Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn wir uns um 10:03 Uhr hier offensichtlich in trauter, lauschiger Runde befinden, will ich unsere heutige Plenarsitzung eröffnen. Ich begrüße Sie ganz herzlich zu der 124. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich 15 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung will ich Ihnen noch mitteilen, dass wir bereits gestern den ursprünglich vorgesehenen Tagesordnungspunkt 3 – Große Anfrage 19 der Fraktion der CDU Drucksache 16/11268 „Wie muss die Aufstellung und Ausstattung der Polizei Nordrhein-Westfalen für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung verbessert werden?“ – von der heutigen Tagesordnung genommen haben. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.
Formal korrekt frage ich auch heute noch einmal, ob sich Widerspruch ergibt. – Das ist nicht der Fall. Dann können wir unsere Tagesordnung für den heutigen Tag so gestalten und abarbeiten.
Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 27. September dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu diesem Thema zu unterrichten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter in einem Wahlkreis sind, der sicherer nicht sein kann, weil er in den Vergleichen immer zu den ersten fünf gehört, und dann den Anruf der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin erhalten, überlegen Sie: Will ich das aufgeben? Will ich das Amt des Wirtschaftsministers des größten und stärksten Bundeslands übernehmen?
Für diese Überlegung habe ich nicht sehr lange gebraucht, sondern habe diese neue Herausforderung mit großer Freude vor rund viereinhalb Jahren angenommen, weil das ein Amt ist, das es Ihnen ermöglicht, zu gestalten, den Wandel des Landes Nordrhein-Westfalen aktiv zu begleiten, die unternehmerische, aber auch die regionale Vielfalt dieses Landes zu stärken und etwas zu bewegen.
Wenn Sie in dieser Funktion schwache vorläufige Zahlen über das wirtschaftliche Wachstum im zurückliegenden Jahr 2015 bekommen, ist das ein Schlag in die Magengrube. Deswegen haben wir uns auf den Weg gemacht, mit diesem Wirtschaftsbericht eine umfassende, eine schonungslose, eine detaillierte Analyse auf den Tisch zu legen, um Klarheit über unser Land zu haben – über seine Defizite, aber vor allen Dingen auch über seine Chancen und Potenziale.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese volkswirtschaftliche Analyse kommt insgesamt zu dem Ergebnis: Nordrhein-Westfalen ist nach wie vor das industriepolitische, das energiepolitische, das wirtschaftspolitische Herz der Bundesrepublik Deutschland, und wir wollen zurück in die Spitzengruppe.
Die Hidden Champions und Unternehmen von Weltrang haben hier ihren Sitz – mehr als in jedem anderen Bundesland.
Einzelne Regionen wie Südwestfalen oder Ostwestfalen-Lippe florieren. Insbesondere das Münsterland steht hervorragend da und hat praktisch Vollbeschäftigung erreicht. Die Wirtschaft an der Ruhr wächst überdurchschnittlich. Entlang des Rheins haben wir hervorragende Zahlen, auch beim Pro-Kopf-Einkommen.
Wachsende Steuereinnahmen sind ebenso Ausdruck der positiven Entwicklung wie die ausländischen Direktinvestitionen, bei denen NRW so beliebt ist wie kein anderes Land.
Fast das Wichtigste ist die Entwicklung bei der Beschäftigung. Noch nie hatten in Nordrhein-Westfalen so viele Menschen Arbeit wie heute. Auch das ist ein Ergebnis, das für dieses Land spricht.
Ebenso, wie es keinen Grund gibt, schwarzzumalen, gibt es auch nichts zu beschönigen. Auch das hat unsere ehrliche Analyse gezeigt. Anlass für unseren Wirtschaftsbericht 2016 ist – ich habe es gesagt – die schwache Wirtschaftsentwicklung des Landes im Jahre 2015.
stagnierte, wuchs sie im Bundesdurchschnitt um 1,7 %. Im ersten Halbjahr 2016 lag das Wachstum bei 2,1 %, also 0,2 % hinter dem Bundesdurchschnitt.
Wer dann die strukturelle Lage des Landes Nordrhein-Westfalen bewerten will, muss auf längerfristige Trends blicken. Erst die so erarbeitete Kenntnis der strukturellen Besonderheiten des Landes erlaubt auch eine realistische Einschätzung der gegenwärtigen Lage. Deswegen kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen von 2000 bis 2015 real um 13, 2 % wuchs. Im Bundesdurchschnitt lag der Zuwachs des realen BIP aber bei 18,1 %.
