, er ist handwerklich nicht gelungen, und er wiederholt die Träume der Piraten von einer sanktionsfreien Grundsicherung.

Zum Schluss noch eines: Herr Kollege Schulz, den von Ihnen gerade als blöden Spruch bezeichneten Satz des Kollegen Kerkhoff, „Denken Sie auch an die, die das Geld verdienen müssen“, wollte ich hiermit noch einmal wiederholen.

(Beifall von der FDP)