Innerhalb dieses Gesamtzeitraums müssen wir zwei Perioden unterscheiden. Zwischen 2000 und 2008, der großen Krise zunächst in der Finanzwirtschaft, später dann in der Realwirtschaft, wuchs die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen quasi parallel zum übrigen Deutschland. Dieser Zeitraum steht auch für einen erfolgreichen Aufholprozess. Während des dann folgenden weltwirtschaftlichen Einbruchs hat sich die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen aber schwächer erholt als in Deutschland insgesamt. So wuchs sie von 2008 bis 2015 real nur um 1, 8 %, in Deutschland dagegen um 5,9 %. Der jährliche Rückstand betrug im Schnitt 0,6 Prozentpunkte.
Meine Damen und Herren, das Wachstum der Dienstleistungen verläuft im Gleichschritt mit dem Bundesdurchschnitt. So sind die Dienstleistungen längst zum Wachstumsträger für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen geworden. Dieser Sektor ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen, macht er doch mittlerweile mehr als 70 % der Wirtschaftsleistung des Landes aus.
Das wachsende und inzwischen dominierende Gewicht des Dienstleistungssektors ist das Resultat des Übergangs von der traditionellen Industrie zur wissensgeprägten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. In ihr wächst die Bedeutung wissensintensiver, intelligenter Produkte und Verfahren in allen Industrie- und Wirtschaftssektoren.
Dienstleistungen – das ist klar – sind ein sehr heterogener und bunter Wirtschaftssektor. Zu ihm gehören unter anderem die Gesundheitswirtschaft, die wir besonders unterstützen, die Logistik, die gerade in den letzten Monaten noch einmal ein ganz erhebliches Wachstum in unserem Land ausgelöst hat, der Handel, der Tourismus, die Beratungs- und Entwicklungsunternehmen, die Informations- und Kommunikationsunternehmen und Teile des Handwerks.
An dieser Stelle will ich herausstellen, wie stolz wir auf das Handwerk in Nordrhein-Westfalen sein können. Das Handwerk selbst spricht von einem Allzeithoch bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Das zeigt, wie gut in diesem Bereich gearbeitet wird.
Die Ursache für den Wachstumsrückstand der Gesamtwirtschaft ist ohne Wenn und Aber die verhaltene Entwicklung der Industrie. Hier nahm die Bruttowertschöpfung seit dem Jahre 2000 in NordrheinWestfalen um 1,8 % ab, während sie im Bund um 25,5 % stieg. Mit Ausnahme der Jahre 2002 und 2008 entwickelte sich die Industrie in NordrheinWestfalen in jedem Jahr schlechter als im Bundesdurchschnitt. Besonders auffällig verläuft die Entwicklung nach dem Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise. Bis heute hat die Industrie das Vorkrisenniveau ihrer Produktion nicht erreicht.
Die Industriestruktur Nordrhein-Westfalens unterscheidet sich dabei signifikant von der des gesamten Bundesgebietes. Sie wird stärker als in den anderen Bundesländern von den Grundstoffindustrien geprägt, die sich auch außerhalb des Landes in einer strukturell schwierigen Situation befinden. Die Struktur der Exportgüter ist ein Spiegelbild der Branchenstruktur. Während chemische Erzeugnisse und Metalle am Export nordrhein-westfälischer Unternehmen einen Anteil von 26,2 % ausmachen, kommen diese beiden Warengruppen im Bund nur auf einen Anteil von 13,2 %.
Die weltweiten Probleme beider Branchen schlagen deswegen auf die Exportentwicklung des Landes massiv durch. Andersherum kommt der im Bund mit einem Anteil von über 22 % dominierende Kraftfahrzeugbau in Nordrhein-Westfalen nur auf 9,7 %. Vom Exportboom dieser Warengruppe profitiert Nordrhein-Westfalen damit nur unterdurchschnittlich.
Ein anderes Erklärungsmuster setzt bei den regionalen Schwerpunkten der Absatzmärkte an. NordrheinWestfalen liefert einen deutlich höheren Anteil seiner Exporte an die EU-Länder als der Rest Deutschlands. Die Exportwirtschaft Nordrhein-Westfalens leidet damit weit stärker unter der schwachen wirtschaftlichen Dynamik Europas und des Euroraums als andere Bundesländer.
Meine Damen und Herren, in Nordrhein-Westfalen liegen die Investitionsquoten im gesamten Betrachtungszeitraum mit einem Abstand von rund 4 Prozentpunkten unter dem Bundesdurchschnitt. Die Investitionsdefizite betreffen, wenn auch in unterschiedlicher Stärke, alle Wirtschaftsbereiche, den Staat, die Infrastruktur, die Privatwirtschaft, die Industrie und die Dienstleistungen. Dabei wissen wir doch, dass Investitionen von großer Bedeutung sind, um den Kapitalstock in einer Wirtschaft zu erneuern, um einen Wandel zu wachstumsträchtigen und dynamischen Segmenten zu vollziehen.
Die langfristige Entwicklung der Investitionen macht deutlich, dass die Investitionsschwäche des Landes kein konjunkturelles Phänomen ist, sondern tiefer liegende Ursachen hat. Offensichtlich sind auch Teile der Unternehmen in Nordrhein-Westfalen zu wenig
auf die Erschließung neuer Geschäftsfelder und neuer Märkte gerichtet. Wichtige Kennzahlen zu Innovationsaktivitäten zeigen eine ausgeprägte und seit mindestens einem Jahrzehnt bestehende Innovationsschwäche, die sich nur in sehr kleinen Schritten verringert hat.
Aktuell liegt der Anteil der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt in Nordrhein-Westfalen bei 2,0 %, im Bundesdurchschnitt dagegen bei 2,9 %. Damit hat Deutschland den Zielwert der EU-Kommission von 3 % fast erreicht.
Aber es lohnt dann eben auch der nähere Blick. Während der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt in Nordrhein-Westfalen im Jahre 2014 mit 0,88 % nahe beim Bundestrend lag, blieb die Forschungsintensität der Wirtschaft mit nur 1,13 % deutlich hinter dem Bundesdurchschnitt von 1,95 % zurück. Auch diese Relation ist in der Tendenz in den vergangenen zwölf Jahren annähernd stabil geblieben.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus haben wir uns in dem Wirtschaftsbericht sehr intensiv mit der Entwicklung und der Lage der Regionen des Landes beschäftigt und haben diese in Gruppen eingeordnet. So ist das Einkommen pro Einwohner in den Regionen Ostwestfalen-Lippe und Südwestfalen deutlich über dem Landesdurchschnitt gewachsen. Auch das Ruhrgebiet wuchs mit 33 % um 3 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt von 30 %. Im Landesdurchschnitt etwa bewegten sich das Münsterland und die Region Aachen.
Ein Blick auf die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung verdeutlicht, wie insbesondere das Ruhrgebiet eine positive Bilanz ziehen kann. Mit dem zuletzt überdurchschnittlichen Wachstum hat in der Metropole Ruhr ein nachhaltiger und erfolgreicher Aufholprozess begonnen. Darüber hinaus treten natürlich besonders Ostwestfalen-Lippe und Südwestfalen als wachstumstreibende Regionen hervor – mit ein bisschen Abstand auch das Münsterland.
Meine Damen und Herren, nach dem Jahre 2015 werden wir wieder dauerhaft zu guten Werten der wirtschaftlichen Entwicklung in Nordrhein-Westfalen kommen. Das Wachstum von 2,1 % im ersten Halbjahr 2016 ist ein erster Schritt. Es geht wieder aufwärts.
Wir sind froh darüber, den Platz 16 verlassen zu haben. Aber Platz 8 ist nur ein Zwischenschritt. Nein, wir neigen überhaupt nicht dazu, jetzt in irgendeiner Weise zu jubeln, wie geschrieben wurde, oder gar in Zufriedenheit zu verfallen, sondern das ist Ansporn für uns, unsere Politik der vorausschauenden Wirtschaftspolitik konsequent fortzusetzen, um wieder in
Dafür haben wir ebenfalls im Wirtschaftsbericht, aber auch an vielen anderen Stellen die Weichen gestellt. Es geht darum, eine klare Schwerpunktsetzung vorzunehmen.
Immer wieder betone ich, dass es an erster Stelle um das Thema der digitalen Transformation geht. Wir brauchen Köpfe, Kapital und Kooperation. Als erstes Land hat Nordrhein-Westfalen deswegen einen Beauftragten für die Digitale Wirtschaft ernannt. Als erstes Land haben wir eine Strategie zur Stärkung der Digitalen Wirtschaft entwickelt, die wir konsequent weiterverfolgen.
Allein das eine Element der DWNRW-Hubs hat zu einem enormen Schub beigetragen. Ob in Aachen, in Bonn, in Düsseldorf, in Köln, in Münster oder im Ruhrgebiet: Wir haben diese Hubs auf den Weg gebracht. Es ist interessant, zu beobachten, wie im Lande damit umgegangen wird und wie hier im Landtag diskutiert wird.